Luanne Freer – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Luanne Freer: „Niemand spricht offen über Doping am Everest“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/luanne-freer-niemand-spricht-offen-ueber-doping-am-everest/ Wed, 09 Dec 2015 16:10:24 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=31441 Luanne Freer (© Marmot.com)

Luanne Freer (© Marmot.com)

„Mach‘ nie deinen Mund auf, außer du sitzt auf dem Zahnarztstuhl.“ So hat Salvatore Gravano, genannt „Sammy, der Bulle“, ein Mafioso aus New York, die „Omertà“ beschrieben: das ungeschriebene Gesetz der Unterwelt, unter allen Umständen den Mund zu halten. Auch unter dopenden Sportlern wird in der Regel eisern geschwiegen – zumindest bis zu dem Tag, an dem sie als Sünder enttarnt werden. Der Bergsport ist in dieser Hinsicht keine Insel der Glückseligen. Jeder, der selbst schon einmal auf Expedition war, dürfte erlebt haben, wie sorglos manche Bergsteiger zu Medikamenten greifen, die eigentlich für den Ernstfall gedacht sind. Oder auch zu leistungssteigernden Mitteln. Nur zugeben will es niemand. Luanne Freer ist die „Everest-Doktorin“. Seit zwölf Jahren versorgt sie in ihrer Ambulanzstation im Basislager auf der nepalesischen Seite des höchsten Bergs der Erde Bergsteiger, die ärztliche Hilfe benötigen. Ich habe die 57-Jährige nach ihren Erfahrungen in Sachen Doping am Mount Everest gefragt.

Luanne, du hast 2003 die „Everest Notaufnahme“ (Everest ER) gegründet, die höchst gelegene Notfallambulanz der Welt. Seitdem hast du viele Klettersaisons im Basislager verbracht. Wie weit verbreitet ist Doping unter den Everest-Anwärtern?

Wir sind uns nicht wirklich sicher, weil nicht offen darüber gesprochen wird. Unsere Mediziner entdecken es nur, wenn es Komplikationen gegeben hat oder wenn Patienten zu uns mit Symptomen kommen, die wahrscheinlich mit Doping zusammenhängen. Deshalb haben Dr. Luks, Dr. Hackett, Dr. Grissom [Andrew M. Luks, Peter Hackett und Colin K. Grissom sind drei international renommierte Höhenmediziner aus den USA] und ich eine vertrauliche und anonyme Umfrage unter Everest-Bergsteigern gestartet. Wir haben eine Menge Daten gesammelt und sind immer noch dabei, sie zu sieben.

Luanne bei der Arbeit

Luanne bei der Arbeit

Hast du festgestellt, dass Bergsteiger gedankenlos zu Medikamenten greifen, die eigentlich für Notfälle gedacht sind?

Ich sage es mal so: Ich habe einige Bergsteiger erlebt, die sehr starke Medikamente nutzen, ohne sich darüber allzu viele Gedanken zu machen oder eine Einblick zu haben, welche möglichen Schäden sie sich damit selbst zufügen können.

Wie viele Unfälle am Everest sind auf Medikamentenmissbrauch zurückzuführen?

Bei einem oder zwei Unfällen bin ich mir ziemlich sicher, dass eine ärztlich nicht genehmigte Verwendung oder eine falsche Dosierung von Medikamenten zum Tod oder zu einer Verletzung mit beigetragen haben.

Wer trägt mehr Schuld: die Bergsteiger, die zu Medikamenten greifen oder die Ärzte, die es ihnen nahelegen?

Den Bergsteigern kann ich keinen Vorwurf machen. Aber ich appelliere dringend an die Ärzte, die diese Medikamente verschreiben, sich vorher über die wissenschaftlichen Erkenntnisse über einen sicheren Gebrauch schlau zu machen und anschließend auch ihre Patienten darüber zu informieren. Es ist unerlässlich, dass jeder mit einer Pillendose genau weiß, wie und warum er die Medikamente verwenden soll – und das auf eine sichere Weise. Es ist unsere ärztliche Pflicht, dies sicherzustellen.

Stellst du einen Trend unter Höhenbergsteigern fest, zu einem sauberen Bergsport zurückzukehren?

Ich höre Meinungen aus jeder Ecke – von jenen, denen jedes Mittel recht ist, um Leistung und Sicherheit zu erhöhen, bis zu denen, die schon die Verwendung von Flaschensauerstoff für unethisch halten.

Everest-Notambulanz nach der Lawine 2015

Everest-Notambulanz nach der Lawine 2015

Die vergangenen beiden Saisons am Everest endeten vorzeitig – 2014 nach einer Eislawine im Khumbu-Eisbruch, 2015 nach einer Lawine, die durch das Erdbeben am 25. April ausgelöst wurde und das Basislager traf. Sehnst du dich als Everest-Ärztin nach einer ganz normalen Everest-Saison im nächsten Frühjahr?

Wir alle hoffen auf eine sichere und unkomplizierte Saison. Leider ist das selten der Fall. Deshalb sind schon zufrieden, wenn das Wetter gut ist, die Erde nicht bebt und Bergsteiger mit großer Erfahrung und in der besten Form ihres Lebens anreisen.

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Gut gedopt ist halb bestiegen? https://blogs.dw.com/abenteuersport/gut-gedopt-ist-halb-bestiegen/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/gut-gedopt-ist-halb-bestiegen/#comments Mon, 20 Oct 2014 09:38:29 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=27515 DopingprobeBergsteigen ist Sport. Und hier wird, wie in anderen Sportarten auch, gedopt. Das überrascht kaum, wohl aber das Ausmaß. „Es ist gang und gäbe“, sagt Professor Thomas Küpper. Der Arbeits- und Sportmediziner arbeitet am Universitätsklinikum Aachen und gehört zu den Autoren eines Berichts, der jetzt bei der Generalversammlung des Weltverbands der Bergsteiger und Kletterer (UIAA) in Flaggstaff in den USA diskutiert wurde. Titel: „Gebrauch und Missbrauch von Medikamenten beim Bergsteigen“. Küpper verweist auf eigene Daten vom Kilimandscharo, nach denen 80 Prozent (! – kein Tippfehler) der Gipfelaspiranten zu Diamox oder Dexamethason griffen.

Begriff „Doping“ vermieden

Das Medikament Diamox enthält einen Wirkstoff, der den Hirndruck senken kann. Viele werfen die Pillen prophylaktisch ein, um nicht höhenkrank zu werden. Dexamethason ist eigentlich ein Notfallpräparat bei Höhenhirnödemen, wird inzwischen aber ebenfalls häufig vorbeugend geschluckt. Sind die Bergsteiger und ihre Ärzte einfach nur naiv oder handeln sie fahrlässig? „Zumindest verstoßen sie gegen die Regeln fairen Sports“, antwortet mir Küpper auf diese Frage. „Denn es ist streng genommen Doping, auch wenn die UIAA sich trotz meiner intensiven Bemühungen nicht dazu hat durchringen können, das Kind beim Namen zu nennen.“ Vor allem die Veranstalter von Trekkings und Expeditionen handelten „bodenlos fahrlässig“, wenn sie ihren Kunden nahelegten, „Medikamente ohne jede individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung“ einzuwerfen, findet Küpper. Bei Everest-Trekkings sei regelmäßig zu hören: „Okay, wir haben noch fünf Minuten, Zeit genug für eine weitere Tasse Kaffee und unsere Diamox-Pillen.“

„Taschen voller Medikamente“

Everest-Krankenstation

Everest-Krankenstation

In dem UIAA-Bericht wird auch die Ärztin Luanne Freer zitiert. Die US-Amerikanerin gründete 2003 im Everest-Basislager die saisonal betriebene höchstgelegene Krankenstation der Welt, den „Everest Emergency Room“. „Wir schätzen auf der Grundlage unserer informellen Umfrage im Frühjahr 2012, dass mindestens zwei Dritteln der Bergsteiger verschiedene leistungssteigernde Mittel verschrieben wurden, die sie nicht für den Notfall verwenden wollten, sondern um ihre Gipfelchance zu steigern“, sagt die 56-Jährige. Einmal habe ein Bergführer ihr Ärzteteam gebeten, seine Kunden vor dem Gipfeltag über den richtigen Gebrauch der Medikamente aufzuklären. „Wir erschraken darüber, dass wir ein Zelt voller ängstlicher Bergsteiger vorfanden, die die Taschen voller Medikamente hatten (verschrieben von ihren Hausärzten, besorgt in heimischen Apotheken), ohne zu wissen oder eingewiesen worden zu sein, wann und wie sie diese verwenden sollten.“

Flaschen-Sauerstoff auch auf der Liste

Prof. Thomas Küpper

Prof. Thomas Küpper

Die Medizinische Kommission der UIAA hat Medikamente und Drogen benannt, die von Bergsteigern genutzt werden. In der Liste taucht auch Sauerstoff auf. Darüber sei besonders heftig diskutiert worden, heißt es in dem Bericht. Das habe daran gelegen, dass Sauerstoff beim Höhenbergsteigen traditionell fest etabliert sei und in manchen Ländern nicht als Medikament angesehen werde, erklärt Professor Küpper. Außerdem gebe es Daten, nach denen die Todesrate an Bergen über 8500 Metern deutlich niedriger sei, wenn Bergsteiger zur Sauerstoffflasche griffen. „Meine Meinung dazu: Wer das braucht, gehört nicht dort oben hin“, stellt Küpper klar. „Per Definition ‚Methode, die artifiziell Leistung steigert‘ ist es Doping, denn es macht aus einem 8000er einen hohen 6000er.“

Neue Kategorie?

Der Weltverband will die Bergsteiger und Kletterer mit seinem Medikamenten-Bericht für die Problematik sensibilisieren. Zu jedem Wirkstoff sind auch mögliche gefährliche Nebenwirkungen aufgeführt. Der Bericht sei jedoch auch ein Appell für fairen Sport, sagt Thomas Küpper: „Die UIAA ist keine Drogenpolizei. Wer es unbedingt will, soll es halt einwerfen, aber dann auch fair genug sein, dies nach einer erfolgreichen Besteigung anzugeben. Es würde dann nicht nur die Unterscheidung mit/ohne Zusatzsauerstoff geben, sondern als weitere Kategorie mit/ohne Medikamente.“

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