Shivling – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Helga Hengge: „Der Everest hat mir viel gegeben“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/helga-hengge-everest-hat-mir-viel-gegeben/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/helga-hengge-everest-hat-mir-viel-gegeben/#comments Wed, 17 Jan 2018 20:21:04 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=39187

Helga Hengge in Köln

Du hast einen Berg erst erfolgreich bestiegen, wenn du nach dem Gipfel auch wieder sicher das Tal erreichst. In diesem Sinne war Helga Hengge die erste erfolgreiche deutsche Bergsteigerin am Mount Everest. Als Mitglied eines kommerziellen Expeditionsteams erreichte sie im Frühjahr 1999, von der tibetischen Nordseite aufsteigend, den 8850 Meter hohen Gipfel. Hannelore Schmatz war im Herbst 1979 zwar als erste deutsche Frau auf den höchsten Punkt des Everest gelangt, beim Abstieg jedoch auf 8300 Metern an Erschöpfung gestorben.

2011 komplettierte Hengge als erste deutsche Bergsteigerin die Sammlung der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente. Inzwischen ist Helga 51 Jahre alt. Sie lebt mit ihrem Mann, ihrer zwölfjährigen Tochter und ihrem elfjährigen Sohn in München – und geht immer noch in die Berge. Im vergangenen Herbst versuchte sie sich am 6543 Meter hohen Shivling im indischen Himalaya. Ich habe sie am Rande eines Vortrags in Köln getroffen.

Helga, es ist jetzt fast 19 Jahre her, dass du auf dem Mount Everest warst. Hast du noch eine besondere Beziehung zu dem Berg?

1999 auf dem Gipfel des Everest

Ja, ganz sicher. Ich dachte immer, dass würde nach einer Weile verschwinden. Aber ich finde sogar, dass diese Beziehung stärker wird. Ich spüre erst jetzt, wie viel ich von diesem Berg für mich und mein Leben mitgenommen habe.

Was denn konkret?

Eine ganz tiefe Gelassenheit, die in mich eingezogen ist. Sehr viel Zuversicht. Und Glauben an eine Kraft von innen und auch an eine göttliche Kraft in den Bergen. 

Helga Hengge: Was mir der Everest gegeben hat

Verfolgst du noch immer, was am Everest geschieht, z.B. jetzt die Winterexpedition von Alex Txikon?

Ja, und das mit großer Faszination. Nach Weihnachten kommt diese eher ruhige Zeit im Januar. Ich habe dann immer das Gefühl, alle gehen zum Everest, nur ich nicht. (lacht) Leute aus dem Freundes- oder Bekanntenkreise brechen auf, oder andere Bergsteiger, die twittern und auf Instagram oder Facebook posten. Da ist so viel Energie und große Vorfreude. Und das erinnert mich immer an meine Vorfreude damals.

Was hat sich denn aus deiner Sicht seit 1999 am Everest verändert?

Auf der Nordseite war es damals noch relativ ruhig. Wir waren insgesamt rund 150 Menschen am Berg, inklusive Küchencrews und Base-Camp-Managern. Das hat sich nicht so voll angefühlt. Wenn ich jetzt die Bilder sehe, ist dort sehr viel mehr los. Aber so ist es halt auf unserer Welt. Überall wird immer mehr los sein, natürlich auch am Everest.

Hast du das Gefühl, dass der Berg dadurch seine Würde verliert?

Nein, das kann er nicht. Ich finde es auch ganz schwierig zu sagen, wie es jetzt die nepalesische Regierung wieder versucht: Die einen dürfen, die anderen dürfen nicht. Menschen dort auszuschließen, sie nicht hinaufsteigen zu lassen, das finde ich ganz schwer und immer ungerecht. Der Berg hat eine wahnsinnige Ausstrahlung und Anziehungskraft. Es gibt halt unheimlich viele Menschen, die dort unbedingt hinaufsteigen wollen. Ich kann das ganz gut nachvollziehen.

Helga Hengge: Schwierig, irgendwen vom Everest auszuschließen

Everest-Nordseite

Träumst du manchmal noch von deinem Aufstieg?

Nein. Aber ich hatte eine ganze Weile so etwas wie einen Horrortraum vom Everest – vielleicht hervorgerufen durch die Bilder von den Unglücken oder auch von den riesigen Menschenschlangen, wo Hunderte auf einer Aufstiegsroute unterwegs waren. Das ist schon erschreckend. Damals träumte ich, dass die Chinesen einen Aufzug von der Mitte des Berges bis kurz unterhalb des Gipfels gebaut hätten. Oben gab es ein Häuschen, in dem man Pause machen konnte. Von dort zogen sie dann alle los, mit Turnschuhen! Ich war dann im Traum ganz aufgeregt: Die können doch nicht mit Turnschuhen aufsteigen, das ist viel zu gefährlich. Ich muss sie zurückhalten!

Helga Hengge: Mein Horrortraum vom Everest

Du warst die erste deutsche Frau, die auf dem Gipfel des Everest war und auch wieder lebendig heruntergekommen ist. Hast du  das Gefühl, dass diese Botschaft in der Öffentlichkeit überhaupt angekommen ist?

Ich glaube schon. Bei meinen Vorträgen werde ich jedenfalls häufig darauf angesprochen. Ich lebte damals in New York und bin einfach zum Everest gefahren. Ich hatte keine Sponsoren. Mir war damals nicht bewusst, dass ich die erste Deutsche sein würde. Das habe ich erst hinterher erfahren. Wenn ich es vorher gewusst hätte, hätte ich mich wahrscheinlich mehr angestrengt und weniger gejammert. Das wäre sicher meinem Team zugutegekommen.

Mussten sie dich dort hinaufschleppen?

Nein, ganz so schlimm war es nicht. Aber ohne die Sherpas, die Tiger des Himalaya, wäre ich ganz sicher nicht dort hinaufgestiegen.

Für manche ist der Everest ja der Höhepunkt, nach dem sie kürzer treten. Bei dir war es eher eine Initialzündung, so richtig zu den Bergen der Welt aufzubrechen.

Zunächst schon. Ich habe danach noch vier Achttausender probiert und einen geschafft, die Shishapangma (Sie erreichte 2001 den 8008 Meter hohen Mittelgipfel). Anschließend habe ich meinen Mann kennengelernt, eine Familie gegründet. Mit zwei kleinen Kindern kannst du nicht einfach aufbrechen. Später habe ich mich auf die Seven Summits besonnen, die ich dann bis 2011 komplettiert habe. Jedes Jahr einen.

Tiefblick am Shivling

Im vergangenen Herbst warst du wieder im Himalaya, im indischen Teil, am Sechstausender Shivling, einem prestigeträchtigen Berg. Was hat dich dorthin gezogen?

Es ist der heilige Berg Indiens. Er hat mich schon sehr lange fasziniert. Es ist ein technisch sehr schwieriger Berg, sicherlich an der Grenze meines Könnens. Aber der Aufstieg war gar nicht so wichtig für mich. Ich wollte unbedingt diese Pilgerreise machen und Zeit dort verbringen. Es ist wirklich einer der beeindruckendsten Berge, bei denen ich jemals war. Aus ihm strahlt ein ganz großes Glück heraus. Immer wenn ich an die Expedition zurückdenke, muss ich lächeln, weil es so schön war.

Obwohl ihr 400 Meter unterhalb des Gipfels wegen Eisschlaggefahr umkehren musstest?

Wir sind schon schweren Herzens umgekehrt, weil wir so viel Arbeit in diesen Berg gesteckt hatten. Drei Tage später sind wir zurückgewandert. Nahe dem Gletschertor von Gaumukh, wo die heilige Quelle des Ganges entspringt, begegneten wir einem Sadhu [„Heiliger Mann“ im Hinduismus], der den Pilgerpfad hinaufgewandert kam. Er fragte mich: „Woher kommt ihr?“ Ich antwortete: „Vom Shivling.“ Wir waren zerzaust, sonnenverbrannte Gesichter, wir sahen schon wild aus. Dann sagte er: „Ihr Glücklichen!“ Erst da habe ich gemerkt, wie recht er eigentlich hatte. Es war ja nur der eine Tag, der uns vielleicht gefehlt hat. Aber es war ein ganz besonderes Glück, dass wir diese Reise überhaupt machen konnten.

Helga Hengge über die Begegnung mit einem Sadhu nahe dem Shivling

Damavand

Gibt es noch andere große Bergträume, die du hegst?

Einen nach dem anderen. Ich würde gerne noch einmal zum Damavand [5611 Meter, höchster Berg im Iran] reisen, wo wir im letzten Jahr wegen eines wilden Sturms nicht aufsteigen konnten. Und dann gibt es im Iran noch einen weiteren heiligen Berg, den Sabalan [4811 Meter, dritthöchster Berg des Iran]. Den möchte ich auch besuchen.

Das klingt so, als wärest du nicht nur mehr auf die Höhe aus, sondern hättest deine Kriterien geändert.

Sehr sogar. Nach dem Everest bin ich erst einmal in ein Loch gefallen. Drei Jahre Vorbereitung und ich habe mich nie gefragt: Was mache ich eigentlich, nachdem ich am Everest war? Das war schon schwer. Anschließend mühevoll die anderen Achttausender, das war nicht meins. Dann habe ich Gott sei Dank die Seven Summits entdeckt. Doch als die vorbei waren, war es für mich wieder sehr schwer. Es war schließlich ein Projekt über 14 Jahre. Plötzlich steht man auf dem letzten Berg und sollte eigentlich der glücklichste Mensch auf Erden sein. Doch nun hat man keinen Grund mehr, sich auf etwas vorzubereiten. Aber jetzt habe ich die heiligen Berge und die sind endlos. Es gibt sie auf allen Kontinenten, in allen Religionen und Kulturen. Das ist eigentlich das viel schönere Ziel.

P.S. Nochmals zurück zum Everest: Eine Leserin meines Blogs untersucht für ihre Bachelorarbeit an der Universität Gießen, wie Bergsteiger und andere Bergtouristen den Klimawandel im Everest-Nationalpark wahrnehmen. Hier geht es zu ihrem Fragebogen.

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Ueli Steck: „Wenn du zu weit gehst, bist du tot“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/ueli-steck-wenn-du-zu-weit-gehst-bist-du-tot/ Sat, 15 Oct 2016 00:55:54 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=33935 Ueli Steck beim IMS in Brixen

Ueli Steck beim IMS in Brixen

Wäre „The Fast and the Furious“ ein Bergsteiger-Film, könnte Ueli Steck die Hauptrolle spielen. Der Schweizer ist einfach rasend schnell unterwegs. Die Eiger-Nordwand in zwei Stunden und 22 Minuten, die 82 Viertausender der Alpen in 61 Tagen, solo durch die Annapurna-Südwand auf den 8091 Meter hohen Gipfel und zurück in 28 Stunden, im Alleingang in zehneinhalb Stunden durch die Shishapangma-Südwand – nicht umsonst trägt Ueli den Spitznamen „The Swiss Machine“. Als hätte er einen getunten Motor wie die Autos in „The Fast and the Furious“. Gerade erst ist Steck aus Indien zurückgekehrt. Ich habe ihn beim International Mountain Summit (IMS) in Brixen in Südtirol getroffen und mit ihm über seinen Hang zur Geschwindigkeit, das Altern und seine nächsten Pläne gesprochen.

Ueli, du bist gerade 40 Jahre alt geworden und warst nicht zu Hause. Wie hast du deinen runden Geburtstag verbracht?

Ich war mit meiner Frau am Shivling in Indien (ein 6543 Meter hoher extrem formschöner und anspruchsvoller Berg im Norden des Landes) bergsteigen. Es war eine sehr schöne Reise und ein gebührendes Fest für meinen 40. Geburtstag.

Und du hast dir einen Gipfelerfolg geschenkt?

Ja, wir hatten super Wetterglück. In sieben Tagen waren wir auf dem Shivling. Es war perfekt.

Gerade hat sich dort ein Bergdrama abgespielt. Zwei polnische Bergsteiger sind ums Leben gekommen.

Als ich hier nach Brixen gefahren bin, hat mir mein indischer Verbindungsoffizier per Whatsapp die schlechte Nachricht übermittelt. Ich habe nur gedacht: Nicht schon wieder! Wir waren zusammen im Basislager, echt nette Kerle. Es ist einfach traurig. Du fragst dich dann schon immer: Warum? Der Greg (Grzegorz Kukurowski) ist gestorben, weil er höhenkrank wurde. Da denkst du schon, das ist doch heutzutage nicht mehr nötig. Warum passiert das immer wieder? Ich finde es einerseits traurig, andererseits ärgert es mich.

Ueli auf dem Gipfel des Eiger (die Zeit steht oben)

Ueli auf dem Gipfel des Eiger (die Zeit steht oben)

Zurück zu dir. Andere Leute werden mit 40 langsamer. Bei dir hat man das Gefühl, du wirst immer schneller.

Im Moment geht es noch bergauf. (lacht) Man muss sein Alter akzeptieren und nicht traurig sein, dass es nicht mehr so ist wie vor 15 Jahren. Ich brauche ein bisschen mehr Erholung, mehr Ruhe. Aber das kann man ja auch positiv sehen. Da habe ich mal mehr Zeit, auf dem Sofa zu sitzen. Ich glaube, das Alter ist nur eine Einstellungssache.

Du warst schon immer superschnell unterwegs, trotzdem habe ich das Gefühl, du hast die Geschwindigkeit noch einmal neu für dich entdeckt.

Ich habe es schon ein bisschen optimiert und mein Training darauf ausgerichtet. Ich weiß, ich kann die nächsten vier, fünf Jahre noch einige Peaks (Spitzen) setzen.

Schnell unterwegs

Schnell unterwegs

Im letzten Frühjahr, als du mit David Göttler versucht hast, die Shishapangma-Südwand über eine neue Route zu klettern, hatte man das Gefühl, ihr seid ständig „auf Speed“. Erst habt ihr euch zum Akklimatisieren fast totgelaufen, und dann seid ihr in der Wand weiter gelaufen.

Wir waren immer unterwegs. Das ist das, was mir gefällt. Wir haben von Anfang an gesagt: Wir wollen bergsteigen und nicht im Basislager herumsitzen. Wir wollten uns bewegen und Spaß haben. Das ist uns gelungen.

Ihr hattet wenig Ausrüstung in der Wand dabei. Eben Leicht und schnell. Doch man wird dadurch auch verletzlicher.

Man muss schon aufpassen und vorsichtig sein. Wir waren ja bereits auf dem Gipfelplateau, von hinten zog das schlechte Wetter rein, vorne war noch blauer Himmel. Dann kannst du schon weitergehen. Aber du weißt genau, du hast keine Marge. Wenn du weiter pushst und zum Gipfel gehst, und dann kommt der Sturm und du musst biwakieren, bist du tot. Weil du nichts dabei hast. Da muss man einfach vorsichtig sein.

Das ist ein Thema, das mir auf dem Herzen liegt. Im Moment ist es ein Trend, vom Tal mit Turnschuhen auf den Gipfel des Mont Blanc zu rennen. Die Leute sehen das und denken, das geht immer. Aber man kann nicht jeden Tag mit Turnschuhen dort hinauflaufen. Ich denke, wir müssen die Leute für dieses Problem sensibilisieren. Wann ist es möglich, wann nicht, und wann dreht man besser um?

Man muss allgemein beim Bergsteigen vorsichtig sein. Ich war jetzt mit meiner Frau in sieben Tagen auf dem Shivling. Das ist möglich, aber du bist natürlich nicht voll akklimatisiert. Dir muss bewusst sein: Wenn du Kopfschmerzen bekommst und es schlimmer wird, musst du absteigen. Und wenn du es nicht machst, stirbt jemand. Man kann schon schnell, leicht und effizient unterwegs sein, aber man muss die Risiken und Gefahren bewusst wahrnehmen.

Ueli Steck In der Annapurna-Südwand

Ueli Steck in der Annapurna-Südwand

Hilft dir dabei die große Erfahrung eines Extrembergsteigers, der immerhin schon seinen 40. Geburtstag erlebt hat?

Logisch, und das kann ich auch ausspielen. Speziell beim Höhenbergsteigen. Ich habe so viele Expeditionen gemacht, ich weiß genau, wo ich stehe, was ich machen muss und wie viel ich pushen kann. Aber man muss eben auch umdrehen können. An der Shishapangma gab es zwischen David und mir keine endlosen Diskussionen. Wir haben beide viel Erfahrung und wissen, was es heißt, wenn du zu weit gehst. Dann kommst du eines Tages nicht mehr zurück. Wenn du so schon oft erlebt hast, wie Bergsteiger gestorben sind, ist dir das viel bewusster als jemandem, der es zum ersten Mal macht und dann sagt: „Es schneit, na und? Wir gehen weiter, wir sind ja keine Weicheier!“

Wirst du jetzt häufiger mit deiner Frau im Himalaya unterwegs sein?

Wir haben schon sehr viele schöne Expeditionen zusammen gemacht. Das weiß nur niemand. Das sind immer unsere Ferien. Und wir haben die Abmachung, dass ich es nicht publik mache. Wir werden auch weiterhin gemeinsam auf Expedition gehen. Solange es geht.

Ueli 2012 auf dem Everest

Ueli und Tenji (r.) 2012 auf dem Everest

Verrätst du mir dein nächstes Projekt?

Ich probiere noch einmal die Everest-Lhotse-Überschreitung.

Ich brauche ja wohl nicht zu fragen, ob mit oder ohne Flaschensauerstoff.

Mit Flaschensauerstoff ist das Projekt doch gar nicht interessant.

Alleine oder mit einem Partner?

Die Idee ist, mit Tenji Sherpa als Team zu klettern. (Mit ihm hatte Steck 2012 den Everest ohne Atemmaske bestiegen. Auch bei späteren Expeditionen Uelis in Nepal war Tenji mit dabei.)

Versuchst du wieder, früh in der Saison unterwegs zu sein, um den Massen aus dem Weg zu gehen?

Ich bin da relativ gelassen. Wenn man ein Bergsteiger ist, kann man auch neben der Spur hochgehen. Selbst am Hillary-Step kann man rechts vorbei, wenn man will. Ich lasse mich davon nicht stressen.

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Zwei Polen sterben am Shivling https://blogs.dw.com/abenteuersport/zwei-polen-sterben-am-shivling/ Fri, 14 Oct 2016 14:47:26 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=33921 Shivling

Shivling

Der Shivling gilt als einer der formschönsten Berge der Welt. Manche nennen den 6543 Meter hohen Berg in Nordindien auch das „Matterhorn“ des Himalaya. Jetzt hat sich dort ein Drama abgespielt. Zwei polnische Bergsteiger bezahlten den Versuch, den Shivling zu besteigen, mit ihrem Leben. Grzegorz Kukurowski und Lukas Chrzanowski wollten den Berg über die Nordwand besteigen. Auf rund 6300 Metern, also gut 200 Meter unterhalb des Gipfels,  kamen sie nicht mehr weiter.

Beim Abstieg in Spalte gestürzt

R.I.P.

R.I.P.

Zunächst zeigte Kukurowski Symptome der Höhenkrankheit. Sein Seilpartner Chrzanowski gab ihm im Zelt Notfallmedikamente, doch Grzegorz starb wenig später. Lukasz versuchte nun, alleine abzusteigen. Dabei geriet er nach Angaben des Polnischen Bergsteiger-Verbands PZA auf einer Schnee- und Eisfläche ins Rutschen. Gut 200 Meter tiefer stürzte er in eine Spalte. Zwei andere polnische Bergsteiger, die ihm entgegenstiegen, waren zu diesem Zeitpunkt nur noch rund 150 Meter entfernt. Als sie die Spalte erreichten, zeigte Chrzanowski noch Lebenszeichen. Doch wenig später starb er an seinen inneren Verletzungen.

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Bonington: “Das Tolle am Himalaya-Bergsteigen ist das Entdecken” https://blogs.dw.com/abenteuersport/interview-chris-bonington/ Fri, 17 Apr 2015 07:40:45 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=28971 Chris Bonington

Chris Bonington

Sir Chris Bonington wurde zum Ritter geschlagen, und doch ist er nicht abgehoben. Der 80 Jahre alte Brite, eine lebende Legende des Bergsteigens, ist immer noch ein freundlicher Mann geblieben, der aus seinem Herzen keine Mördergrube macht. Davon konnte ich mich wieder einmal überzeugen, als ich ihn in der vergangenen Woche in Chamonix traf, wo er für sein Lebenswerk in den Bergen mit dem “Piolet d’Or” ausgezeichnet wurde.

Chris, was bedeutet dir der Ehren-Piolet d’Or?

Er bedeutet mir eine Menge, weil er auch eine Auszeichnung für meine ganze Berufsgruppe ist. Und ich finde mich jetzt in Gesellschaft einiger der besten Kletterer der Welt, die ebenfalls den Piolet d’Or für ihr Lebenswerk erhalten haben [Walter Bonatti (geehrt 2010), Reinhold Messner (2011), Doug Scott (2011), Robert Paragot (2012), KurtDiemberger (2013), John Roskelley (2014)] und von denen viele zu meinen guten Freunden gehören.

Du bist 80 Jahre alt und kletterst immer noch, zuletzt erst vor einigen Wochen in Katalonien in Spanien. Verrätst du mir dein Geheimnis?

Ich klettere jetzt sehr maßvoll. Und es liegt wohl auch daran, dass ich nie mit dem Klettern aufgehört habe. Ich denke, darin liegt das Geheimnis, für jeden. Man sieht heute immer mehr Grauhaarige, die in den Bergen oder in hügeligen Landschaften durch Felswände klettern. Mein Niveau sinkt ständig, aber das macht nichts. Ich liebe es immer noch zu klettern und draußen in der Natur unterwegs zu sein. Und ich genieße die Gesellschaft meiner Freunde.

Wird es für dich schwieriger, Körper und Geist in Einklang zu bringen?

(Lacht) Ohne den geringsten Zweifel! Du empfindest natürlich die größte Freude am Klettern, wenn du auf der maximalen Höhe deiner Fähigkeiten bist und den Nervenkitzel eines guten Leistungssportlers empfindest, wenn du deinen Körper völlig unter Kontrolle hast und die Kletterrouten förmlich hoch schwebst. Wenn du älter wirst, ächzt du sie nur noch hoch. Da ist nichts mehr von körperlicher Euphorie. Aber wag geblieben ist, ist die Liebe zu den Berge. Und auch das Vergnügen, dort zu sein. Und ich denke, ich weiß heute meine Freundschaften mehr zu schätzen als früher.

Bonington: Die Liebe zu den Bergen ist noch da

Am Shivling (1983)

Am Shivling (1983)

Du hast so viele außergewöhnliche Bergtouren gemacht. Welche ist für dich selbst die wichtigste?

Kein Zweifel, die Annapurna II [1960], weil sie mein erster Himalaya-Gipfel überhaupt war, den ich bestieg, und sie ist nur um Haaresbreite niedriger als 8000 Meter [7937 Meter]. Sie ist wirklich ein sehr schöner Berg, ungefähr zehn Kilometer Luftlinie von der Annapurna I entfernt. Natürlich hat deine erste Himalaya-Expedition fast zwangsläufig einen besonderen Stellenwert. Aber wenn sie auf einen so schönen Berg führt und du dann auch noch in der Lage bist, den fast 8000 Meter hohen Gipfel zu erreichen, dann ist das wirklich etwas.

Als ich dann erst die Expedition zur Annapurna-Südwand [1970] und dann jene zur Everest-Südwestwand [1975] leitete, hatte ich eine wahnsinnig große organisatorische Rolle. Die Everest-Südwestwand war sicherlich die größte sowohl intellektuelle als auch physische Herausforderung, der ich mich jemals gestellt habe. Ich war Organisator, Planer, Leiter. Als solcher hätte ich vielleicht auch die Möglichkeit gehabt, den Gipfel zu erreichen, aber das stand auf meiner Prioritätenliste weit unten.

Wenn man nur die schiere Freude und den Spaß zugrunde legt, würde ich einen viel niedrigeren Berg nennen: den Shivling [1983]. Mir gelang mit meinem Kumpel Jim Fotheringham die Erstbesteigung des Westgipfels. Es war eine total spontane Besteigung. Wir ergriffen die Gelegenheit, als wir einen Freiflug nach Neu Delhi erhielten, um an einer Tourismuskonferenz teilzunehmen, und dann fuhren wir einfach weiter, um diesen Berg zu besteigen. Wir waren im Alpinstil unterwegs, fünf Tage lang hinauf, einen hinunter, sehr anspruchsvoll, ein schöner, zackiger Berg. Er steht für alles, was ich am Klettern mag. Ich hatte wirklich unglaubliches Glück, so viele größere Expeditionen zu leiten. Aber in den letzten 35, 40 Jahren bevorzugte ich eher kleinere Expeditionen, zu niedrigeren Bergen, mit der ganzen Bandbreite wundervoller Abenteuer.

In diesem Jahr feiern wir den 40. Jahrestag der ersten Durchsteigung der Everest-Südwestwand durch Doug Scott und Dougal Haston. Du warst damals, 1975, der Expeditionsleiter. War es schwierig für dich, nicht mitklettern zu können?

Nein, denn auf eine gewisse Weise war diese Expedition mein Baby. Es war meine Vision und mein Konzept. Dann stellte ich die Gruppe der herausragenden Kletterer zusammen, die das Projekt schließlich vollendete. Für mich stand von Anfang an der Erfolg der Expedition im Vordergrund, nicht der Gipfelerfolg, und ich wollte einen Erfolg in harmonischer Atmosphäre. Und aus diesem Blickwinkel war es wirklich eine wundervolle Expedition. Der einzige sehr ernste Schatten, der über ihr lag, war die Tatsache, dass wir beim zweiten Versuch Mick Burke verloren. 

Bonington: Die Everest-Südwestwand-Expedition war mein Baby.

Bis heute gibt es nur einige wenige andere Routen durch die Everest-Südwestwand – vielleicht weil sie zu gefährlich ist?

Das ist wirklich interessant. Ich glaube, neben unserer Route gibt es nur noch die der Russen und eine oder zwei kleinere Variationen. Die offensichtliche Herausforderung, die bisher noch niemand gewagt hat, ist eine Direttissima, die direkt durch die Mitte des Felsbandes auf den Gipfel führt. Wir machten es damals fast so, wie die Nordwand des Eiger erstmals bestiegen wurde: Wir fanden den einfachsten Weg, beinahe in Serpentinen den Berg hinauf. Aber ich glaube, auch auf unserer Route stehen bis heute nur vier Aufstiege zu Buche.  

Viele Dinge haben sich seitdem am Everest verändert. Was denkst du über das heutige Bergsteigen am Everest?

Gott sei Dank war ich schon damals oben. Und Gott sei Dank war 1985, als ich letztlich mit einem norwegischen Team den Gipfel des Everest erreichte, noch das letzte Jahr, in dem die nepalesische Regierung nur eine Expedition pro Route erlaubte. Das bedeutete, dass wir 1985 das gesamte Western Cwm für uns hatten. Es war wunderbar. Was wir heute dort erleben, ist eine wohl zwangsläufige Entwicklung, die man mit der Geschichte des Mont Blanc vergleichen kann. Auch dieser Berg schien im späten 18. Jahrhundert so unerreichbar wie der Everest 1953 den Erstbesteigern Tenzing Norgay und Edmund Hillary. Die normale Entwicklung ist dann die folgende: Auf die Erstbesteigung folgen andere Anstiege. Dann bietet sich eine kommerzielle Möglichkeit: Bergführer beginnen, Kunden auf den Gipfel zu bringen. Am Mont Blanc wurde die Normalroute sehr schnell regelmäßig durchstiegen. Und genau das passierte fast zwangsläufig auch am Everest. Das große Problem ist, ob es dir gelingt, das Ganze in den Griff zu bekommen. Augenblicklich wirkt die Situation fast anarchisch, wenn sich alljährlich Hunderte Bergsteiger am Everest versuchen. Es gibt ein gewisses Gewaltpotential und viele, möglicherweise vermeidbare, Todesfälle. Aber ich denke, zu gegebener Zeit wird man das in den Griff bekommen.

Bonington über das heutige Bergsteigen am Everest

Mit Don Whillans (l.) 1963  in Patagonien

Mit Don Whillans (l.) 1963 in Patagonien

Würdest du jungen Bergsteigern raten, einen Bogen um den Everest zu machen?

Ich würde ihnen definitiv raten: Meidet ihn! Ich sage den jungen Kletterern: Das Tolle am Bergsteigen im Himalaya ist das Entdecken. Und es gibt noch buchstäblich Tausende unbestiegener Gipfel im Himalaya. Du wirst vielleicht nicht berühmt, wenn du sie besteigst. Weil sie teilweise nicht einmal einen Namen tragen, sondern nur als Höhenangabe in den Karten auftauchen. Aber du kannst echte Entdeckerfreude erleben, wenn du in einem Tal unterwegs bist, in dem noch niemals zuvor Bergsteiger waren und wo du dir einfach einen Weg hinauf suchst und einen Gipfel besteigst.

Du hast so viele Freunde in den Bergen verloren. Sind Bergsteiger gewissermaßen gezwungen, sich häufiger als andere mit dem Tod auseinanderzusetzen?

Es ist ein gefährlicher Sport. Du hast die Adrenalin-Junkies, und das sind wir wirklich, die suchen das Extreme und schieben ihre Grenzen so weit wie möglich hinaus, da muss es doch fast unweigerlich eine hohe Todesrate geben. Und es gibt sie tatsächlich unter den Extrem-Höhenbergsteigern, genauso wie zum Beispiel unter den Basejumpern oder Wingsuit-Fliern. Ich glaube nicht, dass sich diese Menschen nach dem Tod sehnen. Vielmehr erleben sie eine Euphorie dabei, ihren Körper und sich selbst ans absolute Limit zu bringen, um ein Ziel zu erreichen. Ich denke, es ist einfach der Preis, den du bereits sein musst, dafür zu bezahlen. Wir mögen selbstsüchtig sein, vielleicht wirklichkeitsfremd, und doch denke ich, dass die Welt Abenteurer braucht.

Bonington: Die Welt braucht Abenteurer

Denkst du selbst inzwischen häufiger an den Tod als früher?

Nein. In meinem tiefsten Innern bin ich ein Optimist. Das musste ich auch sein, wenn man bedenkt, dass ich mindestens zehn Mal dem Tod von der Schippe gesprungen bin. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Aber ich liebe ganz einfach das Leben.

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