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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Auer: „Alles andere verliert an Bedeutung“

Route der Österreicher in der Südwand des Nilgiri South

Route der Österreicher am Nilgiri South

Jeder, der selbst schon einmal einen sehr hohen Berg bestiegen hat, weiß um die Gefahren beim Abstieg. Nicht jene, vor die dich der Berg stellt, sondern dein eigener Körper. Plötzlich scheint alles Adrenalin verbraucht, du spürst Schmerzen, die du beim Aufstieg noch weggedrückt hast, bist erschöpft, willst nur noch schnell nach unten, drohst die Konzentration zu verlieren. Nicht umsonst passieren daher viele Unglücke beim Abstieg – wie jenes am 6839 Meter hohen Nilgiri South in Nepal, wo der Österreicher Gerhard Fiegl am Montag vergangener Woche mehrere hundert Meter abstürzte und seitdem vermisst wird. Die Suche nach dem 27-Jährigen wurde – wie berichtet – eingestellt.
Nach Angaben der beiden anderen Teammitglieder Hansjörg Auer und Alexander Blümel hatte das Trio am Tag zuvor „nach drei Tagen äußerst schwieriger und anspruchsvoller Kletterei durch die mehr als 1.500 Meter hohe Südwand erfolgreich den Gipfel“ erreicht. Damit war den Österreichern die erstmalige Durchsteigung der Wand gelungen, an der in den letzten Jahrzehnten einige andere Expeditionen gescheitert waren. Am Gipfel hätten sie bei Gerry „starke Erschöpfungserscheinungen“ festgestellt, berichten Hansjörg und Alex. Handelte es sich um Symptome der Höhenkrankheit? Der rasche Leistungsabfall Fiegls könnte dafür sprechen. In dieser Höhe wird der Sauerstoff nur noch mit rund 40 Prozent des Drucks in die Lungen gepresst wie auf Meereshöhe.

Ungeplantes Biwak

Am Gipfel: Fiegl, Blümel und Auer (v.r.)

Am Gipfel: Fiegl, Blümel und Auer (v.r.)

„Am Gipfel lagen wir uns noch in den Armen und freuten uns gemeinsam über die erfolgreiche Besteigung der Südwand“, sagt Auer. „Innerhalb kürzester Zeit war die Situation aufgrund Gerrys Zustands extrem angespannt.“ Wenige hundert Meter unter dem Gipfel beschlossen die drei Kletterer zu biwakieren. Im Basislager versuchte der Fotograf Elias Holzknecht, eine Rettungsaktion zu organisieren. Starker Wind machte jedoch den Start eines Hubschraubers unmöglich. Nach der Biwaknacht schien sich Gerrys Zustand leicht gebessert zu haben, das Trio setzte den Abstieg fort. Gegen 14 Uhr Ortszeit verlor Fiegl dann am Südwestgrat das Gleichgewicht und stürzte vor den Augen seiner geschockten Freunde rund 800 Meter in die Tiefe.

Hubschrauber-Suche erst zwei Tage später möglich

Hansjörg und Alex stiegen ins Basislager ab. Starker Schneefall behinderte die sofort eingeleitete Suchaktion, erst zwei Tage nach dem Unglück konnte erstmals ein Hubschrauber starten. Die Suche nach Gerry blieb erfolglos. Am 1. November kehrten die anderen Expeditionsmitglieder nach Österreich zurück. „Wenn ein langjähriger Freund vor deinen Augen in den Tod stürzt, verliert in diesem Moment alles andere an Bedeutung“, sagt Hansjörg Auer. „Unsere gemeinsame Expedition hätte kein schlimmeres Ende nehmen können.“ Wie Auer ist auch Alexander Blümel „sehr traurig über den Verlust unseres Freundes. Aber die Erinnerung an die intensive Zeit, die ich mit Gerry erleben durfte, kann mir niemand nehmen.“

Datum

5. November 2015 | 10:33

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