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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Dawa Steven Sherpa: „Ke garne! Wir machen weiter! “

Dawa Steven Sherpa

Dawa Steven Sherpa

Es ist wie verhext. Zwei Frühjahrssaisons am Mount Everest hintereinander blieben ohne Gipfelerfolge (Ich ignoriere dabei die Besteigung durch das Team der Chinesin Wang Jing 2014, bei der sich die Bergsteiger mit dem Hubschrauber ins Hochlager fliegen ließen). 2014 wurden alle kommerziellen Expeditionen vorzeitig abgebrochen, nachdem bei einer Lawine im Khumbu-Eisbruch 16 nepalesische Bergsteiger ums Leben gekommen waren. In diesem Jahr löste das verheerende Erdbeben in Nepal am Siebentausender Pumori eine Lawine aus, die das Everest-Basislager traf und 19 Bergsteiger und Expeditionshelfer tötete. Einmal mehr endete die Frühjahrssaison, bevor sie richtig begonnen hatte. Was bedeutet das für die Sherpas?

Ich habe Dawa Steven Sherpa angerufen. Zusammen mit seinem Vater Ang Tshering Sherpa, dem Präsidenten des Nepalesischen Bergsteigerverbands (NMA)  führt der 31-Jährige in Kathmandu „Asian Trekking“, einen führenden Veranstalter von Expeditionen und Trekkingreisen im Himalaya. Dawa Steven bestieg zweimal den Everest (2007 und 2008) und auch die Achttausender Cho Oyu (2006) und Lhotse (2009). Unter seiner Expeditionsleitung erreichten mehr als 150 Bergsteiger den Gipfel des Everest. Aber Dawa Steven ist auch ein unermüdlicher Kämpfer für Umwelt- und Klimaschutz im Himalaya. Außerdem leitet er „Resilient Homes“, ein Projekt der „Himalayan Climate Initiative“, mit dem Dorfbewohnern im Erdbebengebiet dabei geholfen wird, ihre Häuser und andere Gebäude wieder aufzubauen – ein Grund mehr, um mit ihm über die aktuelle Lage in Nepal zu sprechen.

Südseite des Mount Everest

Südseite des Mount Everest

Dawa Steven, habt ihr in eurem Unternehmen auch eine schwache Nachfrage nach Trekkingreisen und Expeditionen in diesem Herbst registriert?

Ja, wir hatten definitiv eine geringere Nachfrage. Wir hatten zwar keine Stornierungen von Leuten, die schon vor dem Erdbeben gebucht hatten. Aber wir stellten fest, dass es alles in allem weniger Buchungen waren. Ich glaube zum ersten Mal überhaupt haben wir im Herbst keine einzige Expedition. Wir mussten unsere beiden Expeditionen in Tibet absagen, weil die Chinesen für den Herbst keine Permits (Besteigungsgenehmigungen) ausgestellt haben. Wir versuchten, unsere Expeditionen vom Cho Oyu und der Shishapangma zum Manaslu zu verlegen, doch unsere Kunden zeigten kein Interesse daran.

Was bedeutete das für die Sherpa-Berführer, Köche, Küchenhilfen, Träger und auch für die Besitzer der Lodges?

Natürlich sind das keine guten Nachrichten. Wir beschäftigen 62 Sherpas, die von dieser Arbeit abhängig sind. Wenn möglich, geben wir ihnen die Gelegenheit, Trekkingtouren im Everest- oder Annapurna-Gebiet zu führen. Aber damit kann man natürlich nicht genauso viel Geld verdienen wie bei einer Expedition. Das ist für niemanden eine gute Situation.

Rettungsaktion im Everest-Basislager

Rettungsaktion im Everest-Basislager

Wie ist die Stimmung unter den Sherpas nach zwei Everest-Frühlingssaisons mit tödlichen Lawinen, Erdbeben und abgebrochenen Expeditionen?

Nicht gut, wie du dir vorstellen kannst. Die meisten unserer Sherpas sind auch weiterhin bereit, klettern zu gehen. Wir hatten Glück, dass weder im letzten noch in diesem Jahr Sherpas oder Teilnehmer unserer Expeditionen von den Lawinen getroffen wurden. Gott sei Dank gab es keine Toten oder Verletzten in meinem Team. Aber natürlich bekamen unsere Sherpas mit, wie andere Sherpas und Bergsteiger verletzt oder getötet wurden. Viele sind jetzt ein wenig nervös. Die meisten meiner Sherpas sind sehr erfahren. Die Älteren sind emotional stark. Das wirkt positiv auf die jüngeren Sherpas, die erst zum ersten oder zweiten Mal auf Expedition waren. Sie sind deutlich nervöser, wieder in die Berge aufzubrechen, weil sie nur schlimme Erfahrungen gemacht haben. Kein Sherpa kommt zu mir und sagt: „Ich möchte nicht mehr bergsteigen.” Aber ich weiß definitiv, dass einige Sherpas in ihren Familien Druck bekommen, von ihren Frauen, Müttern und Vätern, die sagen: „Hör‘ auf mit dem Bergsteigen, führe doch nur noch Trekkinggruppen!“

Wie ist die finanzielle Lage der Sherpa-Familien nach diesen beiden schlimmen Frühjahren am Everest?

Viele Sherpas wurden sehr hart getroffen, nicht nur weil sie einen Großteil ihres Einkommens eingebüßt haben. Sie müssen auch viel Geld ausgeben, um ihre Häuser nach dem Erdbeben wieder aufzubauen. Glücklicherweise gibt es unter den Sherpas so etwas wie eine starke Kultur des Sparens. Viele von ihnen haben für Zeiten wie diese Geld auf die Seite gelegt. Aus finanzieller Sicht geht es den Sherpas besser als dem Rest Nepals. Sie konnten ihr eigenes Geld nehmen oder sich welches leihen. Die Menschen vertrauen ihnen, weil sie genügend Einkommen haben, um das Geld später wieder zurückzuzahlen. Außerdem haben viele Sherpas direkte Hilfe von früheren Kunden aus dem Ausland erhalten. Insofern sind die Sherpas in einer vergleichsweise glücklichen Lage, weil sie so viel Unterstützung aus aller Welt erhalten.

Seit Mai hat Nepal einen Sherpa als Tourismus-Minister. Ist dadurch die Aufmerksamkeit der Regierung für die Anliegen der Bergbevölkerung größer geworden?

Natürlich ist die Stimmung im Tourismusgewerbe besser geworden, seitdem wir einen Sherpa-Minister haben. Aber er steht vor vielfältigen Herausforderungen, weil er Teil einer politischen Partei ist, die ihre eigenen Prioritäten setzt. Außerdem muss er mit dem bürokratischen Apparat zusammenarbeiten, der seit langem die Dinge auf seine eigene Art regelt. Der Minister hat in kurzer Zeit viele Dinge auf den Weg gebracht, er hat einen guten Blick für die Herausforderungen, vor der das Tourismusgewerbe steht. Einerseits sind wir also zufrieden, andererseits aber auch ein bisschen nervös, weil es Gerüchte über einen neuen Ministerpräsidenten und ein neues Kabinett gibt. Wenn der Posten des Tourismusministers neu besetzt wird, fangen wir wieder bei Null an.

Basislager zu Füßen des Mount Everest

Basislager zu Füßen des Mount Everest

Was ist vor allem nötig, um die Situation im Tourismus zu verbessern?

Zunächst einmal sollte sich die Regierung um die Bedürfnisse der Bergsteiger kümmern, besonders jener, die zum Everest kamen, um neues Vertrauen aufzubauen – dass Nepal nicht einfach nur ihr Geld einkassiert, wie die 11.000 US-Dollar für das Permit. Es sollte nicht der Eindruck an die Bergsteiger und den Rest der Welt vermittelt werden, dass sich Nepal nicht um die Touristen kümmert, die nach Nepal kommen. Nepal muss ganz schnell sagen: „Uns ist klar, es hat ein schweres Erdbeben gegeben, und du musstest deine Expedition abbrechen. Wir werden dein Permit für weitere drei oder fünf Jahre verlängern und keine zusätzlichen Gebühren verlangen.“ Das ist ein Weg, mit dem die Regierung auf einfache Art und Weise Vertrauen zurückgewinnen kann. Die Regierung Nepals hatte im letzten Jahr einen sehr, sehr schlechten Ruf, weil sie nach der Lawine die Situation nicht ernsthaft angegangen ist. Und sie läuft Gefahr, diesen Fehler in diesem Jahr wieder zu machen und noch mehr Image zu verlieren.

Fürchtest du, dass viele Bergsteiger auf die tibetische Nordseite des Everest wechseln?

Ich fürchte es nicht nur, ich weiß, dass viele dorthin wechseln. In diesem Jahr hatte ich zum Beispiel drei Bergsteiger, die auf die Nordseite gingen, nachdem sie im Jahr zuvor auf der Südseite waren. Andere Bergsteiger, die ihre Expeditionen 2014 abbrechen mussten und 2015 nach Nepal zurückkehrten, bitten mich jetzt, sie für nächstes Jahr auf die Tibet-Liste zu setzten. Und ich habe auch einige neue Kunden, die ganz klar zum Ausdruck gebracht haben, dass sie nicht auf die nepalesische, sondern auf die tibetische Seite gehen wollen.

Aber du hast auch immer noch Anfragen für die nepalesische Seite?

Ja, und ich sollte vielleicht sagen, dass ich mehr Anfragen für die nepalesische als die tibetische Seite habe. Aber es fragen heute deutlich mehr Leute nach der chinesischen Seite als früher.

Wie beurteilst du den Medienhype um die Herbst-Expedition des japanischen Bergsteigers Nobukazu Kuriki zum Everest?

Nobukazu wollte ursprünglich auf die tibetische Seite gehen, entschied sich aber für Nepal, weil Tibet geschlossen ist. Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich hergekommen ist, um den Tourismus und das Bergsteigen in Nepal anzukurbeln. Er wollte den Everest so oder so besteigen. Aber es ist schon ein symbolischer Schritt, in einer Zeit, in der die Menschen Angst haben, nach Nepal zu reisen. Ich finde es gut, dass er zurückgekommen ist, um hier bergzusteigen.

Nepal-nowWas würdest du jemand antworten, der dich fragt, ob Nepal jetzt oder im nächsten Frühjahr sicher ist?

Ich würde sagen: „Es ist sicher.” Weil ich selbst in den Bergen war und am 14. dieses Monats auch wieder aufsteigen werde. Meine Freunde sind dort, wir leisten Hilfe. Deshalb wissen wir: Es ist sicher. Ich habe keine Angst vor Gefahren. Dort wo es gefährlich ist, wird es deutlich angezeigt. Die Regierung lässt niemanden in gefährliche Gebiete, etwa im Langtang. Aber der größte Teil Nepals ist sicher.

Bist du optimistisch, dass Nepal wieder auf die Füße kommt?

Ja, früher oder später, weil die Menschen in Nepal eine andere Einstellung haben als die meisten Menschen auf der Welt. Sie haben niemals erwartet, dass ihnen die Regierung hilft. Sie bauten mit eigenen Händen die Häuser, die jetzt zerstört wurden, und sie werden sie auch wieder mit ihren eigenen Händen aufbauen. Möglicherweise greifen ihnen dabei die Regierung oder auch internationale Organisationen ein bisschen unter die Arme, aber die Mehrzahl der Häuser in ganz Nepal wird von den Leuten selbst wieder aufgebaut.

Die Menschen in Nepal sind wirklich pragmatisch. Sie lächeln immer, sie schauen auf die Sonnenseite jeder Situation. In westlichen Ländern ist immer alles durchgeplant und präzise, aber so laufen die Dinge in Nepal nicht. Dort zucken die Leute mit ihren Schultern und sagen: „Ke garne!“ So ist es halt, wo fangen wir an? Diese „Ke garne!“-Haltung ist nach dem Erdbeben ganz wichtig geworden. Die Leute sitzen nicht einfach nur da und klagen: „Alles, was ich gebaut habe, liegt jetzt am Boden, bla, bla, bla.“ Sie sagen einfach: „Wo fangen wir an? So ist halt das Leben. Wir machen weiter!

Datum

9. September 2015 | 17:32

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