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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Die Fähigkeit der Sherpas zu vergessen

Erster Blick auf Everest (l.) und Lotse

Erster Blick auf Everest (l.) und Lotse

Ich habe keine Ambitionen, den Mount Everest zu bestiegen“, sagt Ang Dorjee Sherpa. „Zu gefährlich! Schließlich habe ich eine Frau und drei Kinder.“ Dennoch hat der 47-Jährige zweimal an Everest-Expeditionen teilgenommen. Ende 1991 arbeitete Ang Dorjee als „Mail Man“ für eine japanische Expedition, die erstmals im Winter die mächtige Südwestwand durchsteigen wollte. Der Sherpa brachte die Nachricht von dem auf 8350 Metern gescheiterten Versuch als Postläufer ins Tal. Zwei Jahre später waren die Japaner wieder zurück – und erfolgreich: Insgesamt sechs Bergsteiger erreichten auf einer teilweise neuen Route den Gipfel, das erste Team am 18. Dezember 1993. Die erste Durchsteigung der Wand im (meteorologischen, nicht kalendarischen) Winter war geglückt. Diesmal spielte Ang Dorjee nicht den Postboten, sondern arbeitete als Koch für die Japaner.

Immer wieder Japan

Ang Dorjee Sherpa

Ang Dorjee Sherpa

Bis heute hat der Sherpa eine besondere Beziehung zu japanischen Bergsteigern. Im Gastraum seiner „AD Friendship Lodge“ in Namche Bazaar auf 3440 Metern Höhe hängen Fotos von Ang Dorjee mit Junko Tabei, der ersten Frau auf dem Everest, oder auch mit Uchiro Miura, dem mit 80 Jahren bisher ältesten Everest-Besteiger. Eine Zeitlang hat Ang Dorjee auch im Sommer für je drei Monate auf einer japanischen Berghütte als Koch gearbeitet. Und viele der Trekkinggruppen, die er jetzt durch die beeindruckende Bergwelt Nepals führt, kommen aus Japan.

An Erdbeben gewöhnt

Brücke über den Dudh Cosi

Brücke über den Dudh Cosi

Während des verheerenden Erdbebens am 25. April 2015 hielt sich Ang Dorjee in Kathmandu auf, um letzte Vorbereitungen für eine japanische Reisegruppe zu treffen. „Die Japaner wollten nach dem Beben nicht einmal abreisen. Sie waren Erdstöße aus ihrer Heimat gewöhnt. Aber ich habe sie nach Hause geschickt. Ihre Sicherheit war mir wichtiger als das Geld.“ In Namche Bazaar sei glücklicherweise kaum etwas passiert, erzählt Ang Dorjee. Getroffen habe es in der Gegend die beiden Dörfer Thame und Khumjung, „vor allem die Häuser, die noch auf traditionelle Weise gebaut worden waren“. Seine eigene Lodge habe nur einen kleinen Riss in der Rückwand abbekommen. „Nichts Schlimmes!“

Icefall Doctors kommen gut voran

Namche Bazaar

Namche Bazaar

Für diese Frühjahrssaison schwankt Ang Dorjee zwischen leicht skeptisch und vorsichtig optimisch. „Aber im Frühjahr kommen ja eher die Expeditionen als die Trekker. Für uns ist der Herbst fast wichtiger, weil dann Haupt-Trekkingsaison ist.“ Den Everest-Bergsteigern, die in den nächsten Wochen in Namche Bazaar eintrudeln werden, räumt der Sherpa gute Chancen ein. „Ich hörte, dass die Icefall Doctors mit ihren Vorarbeiten schon sehr weit gekommen sind“, sagt Ang Dorjee. Als ich ihn nach der Gemütslage der Sherpas frage – nach zwei Jahren mit tödlichen Lawinenunglücken und ohne Gipfelerfolge auf der nepalesischen Seite des Everest – , lächelt Ang Dorjee: „Egal wie schlimm es ist, wir Sherpas sind ganz gut darin zu vergessen und wieder neu anzufangen.“

Datum

17. März 2016 | 16:00

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