Felix Berg: „Extrem spontane Expedition“
Unwägbarkeit ist ein wesentlicher Bestandteil des Abenteuers. Und je ambitionierter ein Bergprojekt ist, desto größer ist auch die Unsicherheit, ob es wirklich mit einem Erfolg endet. So mussten die Italiener Tamara Lunger und Simone Moro, die sich die Überschreitung der vier Gipfel des Kangchendzönga-Massivs ohne Atemmaske vorgenommen hatten, umkehren, ohne auch nur einen einzigen der Gipfel erreicht zu haben. Zwei Vorstöße endeten auf 7200 Metern, weil Simone an Bauchschmerzen litt. Vom Makalu kehrte der Deutsche Thomas Lämmle mit leeren Händen zurück, nach vier (!) gescheiterten Gipfelversuchen ohne Flaschensauerstoff und Sherpa-Unterstützung, immer wieder vom schlechten Wetter zurückgeschlagen. Und auch an der Nordwestwand der Annapurna mussten der 33 Jahre alte Pole Adam Bielecki, der 63-jährige Brite Rick Allen und der 36 Jahre alte Deutsche Felix Berg auf halber Strecke kapitulieren. „Es war komplett die richtige Entscheidung umzudrehen“, erzählt mir Felix. „Am Tag unseres Abstiegs hat es heftig geschneit. Mit den Wetterverhältnissen wäre es nicht möglich gewesen.“
Ersatzziel gesucht und gefunden
Die Expedition hatte von Beginn an unter keinem guten Stern gestanden. Nach der Ankunft in Kathmandu musste das Team, zu dem damals noch der 40 Jahre alte Kanadier Louis Rousseau gehörte, kurzfristig umdisponieren. Eigentlich hatten die vier Bergsteiger eine neue Route durch die Cho-Oyu-Nordwand eröffnen wollen, doch die Chinesen verweigerten allen, die sich in den vergangenen drei Jahren länger als einen Monat am Stück in Pakistan aufgehalten hatten, das Einreisevisum für Tibet. Die schwierige Suche nach einem Ersatzziel begann. „Wo findet man an einem Achttausender noch eine schöne Wand?“, fragten sich Felix und Co. Sie entschieden sich für die selten begangene Nordwestwand der Annapurna, mit dem Ziel, auch dort einen neuen, direkten Weg zum Gipfel zu finden. Ein erster Versuch, zur Akklimatisierung den Siebentausender Tilicho Peak nahe der Annapurna zu besteigen, schlug wegen schlechten Wetters fehl. Dann musste Rousseau heimkehren, weil sein Zeitbudget erschöpft war. Bielecki, Allen und Berg schafften es im zweiten Anlauf, den Gipfel des Tilicho Peak zu erreichen und wandten sich der Annapurna-Nordwestwand zu.
Zelt gerissen, Schlafsack verloren
„Wir hatten Essen für acht Tage mit, als wir einstiegen“, erzählt Felix. „Die Wand hatte fast durchgängig eine Steigung von 50 Grad, nie weniger als 40 Grad. Wir hatten Mühe, Biwakplätze zu finden.“ Für die erste Nacht gelang es dem Trio, auf einer kleinen Plattform ihr Zelt so aufzustellen, dass sie wenigstens in einer Reihe nebeneinander sitzen konnten. Für das zweite Biwak musste ein schmaler, abschüssiger Felsvorsprung auf 6500 Meter Höhe herhalten. „Dagegen war das Sitzbiwak der vorherigen Nacht Luxus“, schreibt der Brite Rick Allen. „Ein Portaledge wäre eher angebracht gewesen als ein Zelt“, sagt Felix. Das Zelt riss, und durch das Loch verschwand einer der Schlafsäcke in der Tiefe. Das war das endgültige Signal zur Umkehr. Zurück im Basislager wollten sich die drei Bergsteiger nach Kathmandu ausfliegen lassen. Doch zunächst gab es keine Hubschrauber. „Die waren alle am Everest, für Rettungsflüge“, sagt Felix Berg.
Schließlich fand sich doch noch ein Helikopter, der Bielecki, Allen und Berg zurück nach Kathmandu brachte. „Es war eine extrem spontane Expedition“, bilanziert Felix. „Aber obwohl wir ein ziemlich bunt zusammengewürfelter Haufen waren, haben wir uns gut verstanden und bestens zusammengearbeitet. Wir waren bestimmt nicht zum letzten Mal gemeinsam unterwegs.“