IMS – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Beat Kammerlander: „Es geht immer nur um das Wollen“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/beat-kammerlander-es-geht-immer-nur-um-das-wollen/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/beat-kammerlander-es-geht-immer-nur-um-das-wollen/#comments Sat, 20 Oct 2018 19:46:31 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42453

Beat Kammerlander (beim IMS in Brixen)

Der 59-Jährige ist ein Phänomen, eine lebende Kletterlegende: Immer noch meistert der Österreicher Beat Kammerlander senkrechte, fast grifflose Felswände – am liebsten im Rätikon, quasi vor der eigenen Haustür. Der Vorarlberger lebt mit seiner Frau Christine und den beiden gemeinsamen Kindern in Feldkirch. Vor einer Woche erhielt Kammerlander beim „International Mountain Summit“ (IMS) in Brixen den renommierten „Paul-Preuss-Preis“, mit dem Bergsteiger und Kletterer geehrt werden, die in der Tradition des 1913 verstorbenen Freikletter-Pioniers stehen. Preuss hatte für einen weitgehenden Verzicht auf Hilfsmittel wie Seile oder Haken plädiert („Das Können ist des Dürfens Maß“). „Eigentlich könnte man die Auszeichnung auch ‚Beat-Kammerlander-Preis‘ nennen“, sagte der Südtiroler Hanspeter Eisendle, Preisträger von 2013, in seiner Laudatio. Ich habe während des IMS mit Kammerlander gesprochen.

Beat, du wirst im nächsten Jahr 60 Jahre alt und kletterst immer noch krasse Touren. Verrätst du uns dein Erfolgsgeheimnis?

In der Wand

Da gibt es kein Geheimnis. Do what you love! Nur das zählt. (lacht) Ich habe mir mal vorgenommen, bis 40 mit diesem Leistungssport weiterzumachen. Dann wurde ich 40 und war stärker als vorher. Da habe ich gesagt: Warum soll ich jetzt mit etwas aufhören, das ich am liebsten mache? Über die Jahre gab es dann auch wieder mal Einbrüche, Stagnation, Verletzungen, aber immer wieder auch Highlights. Ich habe erkannt, dass es mir gefühlsmäßig mit der Weise, wie ich mein Leben führe und auch finanzieren kann, viel besser geht, als wenn ich irgendeinen Job machen würde. Und ich darf klettern gehen. Damit hat sich diese Frage erübrigt. Jetzt werde ich bald 60, das ist nur eine Zahl. Entscheidend ist, wie ich mich fühle und wie es mir geht.

Beat Kammerlander: Do what you love

Während das letzte Jahr super lief, war dieses Jahr kein schönes. Ich wurde von einer Zecke gebissen, bekam Borreliose und musste behandelt werden. Das hat mich über den Sommer ziemlich klein gehalten. Jetzt muss ich ein Stehaufmännchen sein. Es geht mir wieder gut. Aber ich brauche noch einige Monate mit gezieltem Training und Physiotherapie, damit ich wieder auf einem sehr hohen Level klettern kann.

Hat man dir Ruhe verordnet?

Nein, aber ich habe eine Familie mit zwei Kleinkindern. Sarah ist zweieinhalb, Samuel wird im Februar fünf Jahre alt. Ich verbringe sehr viel Zeit mit ihnen. Früher habe ich viel zu viel herumgeblödelt und sinnlos trainiert. Die Zeiteinteilung ist jetzt viel gezielter. Mir passt das sehr gut.

Unterwegs im (beinahe) Grifflosen

Du hast 2017 eine neue extrem schwierige Route im Rätikon eröffnet und sie „Kampfzone“ getauft. Musst du heute mehr kämpfen als früher?

Man kämpft immer so gut wie man kann, zu jedem Zeitpunkt. (lacht) Je nach Typus. Ich habe bei dieser Route vielleicht sogar ein bisschen mehr Motivation entwickelt wie früher, mehr Konsequenz, um dieses Ziel zu realisieren. Es war so schwer, diese Route erst einmal von unten bis oben zu eröffnen und die Haken zu setzen, dann die Passagen frei zu klettern. Und schließlich ging es darum, die Route Rotpunkt zu klettern, an einem Tag diese fünf Seillängen in hohem Schwierigkeitsgrad. 10+, 11-, 10-, 8 und 9+. Es erfordert eine sehr hohe Intensität, diese Seillängen aneinanderzuhängen. Für dieses Projekt habe ich mich noch einmal extrem kasteit und sehr speziell vorbereitet. Auch bei widrigsten Wetterverhältnissen bin ich dorthin gegangen und habe keine Zeit verschwendet. Ich bin auch bei Regen losgezogen. Ich wusste, dass es auf der anderen Seite des Bergs windig ist und der Pelz dann trocken wird. Das Ganze auf 2800 Metern, in  einer Gipfelregion, wo es immer bläst. Da musst du dich warm anziehen und trotzdem klettern – und nicht sagen: Heute habe ich keine Lust, heute bin ich zu bequem. Es geht immer nur um das Wollen.

Beat Kammerlander: Es geht immer nur um das Wollen

Zeichnet es dich aus, beißen zu können?

Wahrscheinlich schon.

Braucht man das, um so lange im Geschäft zu bleiben?

Ich sehe das eher als beißen dürfen. Ich habe ja Spaß dabei. Sicher ist es ab und zu auch mit Schmerzen verbunden, so kleine Griffe zu halten. Aber es ist eben schön, wenn man so glatten, kleingriffigen Fels entschlüsseln und dort hochklettern kann. Wenn du der erste Mensch bist, der diesen Fels angreift und dort eine Spur, eine Linie hinterlässt. Das ist für mich Motivation.

Den Blick nach oben

Auch nach so langer Zeit? Kommt da nicht irgendwann auch mal ein Punkt, an dem man sagt: Jetzt reicht es?

Ich bin ja nicht jeden Tag unterwegs. Über das Jahr verteilt sind es im Grunde ja nur einige Tage, auf die man hinarbeitet – mental und körperlich, bis man dann losgelassen wird wie ein Rennpferd.

Brauchst du, um so ein Rennpferd zu sein, auch die Konkurrenz zu anderen Kletterern?

Nein. Das wäre mir so was von zuwider. Ich mache das ja nur für mich. Ich will mich nicht mit anderen messen. Das ist mir schnurzegal.

Aber das Klettern im Team ist dir schon wichtig?

Natürlich. Ich klettere eigentlich nur mit Freunden, anders funktioniert es nicht. Es ist ein Geben und Nehmen. Es ist ein echter Freundschaftsdienst, wenn jemand mit dir kommt, der die Schwierigkeiten nicht klettern kann. Du musst dankbar sein, wenn dich ein guter Freund bei einer Erstbegehung den ganzen Tag sichert und mit dir mitleidet. Und immer auf Zack ist. Denn wenn er dich nicht gut sichert, kannst du dich extrem verletzen.

Hauchdünne Leisten

Hat sich deine Rolle in den Jahrzehnten verschoben, vom Grünling …

Grünling war ich nicht lange. (lacht)

… zum Mentor?

Natürlich auch. Ich habe eine Riesen-Kletterszene um mich herum und habe sie auch hinsichtlich der Ideologie und Einstellung sehr geprägt: Dass man ehrlich bleiben muss und sagt, was man getan hat und wie man es realisiert hat.

Glaubst du, dass sich das Problem der fehlenden Ehrlichkeit in Zeiten der Vermarktung verstärkt?

Klar. Man kann sich ja viele Kletterprojekte aus den Fingern saugen, die eigentlich nichts wert sind, aber für einen schlechten Report eine gute Schlagzeile ergeben. Du hast dann dein mediales Echo bekommen, und das wird auch nicht widerrufen. Aber du hast einen Imageverlust, mit dem du auch leben musst.

Beat Kammerlander: Nur für die Schlagzeile

Deine Routen hast du zum größten Teil in Europa eröffnet. Warum bist du nie zu den ganz hohen Bergen im Himalaya oder Karakorum gegangen?

Das hat sich einfach nicht ergeben. Meine Projekte, die stetig vorhanden waren, haben mich einfach hier gehalten. Ich hätte schon die Motivation und das Interesse gehabt, auch an den hohen Wänden des Karakorum zu klettern, aber mittlerweile ist das passé.

Lass‘ uns über das Risiko reden. Wieviel Risiko darf bei dir sein?

Ich glaube, dass meine Routen, so wie ich sie geklettert habe, relativ sicher sind. Bei einigen meiner früheren Routen war das Risiko natürlich viel höher, etwa wenn ich free solo beim Eisklettern war oder schwere Routen beim Sportklettern gemacht habe. Aber im alpinen Sportklettern geht es um das Bewusstsein, das man entwickelt hat. Ich bin keiner, der sich ganz schnell aus einer blöden Situation befreien will. Ich habe die nötige Geduld und auch die mentale Power. Immer wieder rauf und runter, bis ich es schaffe. Viele halten das nicht aus und machen dann den verhängnisvollen Fehler.

„Do what you love!“

Hast du auch mal Glück gehabt?

Natürlich. Des Öfteren.

Und was hat dich das gelehrt?

Vor allem, vorsichtig zu sein bei den Routineangelegenheiten. Oder wenn blöde Emotionen daherkommen. Dann machst du manchmal eine Dummheit. Und das ist nicht klug.

Hat sich in puncto Risikobereitschaft auch deine Vaterrolle ausgewirkt?

Wenn ich als Berg- und Skiführer beim Freeriden mit Gästem oder auch mal für mich selber unterwegs bin, sind es eigentlich die großen Gefahren, vor denen ich Schiss habe. Manchmal kannst du eine Flanke nicht ganz genau beurteilen. Dann stehst irgendwo da oben und musst runter. Du kannst die alpinen Sicherheitsregeln einhalten, aber ab und zu brauchst du eben auch deine Portion Glück. Da bin ich viel vorsichtiger geworden als früher.

Beat Kammerlander: Ich bin vorsichtiger geworden

Würdest du deine Kinder bestärken, wenn sie eines Tages kommen und sagen: Wir möchten das Gleiche wie du machen?

Natürlich. Tue, was du liebst! Aber ich will niemals jemanden in eine Richtung manipulieren. Das muss von selber kommen.

Und du hast das Gefühl, dass du dein ganzes Leben lang das gemacht hast, was du wolltest?

Ich glaube schon. (lacht)

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Robert Jasper: „Wie ein Juwel im Schatzkästchen“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/robert-jasper-wie-ein-juwel-im-schatzkaestchen/ Thu, 18 Oct 2018 18:49:37 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42407

Robert Jasper (beim IMS in Brixen)

Der gefährlichste Eisbär von Grönland war er selbst. Immer wenn der deutsche Extrembergsteiger Robert Jasper im vergangenen Sommer während seiner einmonatigen Solo-Expedition im ewigen Eis sein Zelt aufschlug, baute er einen Eisbär-Schutzzaun darum. Wenn eines der Raubtiere den Zaun berührt hätte, wäre eine Leuchtrakete losgegangen, um den Eisbär zu vertreiben – und natürlich auch, um Robert zu warnen. An einem Tag war der 50-Jährige jedoch so in Gedanken, dass er den Zaun berührte, als er darübersteigen wollte. „Da hätte ich mich fast selbst in die Luft gesprengt“, erzählt Jasper.

Sprung zwischen zwei Welten

Alleine in Grönland

Wir begegnen uns beim zehnten und letzten „International Mountain Summit“ in Brixen. Im April hatte Robert seinen 50. Geburtstag gefeiert. „Ich habe mir gedacht: Bevor ich jetzt eine Midlife-Crisis kriege, mache ich lieber eine Solo-Expedition“,  sagt Jasper und lacht. „Es war, als würde ich zwischen zwei Welten hin- und herspringen.“ Jasper paddelte mit einem Faltkajak durch die Fjorde Grönlands, wanderte bis zum Fuße des Bergs, den er sich ausgeguckt hatte, und schaffte in drei Tagen die erste Solobegehung des Molar Spire. Seine Route durch die 450 Meter hohe Felswand taufte er „Stonecircle“, weil „die beeindruckendsten Dinge im Leben meist steinig und schwer sind“.

Innere Ruhe und Nervenstärke

Mit dem Kajak durch die Fjorde

Die Mischung aus Alleine-unterwegs-sein, Kajakfahren und Bigwallklettern sei „sehr speziell gewesen“, sagt Robert. „Es war ein absolut geniales Abenteuer.“ Auch wenn er anfangs ein mulmiges Gefühl gehabt habe, sei er mit der Einsamkeit insgesamt gut klargekommen. „Es war sehr, sehr ruhig. Du hast nur die Geräusche der Natur. Über diese Stille findest du sehr schnell auch zu dir selbst. Ich war schnell mit mir im Reinen und habe die Stille in mich aufgenommen. Diese Einsamkeit, verbunden mit der Wildnis, war ein Wellnessurlaub für die Seele.“

Robert Jasper: Wellnessurlaub für die Seele

Als Jasper nach seiner Rückkehr in die Zivilisation von seinen Erlebnissen erzählte, waren seine Stimmbänder überfordert. „Ich habe ein paar Tage gebraucht, bis ich wieder richtig sprechen konnte.  Ich war es nach vier Wochen einfach nicht mehr gewöhnt.“ So lange „alleine in der Wildnis, das hätte ich mit 20 Jahren niemals gekonnt“, glaubt Robert. „Auch nicht mit 30, vielleicht auch nicht mit 40. Du musst dich gut kennen, die innere Ruhe haben und auch die Nerven.“ Alle diese Eigenschaften erfülle er nun mit 50. „Trotzdem war es ein Experiment. Es hätte auch schiefgehen können.“ Dennoch, so Jasper, habe er in der ganzen Zeit nie das Gefühl gehabt, „das Ruder aus der Hand zu geben“.

Robert Jasper: Es war trotzdem ein Experiment

Erlebte Geschichten bewahren

Während der Solobegehung

Expeditionen wie diese auf Grönland seien „wie Juwelen, die ich in ein Schatzkästchen lege. Das sind Erinnerungen die mich glücklich machen“, sagt Robert. „Ich kenne viele, speziell jüngere Kollegen, die von einer Tour zur nächsten jagen, die erlebnissüchtig sind und das einfach nur konsumieren. Da denke ich mir: ‚Seid vorsichtig!‘ Du kannst einen Unfall haben und am nächsten Tag vielleicht nicht mehr bergsteigen oder klettern. Wenn du dann nicht gelernt hast, Erlebnisse zu schätzen, wirst du daran vielleicht sogar zerbrechen. Es ist wichtig, erlebte Geschichten zu bewahren.“

Robert Jasper: Juwelen für das Schatzkästchen

Auch wenn es seine erste Solo-Expedition war, gab es neben Teamerfolgen auch schon zuvor einige Alleingänge in Jaspers langer Karriere. So durchstieg er 1991 solo die „klassischen“ Alpen-Nordwände von Eiger, Matterhorn und Grandes Jorasses. Mit seiner Ehefrau Daniela eröffnete Robert 1999 die erste Eiger-Route im zehnten Schwierigkeitsgrad („Symphonie de Liberté“). Seine 2015 mit dem Schweizer Roger Schaeli und dem Südtiroler Simon Gietl gemeisterte „Odyssee“ gilt als bisher schwierigste Route durch die Eiger-Nordwand.

Expeditionen führten ihn unter anderem an den 7804 Meter hohen Nuptse East im Himalaya, nach Baffin Island in der Arktis – und nach Patagonien: Für ihre neue Route durch die Nordwand des Cerro Murallon im Jahr 2005 wurden Jasper und sein Teampartner Stefan Glowacz für den Piolet d’Or nominiert, den „Oscar der Bergsteiger“.

Eher ein Zehnkämpfer

Auf dem Gipfel des Molar Spire

Robert ist nicht nur im extremen Fels unterwegs, sondern auch ein exzellenter Eiskletterer. „Ich war ja nie ein reiner Sportkletterer“, sagt Jasper. „Ich betreibe verschiedene Disziplinen des Alpinismus und bin damit eher wie ein Zehnkämpfer. Sportklettern ist meine Basis: Je sicherer du klettern kannst, desto mehr Luft hast du im alpinen Gelände.“ Als Vater einer Tochter und eines Sohns sei „der Rucksack, den ich trage, größer und schwerer geworden“, räumt Robert ein. „Ich habe mehr Verantwortung, aber die Erfahrung wiegt das auf.“ Sicherheit sei für ihn das oberste Gebot, nicht nur am Berg. „Du musst versuchen, das Risiko zu minimieren und trotzdem den Schritt hin zu deiner Leidenschaft, deinen Abenteuern wagen. Das ist meine Philosophie.“

Robert Jasper: Das ist meine Philosophie

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Tamara Lunger: „Ich bin zurzeit suchend“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/tamara-lunger-ich-bin-zurzeit-suchend/ Tue, 16 Oct 2018 14:42:00 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42375

Tamara Lunger während des IMS

„Ich wünsche mir oft: Wäre ich doch vor hundert Jahren auf die Welt gekommen!“, sagt Tamara Lunger. „Wenn ich die 90-Jährigen reden höre, denke ich mir: Oh, das waren noch Abenteurer! Dagegen sind wir heute nur noch Weicheier.“ Dabei stand die Profibergsteigerin aus Südtirol 2010 mit 23 Jahren als damals jüngste Frau auf dem Gipfel des Achttausenders Lhotse und bestieg 2014 ohne Flaschensauerstoff den K 2, den zweithöchsten Berg der Erde.

Tamara Lunger: Wir sind dagegen doch Weicheier

Während des „International Mountain Summit“ in Brixen wandere ich mit Tamara vom Latzfonserkreuz aus talwärts. Ihre Eltern führen die dortige Schutzhütte. Wir sprechen über Tamaras Abenteuer der vergangenen Jahre. Die 32-Jährige ist eine ehrliche Haut und nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die Leute sagen mir: ‚Du hast leicht reden, du kannst das leben, was dir Freude bereitet.‘ Dabei steckt auch in meiner Freude manchmal etwas Negatives, das ich annehmen und daraus lernen muss. Das ist eigentlich das Wichtige.“

Dem Tod nahe

Tamara (2.v.l.) mit den Wintererstbesteigern des Nanga Parbat, Alex Txikon, Simone Moro und Muhammad Ali „Sadpara“(v.l.)

Im Februar 2016 kehrte Tamara Lunger in Pakistan knapp unter dem Gipfel des Nanga Parbat um. Nur 70 Höhenmeter fehlten ihr zum Ruhm, als erste Frau zu den Wintererstbesteigern eines Achttausenders zu gehören. Während des gesamten Gipfeltags war es ihr schlecht gegangen, sie hatte sich den Berg regelrecht hinaufgeschleppt. Dann habe Gott zu ihr gesprochen, erzählt Tamara: „Normalerweise bekomme ich immer, was ich erbitte. Aber an dem Tag hat zehn Stunden Beten nichts geholfen. Da habe ich gewusst, da ist etwas faul.“ Sie drehte um. Im Abstieg geriet sie ins Rutschen. „Es war mein bisher todesnächstes Erlebnis. Auch beim Absturz habe ich mit dem Herrgott geredet: ‚Ich hätte nicht gedacht, dass es jetzt schon so schnell passiert. Aber wenn es so sein muss, bin ich eben bereit, und das passt.‘“ Nach 200 Metern blieb Tamara im lockeren Schnee liegen.

Tamara Lunger: Gespräche mit Gott

Viel gelernt

Sie überlebte, mit Verletzungen an der Schulter und am Sprunggelenk. Sie hatte Schmerzen, durfte keinen Sport treiben. Und die Medien überfielen sie mit Interviewanfragen. Es sei eine „schwierige Zeit“ gewesen, sagt die Bergsteigerin. „Erst mit der Zeit habe ich verstanden, was der Nanga Parbat mir geschenkt hat.“ Sie wisse jetzt, dass es nicht immer der Gipfel sein müsse. „Ich habe auch viel über mich gelernt. Zum Beispiel, wie ich mich in Todesangst verhalte. Werde ich panisch oder bin ich ruhig? Kann ich noch klar denken? Diese Erkenntnisse sind extrem wichtig, weil sie in unserem Beruf oder unserer Berufung zum Spiel mit dazugehören.“

Vielen fehlt der Respekt

Ein starkes Team: Tamara Lunger mit Simone Moro (r.)

Ihre nächste Achttausender-Expedition führte sie im Frühjahr 2017 zum Kangchendzönga, dem dritthöchsten Berg der Erde. Mit ihrem Teampartner und Mentor Simone Moro wollte sie alle Gipfel des Massivs überschreiten. Doch dazu kam es nicht, weil Moros Gesundheit nicht mitspielte. Die Erlebnisse im Basislager, das sich die beiden Profibergsteiger mit den Mitgliedern kommerzieller Expeditionen teilten, verleideten Lunger erst einmal das Achttausender-Bergsteigen. „Unglaublich, was einige Leute da so treiben“, sagt Tamara und schüttelt den Kopf. „Ich habe mich teilweise für sie geschämt. Denen ging es nur darum, irgendwie raufzukommen. Sie haben keinen Respekt mehr, weder vor dem Berg, noch vor den anderen Leuten. In den Hochlagern wird gestohlen.“

Nie mehr ein Basislager mit anderen

Einem Sherpa des nepalesischen Veranstalters „Seven Summit Treks“ sei es oben ziemlich schlecht gegangen, er sei unfähig gewesen abzusteigen. „Dem Chef der Sherpas war das total scheißegal. Er spielte unten lieber mit dem Handy auf Facebook herum anstatt zu helfen.“ Das, so Tamara, verstoße so sehr gegen ihre Prinzipien, dass sie ihre ganze Kraft verliere: „Ich habe mir zu der Zeit geschworen: Nie mehr in ein Basislager mit anderen Leuten! Ich hoffe, ich kann das durchziehen. Künftig gehe ich eben im Winter oder den Berg von einer anderen Seite an, mit einem Basislager, in dem ich meine Ruhe habe.“

Tamara Lunger: Die haben keinen Respekt mehr

Befreiung in der Kälte Ostsibiriens

Bei der Wintererstbesteigung des Gora Pobeda

Im vergangenen Februar gelang Lunger und Moro im eiskalten Osten Sibiriens bei Temperaturen um minus 50 Grad Celsius die erste Winterbesteigung des 3003 Meter hohen Gora Pobeda (auch Pik Pobeda genannt). Nach dem Scheitern im Winter 2015 am Manaslu, ihrer Umkehr im Winter 2016 am Nanga Parbat und dem erfolglosen Versuch am Kangchendzönga 2017 habe sie sich unter großem Druck gefühlt, erzählt Tamara. Sie habe versucht, jeden Schritt in der wunderschönen Natur Sibiriens zu genießen und nicht daran zu denken, was irgendwelche Leute von ihr erwarteten. „Das habe ich relativ gut geschafft und es hat mich richtig befreit. Als ich am Gipfel angekommen bin, habe ich aufgeatmet. Endlich!“

Das leben, was sie fühlt

Bei ihren künftigen Abenteuern wolle sie mehr auf ihre innere Stimme hören, verrät Tamara Lunger: „Ich versuche, das zu leben, was ich fühle. Ich kann nicht sagen, was morgen oder in einer Woche ist. Ich bin zurzeit suchend.“ Und dabei nicht nur auf die Berge fixiert. „Mir würde auch gefallen, mit einem Segelboot aufzubrechen.“

Tamara Lunger: Ich bin zurzeit suchend

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Nives Meroi: „Macht es mit Geduld und Leidenschaft!“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/nives-meroi-macht-es-mit-geduld-und-leidenschaft/ Sun, 11 Jun 2017 11:14:36 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=36641

Nives Meroi (r.) und Romano Benet beim IMS 2016 in Brixen

Es gibt Bergsteiger, denen man ihre Erfolge ganz besonders gönnt. Wie Nives Meroi und Romano Benet aus Italien. Ohne viel Aufhebens darum zu machen, haben die beiden 55-Jährigen Achttausender nach Achttausender bestiegen und sind dabei sich und ihrem Stil treu geblieben: Immer waren sie im kleinen Team unterwegs, ohne Sherpa-Unterstützung, und stets verzichteten sie auf Flaschensauerstoff. Mit der Besteigung der Annapurna haben Nives und Romano heute genau vor einem Monat ihre Achttausender-Sammlung abgeschlossen – 19 Jahre nach ihrem ersten Erfolg am Nanga Parbat, acht Jahre nachdem Romano an aplastischer Anämie erkrankte, einer Sonderform der Blutarmut. Zwei Knochenmark-Transplantationen waren nötig, um sein Leben zu retten.

Zusammen mit zwei Spaniern und zwei Chilenen erreichten Meroi und Benet am 11. Mai den 8091 Meter hohen Gipfel der Annapurna. Damit wurden sie das erste Ehepaar, das die 14 höchsten Berge der Welt allesamt gemeinsam bestiegen hat.  Nives war zudem nach der Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner die zweite Frau, die ohne Atemmaske auf allen Achttausendern stand. Inzwischen sind Nives und Romano wieder zurück in Italien – und Nives hat mir auf meine Fragen geantwortet, die ich den beiden nach ihrem Erfolg an der Annapurna geschickt hatte.

Es war nach 2006 und 2009 euer dritter Versuch an der Annapurna. Wie habt ihr den Aufstieg erlebt? Habt ihr von euren vorhergehenden Versuchen profitiert?

Dank unserer früheren Versuche kannten wir die Gefahren und Risiken des Bergs, die wir, soweit möglich, umgehen wollten.

Nordwestansicht der Annapurna (links der Hauptgipfel)

Was ging in euch vor, als ihr den Gipfel der Annapurna erreicht und realisiert habt, dass ihr es wirklich geschafft habt: alle 14 Achttausender als Ehepaar bestiegen, ohne Flaschensauerstoff und Sherpa-Unterstützung?

Auf dem Gipfel eines Achttausenders bist du erst „halb oben“. Erst wenn du wieder sicher ins Basislager zurückgekehrt bist, kannst du wirklich „Gipfelerfolg“ sagen. Und das gilt besonders für die Annapurna. Ich erinnere mich an den Morgen, als ich im Basislager aufwachte und es erst einmal eine Weile dauerte, bis ich Traum und Realität auseinander halten konnte und mir bewusst wurde, dass wir wirklich erfolgreich waren. Die Annapurna ist gnädig zu uns gewesen und hat uns eine ganz besondere Besteigung gegönnt, um unsere „Perlenkette der Achttausender“ abzuschließen. Ein Aufstieg „wie aus früheren Zeiten“ – sechs Bergsteiger, die ihre Kräfte gebündelt und diesen Berg im Alpinstil bestiegen haben.

Nives und Romano 2009 am Kangchendzönga

Ihr habt in den zurückliegenden Jahren so hart dafür gearbeitet, um euch euren großen Traum zu erfüllen, besonders nach Romanos lebensbedrohlicher Erkrankung. Seid ihr nun euphorisch über das, was ihr erreicht habt, oder doch eher ausgebrannt, erschöpft?

Natürlich sind wir dankbar und glücklich, dass wir unsere „Perlenkette“ geschlossen haben. Aber gleichzeitig ist es uns bewusst, dass dies nur eine Etappe auf unserem Weg in den Bergen ist. Nicht das Ziel.

Gibt es eine Botschaft, die ihr für junge Bergsteiger habt, die auch Abenteuer an den höchsten Bergen der Erde suchen?

Macht es mit Geduld und Leidenschaft! Schritt für Schritt, ohne nach Abkürzungen zu suchen, in einer ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Berg und euch selbst.

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Auer: „Kein großes Sicherheitspolster“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/auer-kein-grosses-sicherheitspolster/ Wed, 19 Oct 2016 15:18:18 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=34009 Hansjörg Auer

Hansjörg Auer

„Das Können ist des Dürfens Maß“, hat der Freikletter-Pionier Paul Preuss (1886-1913) vor mehr als hundert Jahren formuliert. Hansjörg Auer kann sehr viel und ist deshalb ein verdienter Träger des Paul-Preuss-Preises, mit dem seit einigen Jahren Spitzenkletterer in der Tradition des Österreichers geehrt werden. „Auer gehört zweifellos zu den derzeit besten Kletterern der Welt“, sagte Reinhold Messner am vergangenen Wochenende bei der Preisverleihung im Rahmen des International Mountain Summit (IMS) in Brixen in Südtirol. Inzwischen ist Hansjörg Auer aus dem heimatlichen Ötztal zu einem neuen Abenteuer aufgebrochen. Der Österreicher will zusammen mit seinem Landsmann Alex Blümel im äußersten Osten Nepals eine Nordwand erstmals durchklettern, am knapp 7000 Meter hohen Ostgipfel des Gimigela Chuli. Der Berg, dessen Hauptgipfel 7350 Meter misst, liegt versteckt hinter dem Achttausender Kangchendzönga, dem dritthöchsten Berg der Erde.

Hansjörg, kalkulierst du auch diesmal das Scheitern ein?

Natürlich. Wenn du bei einer Expedition abseits der ausgetretenen Pfade gehst, können so viele Dinge nicht funktionieren. Aber deswegen macht es auch so viel Spaß, weil man den Expeditionsbericht nicht schon zu Beginn schreiben kann.

Aber man kann auch Überraschungen negativer Art erleben – wie bei eurer letzten Expedition zur Annapurna III, wo ihr fünf Wochen lang im schlechten Wetter mehr oder weniger herumgesessen habt.

Trotzdem sind wir nicht mit leeren Händen zurückgekehrt. Wir haben sehr viele Informationen über das Projekt gesammelt und wollen auch wieder zurückkommen. Beim nächsten Mal werden wir viele Dinge anders und besser machen. Vielleicht gibt es dann einen Erfolg. Oft muss man sich herantasten, um offene Fragen beantworten zu können. Bei schwierigen Projekten kann das mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Wenn ich auf einen häufig bestiegenen Berg gehe, brauche ich dafür nur zu googeln.

Masherbrum (in der Bildmitte)

Masherbrum (in der Bildmitte)

Eines der großen noch ungelösten Probleme im Himalaya und Karakorum ist die Nordostwand des Masherbrum (7821 Meter) in Pakistan. Ihr – David Lama, Peter Ortner und du – wart 2014 dort, seid aber nicht viel weiter als bis zum Wandfuß gekommen. Hast du auch dieses Projekt noch im Hinterkopf oder konzentrierst du dich auf machbarere Aufgaben?

Wenn man ständig auf Expeditionen geht, kann man nicht immer nur sehr, sehr schwierige Projekte probieren. Man muss manchmal auch Projekte wählen, die machbarer sind, um sich durch einen Erfolg bestätigt fühlen zu können. Wenn du Jahr für Jahr irgendwohin gehst, wo die Chancen sehr gering sind, zermürbt es dich auf die Dauer. Aber das Masherbrum-Projekt lebt noch. Immer wenn wir uns treffen, reden wir darüber. Der Zeitpunkt ist noch offen. Für mich ist aber klar, dass die Wand auf der gedachten direkten Linie nicht kletterbar ist. Wir werden einen Kompromiss eingehen müssen. Der Masherbrum ist einfach saugefährlich. Den kannst du nicht jedes Jahr probieren, sonst kommst du irgendwann nicht mehr zurück.

In der Südwand des Nilgiri South

In der Südwand des Nilgiri South

Ungefähr vor einem Jahr hast du mit Alex Blümel und Gerhard, genannt „Gerry“ Fiegl erstmals die Südwand des Nilgiri South (6839 Meter) in Nepal durchstiegen. Gerry wurde höhenkrank und stürzte beim Abstieg vom Gipfel in den Tod. Verbuchst du diese Expedition unter gescheitert?

Natürlich ist es keine erfolgreiche Expedition, denn dazu gehört, dass alle Kletterer, die aufgebrochen sind, auch wieder zurückkommen. Wir können diesen Unfall nicht ungeschehen machen. Es war einer der traurigsten Momente meiner ganzen Karriere. Wenn ein Freund, mit dem du zu klettern begonnen hast, vor deinen Augen abstürzt, ist das schrecklich. Aber auch schon vorher am Gipfel konnten wir uns nicht freuen, weil wir merkten, dass irgendetwas mit Gerry nicht stimmte. Wir mussten den Gipfel überschreiten, weil der Abstieg über die Aufstiegsroute viel zu schwierig gewesen wäre. Wir hatten gehofft, dass bei Gerry durch die Euphorie des Gipfelerfolgs vielleicht noch eine Wende eintreten könnte. Wir kamen auch noch relativ weit herunter. Aber schlussendlich war das Unglück nicht zu vermeiden. Die schwierigen Klettereien in der Höhe leben von der Reduktion, sonst wären sie nicht möglich: Reduktion des Materials, des Rucksackgewichts – und auch der Sicherheit. Da gibt es einfach kein großes Sicherheitspolster mehr.

Während der Erstbesteigung des 7000ers Kunyang Chhish East in Pakistan

Während der Erstbesteigung des 7000ers Kunyang Chhish East in Pakistan

Die Öffentlichkeit vergisst solche Unglücksfälle schnell. Aber ihr müsst damit leben. Kann man ein solches Ereignis überhaupt verarbeiten?

Ich glaube, dass du das ein Leben lang nicht vergessen kannst. Es prägt natürlich. Gerry wird auch in zehn Jahren noch fehlen. Es kommen so häufig Erinnerungen an ihn auf, weil wir halt oft zusammen unterwegs waren. Dass die Öffentlichkeit es vergisst, ist ganz normal. Aber wir wollen es ja auch nicht vergessen. Man muss es in gewisser Weise akzeptieren. Uns wurde jemand geschenkt, mit dem wir sehr viel unternehmen durften. Wir hätten es uns länger gewünscht, aber vielleicht war es so vorbestimmt.

Hat dich das Unglück vorsichtiger gemacht?

Es war natürlich ein einschneidendes Erlebnis. Es hat mich zwar zum Nachdenken gebracht, aber meine Grundpersönlichkeit nicht so extrem beeinflusst, dass ich sagen würde: Ich höre damit auf. Das Klettern ist schließlich mein Leben. Natürlich war es nicht leicht, im Frühjahr wieder auf Expedition zur Annapurna III zu gehen. Die Momente sind die gleichen: der Flughafen in Kathmandu, das Hotel, das Basislager. Der Berg ist auch nicht weit entfernt vom Nilgiri South. Und dann sind wir an der Annapurna III auch noch auf den Tag genau ein halbes Jahr nach Gerrys Absturz zum Anstieg gestartet. Diese Erinnerungen kannst du einfach nicht auslöschen.

Free Solo in der Marmolada-Südwand

Free Solo in der Marmolada-Südwand

Du bewegst dich beim Extremklettern auf sehr schmalem Grat. Beim Free Solo (Hansjörg sorgte u.a. 2007 in den Dolomiten mit der ersten seilfreien Solo-Begehung der Route „Weg durch den Fisch“ in der Marmolada-Südwand für einen Paukenschlag) bedeutet jeder Fehler fast zwangsläufig den Tod. Spürst du, wie weit genau du gehen kannst?

Ich habe schon sehr früh begonnen, solo zu klettern. Das habe ich gut im Gefühl. Und nur dann mache ich es auch. In der Höhe ist es ungemein schwieriger, weil Faktoren eintreffen können, die man so nicht vermutet. Wenn man es nicht selbst erlebt hat, ist es zum Beispiel schwer vorstellbar, wie schnell es mit der Höhenkrankheit gehen kann. Dort oben darf man den Ehrgeiz, den man grundsätzlich hat, nicht zu exzessiv ausleben, denn das kann tödlich sein. Man muss noch ehrlicher zu sich selbst sein als in den Dolomiten oder an anderen Bergen der Alpen.

Das heißt, du musst lernen, auch einmal auf die Bremse zu treten?

Man muss wissen, wann es genug ist. Natürlich kann ich nicht beim ersten Zeichen umdrehen, sonst würde ich niemals weit kommen. Man muss eben das Gefühl haben, wann es das letzte Zeichen gewesen ist.

In der Höhe den Ehrgeiz zügeln

In der Höhe den Ehrgeiz zügeln

Die Projekte entstehen in deinem Kopf, du planst sie lange Zeit, du konzentrierst dich darauf. Hast du dann noch Augen und Sinne genug, auf deinen Expeditionen Land und Leute wahrzunehmen, und zu genießen, dass du in einer fremden Welt unterwegs bist?

Ehrlich gesagt, meistens nicht. Man ist dann so fokussiert auf das Projekt, dass wenig Zeit bleibt. Aber ich habe damit begonnen, jedes Jahr im Dezember für ein Wochenende ohne Kletterausrüstung in irgendeine Stadt in Europa zu fahren und sie mir anzusehen. Für mich ist das schon ein großer Schritt. Nicht immer nur Berge, Wände, Schatten, Eis, Schnee und Felsen.
Wenn man jahrelang in diesem Profigeschäft unterwegs ist, muss man aufpassen, dass man nicht den Boden unter den Füßen verliert. Man beschäftigt sich so intensiv mit seinen Projekten, dass man irgendwann glaubt, sie wären lebensnotwendig. Dann kehrst du von einer Expedition zurück und hast das Gefühl, jeder müsste sich dafür interessieren. Natürlich sind Abenteuergeschichten immer interessant, aber man muss doch am Boden bleiben und wissen: Es gibt auch andere wichtige Dinge.

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UIAA-Chef Frits Vrijlandt: Fünf Fragen, fünf Antworten https://blogs.dw.com/abenteuersport/uiaa-chef-frits-vrijlandt-fuenf-fragen-fuenf-antworten/ Sun, 16 Oct 2016 06:33:59 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=33993 Frits Vrijlandt

Frits Vrijlandt

Die Niederlande heißen nicht umsonst so. Der höchste „Gipfel“, der Vaalserberg nahe Aachen, ist gerade mal 323 Meter hoch. Und doch heißt es an den höchsten Bergen der Welt immer wieder „Oranje boven“. So ist auch Frits Vrijlandt kein unbeschriebenes Blatt in der Szene. Im Jahr 2000 war er der erste Niederländer, der den Mount Everest von der tibetischen Nordseite aus bestieg, später dann der zweite Bergsteiger seines Heimatlandes, der auf den Seven Summits, den höchsten Bergen aller Kontinente stand. Beim International Mountain Summit (IMS) in Brixen tagte jetzt auch der Weltverband der Bergsteiger und Kletterer (UIAA) – und wählte Vrijlandt für weitere vier Jahre zum Präsidenten.

Frits, ein Mann aus so einem flachen Land ist Chef aller Bergsteiger weltweit. Das klingt ein bisschen kurios.

(Er lacht) Warum eigentlich? Ich muss doch ein Freund aller Länder sein, die Berge haben. Das ist für meine Rolle wichtig, alle Länder zusammenzubringen.

Wie ist es für jemand, der die höchsten Berge aller Kontinente bestiegen hat, ein Bergfunktionär zu sein?

Ich mache das ja schon vier Jahre. Es gibt Parallelen zum Bergsteigen. Man möchte Ziele erreichen, und auch der Weg dorthin kann schön sein.

Bergsteiger reden häufig über Freiheit und Unabhängigkeit, viele sind auch ziemliche Egoisten. Wie passt das zusammen mit einem Weltverband, der Regeln aufstellen soll?

Das ist nicht unsere Hauptaufgabe. Wir wollen eher den Alpinvereinen dabei helfen weiterzukommen. Wir kümmern uns um Sicherheit, Sport und Umweltschutz. Das geht nicht immer zusammen. Besonders Umweltschutz und Bergerlebnis erzeugen oft ein Spannungsfeld, und das überall in der Welt.

Viel Verkehr auf der Everest-Normalroute

Viel Verkehr auf der Everest-Normalroute

Im neuen Strategiepapier der UIAA für die nächsten Jahre ist keine Kommission für Expeditionen mehr vorgesehen. Gibt es aus Sicht des Weltverbands in diesem Bereich keine Probleme mehr?

Die große „Eroberung“ der Berge, wie man früher gesagt hat, ist vorbei. Aber es bleibt natürlich eine Aufgabe, auch wenn wir keine eigene Kommission mehr dafür brauchen. Wir beschäftigen uns z.B. besonders mit Nepal, denn dort steht der höchste Berg der Welt. Heute, mit den kommerziellen Expeditionen und mit Sherpa-Unterstützung, ist es fast für jede gut trainierte, wenig erfahrene Person möglich, in die Nähe des Everest-Gipfels zu kommen. Aber das ist auch eine ethische Frage. Wir denken, der Everest sollte ein Berg bleiben für Leute, die erfahren sind. Sie sollen in der Lage sein, selbstständig oder mit einem Partner hochzusteigen – und nicht von zehn oder mehr Sherpas abhängig sein, die alles für sie entscheiden.

Sportklettern wird 2020 in Tokio olympisch. Was bedeutet das für den Bergsport?

Ich finde es super. Das ist für unsere Verbände, die Sportklettern anbieten, eine große Aufgabe. Ich glaube, es wird nur positive Effekte haben. Für Top-Sportkletterer ist der Anreiz, dabei zu sein, vielleicht der gleiche wie für Bergsteiger, die steilste Wand zu durchklettern oder den höchsten Gipfel zu erreichen.

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Ang Tshering Sherpa: „Billiganbieter verderben die Branche“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/ang-tshering-sherpa-billiganbieter-verderben-die-branche/ Sat, 15 Oct 2016 21:00:14 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=33965 Ang Tshering Sherpa

Ang Tshering Sherpa

Die Zahlen machen Ang Tshering Sherpa Mut. „Wir hoffen, dass das Bergsteigen in Nepal sehr bald wieder richtig auflebt“, erzählt mir der Präsident des Nepalesischen Bergsteiger-Verbands NMA, als wir uns beim International Mountain Summit in Brixen treffen. Bei den von der Regierung verwalteten Bergen über 6500 Meter Höhe sei man in diesem Jahr, verglichen mit der Zeit vor dem verheerenden Erdbeben im April 2015, bereits wieder auf einem Niveau von 87 Prozent angelangt. Bei den Bergen unter 6500 Meter, die unter der Aufsicht der NMA stehen, habe sich der Markt sogar vollständig erholt. Im Trekkinggewerbe schwankten die Werte zwischen 40 und 50 Prozent, je nach Region, berichtet der NMA-Chef: „Wir müssen die Menschen in aller Welt wissen lassen, dass sie Nepal am meisten helfen, wenn sie unser Land besuchen. Jeder, der Zeit in Nepal verbringt, hilft dabei, die Wirtschaft wiederzubeleben und die Infrastruktur wieder aufzubauen.“

Weniger, dafür echte Verbindungsoffiziere

Mount Everest

Mount Everest

Beim Expeditionsbergsteigen gibt es einige Baustellen, die Ang Tshering als Präsident der NMA bearbeiten muss. So sorgte der Fall eines indischen Ehepaars weltweit für Schlagzeilen, das sich im vergangenen Frühjahr seine Everest-Urkunden erschlich, indem es Gipfelfotos anderer fälschte und als eigene ausgab. „Wir müssen solche Leute strenger und ernsthafter überwachen, weil sie dem Image der Bergsteiger wirklich schaden“, sagt der 62-Jährige. Die nepalesischen Verbindungsoffiziere sind dabei keine allzu große Hilfe. Meist kassieren sie von den Expeditionen ihr Geld, tauchen nicht in den Basislagern auf, bestätigen aber hinterher munter, dass Mitglieder der Teams den Gipfel erreicht haben. „Wir haben der Regierung vorgeschlagen, künftig nur noch einen Verbindungsoffizier pro Berg zu entsenden und nicht mehr 30 bis 40 wie bisher am Everest oder anderen Bergen“, verrät Ang Tshering.

Everest-Kandidaten sollten erfahrener sein

Ang Tshering (2.v.r.) mit Reinhold Messner (l.)

Ang Tshering (2.v.r.) mit Reinhold Messner (l.)

Doch es sei schwierig, solche Reformen durchzusetzen, „weil alle sechs bis acht Monate die Regierung wechselt. Du musst die neuen Verantwortlichen erst einmal überzeugen. Und wenn sie gerade dabei sind, es zu verstehen, werden sie wieder abgelöst.“ Deshalb ziehe sich auch die Diskussion über neue Bergsteiger-Regeln für den Mount Everest so in die Länge, sagt der NMA-Chef. Die Reform sei dringend nötig: „Der Everest ist der höchste Berg der Erde und nicht leicht zu besteigen. Egal, ob die Gipfelanwärter in den europäischen Alpen, sonstwo im Ausland oder auf den Bergen Nepals bergsteigen, sie sollten einfach mehr Erfahrung haben.“

Bergsteiger interessiert nur der Preis“

Wie viele andere, sieht auch Ang Tshering das Problem, dass vor allem neu auf den Markt drängende Expeditionsveranstalter aus Nepal die Kundschaft mit Dumpingpreisen anlocken. „Sie krallen sich auch Leute, die keine Ahnung vom Bergsteigen haben und nicht wissen, wie man mit der Ausrüstung umgeht. Diese Agenturen verderben die Tourismusbranche.“ Der Präsident der NMA leitet gleichzeitig Asian Trekking, einen der größten Expeditionsveranstalter des Landes. „Es darf nicht sein, dass die Sicherheitsmaßnahmen anderer nepalesischer Anbieter dadurch kompromittiert werden“, sagt Ang Tshering Sherpa. Es gebe durchaus erfahrene und gut organisierte Veranstalter in Nepal. „Aber die Bergsteiger schauen nur auf den Preis, nicht auf die Sicherheitsstandards. Das ist das Problem.“

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Der Berg und die vier Elemente https://blogs.dw.com/abenteuersport/der-berg-und-die-vier-elemente/ Mon, 27 Oct 2014 13:43:39 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=27609 Unter diesem Motto stand der diesjährige Fotowettbewerb beim International Mountain Summit in Brixen in Südtirol. Knapp 2600 Fotografen aus aller Welt sandten Bilder ein. Gewinner war der Pole David Kaszlikowski , der im Karakorum einen Baltoro-Gletscherfluss in der Nähe des Concordiaplatzes ablichtete. Auf Platz zwei landete der Südtiroler Georg Kantioler mit seiner Gewitter-Impression, Dritter wurde der Italiener Simone Miotto mit seinem Bild eines zugefrorenen Bergsees. Hier die Gewinnerfotos zum Genießen:

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In memoriam Basti Haag https://blogs.dw.com/abenteuersport/in-memoriam-basti-haag/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/in-memoriam-basti-haag/#comments Fri, 26 Sep 2014 12:23:42 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=27393 Basti Haag (1979-2014)

Basti Haag (1979-2014)

Nein, ich habe Sebastian Haag nicht wirklich gekannt. Ich habe ihn nur einmal getroffen – wie man sich halt so trifft in der Bergsteiger-Szene. Vor einem Jahr war das, beim International Mountain Summit (IMS) in Brixen. Damals berichteten er und Benedikt Böhm über ihre Erlebnisse am Manaslu: Am 22. September 2012 war an dem Achttausender in Nepal oberhalb von 6000 Metern eine Lawine abgegangen und hatte zwei Hochlager getroffen. Elf Bergsteiger waren ums Leben gekommen. Bene und Basti hatten Glück gehabt, weil sie aus einem unguten Bauchgefühl heraus ihr Zelt weit abseits der anderen aufgebaut hatten. Die beiden Deutschen hatten nach dem Unglück mehrere Verletzte aus den Schneemassen befreit. Im Oktober 2013 in Brixen sprach ich mit Basti auch über die Gefahren, die er als Extremsportler einging. „Es gibt Momente,  wo man das Gehirn ausschalten muss, und solche, wo man es anlassen muss“, lautete seine Antwort (die ihr unten auch nachhören könnt). „Natürlich kann uns, wie allen anderen auch, etwas passieren. Davor ist niemand gefeit, auch wenn du noch so vorsichtig bist. Und wenn du zu vorsichtig bist, musst du eben zu Hause bleiben, auf die Zugspitze steigen oder beim Münchner Stadtmarathon mitmachen.“

Basti Haag (Okt. 2013): Man darf nicht zu vorsichtig sein

„Ein richtiger Sonnenschein“

Schnell unterwegs: Haag (r.) und Böhm

Schnell unterwegs: Haag (r.) und Böhm

Haag war nicht nur Skibergsteiger, sondern startete auch weltweit bei Ultratrail-Läufen – und er war Doktor der Tiermedizin. Seine Promotion widmete der Münchener 2010 seinem Bruder Tobias, der vier Jahre zuvor in den Bergen nahe Chamonix in den Tod gestürzt war, als eine Wächte gebrochen war. Mit seinem Schulfreund Benedikt Böhm stellte Basti 2005 einen Geschwindigkeitsrekord am 7546 Meter hohen Mustagh Ata im Westen Chinas auf: neun Stunden 25 Minuten für den Aufstieg, eine Stunde 16 Minuten für die Skiabfahrt. Ein Jahr später meisterten die beiden Skibergsteiger zusammen mit Luis Stitzinger  im Eiltempo den Achttausender Gasherbrum II im Karakorum. 17 Stunden brauchte das Trio für den Weg auf den Gipfel und die anschließende vollständige Skibefahrung des Bergs. „Ich habe Basti als sehr umgänglichen, sympathischen Menschen erlebt“, erinnert sich Luis, als ich ihn heute anrufe. „Er konnte es mit allen gut, ein richtiger Sonnenschein, ein lebenslustiger Typ.“

Kein Selbstmordkandidat

Danach riss die Erfolgsserie von Bene und Basti an den Achttausendern. 2007 mussten sie am Manaslu wegen zu großer Lawinengefahr auf 7400 Metern umdrehen. Ihr Versuch am Broad Peak 2009 endete am 8011 Meter hohen Vorgipfel, weil sich Basti ein Höhenhirnödem zugezogen hatte. „Damals habe ich mein Leben riskiert und sicher auch Benes, weil ich den Fehler gemacht habe, trotz meiner Probleme weiterzugehen“, erzählte mir Basti in Brixen. 2012 am Manaslu kehrte er bei einem Gipfelvesuch nach dem Lawinenunglück auf etwa 8000 Metern um, obwohl Benedikt weiter aufstieg. „Er hatte aus seinen Erfahrungen gelernt“, denkt Luis. „Basti hat viel in die Waagschale geworfen und riskiert, aber er war kein Selbstmordkandidat.“

Geringe Sicherheitsreserve

Ganz ohne Risiko gehe es jedoch nicht beim superschnellen Skibergsteigen, sagt Stitzinger, der nach seinen Erlebnissen am Gasherbrum II zwar auch von anderen Achttausendern mit Skiern abfuhr, auf weiter Speedprojekte aber verzichtete: „Wenn du zu defensiv bist, wirst du nicht erfolgreich sein. Für eine Top-Zeit musst du alles geben können. Die Sicherheitsreserve ist da relativ gering.“ Sebastian Haag und sein italienischer Freund Andrea Zambaldi starben am Mittwoch in einer Lawine in der Gipfelregion der Shishapangma. Basti wurde 35 Jahre alt.

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Blinder Kletterer Andy Holzer will auf den Everest https://blogs.dw.com/abenteuersport/blinder-kletterer-andy-holzer-will-auf-den-everest/ Fri, 21 Mar 2014 15:01:49 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=25527 Im Fels der Carstensz-Pyramide (Foto: Andreas Unterkreuter)

Andy Holzer im Fels der Carstensz-Pyramide (Foto: Andreas Unterkreuter)

„Ich habe mich entschlossen, mit meinen Freunden auf große Reise zu gehen.“ Mit diesen fast lapidar klingenden Worten kündigt Andy Holzer sein bisher spektakulärstes Projekt an. Der blinde Bergsteiger will auf das Dach der Welt, den Gipfel des Mount Everest. Am 2. April bricht der 47 Jahre alte Österreicher mit seinen Freunden Andreas Unterkreuter, Wolfgang Klocker und Daniel Kopp nach Nepal auf, um den höchsten Berg der Erde zu besteigen. „Mein Antrieb ist ganz einfach das Bewusstsein, eine Chance im Leben nutzen zu wollen“, schreibt Andy auf seiner Homepage. „Nie zuvor und wahrscheinlich auf Grund der so schnell vergehenden Jahre wohl auch niemals danach werde ich noch mal in solch körperlicher, mentaler und auch logistischer Verfassung sein, dieses ‚heimliche‘ Traumziel eines jeden richtigen Bergsteigers greifen zu können.“ Kurz gesagt: Jetzt oder nie!

Mehr als nur „ein geiler Gedanke“

Andy beim IMS 2013

Andy beim IMS 2013

Als ich Andy im vergangenen Oktober beim International Mountain Summit in Brixen nach dem Everest gefragt hatte, hatte er eine Reise dorthin zwar als „geilen Gedanken“ bezeichnet, aber noch abgewiegelt. Der höchste aller Berge sei „jetzt nicht das absolut fokussierte Ziel“, sagte Holzer damals. Der Everest ist der einzige der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente, der ihm noch in seiner Sammlung fehlt. Doch Andy ließ durchblicken, wie sehr ihn der Everest fasziniert: „Ich glaube, wer nicht seine Tränen in den Augen spürt, wenn er den Hillary Step hinaufsteigt und die letzten Meter zum höchsten Punkt dieser Erde geht, der hat auf keinem Berg etwas verloren. Wenn da keine Emotion ist!“

Andy Holzer: Everest-Reise ist ein geiler Gedanke

Immer schön im Dunkeln

Andy und seine Helfer wollen mit Flaschensauerstoff aufsteigen. Das sei eine Selbstverständlichkeit, schreibt Holzer und verweist auf die für ihn als Blinden  höhere Gefahr auszukühlen. „Es ist auf Grund des Temperaturhaushaltes eigentlich unmöglich, ohne künstlichen Sauerstoff im Gleichschritt eines anderen Bergsteigers zu steigen. Wenn mein Freund auch nur zehn Meter von mir entfernt wäre, kann ich nicht mehr weitergehen, weil ich seine Steigeisen nicht mehr exakt knarren höre, und ich bleibe auf der Strecke.“ Außerdem verzichte er ja schon auf ein anderes Hilfsmittel, meint Andy scherzhaft: „Ich steige ohne Stirnlampe, und das auch bei Tageslicht. Also immer schön im ‚Dunkeln‘.“

Sollte der Österreicher den höchsten Punkt auf 8850 Metern erreichen, wäre er der zweite Blinde auf dem Mount Everest. Der US-Amerikaner Erik Weihenmayer hatte 2001 den Everest bestiegen. Mit Erik zusammen hat Andy auch schon einmal bei einer Klettertour in den Lienzer Dolomiten in Osttirol eine „doppel-blinde“ Seilschaft gebildet.

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Der Bergbrenner vom Königssee https://blogs.dw.com/abenteuersport/bergbrenner-hubert-ilsanker/ Tue, 03 Dec 2013 12:50:23 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=24475

Bergbrenner Hubsi Ilsanker

Eigentlich wähnte ich mich auf ewig für Enzian verloren. Schuld war eine alte Bäuerin aus dem Alpbachtal, dir mir vor Jahren einen Selbstgebrannten kredenzte, der so intensiv nach Erde schmeckte wie Austern nach Meer. Pfui Teufel! Es schüttelt mich noch immer, wenn ich daran zurückdenke. Hubert Ilsanker, den alle nur „Hubsi“ nennen, hat mich wieder mit dem Enzian versöhnt. Ich traf den Berchtesgadener vor Wochen bei einer Wanderung in Brixen in Südtirol und kostete seinen sieben Jahre alten Edelwurz-Enzian. Ein Genuss! Der Mann versteht sein Handwerk. „Hubsi“ ist ein Unikum, der einzige (lizensierte) Bergbrenner Deutschlands.

Mehr als 300 Jahre altes Sonderrecht

Wie ein Almbauer verbringt auch Ilsanker zur Jahresmitte vier Monate in den Bergen – in vier alten Brennhütten rund um den Königssee, zwischen 1200 und 1600 Meter hoch. Obwohl drei der vier Hütten im Nationalpark Berchtesgaden liegen und Enzian unter Naturschutz steht, darf der 44-Jährige dort Wurzeln ausgraben und zu Schnaps verarbeiten. Das Recht, „die Almen durch maßvolles, aber regelmäßiges Enzianwurzelgraben milchviehgerecht zu halten, Enzian zu brennen und zu verkaufen“, erwarb die Berchtesgadener Familie Grassl bereits 1692, fast 300 Jahre vor Gründung des Nationalparks. Da er als Einziger und immer wieder an anderen Stellen grabe, sei das kein Problem, sagt Ilsanker: „Wenn du nach sieben bis zehn Jahren wieder an diese Stelle kommst, merkt niemand mehr, dass da jemals eine Wurzel entwendet wurde.“

Früh übt sich

Hubsi produziert ja auch keine Massenware, sondern Edelschnäpse, für die der Kunde etwas tiefer in die Tasche greifen muss. Dafür erhält er einen Enzian, der nach dem Brand noch fünf bis sieben Jahre lang im Fass gereift ist und von dem Ilsanker noch sagen kann, wann und wo er die Wurzeln dafür ausgegraben hat. „Wenn ich dann Gäste um mich herum habe, die sagen ‚Mensch, ist der gut!‘, das ist schon ein super Gefühl.“ Seit 23 Jahren ist Hubsi als Bergbrenner offiziell angestellt, schon mit 15 hat er für seinen Vorgänger Enzian-Wurzeln ausgegraben. „Da habe ich gedacht, das mache ich irgendwann mal.“ Als Kind hatte Ilsanker viel Zeit in den Bergen verbracht, weil sein Vater Holzfäller war und ihn oft mitgenommen hatte. „Das hat mir gefallen. Viel arbeiten, abends in der Hütte sitzen, Feuer machen, kochen. Männerwirtschaft.“

Hubert Ilsanker: Von der Wurzel bis zum fertigen Schnaps

Ein Bergbrenner müsse auch Bergsteiger sein, sagt Hubsi, „einigermaßen gut beieinander“ – und trittfest: „Du musst ja bis zu 50 Kilogramm herunterbringen. Da hast du einen Sack auf dem Rücken, einen ziehst du hinter dir her. Oder du nimmst nur einen, dann musst zu zweimal gehen.“

Die Mischung macht’s

Als seine beiden Kinder noch klein waren, hat Hubsi seine ganze Familie mit auf den Berg genommen. Jetzt ist er häufiger allein. Ein Problem hat er damit nicht. „Ich glaube, wer am Berg oben alleine arbeitet und mit den Tieren, Blumen und Steinen per du ist, ist nicht so einsam wie einer, der in irgendeinem Plattenbau in der Großstadt wohnt.“ Als Ausgleich hat der Bergbrenner seine andere Leidenschaft, die Musik. An einem Tag in der Woche steigt Ilsanker ins Tal ab und spielt bei Volksfesten oder anderen Gelegenheiten auf. So kommt er regelmäßig wieder unter Menschen. „Berufsmusiker zu sein“, sagt Hubsi, „wäre mir zu anstrengend. Würde ich aber andererseits nur in der Einsamkeit arbeiten, könnte ich schon schwermütig werden. Wir sind einfach Rudeltiere.“ Die Mischung stimmt.

Hubert Ilsanker:Einsamkeit ist in Plattenbauten größer

Schnaps als ein Stück Bergkultur

Einen Gipfelschnaps in Ehren …

An Schönwetter-Tagen gibt der Bergbrenner auch gerne den Fremdenführer, wenn viele Wanderer seine Hütten besuchen. „Dann ist es schon eine Turnerei zwischen Brennerei und Gästen. Und wenn dann lustige Gruppen vor der Hütte sitzen, kann es auch finster werden, bis Feierabend ist.“ Ein guter Schnaps, findet Hubsi, sei ein Stück Bergkultur: „Als die Leute noch mit roten Kniestrümpfen und Bundhose in die Berg gegangen sind, war ein Flachmann im Rucksack eigentlich Pflicht. Und der Gipfelschnaps schmeckt dem Bergwanderer genauso wie dem Extrembergsteiger.“

Hubert Ilsanker: Gipfelschnaps schmeckt

Schnell wieder ein Talferkel

Wenn er nach vier Monaten am Berg wieder absteigt, überkommt den Bergbrenner Ilsanker schon ein bisschen Wehmut. Fast wie bei einem Almabtrieb. „Nein, ich schmücke mich nicht“, sagt Hubsi und lacht. Einen kleinen Kulturschock erlebt er, wenn er, im Tal angekommen, an der ersten Ampel wild angehupt wird, weil er nicht flink genug losfährt. „Aber das legt sich relativ schnell. Dann ist man wieder ein Talferkel.“

Hubert Ilsanker: Schnell wieder ein Talferkel

P.S. Hubsi Ilsanker hat auch ein Buch über seine Arbeit in den Bergen geschrieben.

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Andy Holzer: „Auf 7500 Metern ist jeder behindert“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/interview-andy-holzer/ Sat, 23 Nov 2013 13:26:04 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=24245

Der blinde Kletterer Andy Holzer

Blinde können sehen, nur anders. Das beweist der Österreicher Andy Holzer. Der 47-Jährige aus Lienz in Osttirol ist seit seiner Geburt blind. Das hindert ihn aber nicht, im Fels zu klettern, Skitouren zu machen und selbst Berge im Himalaya zu besteigen. Der 16. August 1975 war ein besonderer Tag in Andys Leben. Mit seinen Eltern durfte der damals Neunjährige erstmals einen felsigen Berg besteigen. Nachdem er sich erst stundenlang durchs Geröll geschuftet hatte, war ihm plötzlich beim Klettern im Fels der Vater zu langsam, die Mutter kam nicht mehr hinterher. „Das war für mich ein Gefühl, als ob mir jemand die Fesseln abnimmt“,  erinnert sich Andy, als wir uns kürzlich beim International Mountain Summit in Brixen treffen.

Andy, die erste Frage ist wahrscheinlich immer dieselbe. Wie machst du das, in einer Felswand zu klettern, ohne wirklich zu sehen?

Ich klettere nicht, ohne es zu sehen. Das würde nicht funktionieren.

Das musst du erklären.

Ich generiere die topographischen Details einer Felswand mit anderen Sinneseindrücken, etwa wenn ich den Griff anfasse, der wenig später zum Tritt wird. Das ist einfach ein intuitives Klettern. Auch sehende Spitzenkletterer trainieren – natürlich im geschützten Rahmen – blind zu klettern, weil es ganz andere Bewegungsabläufe sind. Du greifst nicht nach einem Griff, weil du ihn siehst, sondern du greifst dorthin, wo es dein Körperschwerpunkt gerne hätte. Das ist der Unterschied, wenn du blind kletterst. Das habe ich ausgefeilt, mittlerweile bald schon 25 Jahre lang. Es ist kein Spitzenklettern, kein Riesending, aber ein Riesenspaß.

Im Fels der Carstensz-Pyramide (Foto: Andreas Unterkreuter)

Du musst ein gigantisches Gedächtnis haben, wenn du die topographischen Details in deinem Kopf zu diesem 3-D-Bild zusammenbastelst.

Mir ist das gar nicht bewusst. Ich merke immer nur, dass ich einen wesentlich höheren Stoffwechsel habe als meine Freunde oder andere Bergsteiger. Das ist ein ganz anderer Aufwand an Energie. Ich muss mir viel mehr vorstellen, viel mehr Geisteskraft investieren, um auf demselben Level zu klettern wie die sehenden Freunde. Die Schwierigkeiten liegen für mich zwei, drei oder vier Klettergrade höher. Es ist einfach eine andere Dimension.

Du kletterst mit sehenden Seilpartnern. Kannst du eine Route anschließend auch alleine bewältigen?

Das ist für mich überhaupt die Motivation, steile Berge zu besteigen. Ich möchte wissen: Wie schaut das aus? Was sehen die Sehenden? Welche Formen und Strukturen hat der Berg? Das kann ich eben nicht mit den Augen. Auch nicht mit den Ohren. Du kannst noch so gut in die Natur hinaus lauschen, du wirst den Berg nicht in seinen Details hören. Dafür habe ich den Tastsinn. Der reicht gerade so weit wie der Arm lang ist. Ich muss den Berg hinaufklettern, um ihn zu sehen. Das ist eine Riesenmotivation. Die Route anschließend im Gedächtnis abzuspeichern, ist nicht anstrengend, sondern eher eine emotionale Regung, so wie sich Sehende Gesichter merken oder Sonnenuntergänge.

Im Vorstieg (Foto: Martin Kopfsguter)

Erlebst du auch Adrenalin-Ausstoß wie andere, die in der Wand hängen, nach unten schauen und plötzlich einfach überwältigt sind von dem, was sie da gerade anstellen?

Viele Menschen verwechseln Blindheit mit Torheit. Blindheit ist nur der Ausfall eines von fünf Sinnesnerven. Du hast immer noch vier, 80 Prozent Wahrnehmung sind da. Wenn ich klettere und sich ein 600 Meter tiefer Abgrund unter meinen Beinen auftut, dann nehme ich die gähnende Leere wahr, die mich fast herunterziehen will. Es ist gewaltig. Das Wissen darum genügt vollkommen, um dieses Gefühl der Ausgesetztheit zu bekommen, das Wissen, dass der nächste Schritt über Untergang oder Gipfelsieg entscheidet. Da gibt es keinen Unterschied. Zu mir wird immer gesagt, du bist doch sicher schwindelfrei, du siehst ja nicht hinunter. Da muss ich antworten: Es ist schon eine wilde Geschichte hinunterzustürzen, wenn du siehst, wo es hingeht. Aber in die Dunkelheit, in die Ungewissheit zu stürzen, ist noch viel schlimmer.

Andy Holzer: Das Wissen um den Abgrund genügt

Andy in der Nordwand der Großen Zinne (Foto: Martin Kopfsguter)

Du hast schon sechs der „Seven Summits“ bestiegen, der höchsten Gipfel aller Kontinente. Jetzt fehlt dir nur noch der Mount Everest. Er ist bereits einmal von einem Blinden bestiegen worden, dem US-Amerikaner Erik Weihenmayer. Du bist mit ihm auch schon geklettert, als „doppel-blinde“ Seilschaft. Hat er dich angespornt, den Everest zu wagen?

Die „Seven Summits“ sind für mich weniger eine geplante Aktion. Bis zum vierten Gipfel ist mir überhaupt nicht bewusst gewesen, dass es diese Sammlung gibt. Ich steige auf 200 Berge pro Jahr, nicht nur hier. Von Grönland bis in die Antarktis. Überall bin ich unterwegs. Diese „six of seven“ waren eben dabei. Ich habe auch schon an zwei Achttausendern meine Spuren hinterlassen, an der Shishapangma und am Cho Oyu, leider Gottes ohne Gipfelsieg. Ich weiß, wie es sich in Tibet, Nepal, im Himalaya anfühlt.

Andy Holzer: Everest-Reise ist ein geiler Gedanke

Wagnis Everest? Jeder weiß, dass der Everest der sicherste aller Achttausender ist. Das ist keine Expedition, sondern eine Reise. Wenn ich jetzt mit 47 Jahren morgen zusammenpacken und mit meinen Freunden zum höchsten Berg der Erde aufbrechen könnte, wäre das schon reizvoll. Eigentlich cool, andere machen eine Reise nach Venedig oder aufs Kitzsteinhorn, und wir fahren gerade mal zum Everest. Das ist ein geiler Gedanke. Denn ich glaube, wer nicht seine Tränen in den Augen spürt, wenn er den Hillary Step hinaufsteigt und die letzten Meter zum höchsten Punkt dieser Erde geht, der hat auf keinem Berg etwas verloren. Wenn da keine Emotion ist! Schauen wir, ob es noch passiert. Es kann ohne weiteres sein. Aber der Everest ist jetzt nicht das absolut fokussierte Ziel.

Es gibt also keinen konkreten Plan, ihn im nächsten Jahr anzugreifen. Die biologische Uhr tickt auch bei dir. Man weiß, so ab 50 wird es in der Höhe schwieriger.

Das ist absolut ein Thema und mir ganz bewusst. Ich höre immer wieder von meinen Freunden, ein 70-, ein 80-Jähriger ist auch hochgestiegen. Aber das ist eigentlich nur ein Kompliment meiner Freunde mir gegenüber. Die steigen alle mit Stirnlampe hoch. Ich bin der einzige, der in der vollkommenen Dunkelheit klettert. Das ist rein körperlich, vom Stoffwechsel, vom Energiehaushalt her, eine komplett andere Nummer. Da hast du mit 50 Jahren wahrscheinlich nichts mehr verloren, und ich bin wahrscheinlich schon jetzt schon ziemlich an der Kippe. Der Everest ist für mich einfach ein anderer Berg als für einen Sehenden. Darüber brauchen wir überhaupt nicht zu diskutieren.

Du warst an zwei Achttausendern. War das für dich eine andere Selbsterfahrung in dieser großen Höhe?

Dort oben gleichen die Sehenden und ich uns immer mehr an, weil die Geschwindigkeit reduziert wird. Langsamer zu gehen, bedeutet für mich als Blinden, dass ich für jeden Schritt einige Millisekunden mehr Zeit habe, zu analysieren, ob ich hinten links oder vorne rechts am Steigeisen mehr Druck geben muss, um im Balance zu bleiben. Hier unten, wo die Höhe keine Rolle spielt, muss ich die Schritte ganz schnell hintereinander setzen, um das Tempo halten zu können. Da ist jeder Schritt wie ein Lottotipp. Das ist auf die Dauer extrem anstrengend. Wenn du plötzlich zwei Sekunden Zeit für einen Schritt hast, ist es geradezu ein Spiel. Die große Höhe reizt mich so, weil es mir da oben gut geht.

Auf Skitour auf dem 3358 Meter hohen Schneebigen Nock (Foto: Erwin Reinthaler)

Mir hat einmal ein Paralympics-Sieger gesagt, er möge den Begriff Behindertensportler nicht. Fühlst du dich auch in eine Schublade geschoben, wenn dich jemand so nennt.

Nein. Ich höre das auch relativ selten, weil ich nicht im Wettbewerb stehe. Außerdem: Oben auf 7500 Metern ist jeder behindert. Da habe ich noch nie einen Nicht-Behinderten getroffen. Und wenn beim Felsklettern in den Dolomiten mein sehender Seilpartner nicht behindert ist, haben wir wohl die falsche Route ausgesucht. Dann war es zu einfach, keine Herausforderung. Wir gehen ja gerade deshalb bergsteigen, um uns zu behindern. Um den asphaltierten Wegen zu entkommen, den Schienen auszuweichen, um die Hinderung zu suchen. Das ist ja das Geniale beim Bergsteigen.

Andy Holzer: Auf 7500 Metern ist jeder behindert

Du gehst auch auf Skitouren.

In den letzten zehn Jahren bin ich pro Winter mindestens hundert Tage auf meinen Tourenskiern unterwegs gewesen, im letzten Winter sogar noch mehr. Das Element Schnee kommt mir entgegen. Den Schnee kannst du mit Schwung und Balance formen, bei Steinen geht das nicht. Natürlich musste ich auch Techniken entwickeln. Auch hier ist das Ohr extrem wichtig. Durch die Schwünge meines Freundes höre ich sofort die Neigung. Er braucht auch nicht zurückzurufen: Andy, pass‘ auf, da kommt ein Eisfleck! Ich höre das ja schon lange. Wenn er da vorne ausrutscht, passiert mir das tausendprozentig nicht. Das Hörbild funktioniert ähnlich wie beim restlichen Leben. Was dazu kommt, ist die Geschwindigkeit. Wenn du im Tiefschnee oder Bruchharsch kein gewisses Tempo hast, säufst du ab. Daran habe ich in den letzten zehn Jahren gearbeitet und mich extrem entwickelt, so dass ich es jetzt wirklich in vollen Zügen genieße.

Ich bin von der Shishapangma aus 7100 Metern Höhe mit den Skiern abgefahren, auch vom Mount McKinley oder vom Ararat in der Türkei. Nicht weil ich besonders gescheit sein will, sondern weil es für mich eine Erleichterung ist, die Schwünge zu ziehen, zentrisch auf dem Ski zu stehen. Dafür brauchst du keine Augen, das ist eine Gefühlssache. Ich muss mich auch auf das Material einstellen. Meine Ski sind sehr kurz und ganz breit, damit die Wendigkeit erhalten bleibt. Wenn der Ski 1,80 Meter lang ist, hast du mehr Chancen einzufädeln oder einen Stein zu treffen, als wenn er nur 1,40 Meter lang ist.

Das hört sich an, als sei dein Leben immer auch Werkstatt.

Ha! Ich würde jedem wünschen, dass sein Leben eine Werkstatt ist. Denn wenn es keine ist, dann entwickelst du dich nicht. Ich bin ständig in Entwicklung meines Werkes. Was ich jeden Tag lebe, ist eine Lebenswerkstatt. Das hast du wunderschön festgestellt.

Andy Holzer: Meine Lebenswerkstatt

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Auf der Jagd nach 7000er-Wänden https://blogs.dw.com/abenteuersport/hansjoerg-auer/ Fri, 15 Nov 2013 11:00:06 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=24173

Hansjörg Auer

Hansjörg Auer neigt zur Brutalität – verbal, versteht sich! Und auch nur dann, wenn er von etwas erzählt, das ihn begeistert. „Es ist halt ein brutal schöner Berg und ein brutal geiles Ziel“, schwärmt der Topkletterer aus Österreich über den Kunyang Chhish East. Der Berg ist 7400 Meter hoch und liegt im Karakorum in Pakistan. Hansjörg hat den Nebengipfel des Kunyang Chhish (7852 Meter) – wie berichtet – im Sommer mit seinem Bruder Matthias und dem Schweizer Simon Anthamatten erstbestiegen. „Die Kombination Siebentausender, unbestiegen, mit einer so coolen Wand wie der fast 3000 Meter hohen Südwand, die gibt es halt nicht mehr so oft“, sagt der 29-Jährige. „Mich reizen genau diese Expeditionen, wo es am meisten Fragezeichen gibt. Dann wird es interessant und bleibt spannend.“

Hansjörg Auer über den 7000er Kunyang Chhish East

Brüderliches Gipfelglück

Dem Trio gelang der Aufstieg auf den bis dahin noch jungfräulichen Gipfel über eine äußerst anspruchsvolle Route durch die Südwand. Die beiden US-Spitzenkletterer Steve House und Vince Anderson (die 2005 als Erste im Alpinstil durch die mächtige Rupalwand des Nanga Parbat geklettert waren) hatten 2006 am Kunyang Chhish East rund 300 Meter unter dem Gipfel umkehren müssen. Auer freut sich besonders, dass er den Erfolg im Karakorum gemeinsam mit seinem Bruder feiern durfte. Matthias stehe „mehr im Leben als ich, mit Fast-Familie und Haus bauen. Deshalb war das sicher eine seiner letzten größeren Aktionen“, glaubt Hansjörg. „Mir hat es schon richtig getaugt (für alle Nichtösterreicher: gefallen), dass er mit oben war.“

Schlimme Nachricht verdrängt

Am Gipfel des Kunyang Chhish East

Die Auer-Brüder und Anthamatten widmeten ihren Erfolg den elf Opfern des Mordanschlags am 120 Kilometer Luftlinie entfernten Achttausender Nanga Parbat. Die Nachricht davon hatte sie im Basislager während der Akklimatisierungsphase erreicht. „Man kann sich so etwas einfach nicht vorstellen. Wenn du gerade selbst im Basislager bist und denkst, jetzt kommen da so Typen und erschießen dich, ist das natürlich schon zach (für alle Nichtösterreicher: krass)“, erinnert sich Hansjörg. „Aber wir sind dann doch gestartet und haben es so gut wie möglich verdrängt.“ Einen Bogen um Pakistan zu machen, kommt für Auer nicht in Frage. „Man kann deswegen doch nicht sagen, wir fahren nicht mehr nach Pakistan. Es ist hoffentlich eine einmalige Sache gewesen.“ Die Gründe für den Anschlag lägen nicht bei den Alpinisten, sondern viel tiefer. „Man muss schauen, wie man das lösen kann.“

Hansjörg Auer: Ursachen des Anschlags liegen viel tiefer

Hansjörg Auer will 2014 wieder in den Karakorum zurückkehren. Sein Ziel: wieder ein Siebentausender, eine noch nicht durchkletterte, technisch schwierige Wand. Mehr verrät er nicht. Vielleicht meint er ja die Masherbrum-Ostwand. David Lama hatte mir gegenüber angedeutet, dass sein Landsmann möglicherweise zum Team stoßen werde.

Anderes Kaliber

Die großen Wände an den Achttausendern sind für Auer kein Thema. Noch nicht. Diese Wände, sagt Hansjörg, seien „noch einmal ein anderes Kaliber. Da muss man sich viel Erfahrung an den Siebentausendern holen, dann kann man erst die wirklich zachen Partien auf die Achttausender machen.“ In sehr großer Höhe sei vor allem die psychische Herausforderung extrem. „Was zum Beispiel Ueli Steck jetzt an der Annapurna gemacht hat, die Südwand solo, ist extrem gut. Der größte Back-up, den du als Kletterer hast, ist normalerweise dein Partner. Und den gibt es bei einem Solo nicht. Du bist da oben so exponiert, ausgeliefert. Das musst du erst einmal mental verarbeiten und dann auch noch die Leistung bringen.“ Und da ist es auch wieder, Hansjörgs Lieblingswort: „Das ist ein brutaler Einsatz, du musst einfach alles geben.“

Hansjörg Auer: Mentale Herausforderung ist extrem

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David Lamas „Mission: Possible“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/david-lama/ Wed, 06 Nov 2013 13:27:03 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=24076

David Lama

David Lama hat für seine 23 Jahre schon viel Kritik einstecken müssen. „Ich habe aus meinen Fehlern gelernt“, sagt der Bergsteiger aus Österreich. 2010 hatte sein Team für Filmarbeiten über den Versuch, die legendäre „Kompressor-Route“ am Cerro Torre in Patagonien erstmals frei zu klettern, Dutzende neuer Bohrhaken in die Wand gesetzt.  Damals war Lama noch gescheitert, zwei Jahre später glückte ihm das Projekt, gemeinsam mit seinem Osttiroler Seilpartner Peter Ortner. Für den Sommer 2014 haben sich die beiden ein weiteres Knüller-Projekt vorgenommen.

Nicht kletterbar?

Masherbrum (in der Bildmitte)

Lama und Ortner wollen als Erste die Ostwand des 7821 Meter hohen Masherbrum im Karakorum durchsteigen. „Viele haben sich eigentlich noch nicht an der Wand versucht, weil die meisten sie für unkletterbar halten“, erzählt mir David beim International Mountain Summit in Brixen. „Aber ich kann es mir mittlerweile vorstellen, durch diese Wand zu klettern. Das ist im Moment eine der spannendsten Ideen, die ich mir vorstellen kann.“ Möglicherweise, verrät Lama, werde noch sein Landsmann Hansjörg Auer zum Team stoßen. Reinhold Messner bezeichnete die beiden österreichischen Topbergsteiger vor wenigen Tagen im Gespräch mit mir als „junge Leute, die kreativ sind“. Sie würden ihre Spielfelder schon finden.

David Lama über das Projekt Masherbrum-Ostwand

Extrem lässig

David auf den letzten Metern zum Gipfel der Chogolisa (Foto: privat)

Derzeit sei das Karakorum „eine der spannendsten Spielwiesen“ für ihn, sagt David. „Riesige, schöne, vor allem schwierige Berge mit großen Wänden. Die reizen mich einfach.“ 2012 hat Lama zusammen mit Ortner die 7665 Meter hohe, formschöne Chogolisa bestiegen, seinen ersten Siebentausender. „Wir waren die ersten seit 26 Jahren, die oben gestanden haben. Von daher war es ein extrem lässiges Erlebnis, dort auf den Gipfelgrat hinaufzusteigen. Zum anderen war es natürlich eine Vorbereitung für höhere Berge, weil es mein Ziel ist, dort hohe, schwierige Wände zu klettern.“ Wie die Ostwand des Masherbrum.

David Lama: Besteigung der Chogolisa war extrem lässig

Früh übt sich

David Lama ist der Sohn einer Österreicherin und eines Sherpas aus dem Khumbu, dem Gebiet um den Mount Everest. Schon mit fünf Jahren bewies David bei einem Klettercamp von Peter Habeler sein außergewöhnliches Talent. Das war der Startschuss zu einer steilen Karriere als Sportkletterer. Schon als Zehnjähriger bewältigte Lama schwierigste Routen. Heute sehe er sich „eher als Alpinist“, sagt David und fügt mit einem verschmitzten Lächeln hinzu: „Und auch ein bisschen als Bergsteiger.“

David Lama: Angst ist Abfallprodukt der Ungewissheit

Alles geregelt

Ein Hasardeur sei er nicht, meint der Innsbrucker. Allerdings kehre er am Berg nicht um, wenn es nicht unbedingt nötig sei. „Ich glaube, ich habe die Fähigkeit, das Risiko abzuwägen und zu bewerten. Aber es ist natürlich klar, dass ein Führerschein-Neuling schneller fährt als einer, der ihn schon seit vierzig Jahren hat.“ Denkt er auch über den Tod nach? Am Masherbrum, antwortet David, „ möchte man schon alles geregelt haben, bevor man in die Wand einsteigt.“

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Überlebt, verarbeitet: Ein Jahr nach der Manaslu-Lawine https://blogs.dw.com/abenteuersport/ueberlebt-verarbeitet-ein-jahr-nach-der-manaslu-lawine/ Tue, 29 Oct 2013 13:47:52 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=24005

Manaslu, der „Berg der Seele“

Am Jahrestag des Lawinenunglücks am Manaslu hatte Sebastian Haag „einen schweren Kater“. Er habe schlicht beim Wiesn-Anstich zum Auftakt des Münchner Oktoberfestes zu tief ins Glas geschaut, erzählt mir Sebastian beim IMS in Brixen. Mit den Ereignissen im Herbst 2012 am Manaslu habe das nichts zu tun gehabt. „Wir haben dort keine Freunde verloren. Ich habe andere Traumata erlebt, wo ich Menschen verloren habe, die ich sehr geliebt habe“, sagt der 34-Jährige. Zum Beispiel seinen Bruder. Der stürzte beim Bergsteigen in den Tod, als eine Wächte brach. „Die Erfahrung am Manaslu war dagegen – in Anführungszeichen – nur intensiv.“

 Instinktiv funktioniert

22. September 2012: Am achthöchsten Berg der Erde erwischt am frühen Morgen eine riesige Lawine gleich zwei Hochlager auf über 6000 Metern. Sebastian Haag und Benedikt Böhm entkommen der Katastrophe, weil sie ein ungutes Gefühl hatten und ihr Zelt weit abseits der anderen aufgebaut haben. Elf Bergsteiger kommen ums Leben. Dass nicht mehr Opfer zu beklagen sind, ist auch den beiden Deutschen zu verdanken. Sebastian und Benedikt graben Verschüttete aus und leisten erste Hilfe. „Wir haben einfach das gemacht, was wir für richtig gehalten haben, wir haben instinktiv funktioniert“, erinnert sich Benedikt. „Das ist eine Mischung aus Wissen, Erfahrung und unmittelbarer Wahrnehmung.“

Nicht den Schwanz einziehen

Drei Teammitglieder kehren nach dem Lawinenunglück heim, drei bleiben, darunter Böhm und Haag. „Für mich hätte ein Abschied bedeutet, dass ich den Schwanz einziehe und vor der Katastrophe weglaufe“, sagt Sebastian. „Ich blieb nicht, weil ich unbedingt den Berg noch machen wollte, sondern weil ich das Gefühl hatte, ich muss an dem Berg sitzen, ihn anschauen, mit den Leuten reden und erst einmal wahrnehmen, was da passiert ist.“ Dann brechen beide auf, um doch noch ihr Expeditionsziel zu erreichen: Nonstop vom Basislager bis zum Gipfel, von dort mit Skiern zurück ins Basislager, das Ganze innerhalb von 24 Stunden.  Die beiden haben sich bereits zuvor einen Namen als äußerst schnelle Skibergsteiger gemacht. Am Achttausender Gasherbrum II und am Siebentausender Mustagh Ata stellten sie Geschwindigkeitsrekorde für Aufstieg mit anschließender Skiabfahrt auf.

Sebastian Haag: Ich wollte nicht einfach weglaufen

Unglück ausgeblendet

Sebastian Haag (l.) und Benedikt Böhm

Diesmal erkennt Sebastian auf etwa 8000 Metern Höhe, dass nicht alles zusammenpasst, es einfach nicht sein Tag ist. Er kehrt um. „Ich wäre auf jeden Fall hochgekommen, aber ich weiß nicht, ob ich auch heruntergekommen wäre“, erzählt Haag. „In meinen jüngeren Jahren hätte ich es vielleicht versucht und mich wahrscheinlich abgeschossen, aber vielleicht hätte ich es auch geschafft.“ Benedikt erreicht den Gipfel ohne seinen Freund. Nach 23,5 Stunden ist er wieder zurück im Basislager. Rekord. Ziel erreicht. Den Gipfelerfolg widmet der 36-Jährige den Opfern der Lawine. Während des Aufstiegs habe er das Unglück jedoch „vollkommen ausgeblendet“, sagt Benedikt. „Man braucht einen hundertprozentig freien Kopf, um das Risiko richtig einschätzen zu können und die richtigen Entscheidungen zu treffen.“  

Benedikt Böhm: Katastrophe bei Gipfelgang ausgeblendet

Sehnsucht nach intensivem Leben

2014 planen die beiden Münchner wieder eine schnelle Skibesteigung eines Achttausenders. Shishapangma, Cho Oyu, Makalu und Dhaulagiri sind als Ziele in der engeren Wahl. Böhm hat ein Jahr ohne Expedition hinter sich. Er konzentrierte sich auf seine Aufgabe als Geschäftsführer eines Skitouren-Ausrüsters – und genoss viel Zeit mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn. Allerdings, räumt Benedikt selbstkritisch ein, falle es ihm „wahnsinnig schwer, einen Strandurlaub zu machen. Es ist einfach dieses intensive Leben, im Beruf, aber natürlich auch im Bergsteigen, das mir fehlt, sobald ich es nicht mehr habe.“

Benedikt Boehm: Strandurlaub fällt mir schwer

250 Kilometer durch den Dschungel

Sebastian Haag hat in diesem Jahr an vielen Trailrunning-Wettbewerben teilgenommen und auch Erfolge gefeiert. So wurde er kürzlich in Brasilien bei einem Dschungellauf über 250 Kilometer Dritter. „Beim Start war mir total egal, welche Insekten oder Schlangen da lauern, völlig wurscht. Es gibt Momente,  wo man das Gehirn ausschalten muss, und solche, wo man es anlassen muss“, sagt Sebastian.  Das Lawinenunglück am Manaslu habe ihn nicht vorsichtiger gemacht. „Natürlich kann uns, wie allen anderen auch, etwas passieren. Davor ist niemand gefeit, auch wenn du noch so vorsichtig bist. Und wenn du zu vorsichtig bist, musst du eben zu Hause bleiben, auf die Zugspitze steigen oder beim Münchner Stadtmarathon mitmachen.“

Sebastian Haag: Gehirn aus- und einschalten, je nachdem

P.S. Im Herbst 2012 waren rund 200 Bergsteiger am Manaslu, so viel wie nie zuvor. Der Grund: China hatte keine Genehmigungen für die Achttausender Shishapangma und Cho Oyu ausgestellt hatten. Auch deshalb gab es so viele Opfer. Eher ungewöhnlich war auch der Standort von Lager zwei auf 6300 Metern, wo viele Bergsteiger von der Lawine überrascht wurden. 2007 hatte unser Expeditionsleiter Ralf Dujmovits auf ein Zwischenlager in dieser Höhe verzichtet – wegen der Lawinengefahr.

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