Hoher oder höchster Punkt des Broad Peak?
Chronisten des Bergsteigens im Himalaya und Karakorum wie die Deutschen Billi Bierling und Eberhard Jurgalski sind nicht zu beneiden. Zum einen stehen sie im Zeitalter des kommerziellen Höhenbergsteigens einer regelrechten Flut von Erfolgsmeldungen gegenüber, die kaum noch zu bewältigen ist. Zum anderen werden immer wieder Gipfelerfolge vermeldet, die objektiv betrachtet gar keine waren, weil die Bergsteiger nicht den höchsten Punkt erreichten. „Es wird immer schwieriger“, erzählte mir vor einiger Zeit Billi Bierling, in deren erfahrene Hände die legendäre Chronistin Elizabeth Hawley (inzwischen 93 Jahre alte) die Verantwortung für die Arbeit der Himalayan Database gelegt hat. „Ich bohre schon nach. Aber manchmal wünschte ich mir einfach, ich hätte mehr Zeit.“ Sie gehe davon aus, dass immer noch die meisten Bergsteiger ehrlich seien, zuweilen aber werde die Wahrheit „ein bisschen verzerrt“, beklagte Billi.
Strittig ist inzwischen auch, ob der nepalesische Expeditionsleiter Mingma Gyalje Sherpa am 4. August zum Ende der Sommersaison im Karakorum wirklich seine Gruppe auf den höchsten Punkt des Broad Peak geführt hat. Eberhard Jurgalski hat Mingmas Video, das im Schneetreiben aufgenommen wurde, mit anderen Gipfelvideos und -fotos verglichen und kommt zu dem Schluss, dass die Gruppe nicht den höchsten Punkt des Achttausenders, sondern eine andere Erhebung auf dem Gipfelgrat erreicht hat, mindestens 45 Minuten Stück vom Gipfel entfernt und rund 25 Meter niedriger als dieser.
Im Zweifel lieber noch einmal
Der Schwede Fredrik Sträng, der zwar nicht zu Mingmas Team gehörte, aber zusammen mit der Gruppe aufstieg, hat inzwischen öffentlich erklärt, er beanspruche infolge der nun vorliegenden Informationen nicht mehr für sich, auf dem Gipfel gewesen zu sein. „Ich bin mir nicht mehr hundertprozentig sicher, ob wir wirklich den Hauptgipfel erreicht haben oder nicht“, schrieb Fredrik auf Facebook und kündigte an, im nächsten Jahr wiederzukommen, um den Broad Peak ohne jeden Zweifel zu besteigen. „Ich möchte hier nichts vorwerfen, aber manchmal ist es vielleicht nicht die beste Idee, einen Gipfel im Schneesturm zu besteigen, genausowenig wie jemandem blind zu vertrauen, der irritiert ist, wenn du ihn fragst: Ist das der Gipfel?“ Genau das hatte Sträng einen pakistanischen Begleiter gefragt, und das gleich dreimal. Der Pakistani, der eine Woche vorher den Broad Peak bei gutem Wetter, zum insgesamt dritten Mal in seiner Karriere bestiegen hatte, hatte Fredrik dreimal versichert, dies sei wirklich der höchste Punkt.
Mitte Juni hatte Mingma Gyalje Sherpa mit einigen Kunden – ebenfalls im Schneetreiben – den Gipfelgrat des Nanga Parbat erreicht. Anschließend hatte der 31-Jährige öffentlich erklärt, er sei sich nicht hundertprozentig sicher, ob sie wirklich ganz oben gewesen seien. Dass bei schlechtem Wetter schon einmal gerne ein Vorgipfel zum Gipfel erklärt wird, ist nicht neu. So machten es einige Bergsteiger im vergangenen Frühjahr am Makalu. Beinahe gängige Praxis ist es unter kommerziellen Expeditionen am Manaslu. Dort stellte sich nach der Herbstsaison 2016 heraus, dass die meisten der rund 150 vermeintlichen „Gipfelstürmer“ den – zugegebenermaßen nicht leicht zugänglichen – höchsten Punkt gar nicht betreten, sondern ihre „Gipfelfotos“ in der Nähe gemacht hatten.