Gerry Fiegl – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Hansjörg Auer gelingt Solo-Erstbegehung an 7000er https://blogs.dw.com/abenteuersport/hansjoerg-auer-gelingt-solo-erstbegehung-an-7000er/ Mon, 09 Jul 2018 17:30:26 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=41347

Hansjörg Auer auf dem Lupghar Sar West

Das ist ein echter Meilenstein.  Dem Österreicher Hansjörg Auer ist nach eigenen Angaben an einem Siebentausender im Karakorum die Erstbegehung einer großen Wand gelungen – und das im Alleingang. „Ich habe erstmals die Westwand des Lupghar Sar West durchklettert“, schreibt der 34 Jahre alte Extrembergsteiger aus dem Ötztal auf Instagram. „Ich nahm eine Linie auf der linken Seite (der Wand) und beendete meine Route über den steilen Nordwestgrat mit sehr lockerem Fels hinauf zum Gipfel auf 7157 Metern.“ Hansjörg war Mitte Juni zu seinem Soloprojekt nach Pakistan gereist. Sein ursprünglich vorgesehener Kletterpartner und Freund Alexander Blümel hatte wegen gesundheitlicher Probleme absagen müssen.

Vier Jahre davon geträumt

Der Berg, vom Hunza-Tal aus gesehen

„Diese Besteigung bedeutet mir unheimlich viel, weil ich davon in den letzten vier Jahren geträumt habe“, schreibt Auer. „Seit dem Kunyang Chhish East 2013 (damals gelang ihm mit seinem Bruder Matthias Auer und dem Schweizer Simon Anthamatten die Erstbesteigung dieses 7400 Meter hohen Bergs im Karakorum) wollte ich immer wissen, wie es sich anfühlt, alleine in großer Höhe unterwegs zu sein. Und ich bin glücklich, dass ich diese Erfahrung jetzt gemacht habe.“

In memoriam Gerry Fiegl

Gerry Fiegl (1988-2015)

Hansjörg Auer widmet die Erstbegehung der Westwand seinem verstorbenen Freund Gerry Fiegl.  Auer, Blümel und Fiegl hatten im Herbst 2015 die Südwand des 6839 Meter hohen Nilgiri South im Westen Nepals erstmals gemeistert. Gerry hatte im Gipfelbereich Symptome der Höhenkrankheit gezeigt und war beim Abstieg in den Tod gestürzt.

Der selten versuchte Siebentausender Lupghar Sar – übersetzt „Spitze des großen Felsens“ – hat drei fast gleich hohe Gipfel und liegt im Hunza-Gebiet im Norden Pakistans. Der Westgipfel wurde am 18. Juni 1979 erstmals bestiegen: von den deutschen Brüdern Hans und Sepp Gloggner, die zu einem achtköpfigen Expeditionsteam vom Tegernsee gehörten.

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Auer: „Kein großes Sicherheitspolster“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/auer-kein-grosses-sicherheitspolster/ Wed, 19 Oct 2016 15:18:18 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=34009 Hansjörg Auer

Hansjörg Auer

„Das Können ist des Dürfens Maß“, hat der Freikletter-Pionier Paul Preuss (1886-1913) vor mehr als hundert Jahren formuliert. Hansjörg Auer kann sehr viel und ist deshalb ein verdienter Träger des Paul-Preuss-Preises, mit dem seit einigen Jahren Spitzenkletterer in der Tradition des Österreichers geehrt werden. „Auer gehört zweifellos zu den derzeit besten Kletterern der Welt“, sagte Reinhold Messner am vergangenen Wochenende bei der Preisverleihung im Rahmen des International Mountain Summit (IMS) in Brixen in Südtirol. Inzwischen ist Hansjörg Auer aus dem heimatlichen Ötztal zu einem neuen Abenteuer aufgebrochen. Der Österreicher will zusammen mit seinem Landsmann Alex Blümel im äußersten Osten Nepals eine Nordwand erstmals durchklettern, am knapp 7000 Meter hohen Ostgipfel des Gimigela Chuli. Der Berg, dessen Hauptgipfel 7350 Meter misst, liegt versteckt hinter dem Achttausender Kangchendzönga, dem dritthöchsten Berg der Erde.

Hansjörg, kalkulierst du auch diesmal das Scheitern ein?

Natürlich. Wenn du bei einer Expedition abseits der ausgetretenen Pfade gehst, können so viele Dinge nicht funktionieren. Aber deswegen macht es auch so viel Spaß, weil man den Expeditionsbericht nicht schon zu Beginn schreiben kann.

Aber man kann auch Überraschungen negativer Art erleben – wie bei eurer letzten Expedition zur Annapurna III, wo ihr fünf Wochen lang im schlechten Wetter mehr oder weniger herumgesessen habt.

Trotzdem sind wir nicht mit leeren Händen zurückgekehrt. Wir haben sehr viele Informationen über das Projekt gesammelt und wollen auch wieder zurückkommen. Beim nächsten Mal werden wir viele Dinge anders und besser machen. Vielleicht gibt es dann einen Erfolg. Oft muss man sich herantasten, um offene Fragen beantworten zu können. Bei schwierigen Projekten kann das mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Wenn ich auf einen häufig bestiegenen Berg gehe, brauche ich dafür nur zu googeln.

Masherbrum (in der Bildmitte)

Masherbrum (in der Bildmitte)

Eines der großen noch ungelösten Probleme im Himalaya und Karakorum ist die Nordostwand des Masherbrum (7821 Meter) in Pakistan. Ihr – David Lama, Peter Ortner und du – wart 2014 dort, seid aber nicht viel weiter als bis zum Wandfuß gekommen. Hast du auch dieses Projekt noch im Hinterkopf oder konzentrierst du dich auf machbarere Aufgaben?

Wenn man ständig auf Expeditionen geht, kann man nicht immer nur sehr, sehr schwierige Projekte probieren. Man muss manchmal auch Projekte wählen, die machbarer sind, um sich durch einen Erfolg bestätigt fühlen zu können. Wenn du Jahr für Jahr irgendwohin gehst, wo die Chancen sehr gering sind, zermürbt es dich auf die Dauer. Aber das Masherbrum-Projekt lebt noch. Immer wenn wir uns treffen, reden wir darüber. Der Zeitpunkt ist noch offen. Für mich ist aber klar, dass die Wand auf der gedachten direkten Linie nicht kletterbar ist. Wir werden einen Kompromiss eingehen müssen. Der Masherbrum ist einfach saugefährlich. Den kannst du nicht jedes Jahr probieren, sonst kommst du irgendwann nicht mehr zurück.

In der Südwand des Nilgiri South

In der Südwand des Nilgiri South

Ungefähr vor einem Jahr hast du mit Alex Blümel und Gerhard, genannt „Gerry“ Fiegl erstmals die Südwand des Nilgiri South (6839 Meter) in Nepal durchstiegen. Gerry wurde höhenkrank und stürzte beim Abstieg vom Gipfel in den Tod. Verbuchst du diese Expedition unter gescheitert?

Natürlich ist es keine erfolgreiche Expedition, denn dazu gehört, dass alle Kletterer, die aufgebrochen sind, auch wieder zurückkommen. Wir können diesen Unfall nicht ungeschehen machen. Es war einer der traurigsten Momente meiner ganzen Karriere. Wenn ein Freund, mit dem du zu klettern begonnen hast, vor deinen Augen abstürzt, ist das schrecklich. Aber auch schon vorher am Gipfel konnten wir uns nicht freuen, weil wir merkten, dass irgendetwas mit Gerry nicht stimmte. Wir mussten den Gipfel überschreiten, weil der Abstieg über die Aufstiegsroute viel zu schwierig gewesen wäre. Wir hatten gehofft, dass bei Gerry durch die Euphorie des Gipfelerfolgs vielleicht noch eine Wende eintreten könnte. Wir kamen auch noch relativ weit herunter. Aber schlussendlich war das Unglück nicht zu vermeiden. Die schwierigen Klettereien in der Höhe leben von der Reduktion, sonst wären sie nicht möglich: Reduktion des Materials, des Rucksackgewichts – und auch der Sicherheit. Da gibt es einfach kein großes Sicherheitspolster mehr.

Während der Erstbesteigung des 7000ers Kunyang Chhish East in Pakistan

Während der Erstbesteigung des 7000ers Kunyang Chhish East in Pakistan

Die Öffentlichkeit vergisst solche Unglücksfälle schnell. Aber ihr müsst damit leben. Kann man ein solches Ereignis überhaupt verarbeiten?

Ich glaube, dass du das ein Leben lang nicht vergessen kannst. Es prägt natürlich. Gerry wird auch in zehn Jahren noch fehlen. Es kommen so häufig Erinnerungen an ihn auf, weil wir halt oft zusammen unterwegs waren. Dass die Öffentlichkeit es vergisst, ist ganz normal. Aber wir wollen es ja auch nicht vergessen. Man muss es in gewisser Weise akzeptieren. Uns wurde jemand geschenkt, mit dem wir sehr viel unternehmen durften. Wir hätten es uns länger gewünscht, aber vielleicht war es so vorbestimmt.

Hat dich das Unglück vorsichtiger gemacht?

Es war natürlich ein einschneidendes Erlebnis. Es hat mich zwar zum Nachdenken gebracht, aber meine Grundpersönlichkeit nicht so extrem beeinflusst, dass ich sagen würde: Ich höre damit auf. Das Klettern ist schließlich mein Leben. Natürlich war es nicht leicht, im Frühjahr wieder auf Expedition zur Annapurna III zu gehen. Die Momente sind die gleichen: der Flughafen in Kathmandu, das Hotel, das Basislager. Der Berg ist auch nicht weit entfernt vom Nilgiri South. Und dann sind wir an der Annapurna III auch noch auf den Tag genau ein halbes Jahr nach Gerrys Absturz zum Anstieg gestartet. Diese Erinnerungen kannst du einfach nicht auslöschen.

Free Solo in der Marmolada-Südwand

Free Solo in der Marmolada-Südwand

Du bewegst dich beim Extremklettern auf sehr schmalem Grat. Beim Free Solo (Hansjörg sorgte u.a. 2007 in den Dolomiten mit der ersten seilfreien Solo-Begehung der Route „Weg durch den Fisch“ in der Marmolada-Südwand für einen Paukenschlag) bedeutet jeder Fehler fast zwangsläufig den Tod. Spürst du, wie weit genau du gehen kannst?

Ich habe schon sehr früh begonnen, solo zu klettern. Das habe ich gut im Gefühl. Und nur dann mache ich es auch. In der Höhe ist es ungemein schwieriger, weil Faktoren eintreffen können, die man so nicht vermutet. Wenn man es nicht selbst erlebt hat, ist es zum Beispiel schwer vorstellbar, wie schnell es mit der Höhenkrankheit gehen kann. Dort oben darf man den Ehrgeiz, den man grundsätzlich hat, nicht zu exzessiv ausleben, denn das kann tödlich sein. Man muss noch ehrlicher zu sich selbst sein als in den Dolomiten oder an anderen Bergen der Alpen.

Das heißt, du musst lernen, auch einmal auf die Bremse zu treten?

Man muss wissen, wann es genug ist. Natürlich kann ich nicht beim ersten Zeichen umdrehen, sonst würde ich niemals weit kommen. Man muss eben das Gefühl haben, wann es das letzte Zeichen gewesen ist.

In der Höhe den Ehrgeiz zügeln

In der Höhe den Ehrgeiz zügeln

Die Projekte entstehen in deinem Kopf, du planst sie lange Zeit, du konzentrierst dich darauf. Hast du dann noch Augen und Sinne genug, auf deinen Expeditionen Land und Leute wahrzunehmen, und zu genießen, dass du in einer fremden Welt unterwegs bist?

Ehrlich gesagt, meistens nicht. Man ist dann so fokussiert auf das Projekt, dass wenig Zeit bleibt. Aber ich habe damit begonnen, jedes Jahr im Dezember für ein Wochenende ohne Kletterausrüstung in irgendeine Stadt in Europa zu fahren und sie mir anzusehen. Für mich ist das schon ein großer Schritt. Nicht immer nur Berge, Wände, Schatten, Eis, Schnee und Felsen.
Wenn man jahrelang in diesem Profigeschäft unterwegs ist, muss man aufpassen, dass man nicht den Boden unter den Füßen verliert. Man beschäftigt sich so intensiv mit seinen Projekten, dass man irgendwann glaubt, sie wären lebensnotwendig. Dann kehrst du von einer Expedition zurück und hast das Gefühl, jeder müsste sich dafür interessieren. Natürlich sind Abenteuergeschichten immer interessant, aber man muss doch am Boden bleiben und wissen: Es gibt auch andere wichtige Dinge.

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Hansjörg Auer: „Gerry fehlt“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/hansjoerg-auer-gerry-fehlt/ Wed, 23 Dec 2015 13:14:48 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=31559 Auf dem Gipfel: Fiegl, Blümel, Auer (v.l.)

Auf dem Gipfel: Fiegl, Blümel, Auer (v.l.)

Es ist ein alpinistisches Glanzlicht, über dem ein Schatten liegt. Ende Oktober kletterten – wie berichtet – die Österreicher Hansjörg Auer, Alexander Blümel und Gerhard Fiegl als Erste durch die Südwand des 6839 Meter hohen Nilgiri South im Annapurna-Massiv in Nepal. Bei fünf Expeditionen zuvor hatten sich Spitzenkletterer aus Japan, Tschechien und der Slowakei die Zähne an der Wand ausgebissen. Der Erfolg des österreichischen Trios schlug in eine Tragödie um: Drei Tage nach seinem 27. Geburtstag stürzte der offenkundig höhenkranke Gerry beim Abstieg vom Gipfel mehrere hundert Meter tief in den Tod – vor den Augen seiner beiden entsetzten Teamgefährten. Einige Tage später wurde die Suche nach Fiegl abgebrochen.

Hansjörg Auer hat sich bei der Expedition sechs Zehen angefroren. Das Gefühl in den Zehen sei inzwischen zurückgekehrt, erzählt mir der 31-Jährige. Er könne wieder klettern. Im Frühjahr will er mit seinem Landsmann David Lama zu einem „lässigen, sehr schwierigen Ziel“ aufbrechen. Wo es liegt, verrät er noch nicht. Ich habe mit Hansjörg über die Geschehnisse Ende Oktober gesprochen.

Hansjörg, mit der Erstbegehung der Südwand des Nilgiri South ist euch ein echtes Glanzlicht gelungen. Auf dem Abstieg aber stürzte euer Teamgefährte Gerry Fiegl in den Tod. Drängt dieses tragische Ende alles andere in den Hintergrund?

Im Moment natürlich schon, weil zu einer schönen Tour ein positiver Ausgang gehört. Und Gerrys Tod war das Schlimmste, was passieren konnte. Alex und ich versuchen, uns vor allem an den Aufstieg zu erinnern, als es Gerry noch gut ging. Die Linie und die Kletterei waren wirklich außergewöhnlich.

In der Wand auf etwa 5900 Metern

In der Wand auf etwa 5900 Metern

Lass‘ uns zunächst über die Durchsteigung der Wand reden. Wie waren die Verhältnisse in der Wand und die Schwierigkeiten, die ihr überwinden musstet?

Die Wand sieht von weitem eisfrei aus, doch es gibt dort sehr viel so genanntes „black ice“, schwarzes Eis. Wir haben unsere Route im rechten Teil gewählt, der eigentlich eine schattige Westwand in der Südwand ist. Deshalb hing dort viel Eis und es war eine sehr steile Kletterei – viel schwieriger als etwa am Kunyang Chhish East. [Hansjörg gelang 2013 mit seinem Bruder Matthias und dem Schweizer Simon Anthamatten die Erstbesteigung des 7400 Meter hohen Gipfels im Karakorum]. Der erste Tag war brutal. Wir fanden unterhalb von 6500 Metern keinen Biwakplatz, deshalb krochen wir erst um fünf Uhr am Nachmittag in den Biwaksack. Am zweiten Tag kletterten wir über einen Felsturm, der mit etwa 6780 Metern höher war, als wir vermutet hatten. Anschließend mussten wir über einen sehr exponierten, steilen Grat, teilweise auch abseilen. Nach einem weiteren Biwak sind wir dann zum Südgipfel aufgestiegen, relativ kurz, technisch nicht zu schwer.
Der Abstieg über den Südwestgrat war schwieriger, als wir erwartet hatten. Es ist immer problematisch, wenn man auf hohen Bergen die „goldene“ Regel verlassen muss, auf der Aufstiegsroute auch wieder zurückzukehren. Aber am Nilgiri South war es nicht anders möglich, weil die Aufstiegsroute viel zu schwierig war. Außerdem war im unteren Wandteil die Steinschlaggefahr so hoch, dass wir uns ihr nicht ein zweites Mal aussetzen wollten.

Ihr habt beim Aufstieg dreimal biwakieren müssen. Seid ihr auf dem Zahnfleisch oben eingetroffen?

Alex und mir ging es gut. Am ersten Tag waren wir alle am Limit, aber die beiden anderen Aufstiegstage dauerten nicht so lange. Doch am Ende hat sich alles um Gerry gedreht. Wir haben versucht, es so hinzukriegen, dass es für ihn in seinem Gesundheitszustand möglich war.

Am Nilgiri Spire (6780 m)

Am Nilgiri Spire (6780 m)

Gerry ging es am Gipfel plötzlich sehr schlecht. War euch da schon bewusst, dass er wahrscheinlich höhenkrank war?

Am Morgen des Gipfeltags haben wir erstmals gemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Wir dachten erst, er sei einfach nur erschöpft. Es waren nur noch etwa 200 Höhenmeter. Wir hofften, dass ihm die Euphorie des Gipfelerfolgs helfen würde und wir dann so schnell wie möglich auf der anderen Seite absteigen könnten. Gerry war ein ausgezeichneter Bergsteiger und Kletterer, aber das war nicht mehr der leistungsstarke Gerry, wie wir ihn kannten. Wir mussten auf 6500 Metern erneut biwakieren.

Ihr habt dann versucht, eine Rettungsaktion per Helikopter zu organisieren. Woran ist sie gescheitert?

Am Gipfeltag wehte der Wind mit 45, am Tag danach mit 70 Stundenkilometern. Dazu war es sehr, sehr kalt. Bei diesen Bedingungen ist eine Rettungsaktion an so einem exponierten Grat einfach nicht möglich.

Nach der Biwaknacht seid ihr Richtung Basislager abgestiegen. Wie ist das Unglück passiert?

In der Nacht war es schon echt schlimm. Wir haben versucht, Gerry zu helfen, so gut es ging, wobei uns schon klar war, dass es sehr eng würde. Am nächsten Morgen ging es Gerry wieder einigermaßen, und wir stiegen weiter über den steilen, eisigen Grat ab. Wir konnten nicht einfach abseilen, sondern mussten den Grat abklettern. An einer vermeintlich leichteren Stelle ist er dann abgestürzt. Im Nachhinein ist es fast schon erstaunlich, dass Gerry es in seinem Zustand noch von knapp 7000 auf etwa 6000 Meter herunter geschafft hat. Das ist wohl seiner Leistungsfähigkeit und seinem Ehrgeiz anzurechnen.

Aufstiegs- (r.) und Abstiegsroute (l.) mit Biwakplätzen

Aufstiegs- (r.) und Abstiegsroute (l.) mit Biwakplätzen

Warum hattet ihr Gerry nicht am Seil?

Wir waren im Alpinstil unterwegs, das heißt einfach Reduktion auch von Material. Dann bist du gewohnt, in einfacherem Gelände seilfrei zu gehen, damit du schneller vorwärts kommst. Wenn du dich zu dritt anseilst, müsstest du alles sichern. Du kannst am Südwestgrat des Nilgiri South nicht einfach wie in den Alpen am kurzen Seil gehen.

War euch direkt klar, dass Gerry den Absturz unmöglich überlebt haben konnte?

Ja. Aber am Anfang will man es einfach nicht glauben. Man sitzt da und weiß nicht, was man machen soll. Man weint, geht hundert Meter weiter, setzt sich wieder hin und weint erneut. Man kann es wahrscheinlich ein Leben lang nicht verstehen, aber versucht es zu akzeptieren. Das Risiko ist bei unserem Sport einfach da.

Glaubst du, dass das Unglück deine eigene Risikobereitschaft verändern wird?

Ich glaube nicht. Ich habe mich in den vergangenen Jahren immer wieder sehr intensiv mit dem Thema Gefahr auseinandergesetzt. Das musst du einfach, wenn du auch free solo kletterst – wie ich in diesem Jahr am Heiligkreuzkofel. [Hansjörg kletterte an dem Berg in den Dolomiten die schwierige Route „Mephisto“ erstmals im Alleingang und ohne Absicherung.]  Natürlich kann ich jetzt nicht gleich zur Tagesordnung übergehen. Gerry war ein guter Freund, er fehlt. Aber ich hoffe, dass es mit der Zeit besser wird. Die Leidenschaft fürs Klettern ist einfach so stark, dass ich wieder auf Expedition gehen werde.

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Auer: „Alles andere verliert an Bedeutung“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/auer-alles-andere-verliert-an-bedeutung/ Thu, 05 Nov 2015 08:33:17 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=31071 Route der Österreicher in der Südwand des Nilgiri South

Route der Österreicher am Nilgiri South

Jeder, der selbst schon einmal einen sehr hohen Berg bestiegen hat, weiß um die Gefahren beim Abstieg. Nicht jene, vor die dich der Berg stellt, sondern dein eigener Körper. Plötzlich scheint alles Adrenalin verbraucht, du spürst Schmerzen, die du beim Aufstieg noch weggedrückt hast, bist erschöpft, willst nur noch schnell nach unten, drohst die Konzentration zu verlieren. Nicht umsonst passieren daher viele Unglücke beim Abstieg – wie jenes am 6839 Meter hohen Nilgiri South in Nepal, wo der Österreicher Gerhard Fiegl am Montag vergangener Woche mehrere hundert Meter abstürzte und seitdem vermisst wird. Die Suche nach dem 27-Jährigen wurde – wie berichtet – eingestellt.
Nach Angaben der beiden anderen Teammitglieder Hansjörg Auer und Alexander Blümel hatte das Trio am Tag zuvor „nach drei Tagen äußerst schwieriger und anspruchsvoller Kletterei durch die mehr als 1.500 Meter hohe Südwand erfolgreich den Gipfel“ erreicht. Damit war den Österreichern die erstmalige Durchsteigung der Wand gelungen, an der in den letzten Jahrzehnten einige andere Expeditionen gescheitert waren. Am Gipfel hätten sie bei Gerry „starke Erschöpfungserscheinungen“ festgestellt, berichten Hansjörg und Alex. Handelte es sich um Symptome der Höhenkrankheit? Der rasche Leistungsabfall Fiegls könnte dafür sprechen. In dieser Höhe wird der Sauerstoff nur noch mit rund 40 Prozent des Drucks in die Lungen gepresst wie auf Meereshöhe.

Ungeplantes Biwak

Am Gipfel: Fiegl, Blümel und Auer (v.r.)

Am Gipfel: Fiegl, Blümel und Auer (v.r.)

„Am Gipfel lagen wir uns noch in den Armen und freuten uns gemeinsam über die erfolgreiche Besteigung der Südwand“, sagt Auer. „Innerhalb kürzester Zeit war die Situation aufgrund Gerrys Zustands extrem angespannt.“ Wenige hundert Meter unter dem Gipfel beschlossen die drei Kletterer zu biwakieren. Im Basislager versuchte der Fotograf Elias Holzknecht, eine Rettungsaktion zu organisieren. Starker Wind machte jedoch den Start eines Hubschraubers unmöglich. Nach der Biwaknacht schien sich Gerrys Zustand leicht gebessert zu haben, das Trio setzte den Abstieg fort. Gegen 14 Uhr Ortszeit verlor Fiegl dann am Südwestgrat das Gleichgewicht und stürzte vor den Augen seiner geschockten Freunde rund 800 Meter in die Tiefe.

Hubschrauber-Suche erst zwei Tage später möglich

Hansjörg und Alex stiegen ins Basislager ab. Starker Schneefall behinderte die sofort eingeleitete Suchaktion, erst zwei Tage nach dem Unglück konnte erstmals ein Hubschrauber starten. Die Suche nach Gerry blieb erfolglos. Am 1. November kehrten die anderen Expeditionsmitglieder nach Österreich zurück. „Wenn ein langjähriger Freund vor deinen Augen in den Tod stürzt, verliert in diesem Moment alles andere an Bedeutung“, sagt Hansjörg Auer. „Unsere gemeinsame Expedition hätte kein schlimmeres Ende nehmen können.“ Wie Auer ist auch Alexander Blümel „sehr traurig über den Verlust unseres Freundes. Aber die Erinnerung an die intensive Zeit, die ich mit Gerry erleben durfte, kann mir niemand nehmen.“

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Suche nach Gerry Fiegl eingestellt https://blogs.dw.com/abenteuersport/suche-nach-gerry-fiegl-eingestellt/ Tue, 03 Nov 2015 10:17:52 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=31035 Gerhard Fiegl (1988-2015)

Gerhard Fiegl (1988-2015)

Aus den schlimmsten Befürchtungen ist traurige Gewissheit geworden. Der österreichische Bergsteiger Gerhard, genannt Gerry Fiegl, kehrt nicht mehr zurück. Die Suche nach dem 27-Jährigen sei eingestellt worden, informiert mich Reiner Gerstner, Unternehmenssprecher des Outdoor-Sportartikelherstellers Salewa. Fiegl gehörte seit acht Jahren zum Salewa-Athletenteam, um das sich Gerstner kümmert: „Nach Informationen aus Nepal bestand keine Hoffnung mehr, Gerry noch lebend zu finden.“ In den letzten Tagen seien in der Annapurna-Region ein bis anderthalb Meter Neuschnee gefallen. Am Montag vergangener Woche war Fiegl beim Abstieg vom 6839 Meter hohen Nilgiri South mehrere hundert Meter tief abgestürzt. Gerry hatte zuvor zusammen mit seinen Landsleuten Hansjörg Auer und Alexander Blümel erstmals die schwierige Südwand des Bergs durchstiegen, an der in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Expeditionen gescheitert waren. „So nahm eine bis dahin erfolgreiche Expedition ein tragisches Ende“, sagt Gerstner. „Wir trauern um einen Freund. Gerry war ein Großer.“

Nonstop auf den Fitz Roy

Gerhard im August 2015 in den Wendenstöcken im Wallis

Gerry in den Wendenstöcken (August 2015)

Gerhard Fiegl gehörte zu den Besten der jungen österreichischen Bergsteiger-Generation. 2014 kletterte Gerry zusammen mit seinem Südtiroler Freund Simon Gietl nonstop in nur 21,5 Stunden auf den Gipfel des legendären Granitbergs Fitz Roy in Patagonien. Nach 31,5 Stunden waren die beiden wieder zurück am Ausgangspunkt. Auch mit seinen Partnern vom Nilgiri South gelangen Fiegl spektakuläre ambitionierte Touren. So eröffnete Gerry mit Alex Blümel 2013 eine neue Felskletter-Route am Gargoyle in Alaska und im Frühjahr 2015 mit Hansjörg Auer im heimatlichen Ötztal eine ambitionierte Mixed-Route. Im Sommer hatte Fiegl seine Bergführer-Ausbildung abgeschlossen.

„Es mag abgedroschen klingen, aber das Wichtigste im Leben sind nicht Berge, Klettertouren und Schwierigkeitsgrade, sondern Gesundheit und Zufriedenheit“, schrieb Gerry. „Jeder von uns weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, gesund und fit zu sein, sondern dass sich diese Situation von einer Sekunde auf die nächste ändern kann.“ R.I.P., oder wie die amerikanischen Bergsteiger sagen: Climb on.

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