Tima Deryan: Eine starke arabische Frau auf dem Weg zum Everest
Sie passt so gar nicht in das Klischee, das viele Menschen im Westen von arabischen Frauen haben. Fatima, genannt Tima, Deryan steht nicht im Schatten eines Mannes. Sie ist weltoffen, selbstbewusst und selbstständig. Sie hat in Dubai, wo sie lebt, ein Unternehmen gegründet – und sie ist Bergsteigerin: Fünf der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente, hat Tima bereits bestiegen. Der Mount Everest und der Mount Vinson in der Antarktis fehlen ihr noch in ihrer Sammlung.
Am 23. März wird die 26-Jährige nach Nepal fliegen, um den höchsten Berg der Erde zu besteigen. Auf dem Trekking ins Everest-Basislager wird Tima sicher besonders auf die Yaks achtgeben. Als sie im Oktober 2017 auf dem Weg zum Island Peak zwischen Phakding und Namche Bazaar gerade eine Brücke über den Dudh Kosi überquert hatte, wurde sie von einem Yak angegriffen und zu Boden geworfen. Die Hörner trafen sie am Oberschenkel, Deryan wurde leicht verletzt.
Tima, wie kamst du überhaupt zum Bergsteigen?
Ich wurde in Kuwait geboren. Meine Familie zog in den Libanon, als ich zwei Jahre alt war, und dann nach Dubai, als ich neun war. Ich habe eigentlich immer Sport getrieben. Als Teenager habe ich Bodybuilding gemacht, mit 16 Bungee- Jumping. Dann begann ich zu tauchen, später Fallschirm zu springen.
2015 hörte ich einen Vortrag Omar Samras, des ersten Ägypters, der den Everest bestieg. Das erinnerte mich an ein Ziel, das ich schon lange mit mir herumtrug: Seit ich 14 Jahre alt war, wollte ich immer den Everest besteigen. Ich habe fünfmal Nepal besucht, bin zweimal über den Everest geflogen und habe immer gesagt: Eines Tages stehe ich auf dem Gipfel dieses Bergs. Also machte ich den ersten Schritt, um zu sehen, ob mir Bergsteigen gefällt oder nicht: Ich bestieg den Elbrus in Russland. Danach war ich süchtig, und mein Weg als Bergsteigerin begann.
Wie würdest du selbst deinen Charakter beschreiben?
Ich bin eine starke Frau, sowohl physisch, als auch mental. Ich lache gerne und genieße die einfachen Dinge des Lebens. Für mich geht es vor allem um Erfahrung, nicht um das Materielle. Ich habe zwei Jobs, wenn ich nicht in den Bergen bin – den einen im Finanzsektor, dazu mein eigenes Unternehmen. Das bedeutet, ich arbeite hart für mein Geld.
Ich bin ein lauter Mensch, wenn ich glücklich bin und versuche, das einigermaßen unter Kontrolle zu halten. In meiner aktuellen Lebensphase würde ich sagen, ich bin sowohl extro-, als auch introvertiert. Ich glaube an „Mind over Matter“ (frei übersetzt: Alles eine Sache des Willens). Ich versuche, zu jeder Zeit ein positives, ausgeglichenes und glückliches Leben zu führen.
Welche deiner Eigenschaften helfen dir in den Bergen am meisten?
Der Glaube an meine Stärke, meine positive Lebenseinstellung, das Lachen (besonders wenn die Höhe zuschlägt) und natürlich, dass sich alles um „Mind over Matter“ dreht. Um mich daran zu erinnern, habe ich es auch auf meine Hand tätowiert.
Was bedeutet dir das Bergsteigen heute?
Ganz ehrlich, ich würde mir wünschen, Bergsteigen wäre mein Beruf, aber das funktioniert in meiner Welt nicht. Meine Träume sind groß und ich muss eine Menge Geld verdienen, um sie zu erfüllen. Bergsteigen ist für mich eine Flucht aus dem normalen Leben in der Stadt und aus der Mainstream-Welt. Es bedeutet für mich, meine positive Energie wieder aufzufüllen und mein Selbstvertrauen zu stärken. Es bedeutet, mit mir selbst in Einklang zu sein, Grenzen zu verschieben und dabei glücklich zu sein. Es bedeutet, meine Gedanken wieder ins Gleichgewicht zu bringen und mental zu gesunden. Bergsteigen ist für mich im wahrsten Sinne des Wortes mein Himmel auf Erden und mein Glücksplatz.
Wie bereitest du dich auf den Everest vor?
Obwohl ich so lange vom Everest geträumt habe, wurde mir erst in dem Augenblick, als ich mich entschloss, ihn anzugehen, richtig bewusst, dass die Expedition zwei Monate dauern wird! Als Neuling bin ich erst einmal drei Jahre Bergsteigen gegangen. Erst dann hatte ich ausreichend Selbstvertrauen und genug gelernt, um so eine Entscheidung zu treffen.
Zum Training: Von sechs bis sieben Uhr morgens mache ich Krafttraining, dann folgt ein langer Arbeitstag. Wenn ich abends nach Hause komme, mache ich mein HIIT (Hochintensives Intervalltraining). Ein- oder zweimal pro Woche laufe ich zehn Kilometer, zwei-, dreimal die Woche trainiere ich in der Kletterhalle. Und am Wochenende gehe ich immer wandern.
Wie finanzierst du die Expedition?
Ich bin ein Minimalist. Ich lebe bei meiner Familie, deshalb gebe ich wirklich nicht viel von dem aus, was ich verdiene. Ich investiere alles in die Berge und für Reisen. Der Everest ist auch eine Art Start-Event für meine neue Firma „Yalla Cleaning“ (ein Online-Portal für die Reinigungsbranche). Ein Teil meiner Initiative ist es, dazu beizutragen, den Everest sauberer zu machen. Deshalb stehe ich aktuell mit den Nepalesen in Verbindung, um zu klären, wie ich dabei helfen kann, ein System zu entwickeln, um den Müll vom Berg zu bringen.
Mit welchen Erwartungen gehst du an den Everest?
Ich denke, jeder, der sich an einem Berg versucht, hat auch das Ziel, den Gipfel zu erreichen. Am Everest will ich definitiv ganz oben stehen, bin mir aber durchaus bewusst, dass die Dinge ganz anders laufen können, als ich erwarte. Es ist bereits schön, dass ich überhaupt die Chance habe, rund 50 Tage auf diesem Berg zu verbringen und meine Erfahrungen zu sammeln. Aber das Sahnehäubchen wäre natürlich, mit einem Gipfelerfolg heimzukehren. Ich habe nicht allzu viele Erwartungen – außer Kälte, Aluminiumleitern, Khumbu-Eisfall, Gletscherspalten und dem epischen Basislagerleben!
Eine Frau als Bergsteigerin – davon gibt es nicht viele in der von Männern dominierten arabischen Welt. Welche Widerstände musstest du überwinden?
Ich weise ständig darauf hin, dass sich die arabische Welt in einer Übergangsphase befindet. Es ist wahr, dass sie von Männern dominiert wird, aber Frauen steigen allmählich in allen Bereichen auf. Sie erreichen, was früher für unmöglich gehalten wurde, ob im Fitnessbereich, im Geschäftsleben, der Kultur, der Musik oder in der Unterhaltungsbranche.
Als ich mit dem Bergsteigen begann, war es für mich schwierig, meine Familie davon zu überzeugen, alleine unterwegs zu sein, möglicherweise auch von der Außenwelt abgeschlossen, sodass sie eine Weile nichts von mir hören. Es war hart für sie, dies zu akzeptieren, aber letztlich gelang es mir, sie zu überzeugen. Ansonsten habe ich wirklich nicht viele Schwierigkeiten überwinden müssen, um meine Leidenschaft ausleben zu können.
Was die Gesellschaft anbelangt, erfahre ich normalerweise viel Respekt sowohl von Männern als auch von Frauen. Wie in jeder anderen Ecke der Welt, gibt es auch hier Leute, die denken, dass ich verrückt bin und vor einer komplizierten Zukunft stehe. Ich mache mir nicht wirklich die Mühe, es zu erklären. Ich klettere einfach mehr und beweise so, dass sie sich irren. Am Ende des Tages dreht sich doch alles um Taten.
Wie reagieren arabische Männer auf deine Bergerfolge? Wie arabische Frauen?
Sowohl arabische Männer als auch Frauen reagieren auf eine sehr schöne Weise. Es macht mich so glücklich zu hören: „Wir sind stolz auf dich.“ Einige Männer fordern mich auch heraus, um zu beweisen, dass sie mir in puncto Fitness überlegen sind. Aus Spaß mache ich mit. Aber es spielt keine Rolle, ob ich dabei gewinne oder verliere. Wichtig ist, dass meine Botschaft durchdringt: Frauen sind starke Geschöpfe mit einer hohen Schmerzgrenze.
Gibt es auch eine Botschaft, die du arabischen Frauen mit auf den Weg geben willst, indem du auf den Everest steigst?
Ja. Mit meiner Everest-Besteigung möchte ich zeigen, dass eine arabische Frau in der Lage ist, alle Arten von Einschränkungen zu bekämpfen, die ihr die Gesellschaft auferlegt. Sie kann sich ihre Freiheit nur durch Taten verdienen. Wenn sie etwas will, muss sie wirklich hart arbeiten, um es zu bekommen! Stark zu sein, bedeutet nicht, nicht feminin genug zu sein. Stark zu sein, ist viel attraktiver als „weich“ zu sein.
Arabische Frauen befinden sich immer noch in der Phase, in der sie ihre Unabhängigkeit erlangen und Dinge selbst in Angriff nehmen. Die meisten Frauen empfinden es noch immer als schwer, auf eigenen Füßen zu stehen. Wenn ich also den Everest besteigen kann und nur von mir selbst abhängig bin, signalisiert es ihnen, dass auch sie alles schaffen können. Alles, was man dazu braucht, ist Mut und harte Arbeit.
Ich möchte, dass arabische Frauen wissen, dass sie schön sind, dass sie stark sind und dass sie die Welt erobern können. Aber nur mit der richtigen Einstellung.
P.S. Die erste arabische Frau auf dem Everest war übrigens die Palästinenserin Suzanne Al Houby, die im Frühjahr 2011 den höchsten Punkt auf 8850 Metern erreichte.