Zwei Wochen auf einem Quasi-7000er
Dieser Siebentausender hat weder einen Gipfel, noch bietet er eine beeindruckende Aussicht. Er erstreckt sich auf eine Fläche von nur rund 110 Quadratmetern – und steht auf dem Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Eine Hypoxiekammer innerhalb des medizinischen DLR-Forschungslabors „:envihab“ – der Name steht für environment (Umwelt) und habitat (Lebensraum) – wird in den kommenden Monaten wohnlich eingerichtet.
Vier Wochen in der Kammer
Mitte Mai werden dann Ralf Dujmovits, der bisher einzige deutsche Bergsteiger, der auf allen 14 Achttausendern stand, und seine Partnerin, die kanadische Kletterin Nancy Hansen, dort für vier Wochen einziehen. Sie nehmen an einer hochinteressanten Hypoxiestudie teil, die das DLR in Kooperation mit der Universität Texas durchführt. Die Vermutung: Obwohl extremer Sauerstoffmangel das Leben bedroht, gibt es wohl auch einen positiven Effekt auf den Körper.
Stärkeres Herz durch Hypoxie?
US-Forscher aus Texas stellten bei zwei Experimenten mit Mäusen fest, dass sich Herzmuskelzellen teilten, wenn die Tiere zwei Wochen lang einem Sauerstoffmangel ausgesetzt waren, der den Verhältnissen auf 7000 Metern entsprach. Bei Mäusen, bei denen man vorher einen Herzinfarkt verursacht hatte, verbesserte sich die Herzfunktion nach zwei Wochen Hypoxie.
Jetzt soll getestet werden, ob dieser Effekt auch bei Menschen eintritt. Dazu werden Dujmovits und Hansen, beide kerngesund, als Probanden der Pilotstudie zwei Wochen in einer sauerstoffreduzierten Umgebung verbringen, die vergleichbar mit 7000 Meter Meereshöhe ist. „Wir erwarten auch bei ihnen als gesunde, trainierte Probanden, dass die Herzleistung steigt“, sagt DLR-Mediziner Dr. Ulrich Limper beim ersten von mehreren Voruntersuchungsterminen in Köln. Für eine weiterführende Studie wird derzeit als Testperson ein erfahrener Bergsteiger gesucht, der sich zum einen bereits in Höhen von deutlich über 7000 Metern aufgehalten, zum anderen einen Herzinfarkt erlitten hat. Auch er soll dann zwei Wochen unter hypoxischen Bedingungen verbringen – natürlich erst, nachdem er sich von dem Infarkt vollständig erholt hat.
Sofortiger Abbruch möglich
Ralf und Nancy wollen sich zunächst an Bergen im Schweizer Wallis vorakklimatisieren und sich dann Mitte Mai in die Hypoxiekammer in Köln begeben. In den ersten zwei Wochen wird die simulierte Höhe von gut 3000 auf 7000 Meter gesteigert, indem Stickstoff zugeführt und damit die Sauerstoffkonzentration langsam auf acht Prozent (normalerweise liegt sie bei 21 Prozent) gesenkt wird. Die letzten beiden Wochen sollen Dujmovits und Hansen dann gewissermaßen auf 7000 Metern durchstehen. Anders als auf den Bergen bleibt der Luftdruck in der Kammer dabei jedoch konstant, sodass das Experiment bei Komplikationen sofort beendet werden könnte.
„Eigentlich total verrückt“
Er habe sich über die bisher vorliegenden Erkenntnisse zu langer Höhenexposition schlau gemacht, sagt Ralf Dujmovits. „Zudem bin ich aus der eigenen Erfahrung zahlreicher Nächte in Serie oberhalb von 7000 Metern zur Überzeugung gekommen, dass sich das Risiko in überschaubaren Grenzen hält. Und falls es überraschend doch Probleme geben sollte, können wir jederzeit den Roten Knopf drücken und die Studie abbrechen.“ Nancy Hansen räumt ein, dass sie ein mulmiges Gefühl hat. „Natürlich bin ich wegen des Risikos nervös. Es ist eigentlich total verrückt, zwei Wochen lang quasi auf 7000 Metern zu leben“, sagt die 49-Jährige. „Auf der anderen Seite können Ralf und ich jederzeit aussteigen, sollte es uns schlecht gehen. Ich frage mich eher, ob es langfristige negative Folgen gibt.“
Herzattacken in der Familie
Dujmovits hatte als junger Mann begonnen, Medizin zu studieren, ehe er sich voll und ganz den Bergen verschrieb. Das Interesse insbesondere an Fragen der Höhenmedizin sei geblieben, sagt der erfolgreichste deutsche Höhenbergsteiger. „Eventuell zu neuen Erkenntnissen im Bereich der Herzinfarktforschung beitragen zu können, finde ich faszinierend und spannend zugleich. Zudem habe ich die Möglichkeit, nochmal deutlich mehr über meinen Körper und seine Reaktion auf Hypoxie zu erfahren.“ Darauf verweist auch Nancy Hansen, die zusätzlich noch ein familiäres Argument für ihre Teilnahme an der Studie anführt: “Mein Vater hatte vor 14 Jahren eine massive Herzattacke. Mein Onkel starb an einem Infarkt. Mein junger Neffe hatte zwei 16-stündige Operationen am offenen Herzen. Das Thema ist mir wirklich sehr wichtig.“
Interessant für Erde und Weltall
Das gilt auch für das DLR. „Wir lernen nicht nur etwas über die Grenzen des Körpers von hochtrainierten und spezialisierten Personen, die mit Piloten oder Astronauten vergleichbar sind und für diese als Studienmodell dienen können, in unserem Fall Nancy und Ralf“, sagt Ulrich Limper, „ sondern wir haben auch die Chance, die Therapie einer akuten Herzerkrankung zu verbessern, was vor allem den Patienten auf der Erde helfen würde.“