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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Moro: „Winter-Bergsteigen ist Alpinismus pur“

Simone Moro in Köln

Simone Moro in Köln

Der Mann kann die Finger nicht vom Winterbergsteigen lassen. Drei Winter-Erstbesteigungen von Achttausendern hat der Italiener Simone Moro auf seinem Bergsteiger-Konto: Shishapangma (2005), Makalu (2009) und Gasherbrum II (2011). „Ich habe bereits zwölf Expeditionen im Winter gemacht“, erzählt mir der 47-Jährige, als ich ihn in meiner Heimatstadt Köln treffe. „Das macht zusammen viele Monate.“ Ich will natürlich wissen, was er als Nächstes plant:

Simone, du hast die meisten der letzten Winter an Achttausendern verbracht. Was steht diesmal an?

Ich bereite ein neues Projekt vor, das aber noch geheim ist. Nicht weil ich etwas zu verbergen hätte, sondern weil ich noch auf die Besteigungsgenehmigung warte. Zu Beginn des Winters hatte ich eine Idee, habe dafür aber keine Genehmigung der chinesischen Behörden erhalten. Ich musste meinen Plan ändern. Deshalb möchte ich ihn nicht bekanntgeben, bevor ich nicht hundertprozentig sicher bin. So viel kann ich dir sagen: Ich werde erst Anfang 2015 aufbrechen, ziemlich spät, aber immer noch im Winter.

Wie viel kannst du verraten? Wird es wieder ein Achttausender sein? Es gab das Gerücht, du wolltest die erste Winterbesteigung des Mount Everest von der Nordseite aus versuchen.

Das war eine meiner Ideen, aber nicht die letzte. Es war unmöglich, weil die Chinesen mir nicht die Genehmigung erteilt haben. Sie haben mir mitgeteilt, dass Tibet vom 31. Dezember bis Ende März für Bergsteiger gesperrt sei. Jetzt habe ich immer noch mehr als eine Idee. Eine davon ist die ursprüngliche, ein Achttausender. Aber es ist noch nicht sicher, dass es wirklich ein Achttausender wird. Ich gehe davon aus, dass in Kürze die erste Seite der Achttausender-Erkundung zugeklappt wird, wenn auch der Nanga Parbat und der K 2 erstmals im Winter bestiegen sind. Aber es wird auch eine zweite Seite geben, etwa mit Winterbesteigungen von Sechs- oder Siebentausendern. Irgendetwas in der Art wird es sein.

Simone am Nanga Parbat (© The North Face)

Simone am Nanga Parbat (© The North Face)

Haben die Chinesen dir mitgeteilt, warum sie deinen Antrag abgelehnt haben?

Nein.

Vielleicht wegen deiner Süd-Nord-Überschreitung des Everest im Jahr 2006? Damals musstest du eine Strafe zahlen, weil du ohne Genehmigung über die Nordseite abgestiegen warst.

Nein. Ich war anschließend ja schon in Tibet. Die Chinesen versuchen einfach, die Ausländer möglichst fernzuhalten. Der Anteil der Touristen aus dem Ausland liegt gerade mal bei zehn bis 15 Prozent, mehr als 85 Prozent der Touristen sind Chinesen. Sie brauchen keine Bergsteiger aus dem Ausland, schon gar nicht im Winter. Ich bin wirklich froh, dass ich die Shishapangma im Winter besteigen konnte. Das war bisher die einzige komplette Winterbesteigung in China.

In diesem Winter wird es Expeditionen zum Nanga Parbat und K 2 geben. Warum hast du dich nicht einer von ihnen angeschlossen?

Wenn ich auf Winterexpedition gehe, möchte ich den richtigen Partner dabei haben. Meine Partner, mit denen ich sonst unterwegs bin, Denis Urubko und David Göttler, wollten nicht noch einmal zum Nanga Parbat aufbrechen. Denis fürchtet sich vor dem Terrorismus, David möchte diesen Winter zu Hause bleiben. Es gibt mindestens zwei weitere Expeditionen am Nanga Parbat, das ist nicht das, was ich suche. Ich möchte mich in keinen Wettkampf stürzen, daher überlasse ich das Projekt den anderen. Und um den K 2 mache ich einen Bogen, weil ich meiner Frau versprochen habe, dass ich den K 2 niemals im Winter versuchen werde. Sie hatte eine schlimme Vorahnung, eine Art Traum, dass ich sterbe werde, wenn ich den K 2 im Winter versuche. Sie liegt mit ihren Vorhersagen ziemlich oft richtig. Deshalb will ich gar nicht erst anfangen, damit zu spielen.

Im Winter ist es an den Achttausendern verdammt kalt und windig. Worin liegt für dich der besondere Reiz von Winterexpeditionen?

Wenn du dich im Winter an irgendeinem Berg im Himalaya versuchst, fühlst du dich nicht einfach nur als Bergsteiger, sondern wie ein Entdecker. Du klettert nicht nur, du betrittst Neuland. Selbst wenn du ohne Gipfelerfolg heimkehrst, ist es kein Scheitern, sondern die pure Entdeckung. Niemand ist um dich herum, nichts ist einfach, es ist wie ein andauerndes tägliches Fragezeichen: Bin ich stark genug, es im Basislager auszuhalten? Oder nach Lager 1 aufzusteigen? Selbst der Berg, den du vielleicht schon einmal im Frühjahr oder Sommer bestiegen hast, hat sich verändert: Er ist völlig mit Schnee bedeckt, ohne Fixseile, ohne Fußspuren. Das ist Alpinismus pur, wie in früheren Zeiten – auch wenn du nur eine Erfolgschance von zehn Prozent hast, zu 90 Prozent also scheitern wirst.

Simone Moro über Winter-Expeditionen

Kann man die Einsamkeit an Achttausendern wirklich nur noch im Winter finden?

Ganz sicher. Der Berg, den ich im Winter besteige, ist derselbe wie vor tausend Jahren. Man sieht nicht einmal den Rückzug der Gletscher, weil alles weiß ist, ruhig, rein, wild. Das findest du nicht mehr im Frühjahr oder Sommer.

Everest-Basislager auf der Südseite

Everest-Basislager auf der Südseite

Lass‘ uns auf den Everest zurückkommen! Glaubst du, dass das Lawinenunglück vom April mit 16 Toten eine nachhaltige Wirkung auf das kommerzielle Bergsteigen an Everest haben wird?

Sicherlich werden sich wieder viele, viele Menschen auf den Weg zum Everest machen. Wahrscheinlich werden einige von ihnen nach Tibet gehen und nicht mehr von Nepal aus aufsteigen. Wahrscheinlich wird die Anspannung im Basislager groß bleiben, wegen der Gefahr und auch wegen des Geschäfts, das mit dem Everest gemacht wird. Wahrscheinlich werden sie die Aufstiegsroute verlegen und dabei mehr in die Mitte oder eher noch auf die rechte Seite des Khumbu-Eisfalls ausweichen.

Du hast die Anspannung im Basislager angesprochen. Im Frühjahr 2013 wurdest du mit Ueli Steck und Jonathan Griffith im Hochlager von Sherpas angegriffen, was weltweit für Schlagzeilen sorgte. Hast du deinen Frieden mit diesem Vorfall gemacht?

Das liegt wirklich hinter mir. Ich habe vergeben und vergessen, was geschehen ist. Es war ein schlechter Moment, wir waren alle nervös. Es gibt in diesem Kampf keinen Gewinner oder Verlierer, keinen Verantwortlichen oder Unschuldigen, mich eingeschlossen. Ich hätte diese schlimmen Worte nicht sagen sollen. Ich möchte nicht länger das Missverhältnis analysieren zwischen diesen schlimmen Worten und dem Umstand, dass diese Menschen mich töten wollten. Denn wenn ich damit beginne, versuche ich wieder, einen Gewinner, Verlierer, Verantwortlichen und Unschuldigen auszumachen. Lasst uns alle einen Schlussstrich ziehen!

Simone Moro über den Sherpa-Angriff am Everest 2013

Sicher ist die derzeitige angespannte Lage am Everest nicht mit der Situation 1953 zu vergleichen, weil die Sherpas – und da stimme ich mit ihnen überein – nicht länger wie Esel sind, die schwere Lasten tragen. Sie sind nicht nur Hochträger, sondern Bergführer und Veranstalter. Sie organisieren für dich die Flüge von Köln nach Kathmandu, das Trekking, alles. Es gibt ganz klar einen Wettbewerb mit den ausländischen Veranstaltern. Und damit hat die Anspannung mit Geld zu tun. Junge Sherpas arbeiten mit ihrem iPhone, sie haben Einkommen von 5000 US-Dollar. Sie entwickeln sich.

Findest du, dass sich die Einstellung der westlichen Bergsteiger ändern muss?

Beide müssen sich ändern. Die Sherpas müssen aufhören, immer wieder darauf herumzutrampeln, dass der Everest und ihr Land ihnen gehören. Das wissen wir ja. Wenn sie es doch tun, zeigen sie, dass sie dominieren wollen. Und das sorgt nicht gerade für ein kundenfreundliches Klima. Andererseits müssen wir akzeptieren, dass wir Gäste sind. Die Leute aus dem Westen müssen aufhören, die Einheimischen so zu behandeln, wie es die Weißen vor zwei Jahrhunderten in Afrika getan haben. Beide Seiten müssen wieder ein Gleichgewicht herstellen, in erster Linie die westlichen Bergsteiger, aber auch eine wenige Nepalesen.

Rettungsflug am Everest

Rettungsflug am Everest

In den vergangenen Jahren hast du als Hubschrauberpilot im Himalaya viele Rettungsflüge unternommen. Fühlst du dich inzwischen mehr als Bergsteiger oder als Pilot?

Wenn ich mich weiterentwickle, bedeutet ja das nicht, dass ich mich ändere. Ich lasse den Eispickel nicht fallen, ich trainiere eher noch mehr als früher. Ich habe dasselbe Gewicht wie mit 22, und ich klettere genauso wie mit 33. Ich sehe mich immer noch als ein innovativer Allround-Bergsteiger. Aber ich habe noch ein weiteres Leben. Was sich gerade verändert, ist, wie ich meine Zeit verteile. Früher gab es die Familie und das Bergsteigen, heute sind es die Familie, das Bergsteigen und das Fliegen. Ich fliege viel, so viel ich kann. Ich werde in den USA eine Hubschrauberschule gründen. Ich träume davon, dort auch junge Nepalesen zu Bergpiloten auszubilden und sie zu den besten in ihrem Land zu machen. So entwickle ich mich weiter. Ich fühle mich als Bergsteiger. Und wenn ich fliege, bin ich ein Pilot, der die Bergsteiger-Mentalität im Herzen trägt. Aber ich trainiere immer noch wie ein Pferd. Wenn irgendwer heute einen verrückten Kerl gesehen hat, der zwei Stunden lang am Rhein entlanggelaufen ist – das war ich.

Simone Moro: Mehr Bergsteiger oder mehr Pilot?

Wie stehst du zu Hubschrauber-Flügen am Everest? Sollten sie nicht zur Rettung, sondern auch zum Transport von Material und Bergsteigern zugelassen werden?

Zurzeit sind am Everest nur Hubschrauber-Rettungsflüge zugelassen. Damit kann ich leben. Es sollte jedoch den Piloten auch erlaubt werden, Landungen am Everest zu trainieren, außerhalb der Saison, wenn niemand dort ist. Hinfliegen und es simulieren – genauso trainieren wir hier in Europa. Die Forderung, auch Bergsteiger und Touristen zu transportieren, geht zu weit. Vielmehr sollte man jeden daran erinnern, dass Flüge oberhalb des Basislagers riskant sind – für den Piloten und auch für Kunden an Bord des Hubschraubers.

Vor einigen Jahren hast du mir gesagt, dass du noch bis zum Alter von 50 Jahren ein guter Bergsteiger sein kannst. Jetzt bist du 47, es bleiben dir also noch drei Jahre.

Wenn ich bedenke, wie motiviert ich immer noch bin, und wenn ich auf mein Gewicht, meine Leistungen beim Klettern, Laufen und so weiter blicke, dann kann ich es bestimmt noch zwei Jahre länger hinausziehen. Sicher kann ich auch noch mit 52, wahrscheinlich sogar noch mit 55, meine Träume leben. Bis dahin kannst du von mir noch manche Überraschung beim Bergsteigen erwarten, und zunehmend auch beim Hubschrauberfliegen. Anschließend kannst du mir dieselbe Frage ja noch einmal stellen.

Datum

2. Dezember 2014 | 16:19

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