Kobusch: „Wie klein wir doch mit unserem Everest waren!“
Ein zwei Minuten und 28 Sekunden langes Video hat Jost Kobusch auf einen Schlag weltweit bekannt gemacht. Es zeigt die riesige Lawine, die sich nach dem Erdbeben in Nepal vom Siebentausender Pumori löste und das Basislager am Mount Everest verwüstete. 19 Menschen kamen ums Leben. Jost überlebte und stellte sein Video auf Youtube online. In Windeseile verbreitete es sich im Netz. Der 22 Jahre alte deutsche Bergsteiger ist nahe Bielefeld aufgewachsen. Im Gespräch mit mir bezeichnet sich Jost als Weltbürger: „Ich bin viel unterwegs. Im letzten Jahr etwa lebte ich sechs Monate in Kirgisien, zwei Monate in Nepal, zwei Monate auf Spitzbergen, einen Monat in Japan. Da bleibt nicht mehr viel übrig für die Heimatadresse, unter der ich gemeldet bin.“ Ende Mai will Kobusch nach Nepal zurückkehren, um dort zu helfen. Anschließend reist er nach Kirgisien weiter, um in dem kleinen Dorf Arslanbob, rund 200 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Bischkek, ein Kletterprojekt mit Einheimischen auf die Beine zu stellen. Ich habe mit Jost über seine Erlebnisse nach dem Erdbeben in Nepal gesprochen.
Jost, als diese Woche erneut in Nepal die Erde bebte, was ging dir da durch den Kopf?
Ich saß am Computer und erhielt eine Facebook-Nachricht eines Freunds, der schrieb: Wir haben überlebt. Ich hatte nichts davon mitbekommen. Ich habe dann sofort alle meine nepalesischen Freunde angeschrieben, ob es ihnen gut geht. Von einer Freundin, die sonst immer schnell antwortet, kam keine Rückmeldung, auch am Abend und am nächsten Morgen nicht. Ich begann, mir Sorgen zu machen. Glücklicherweise hat sie sich dann noch gemeldet und geschrieben, dass sie jetzt im Zelt leben, weil es sicherer ist. Das hat mich schon nervös gemacht. Da ich bald wieder nach Nepal fahre, habe ich mich auch um meine eigene Sicherheit gesorgt.
Vor knapp drei Wochen hast du im Basislager zu Füßen des Mount Everest die Lawine überlebt, die 19 Menschen das Leben gekostet hat. Wie knapp war es für dich?
Wenn man es von außen betrachtet, war es vielleicht gar nicht einmal so knapp. Aber in dem Moment, in dem ich in der Lawine war, dachte ich etwa eine Minute lang, dass ich sterben würde.
Die Lawine kam wie aus dem Nichts. Hast du noch irgendetwas gedacht oder nur noch instinktiv reagiert?
Absolut instinktiv. Da denkt man nicht mehr. Es ist eine Mischung aus Erfahrung und Instinkt.
Wie sah es nach der Lawine im Basislager aus?
Ich hatte hinter einem Zelt Zuflucht gesucht. Als ich von dort hervorkroch, fand ich eine komplett andere Welt vor. Alles war mit Eis überzogen, Zelte waren zerdrückt, Gebetsfahnen lagen auf dem Boden.
Was spielte sich nachher ab? Herrschte das blanke Chaos?
Wir Bergsteiger akzeptieren das Risiko. Von daher sind die meisten mental auf solche Dinge besser vorbereitet und reagieren mit einer gewissen Professionalität. Es war nicht das blanke Chaos. Die Leute haben direkt versucht, die Rettungsaktion zu organisieren. Alle haben sich gefragt: Was ist da gerade passiert? Und allen war klar: Es war etwas Großes. Im nächsten Schritt folgte eine gewisse Depression. Jeder hat realisiert, dass sein Traum geplatzt war, zumindest in diesem Jahr. Es hat sich Stille über das Basislager gelegt.
Gab es trotzdem Bergsteiger, die gesagt haben: Das ist uns egal. Wir wollen trotz Erdbeben und Lawine weitermachen?
Ja, ich gehörte dazu. Und es waren noch recht viele andere. Wir mussten jedoch schnell feststellen, dass wir zu optimistisch waren. Das Problem waren die Nachbeben. Wir hatten Informationen, dass sie zwei Wochen lang andauern sollten. Zwei Wochen lang würden wir nichts machen können, zwei Wochen würde im Eisbruch die Gefahr bestehen, dass Seracs einstürzen. Mir war dann schnell klar, dass ich mir wegen der fehlenden Zeit den Gipfel abschminken müsste und maximal Lager 4 erreichen könnte.
Wie hast du Nepal auf dem Rückweg erlebt?
Erst war die Tragödie noch weit weg. Aber als ich heraus gewandert bin und Lobuche [Siedlung, gut acht Kilometer vom Basislager entfernt] erreichte, sah ich die ersten eingestürzten Wände. Später kamen wir auch an komplett zerstörten Häusern vorbei. In Kathmandu besuchte ich dann die Plätze, die ich von früher kannte, wie den Durbar Square, wo nur noch Backsteine übrig sind. Da ist mir klar geworden, wie klein wir mit unserem Everest Base Camp sind, wie wenig dort eigentlich passiert ist. Und dass andere Leute viel mehr Aufmerksamkeit und Hilfe brauchen als wir.
Du willst Ende Mai nach Nepal zurückkehren. Warum?
Ich möchte dazu beitragen, dass sich dort etwas bewegt. Ich werde verschiedene Spendenaktionen unterstützen, indem ich deren Projekte besuche, für sie Bildmaterial sammle und Ansprechpartner vor Ort bin. Wo es geht, will ich auch selbst mit anpacken.
Hast du besondere handwerkliche Fähigkeiten?
Mein Vater hat eine Tischlerei. Ich bin also mit dem Handwerk aufgewachsen und habe es auch immer nebenbei gemacht. Ich will lieber direkt mit Nepalesen arbeiten und nicht der Weiße sein, der das Geld in der Tasche hat und es verteilt. Ich möchte mit ihnen zusammen etwas schaffen.
Durch dein Video, das erste von der Lawine am Everest, standest du plötzlich im weltweiten Medienfokus. Wie war das für dich?
Erst habe ich nichts davon mitbekommen. Es hat acht Stunden gedauert, das Video im Basislager hochzuladen. Nach wenigen Stunden hatte es zwei Millionen Klicks, daraus sind dann fünf, sieben, zwölf, 14, 16 Millionen [inzwischen mehr als 22 Millionen] geworden. Als wir mitbekommen haben, dass es so oft geteilt wurde, haben wir schon mitgefiebert. Das war ein krasses Gefühl. Für uns war das Video ja eigentlich nur ein Zeugnis dafür, dass wir die Lawine überlebt hatten.
Im letzten Jahr hast du die Ama Dablam solo bestiegen. Jetzt wolltest du eigentlich den Lhotse angehen, im Alleingang, ohne Flaschensauerstoff. Hältst du an dem Projekt fest?
Ich habe in diesem Jahr festgestellt, dass es mir am Everest eigentlich zu voll ist. Ich stand im Eisbruch drei Stunden lang im Stau. Und ich war in diesen vier Wochen dort nur ein einziges Mal in Lager 1. Trotz aller Frustrationen finde ich das Projekt nach wie vor sehr spannend. Aber mein Gefühl ist eher, dass ich jetzt erst einmal etwas anderes mache.
Ist das dein Stil auch für die Zukunft: solo, ohne Atemmaske?
Das ist irgendwie meine Nische. Ich mache diese Solo-Geschichten super gerne. Alleingänge sind sehr ungewöhnlich und der schwierigste Weg, den man sich vorstellen kann.