Mit neun Fingerstummeln auf den Everest?
Es ist aus der Mode gekommen, den Mount Everest im Herbst zu besteigen. Dabei wurden einige der spektakulärsten Gipfelerfolge am höchsten Bergs der Erde in der Nach-Monsun-Zeit verzeichnet. Erinnert sei nur an die erstmalige Durchsteigung der Everest-Südwestwand durch die Briten Doug Scott und Dougal Haston im September 1975 oder den Erfolg der US-Amerikaner Carlos Buhler, Kim Momb und Lou Reichardt über die Ostwand im Oktober 1983. Mit dem Einzug des kommerziellen Bergsteigens am Everest verlegte sich jedoch die Klettersaison immer mehr ins Frühjahr – wegen der im Vergleich zum Herbst höheren Temperaturen und der meist niedrigeren Lawinengefahr. Seit dem Jahr 2000 wurden nur 36 Gipfelerfolge im September oder Oktober verzeichnet, so gut wie nichts verglichen mit mehr als 5000 Besteigungen im Frühjahr seit der Jahrtausendwende. Die letzten Aufstiege im Herbst liegen schon fünf Jahre zurück: Im Oktober 2010 erreichten der US-Amerikaner Eric Larsen und fünf Sherpas den höchsten Punkt auf 8850 Metern. In diesem Jahr soll es wieder einen Versuch geben, den Everest im Herbst von der nepalesischen Südseite aus zu besteigen.
Kurikis Rückkehr
Nach Informationen der „Himalayan Times“ sind die so genannten „Icefall doctors“, eine Gruppe hochspezialisierter Sherpas, im Basislager eingetroffen, um eine Route durch den Khumbu-Eisfall zu legen. Die Japaner Nobukazu Kuriki und Masaru Kadotani wollten versuchen, den Everest im Herbst zu besteigen, berichtet die Zeitung und beruft sich auf Tika Ram Gurung vom nepalesischen Expeditionsveranstalter Bochi-Bochi Trek. Kuriki hatte im Herbst 2012 versucht, den Everest im Alleingang ohne Flaschensauerstoff über den selten begangenen Westgrat zu besteigen. Der damals 30-Jährige hatte nach eigenen Angaben wegen Sturms auf etwa 8000 Meter Höhe umkehren müssen. Beim Abstieg sandte Kuriki einen Notruf. Sherpas stiegen ihm entgegen, der Japaner wurde von Lager 2 auf 6400 Metern mit einem Rettungshubschrauber ausgeflogen. Kuriki bezahlte sein Abenteuer mit schweren Erfrierungen. Neun Finger mussten fast auf ganzer Länge amputiert werden, ihm blieben nur Stummel. Der Japaner wollte dennoch seinen Traum von weiteren Achttausender-Abenteuern nicht begraben. Im Juli 2014 bestieg Nobukazu nach eigenen Angaben ohne Flaschensauerstoff den Broad Peak in Pakistan (s. sein Gipfelvideo unten). Eigentlich wollte Kuriki im kommenden Herbst den Mount Everest von der tibetischen Nordseite aus angehen. Doch die chinesischen Behörden machten ihm einen Strich durch die Rechnung, indem sie – wie berichtet – bekannt gaben, dass es vor dem Frühjahr 2016 keine Permits mehr für Expeditionen in Tibet geben werde.
Auch Lhotse-Expedition am Berg
Die Icefall-Doctors werden die Route nicht nur für die Japaner vorbereiten. Nach Angaben von Gyanendra Shrestra vom Tourismus-Ministerium will eine südkoreanische Expedition im Herbst den Lhotse besteigen. Zweimal in Serie war zuletzt die Frühjahrsaison am Mount Everest abgebrochen worden: 2014 nach dem Lawinenunglück im Khumbu-Eisbruch mit 16 Toten, in diesem Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal. Die Erdstöße hatten eine Lawine ausgelöst, die im Basislager mindestens 18 Menschen das leben gekostet hatte.