Interview – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Helga Hengge: „Der Everest hat mir viel gegeben“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/helga-hengge-everest-hat-mir-viel-gegeben/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/helga-hengge-everest-hat-mir-viel-gegeben/#comments Wed, 17 Jan 2018 20:21:04 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=39187

Helga Hengge in Köln

Du hast einen Berg erst erfolgreich bestiegen, wenn du nach dem Gipfel auch wieder sicher das Tal erreichst. In diesem Sinne war Helga Hengge die erste erfolgreiche deutsche Bergsteigerin am Mount Everest. Als Mitglied eines kommerziellen Expeditionsteams erreichte sie im Frühjahr 1999, von der tibetischen Nordseite aufsteigend, den 8850 Meter hohen Gipfel. Hannelore Schmatz war im Herbst 1979 zwar als erste deutsche Frau auf den höchsten Punkt des Everest gelangt, beim Abstieg jedoch auf 8300 Metern an Erschöpfung gestorben.

2011 komplettierte Hengge als erste deutsche Bergsteigerin die Sammlung der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente. Inzwischen ist Helga 51 Jahre alt. Sie lebt mit ihrem Mann, ihrer zwölfjährigen Tochter und ihrem elfjährigen Sohn in München – und geht immer noch in die Berge. Im vergangenen Herbst versuchte sie sich am 6543 Meter hohen Shivling im indischen Himalaya. Ich habe sie am Rande eines Vortrags in Köln getroffen.

Helga, es ist jetzt fast 19 Jahre her, dass du auf dem Mount Everest warst. Hast du noch eine besondere Beziehung zu dem Berg?

1999 auf dem Gipfel des Everest

Ja, ganz sicher. Ich dachte immer, dass würde nach einer Weile verschwinden. Aber ich finde sogar, dass diese Beziehung stärker wird. Ich spüre erst jetzt, wie viel ich von diesem Berg für mich und mein Leben mitgenommen habe.

Was denn konkret?

Eine ganz tiefe Gelassenheit, die in mich eingezogen ist. Sehr viel Zuversicht. Und Glauben an eine Kraft von innen und auch an eine göttliche Kraft in den Bergen. 

Helga Hengge: Was mir der Everest gegeben hat

Verfolgst du noch immer, was am Everest geschieht, z.B. jetzt die Winterexpedition von Alex Txikon?

Ja, und das mit großer Faszination. Nach Weihnachten kommt diese eher ruhige Zeit im Januar. Ich habe dann immer das Gefühl, alle gehen zum Everest, nur ich nicht. (lacht) Leute aus dem Freundes- oder Bekanntenkreise brechen auf, oder andere Bergsteiger, die twittern und auf Instagram oder Facebook posten. Da ist so viel Energie und große Vorfreude. Und das erinnert mich immer an meine Vorfreude damals.

Was hat sich denn aus deiner Sicht seit 1999 am Everest verändert?

Auf der Nordseite war es damals noch relativ ruhig. Wir waren insgesamt rund 150 Menschen am Berg, inklusive Küchencrews und Base-Camp-Managern. Das hat sich nicht so voll angefühlt. Wenn ich jetzt die Bilder sehe, ist dort sehr viel mehr los. Aber so ist es halt auf unserer Welt. Überall wird immer mehr los sein, natürlich auch am Everest.

Hast du das Gefühl, dass der Berg dadurch seine Würde verliert?

Nein, das kann er nicht. Ich finde es auch ganz schwierig zu sagen, wie es jetzt die nepalesische Regierung wieder versucht: Die einen dürfen, die anderen dürfen nicht. Menschen dort auszuschließen, sie nicht hinaufsteigen zu lassen, das finde ich ganz schwer und immer ungerecht. Der Berg hat eine wahnsinnige Ausstrahlung und Anziehungskraft. Es gibt halt unheimlich viele Menschen, die dort unbedingt hinaufsteigen wollen. Ich kann das ganz gut nachvollziehen.

Helga Hengge: Schwierig, irgendwen vom Everest auszuschließen

Everest-Nordseite

Träumst du manchmal noch von deinem Aufstieg?

Nein. Aber ich hatte eine ganze Weile so etwas wie einen Horrortraum vom Everest – vielleicht hervorgerufen durch die Bilder von den Unglücken oder auch von den riesigen Menschenschlangen, wo Hunderte auf einer Aufstiegsroute unterwegs waren. Das ist schon erschreckend. Damals träumte ich, dass die Chinesen einen Aufzug von der Mitte des Berges bis kurz unterhalb des Gipfels gebaut hätten. Oben gab es ein Häuschen, in dem man Pause machen konnte. Von dort zogen sie dann alle los, mit Turnschuhen! Ich war dann im Traum ganz aufgeregt: Die können doch nicht mit Turnschuhen aufsteigen, das ist viel zu gefährlich. Ich muss sie zurückhalten!

Helga Hengge: Mein Horrortraum vom Everest

Du warst die erste deutsche Frau, die auf dem Gipfel des Everest war und auch wieder lebendig heruntergekommen ist. Hast du  das Gefühl, dass diese Botschaft in der Öffentlichkeit überhaupt angekommen ist?

Ich glaube schon. Bei meinen Vorträgen werde ich jedenfalls häufig darauf angesprochen. Ich lebte damals in New York und bin einfach zum Everest gefahren. Ich hatte keine Sponsoren. Mir war damals nicht bewusst, dass ich die erste Deutsche sein würde. Das habe ich erst hinterher erfahren. Wenn ich es vorher gewusst hätte, hätte ich mich wahrscheinlich mehr angestrengt und weniger gejammert. Das wäre sicher meinem Team zugutegekommen.

Mussten sie dich dort hinaufschleppen?

Nein, ganz so schlimm war es nicht. Aber ohne die Sherpas, die Tiger des Himalaya, wäre ich ganz sicher nicht dort hinaufgestiegen.

Für manche ist der Everest ja der Höhepunkt, nach dem sie kürzer treten. Bei dir war es eher eine Initialzündung, so richtig zu den Bergen der Welt aufzubrechen.

Zunächst schon. Ich habe danach noch vier Achttausender probiert und einen geschafft, die Shishapangma (Sie erreichte 2001 den 8008 Meter hohen Mittelgipfel). Anschließend habe ich meinen Mann kennengelernt, eine Familie gegründet. Mit zwei kleinen Kindern kannst du nicht einfach aufbrechen. Später habe ich mich auf die Seven Summits besonnen, die ich dann bis 2011 komplettiert habe. Jedes Jahr einen.

Tiefblick am Shivling

Im vergangenen Herbst warst du wieder im Himalaya, im indischen Teil, am Sechstausender Shivling, einem prestigeträchtigen Berg. Was hat dich dorthin gezogen?

Es ist der heilige Berg Indiens. Er hat mich schon sehr lange fasziniert. Es ist ein technisch sehr schwieriger Berg, sicherlich an der Grenze meines Könnens. Aber der Aufstieg war gar nicht so wichtig für mich. Ich wollte unbedingt diese Pilgerreise machen und Zeit dort verbringen. Es ist wirklich einer der beeindruckendsten Berge, bei denen ich jemals war. Aus ihm strahlt ein ganz großes Glück heraus. Immer wenn ich an die Expedition zurückdenke, muss ich lächeln, weil es so schön war.

Obwohl ihr 400 Meter unterhalb des Gipfels wegen Eisschlaggefahr umkehren musstest?

Wir sind schon schweren Herzens umgekehrt, weil wir so viel Arbeit in diesen Berg gesteckt hatten. Drei Tage später sind wir zurückgewandert. Nahe dem Gletschertor von Gaumukh, wo die heilige Quelle des Ganges entspringt, begegneten wir einem Sadhu [„Heiliger Mann“ im Hinduismus], der den Pilgerpfad hinaufgewandert kam. Er fragte mich: „Woher kommt ihr?“ Ich antwortete: „Vom Shivling.“ Wir waren zerzaust, sonnenverbrannte Gesichter, wir sahen schon wild aus. Dann sagte er: „Ihr Glücklichen!“ Erst da habe ich gemerkt, wie recht er eigentlich hatte. Es war ja nur der eine Tag, der uns vielleicht gefehlt hat. Aber es war ein ganz besonderes Glück, dass wir diese Reise überhaupt machen konnten.

Helga Hengge über die Begegnung mit einem Sadhu nahe dem Shivling

Damavand

Gibt es noch andere große Bergträume, die du hegst?

Einen nach dem anderen. Ich würde gerne noch einmal zum Damavand [5611 Meter, höchster Berg im Iran] reisen, wo wir im letzten Jahr wegen eines wilden Sturms nicht aufsteigen konnten. Und dann gibt es im Iran noch einen weiteren heiligen Berg, den Sabalan [4811 Meter, dritthöchster Berg des Iran]. Den möchte ich auch besuchen.

Das klingt so, als wärest du nicht nur mehr auf die Höhe aus, sondern hättest deine Kriterien geändert.

Sehr sogar. Nach dem Everest bin ich erst einmal in ein Loch gefallen. Drei Jahre Vorbereitung und ich habe mich nie gefragt: Was mache ich eigentlich, nachdem ich am Everest war? Das war schon schwer. Anschließend mühevoll die anderen Achttausender, das war nicht meins. Dann habe ich Gott sei Dank die Seven Summits entdeckt. Doch als die vorbei waren, war es für mich wieder sehr schwer. Es war schließlich ein Projekt über 14 Jahre. Plötzlich steht man auf dem letzten Berg und sollte eigentlich der glücklichste Mensch auf Erden sein. Doch nun hat man keinen Grund mehr, sich auf etwas vorzubereiten. Aber jetzt habe ich die heiligen Berge und die sind endlos. Es gibt sie auf allen Kontinenten, in allen Religionen und Kulturen. Das ist eigentlich das viel schönere Ziel.

P.S. Nochmals zurück zum Everest: Eine Leserin meines Blogs untersucht für ihre Bachelorarbeit an der Universität Gießen, wie Bergsteiger und andere Bergtouristen den Klimawandel im Everest-Nationalpark wahrnehmen. Hier geht es zu ihrem Fragebogen.

]]>
https://blogs.dw.com/abenteuersport/helga-hengge-everest-hat-mir-viel-gegeben/feed/ 1
Paul Ramsden: „Beim Klettern ist der Stil alles“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/paul-ramsden-beim-klettern-ist-der-stil-alles/ Thu, 14 Dec 2017 14:16:44 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=38839

Paul Ramsden

Er ist alles andere als ein Selbstdarsteller. Paul Ramsden gehört nicht zu den Extrembergsteigern, die sich vermarkten wollen und darauf aus sind, ständig im Rampenlicht zu stehen. Dabei hätte er es durchaus verdient – die Liste seiner Erstbegehungen im Himalaya ist lang. So durchstieg der Brite im Herbst 2016 zusammen mit seinem Landsmann Nick Bullock erstmals die extrem anspruchsvolle Nordwand des 7046 Meter hohen Nyainqentangla South in Tibet. Dafür wurde er kürzlich mit dem Piolet d’Or ausgezeichnet. Es war bereits das vierte Mal, das Ramsden den „Oscar der Kletterer“ erhielt. Und das, obwohl der 48-Jährige kein Profibergsteiger ist. Er verdient sein Geld als selbständiger Arbeitshygieniker, der Unternehmen berät und Gutachten erstellt.

Paul, du bist kein Profibergsteiger, hast einen Job und eine Familie. Was motiviert dich, Jahr für Jahr in entlegene Regionen des Himalaya aufzubrechen, um unbestiegene Berge, Wände oder Grate anzugehen?

Ich liebe die Berge, so einfach ist das. Aber da ich nicht in den Bergen lebe oder arbeite, verbleibt meine Begeisterung für die Zeit, in denen ich sie besuche. Kurioserweise finde ich es schwieriger, bei all den Verpflichtungen durch Familie und Arbeit einfach mal am Wochenende zum Klettern zu fahren, als einmal im Jahr auf Expedition zu gehen.

Was macht für dich echtes Abenteuer aus?

Gipfelselfie von Paul (l.) mit Nick Bullock (r.)

Echtes Abenteuer bedeutet, nicht zu wissen, wie es ausgeht. Wenn der Erfolg ungewiss ist, erlebst du ein Abenteuer. Allerdings ist für mich das Abenteuer so eng mit dem Kletterstil verbunden, dass diese beiden Dinge untrennbar sind. Die britische Klettertradition ist immer so gewesen.

Wie wichtig ist es für dich, in sauberem Stil zu klettern?

Stil ist alles, ohne einen sauberen Stil wird Klettern zu einer bedeutungslosen körperlichen Aktivität. Guter Stil bedeutet für mich, im reinen Alpinstil zu klettern, kleines Team, keine Bohrhaken, keine Fixseile, keine Unterstützung von außen.

Wieviel Risiko bist du bereit einzugehen?

Ich bemühe mich wirklich, die Risiken auf ein Minimum zu reduzieren. Ich bin sehr wählerisch, wenn ich mich für eine Route entscheide. Dafür schätze ich immer die objektiven Gefahren ein, und die Möglichkeiten, wieder herunterzukommen. Das Risikomanagement in meinem Kopf ist ein stetiger Prozess und schwierig zu beschreiben, aber ich bin schon auf vielen Routen umgekehrt.

Die Route am Nyainqentangla South East

Worin liegt dein Erfolgsgeheimnis?

Wenn ich ehrlich sein soll, ich weiß es nicht. Ich denke, es ist vielleicht eine Kombination aus Erfahrung, Urteilsvermögen und Klettern in einem Stil, der meinen Fähigkeiten und meinem Temperament entspricht.

Du bist über viele Jahre mit Mick Fowler geklettert, nun mit Nick Bullock. Welche Kriterien muss ein perfekter Teampartner erfüllen?

Der perfekte Teampartner ist sicherheitsbewusst, hat eine gute Portion Humor (der britische Humor hilft in den Bergen sehr), ist aber auch darauf vorbereitet, das Maximum zu geben, wenn es darauf ankommt.

Bei Mick wurde in diesem Jahr Krebs diagnostiziert. Was hast du empfunden, als du davon erfahren hast?

Das war ein richtiger Schlag, eine totale Überraschung, weil er sehr gesund zu sein schien und mir immer unverwüstlich vorkam. Er hat seine Krebstherapie gerade abgeschlossen, und hoffentlich wird alles wieder gut. Da machst du dir schon Gedanken über die Zukunft und führst dir all die Dinge vor Augen, die du noch nicht geschafft hast.

Piolet-d’Or-Gewinner Ramsden (l.) und Mick Fowler (r.)

Du bist schon viermal mit dem Piolet d’Or, dem „Oscar der Bergsteiger”, ausgezeichnet worden, damit bist du der Rekordgewinner (mit Marko Prezelj). Bedeutet dir das irgendetwas?

Auf der einen Seite ist es ganz angenehm, von euch Kollegen wahrgenommen zu werden, andererseits hat es praktisch keinen Einfluss auf mein Leben. Da ich kein Profi, sondern ein Teilzeit-Kletterer bin, brauche ich wirklich weder Sponsoring noch Öffentlichkeit. Allerdings unterstütze ich den Piolet d’Or als ein Instrument, um Ethik und Stil im Bergsteigen zu fördern.

Hast du dir schon ein Kletterziel für das nächste Jahr gesetzt?

Ja, ich werde 2018 erneut mit Nick Bullock auf Expedition gehen. Allerdings bevorzuge ich es, meine Ziele geheim zu halten!

]]>
Steck: „Ich werde am Everest auf Distanz gehen“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/steck-ich-werde-am-everest-auf-distanz-gehen/ Tue, 20 Dec 2016 17:05:56 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=34509 Ueli Steck

Ueli Steck

Die Erlebnisse am Mount Everest im Frühjahr 2013 haben Ueli Steck verändert. „In dem Moment, in dem für mich klar wurde, dass die Sherpas mich töten wollten, brach für mich eine Welt zusammen“, schreibt der 40 Jahre Schweizer Top-Bergsteiger in seinem neuen Buch „Der nächste Schritt“  (das ich euch schon vorgestellt habe). „Danach war mein Blick auf die Welt ein anderer. Weil ich niemandem mehr so recht traute, zog ich mich zurück.“ Im Frühjahr 2017 wird Ueli zum Everest zurückkehren – um zu versuchen, den höchsten Berg der Erde und anschließend den 8516 Meter hohen Lhotse zu überschreiten. Ich habe mit dem Schweizer über den Everest gesprochen:

Ueli, wofür steht der Mount Everest für dich persönlich?

Der Everest ist der höchste Berg der Welt. Wenn dich das Höhenbergsteigen interessiert, ist er mit 8848 Metern Höhe schon eine Dimension für sich und damit der interessanteste und spannendste Berg.

Everest, Lhotse und Makalu (v.l.)

Everest, Lhotse und Makalu (v.l.)

Du hattest am Everest 2013 – wie du in deinem neuen Buch auch beschreibst – ein traumatisches Erlebnis, als ein Sherpa-Mob dir nach dem Leben trachtete. Hast du das Gefühl, dass du diese Geschichte verarbeitet hast?

Was heißt verarbeiten? Solche Sachen prägen dich für dein ganzes Leben. Das werde ich immer mit mir herumtragen. Aber ich glaube schon, dass ich jetzt damit umgehen kann. Die Geschichte hat einen Platz bei mir gefunden.

Ziehst du auch Lehren daraus für deinen nächsten Besuch im kommenden Frühjahr?

Klar. Ich habe mit vielen Leuten darüber geredet. Du kannst überall auf der Welt negative Menschen treffen, das muss man einfach akzeptieren. Das gilt auch für den Everest.

Glaubst du, dass du künftig in der Lage bist, solchen Konflikten aus dem Weg zu gehen?

Ich denke, ich werde viel mehr auf Distanz gehen. Das ist die einzige Lösung. Aber es gibt auch sehr viele gute Sherpas und andere gute Einheimische. Es ist nur ein kleiner Teil, der ein bisschen komisch ist. Und diesen Leuten musst du eben aus dem Weg gehen. Das ist wie in einer großen Stadt, in der du auch zusehen musst, dass du nicht im falschen Viertel herumläufst.

Ueli im Oktober beim IMS in Brixen

Ueli im Oktober beim IMS in Brixen

Du hast dir die Überschreitung von Everest und Lhotse vorgenommen – wie schon 2013 geplant, mit dem Aufstieg über die Westschulter?

Das wäre natürlich die schönste, die ideale Variante. Es wäre mein großer Traum, wenn es so klappt. Aber wir müssen schauen, wie die Verhältnisse sind. Das kann man hier und jetzt noch nicht sagen. Vielleicht muss ich die Überschreitung auch erst einmal über die Normalroute machen, und dann erst im nächsten Schritt über die Westschulter. Ich sehe das ganz realistisch.

Du gehst das Projekt mit Tenji Sherpa an, mit dem du schon oft unterwegs warst, auch 2012 am Everest. Ist er dir als Kletterpartner gewachsen?

Als Kletterpartner sicher nicht, aber als Höhenbergsteiger schon, weil er die Höhe gut verträgt. Bei einem Partner kommt es nicht nur darauf an, wie gut er ist. Sehr wichtig ist auch, wie man sich versteht. Das ist für mich auch ein großer Teil des Projekts, dass wir zusammen bergsteigen gehen. 

Aber wenn du auf Geschwindigkeit kommst, sind schon ganz andere zurückgefallen.

Klar. Wenn es dann nicht aufgeht, ist das eben so. Das kann aber auch mal auf die andere Seite kippen, dass ich platt bin und jemand anderer weitergeht.   

Nach der erfolgreichen Saison 2016 wird es wahrscheinlich auch 2017 wieder voll im Basislager und dann auch am Berg. Ist das für dich kein Problem?

Wenn du ein einigermaßen guter Bergsteiger bist, gehst du einfach neben den Fixseilen vorbei. Das ist für mich absolut kein Thema.

Beim Training mit David Göttler an der Aiguille Verte

Beim Training mit David Göttler an der Aiguille Verte

Wie trainierst du für den Everest?

Ich habe das Volumen schon recht stark erhöht. Ich habe ein paar Ideen, wie ich anders trainieren kann, auch in Bezug auf Höhentraining, damit es auch möglich wird. Bisher hat es noch niemand geschafft, ohne Flaschensauerstoff vom Everest auf den Lhotse herüber. Das ist schon eine große Herausforderung. Ich glaube, dass ich dazu fähig bin, mich aber auch optimal darauf vorbereiten muss. Ich mache sehr viele Höhenmeter, damit sich mein Körper daran gewöhnt.

Du hast den Everest 2012 bereits ohne Flaschensauerstoff bestiegen, weißt also, dass du diese Höhe verkraftest. Hilft dir dieses Wissen?

Ja sicher. Das ist das, was ich eben angeschnitten habe. Wenn ich am Everest bin und merke, hej, das ist jetzt noch eine Spur zu groß, über die Westflanke aufzusteigen und den Gipfel zu überschreiten, probiere ich es erst einmal über die Normalroute. Man macht beim Bergsteigen Schritt für Schritt, da muss man realistisch sein. Das ist genau der Tick, dass man sich mit der Zeit ein Wissen aufbaut, dass Sachen dann ganz normal werden.

Zum Abschluss: Was machst du an Weihnachten?

Ich verbringe Weihnachten mit meiner und Nicoles Familie (Nicole ist Uelis Ehefrau). Und dann gehen wir ein paar Tage zum Klettern.

]]>
Shishapangma, die letzte! https://blogs.dw.com/abenteuersport/shishapangma-die-letzte/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/shishapangma-die-letzte/#comments Thu, 22 Sep 2016 11:29:02 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=33645 Shishapangma

Shishapangma

Ein Kaugummi wird nicht besser dadurch, dass man endlos auf ihm herumkaut. Irgendwann sollte man ihn ausspucken. Ähnlich ist es auch mit Geschichten. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist einfach alles durchgekaut. Dann sollte man den Mut haben, einen Schlussstrich zu ziehen, ehe daraus eine unendliche Geschichte wird, die nur noch nervt. Dies wird mein letzter Artikel zur Lawine an der Shishapangma am Samstag vor genau zwei Jahren sein. Vielleicht ist noch nicht alles gesagt, aber aus meiner Sicht doch genug, um das Kapitel zu schließen. Und hoffentlich daraus zu lernen.

Schiefes Bild

Es war gut, dass Martin Maier – wie berichtet – die Debatte mit seinem Interview mit der Zeitschrift „Bergsteiger“ lostrat. Nun haben wir ein ziemlich genaues Bild davon, was damals geschah, und es stimmt in einigen Details nicht mit dem überein, was zuvor berichtet worden war. Dieses schiefe Bild habe er geraderücken wollen, sagte Martin in einer TV-Dokumentation des Bayerischen Rundfunks über die Ereignisse 2014 an der Shishapangma (s.u.), „weil die Sachen, die einfach irgendwo dastehen, die gesagt worden sind, von den Leuten als wahr und als Fakt hingenommen werden.“

Bei dem Unglück waren der Deutsche Sebastian Haag und der Italiener Andrea Zambaldi ums Leben gekommen. Wie die beiden war auch Maier von der Lawine 600 Meter tief mitgerissen worden, jedoch auf den Schneemassen liegen geblieben. Er hatte sich schließlich, schwer verletzt, aus eigener Kraft ins letzte Hochlager schleppen können. Benedikt Böhm und der Schweizer Ueli Steck, die mit Glück der Lawine entkommen waren, hatten keine Möglichkeit gesehen, zum Lawinenkegel zu queren, und waren zu diesem Zeitpunkt bereits ins Basislager abgestiegen.

Böhm: „Es tut mir leid“

Basti Haag (l.) und Andrea Zambaldi (r.)

Basti Haag (l.) und Andrea Zambaldi (r.)

Maier belegte mit Bildern, die vom Basislager aus mit einer hoch auflösenden Kamera aufgenommen wurden: Nicht Basti Haag spurte, als die Lawine abging, wie Benedikt Böhm bisher behauptet hatte, sondern Böhm selbst ging vorneweg. Nach langem Zögern äußerte sich Benedikt in der BR-Dokumentation erstmals zu dem Vorwurf, er habe mit seiner Darstellung womöglich Haag die Schuld in die Schuhe schieben wollen. „Wenn es so verstanden wurde, tut es mir sehr, sehr leid“, sagte Benedikt. „Es war nie die Intention, irgendwem einen Vorwurf zu machen, die Lawine ausgelöst zu haben. Wenn überhaupt ein einzelner Fuß dafür ausschlaggebend war, ist das vollständig irrelevant, weil wir uns alle zu fünft entschieden haben, da oben reinzugehen, auf eigenes Risiko und aus freien Stücken da oben zu sein.“ Warum er nicht früher die Dinge klar rückte – Maier hatte ihn nach eigenen Angaben mehrfach dazu aufgefordert – bleibt im Dunkeln.

„Schlimmster Moment“

Böhm (r.) und  Haag an der Shishapangma

Böhm (r.) und Haag an der Shishapangma

Neu war auch die Information, dass Böhm und Steck von oben erkannt hatten, dass einer der drei Mitgerissenen auf dem Schnee lag. „Wir haben einen farbigen Punkt gesehen“, sagte Ueli dem BR. „Da war jemand draußen, das hat man gesehen. Der hat sich am Anfang noch ein bisschen bewegt, und irgendwann lag er nur noch im Schnee.“ Wegen der großen Lawinengefahr hätten sie sich gegen einen Versuch entschieden, in den Hang zu queren. „Für mich war es das Schlimmste, was ich jemals erlebt habe. Du siehst, da unten liegt jemand, und du kommst nicht hin.“ Auch Böhm bezeichnete die Entscheidung abzusteigen in dem BR-Beitrag als „schlimmsten Moment meines Lebens. Es war der Umstand, dass die Geschichte so tief in mir sitzt, dass ich das nicht groß breittreten wollte. Aber im Nachhinein war es auch ein Fehler.“

„Ureigene Verantwortung“

Er mache sich Vorwürfe, dass er Martin auf dem Lawinenkegel nicht zu Hilfe geeilt sei, schreibt Ueli Steck unter der Überschrift „Meine Grundsätze am Berg“ auf seiner Homepage. „Ich danke ihm, dass er mir keine Vorwürfe deswegen macht. Und ich werde die aus diesem Unglück gewonnene Erfahrung für Entscheide in vergleichbaren Situationen nutzen – was hoffentlich nie nötig sein wird.“ Und doch kann man Unglücke wie jenes an der Shishapangma niemals ganz ausschließen. „Bergsteigen ist eine der wenigen Tätigkeiten, die nicht komplett reglementiert sind, und damit jedem einzelnen erlaubt, die für ihn tragbaren Risiken weitgehend selbst festzulegen“, schreibt Ueli. „Freiheit heißt aber auch Verantwortung. Wir alle wissen, dass wir letztlich für die Risiken dieses schönen Sports unsere ureigene Verantwortung tragen müssen.“

Und was kann man noch aus der Debatte um die Lawine an der Shishapangma lernen? Man sollte bei der Wahrheit bleiben, sagt Martin Maier. Unbedingt!

]]>
https://blogs.dw.com/abenteuersport/shishapangma-die-letzte/feed/ 3
Thomas Huber: „Danke, dass ich leben darf!“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/thomas-huber-danke-dass-ich-leben-darf/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/thomas-huber-danke-dass-ich-leben-darf/#comments Tue, 19 Jul 2016 20:16:06 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=33246 Thomas Huber (2014)

Thomas Huber (2014)

Rund 1,8 Sekunden. So lange dauerte der 16-Meter-Sturz Thomas Hubers aus einer Felswand am Brendlberg im Berchtesgadener Land – heute vor zwei Wochen. Wie berichtet, war der 49 Jahre alte deutsche Top-Kletterer, der ältere der beiden „Huberbuam“, auf weichem Waldboden gelandet. Wie sich später herausstellte, hatte sich Thomas einen Schädelbruch zugezogen und musste sofort operiert werden. Die beruhigende Prognose der Ärzte hinterher: keine bleibenden Schäden. Inzwischen hat Thomas das Krankenhaus verlassen und erholt sich zu Hause. Ich habe mit ihm telefoniert.

Thomas, das Wichtigste zuerst: Wie geht es dir?

Es geht mir insgesamt sehr gut. Ich bin mir des unermesslichen Glücks, das ich hatte, sehr bewusst. Ich habe es dankbar angenommen. Ich schaue nicht mehr zurück, was hätte passieren können, sondern ich bin nur happy, dass es so geschehen ist, wie es geschehen ist. Optimal wäre natürlich, wenn ich es vermieden hätte und der Unfall gar nicht erst passiert wäre. Aber das ist beim Bergsteigen immer so. Ich habe mich in meiner Routine total sicher gefühlt, und oft ist dann genau darin der Teufel versteckt.

Felswand am Brendlberg

Felswand am Brendlberg

Sind deine Verletzungen allesamt kurierbar?

Es ist wie ein Wunder, dass mir nicht mehr passiert ist. Das haben auch die Chirurgen gesagt. Ich bin immerhin aus 16 Metern abgestürzt, das haben wir nachgemessen. Alles ist wieder kurierbar. Und wie es aussieht, werde ich in naher Zukunft wieder zu 100 Prozent fit sein.

16 Meter, das ist so hoch wie anderthalb Einfamilienhäuser. Hast du beim Sturz noch irgendetwas gedacht oder war alles nur noch purer Instinkt?

Alles Instinkt. Da denkst du nicht mehr, sondern handelst nur noch. Ich war zu jeder Sekunde bei vollem Bewusstsein und habe instinktiv anscheinend alles richtig gemacht. Aber lenken konnte ich das nicht mehr. Das ging so schnell und war so überraschend. Du bist dann auch gar nicht mehr in der Realität, sondern es ist wie eine zweite Ebene, wo nur noch der Körper reagiert und dich letztendlich überleben lässt. Ich hatte 1000 Schutzengel. Ich bin sicher, da war irgendetwas, was mich hat überleben lassen. Sonst wäre ich hinterher nicht einfach aufgestanden und wäre selbstständig vom Berg gegangen. Ich habe ja keinen einzigen blauen Fleck. Ich habe lediglich den Schädelbruch, die Fingerluxation (Ausrenkung), und die Dornfortsätze (der Wirbel), die am Fels runtergeschrappt sind, sind abgebrochen.

Thomas nach der Operation

Thomas nach der Operation

Du hast wahrscheinlich in deinem Leben schon zehntausende Male abgeseilt. Da fragt man sich, wie konnte dieses Unglück überhaupt passieren? War es einfach ein kurzer Augenblick mangelnder Konzentration?

Nein, die Routine war schuld. Wenn man das erste Mal an einer Wand ist, wirkt sie furchteinflößend, nicht nur am El Capitan, sondern auch am Brendlberg, auch wenn diese Wand nur 70 Meter hoch ist, aber sehr steil, sehr alpin. Ich war dort in den letzten zwei Monaten ständig unterwegs, habe verschiedene Routen erschlossen. Die Wand ist für mich wie ein Wohnzimmer geworden, ich habe mich dort total wohl gefühlt. Es war mein zweites Zuhause, meine Sommerbeschäftigung vor der Expedition. Wir haben in der Route „Watzmannflimmern“ gefilmt, die ist (Schwierigkeitsgrad) 9+. Dort wollte ich ein Fixseil reinhängen für die Kameramänner. Ich hatte in den Monaten vorher, als ich in der Route trainiert habe, bevor ich sie schließlich durchstieg, immer ein 60-Meter-Seil benutzt. Das reichte allemal bis zu dem Felsband und dann waren immer noch fünf Meter übrig. Dieses Seil, das ich jetzt benutzte, gehörte aber einem Freund. Ich habe nicht gewusst, dass es abgeschnitten war. Ich seile ab, räume in der Nachbarroute noch drei Expressen (Sicherungsmittel beim Klettern) aus der ersten Seillänge. Alles ist gut, ich seile runter auf das Band. Und – tamm! – geht es schon los und ich stürze. Ich war wirklich voll konzentriert. Schuld war eine andere Geschichte, eben die volle Routine, dass vorher monatelang immer alles gut gegangen war. Wie bei einem Schreinermeister, der sich nach 10.000 Schnitten mit der Kreissäge den Finger abschneidet.

Weiter bergsteigen

Weiter bergsteigen

Es war sehr knapp, du bist dem Tod von der Schippe gesprungen. Stellst du dir jetzt auch die Grundsatzfrage: Mache ich weiter wie bisher?

Wenn man mit einer Sache nicht fertig wird, muss man sich diese Frage wirklich stellen. Aber wenn man sich dieses unermesslichen Glückes bewusst ist und ihm mit der Dankbarkeit begegnet, leben zu dürfen, dann kann man auch weiter bergsteigen. Man muss sich einfach immer bewusst sein, was man tut. Am gefährlichsten ist, wenn man glaubt, alles im Griff zu haben. Das habe ich daraus gelernt: Du darfst dich eigentlich auf niemanden und gar nichts verlassen, außer auf dich selbst. Zieh deinen Klettergurt an und schau wirklich hin, dass die Schnalle geschlossen ist! Auch wenn es Routine wird, immer wieder backup-mäßig draufschauen! Auch wenn ich dort schon zum 20. Mal abgeseilt habe, ein neues Seil heißt eben eine neue Situation. Michael Schumacher (der Formel-1-Rekordweltmeister verunglückte 2013 beim Skifahren schwer) ist nicht so weit gefallen wie ich, und ihm geht es leider Gottes nicht so gut. Andere stürzen einen halben Meter tief und können tot sein. Ich sage nur: Danke, danke, dass ich leben darf.

Du hattest ursprünglich vor, mit Freunden zum Siebentausender Latok 1 nach Pakistan zu fahren, um dich dort an der legendären Nordgrat-Route zu versuchen. Dieser Plan ist natürlich erst einmal hinfällig. Wie geht es jetzt weiter mit dir?

Darüber möchte ich jetzt gar nicht sprechen. Ich bin in ärztlicher Betreuung. Ich habe gerade ein erstes EEG gemacht, das war sehr positiv. Schauen wir jetzt einfach, dass ich gesund und voll einsatzfähig werde. Man macht viel zu oft den großen Fehler, zu weit in die Zukunft zu schauen. Ich schaue auf das Jetzt. Und jetzt bin einfach nur glücklich und sehr dankbar, dass ich lebe.

]]>
https://blogs.dw.com/abenteuersport/thomas-huber-danke-dass-ich-leben-darf/feed/ 3
Kontroverse um Lawine an der Shishapangma https://blogs.dw.com/abenteuersport/kontroverse-um-lawine-an-der-shishapangma/ Tue, 12 Jul 2016 08:44:41 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=33193 Vorgeschobenes Basislager an der Shishapangma

Vorgeschobenes Basislager an der Shishapangma

24. September 2014, 6:55 Uhr: Fünf Bergsteiger steigen auf einer Höhe von rund 7900 Metern dem Gipfel des Achttausenders Shishapangma entgegen, als sich eine Lawine löst. Die beiden Deutschen Sebastian Haag und Martin Maier sowie der Italiener Andrea Zambaldi werden mehrere hundert Meter den Hang hinuntergespült. Der Deutsche Benedikt Böhm und der Schweizer Ueli Steck haben Glück und entkommen den Schneemassen. Der 36 Jahre alte Haag und der 32-jährige Zambaldi kommen ums Leben. Maier überlebt wie durch ein Wunder und kann sich aus eigener Kraft ins Hochlager retten. Die Nachricht über das Unglück erscheint zuerst in meinem Blog. Auch die ersten Interviews über die Lawine mit Bene Böhm und Martin Maier sind auf „Abenteuer Sport“ zu lesen.

„Die Zeit heilt nicht alles“

Mehr als anderthalb Jahre danach hat Martin mit einem Interview in der Zeitschrift „Bergsteiger“ eine Debatte über das Unglück losgetreten. Der 41 Jahre alte Wirtschaftsingenieur leidet nach eigenen Worten noch immer an den Spätfolgen, nicht nur gesundheitlicher Art: „Die Zeit heilt nicht alles – weder Verletzungen, die bis heute geblieben sind, noch die Traurigkeit und Erbitterung darüber, dass Menschen ihren Selbstwert auf Kosten anderer steigern möchten.“ Maier wirft den beiden anderen Überlebenden der Lawine, Böhm und Steck, zum einen vor, die Unwahrheit gesagt zu haben, zum anderen, dass sie ihn zu schnell aufgegeben hätten.

Wer ging wo?

Mit Hilfe von Bildern, die mit einer Zeitrafferkamera vom Basislager aus gemacht wurden, dokumentiert Maier, dass Benedikt Böhm offenbar zum Zeitpunkt des Lawinenabgangs an der Spitze der Gruppe ging (siehe Video).

Benedikt hatte mir drei Wochen nach seiner Rückkehr im Interview gesagt: „Basti (Haag) spurte und ging ein bisschen vom Grat weg. Er wollte sich mir gerade wieder zuwenden. In diesem Moment löste sich der ganze Hang. (…) Weil ich nahe am Grat war, konnte ich zur Seite springen. Ebenso Ueli, der knapp unter mir war.“ Nach Erscheinen des Interviews bat mich Böhm, zwei seiner Aussagen (u.a. die am Anfang des Videos zitierte) herauszunehmen, die den Eindruck hätten erwecken können, dass Haag möglicherweise das Unglück verschuldet hätte. Ich kam seiner Bitte nach – auch mit Rücksicht auf Sebastians Eltern, die gerade ihren zweiten Sohn am Berg verloren hatten.
Die Kernaussage blieb jedoch bestehen, Benedikt hatte sie im Verlauf des Interviews noch einmal bestätigt: „Ich war ja schon in Bastis Spur, habe dann aber instinktiv umgedreht und bin ein paar Schritte aus dem Hang herausgegangen.“ Ich habe Böhm um eine Stellungnahme zu Maiers Vorwurf gebeten, er habe „Dinge erfunden und konstruiert, die einfach nicht den Fakten entsprechen. Benedikt antwortete mir, er wolle die ganze Angelegenheit zunächst direkt mit Martin klären und dann an die Öffentlichkeit gehen. Voraussichtlich für Ende Juli, Anfang August sei ein gemeinsamer Fernsehauftritt geplant.

Steck: „Näher zum Grat hin“

Ueli Steck hatte mir gut vier Monate nach dem Unglück auf der ISPO in München die Situation zum Zeitpunkt des Lawinenabgangs so geschildert: „Es war eigentlich nur Glück, dass Beni (Böhm) und ich uns noch etwas weiter oben aufhielten. Wir standen auch in der Lawine, aber eben ein wenig auf der Seite, wo nicht so viel wegrutschte.“ Ähnlich hatte er sich unmittelbar nach der Expedition in der Schweizer „Sonntagszeitung“ geäußert. Auf dem im „Bergsteiger“ veröffentlichten Bild sieht man, dass der Schweizer Top-Bergsteiger als Vorletzter der Gruppe aufstieg. Das sei kein Widerspruch zu seinen Worten, schreibt mir Ueli: „Das war so gemeint, dass ich von meiner Sicht aus weiter oben gegen die Rippe/den Grat war – und nicht oberhalb der anderen. Ich habe es genau so gesagt, wie es auf dem Bild zu sehen ist.“

Rettungsversuch verzögert?

Basti Haag (l.) und Andrea Zambaldi (r.)

Basti Haag (l.) und Andrea Zambaldi (r.) starben in der Lawine

Der zweite Vorwurf Maiers wiegt fast noch schwerer: Böhm und Steck hätten gesehen, dass jemand auf den Schneemassen gelegen habe. Mit ihrer kategorischen Aussage über Funk, es sei unmöglich, zum Lawinenkegel zu queren, hätten sie eine Rettungs- oder Bergungsaktion zumindest verzögert, beinahe sogar verhindert. „Ich will gar nicht sagen, dass mir die beiden selbst hätten helfen müssen“, sagte Maier im „Bergsteiger“-Interview. „Aber man hätte zumindest anderen die Entscheidung selbst überlassen müssen zu helfen oder nicht. Statt zu behaupten, es gibt keine Chance, jeder Rettungsversuch ist aussichtslos, hätten sie sagen können: Wir sind nicht in der Lage, uns ist die Lawinengefahr zu groß.“

Böhm: „Schwierigste Entscheidung meines Leben“

Böhm und Steck widersprechen. Böhm bezeichnet gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ den Entschluss, nicht zum Lawinenkegel zu queren, als „die schwierigste Entscheidung meines Lebens, die mich ein Leben lang verfolgen wird“. Vielleicht, so Benedikt, hätte er sich über Funk und später auch gegenüber Norbu Sherpa, der ihnen entgegen gestiegen war, differenzierter ausdrücken müssen, er habe jedoch „keinesfalls eine Rettungsaktion verhindern wollen“.

Steck: „Ich hatte Glück, andere weniger“

Wie Böhm verweist auch Steck darauf, dass sie alles versucht hätten, hinüber zu gelangen. Lawinengefahr, so Ueli, könne man leider Gottes nicht messen. „Ich habe hin und her diskutiert mit Suzanne (Hüsser vom Expeditionsveranstalter Kobler & Partner), was wir machen sollten“, schreibt mir Ueli. Jemand, der damals im Basislager Stecks Funkspruch mithörte, schilderte mir, dass der Schweizer damals „emotional wirklich fertig“ gewesen sei. „Im Nachhinein mit dem Finger auf uns zu zeigen, finde ich absolut daneben“, schreibt mir Ueli. „Es ist einfach, hinterher über andere zu urteilen, die oben waren und in dieser Situation die Entscheidung treffen mussten.“ Es sei falsch gewesen, bei diesen Dingen überhaupt aufzusteigen. „Dass wir alle zusammen eine Lawine ausgelöst haben, war der Fehler, für den wir alle die Konsequenzen tragen müssen. Ich hatte Glück, andere weniger.“ Im Herbst 2014 erreichte wegen der Schneemassen am Berg kein Bergsteiger den Gipfel der Shishapangma.

Maier: „Gebraucht, aber in der Darstellung unerwünscht“

Während der Akklimation

Während der Akklimation

Steck hatte damals den Achttausender ursprünglich gemeinsam mit seiner Frau Nicole besteigen wollen. Der Schweizer war nur für diesen Gipfelversuch zum Team der „Double 8“-Expedition gestoßen. Das Ziel der Expedition lautete: Speedbegehung der Shishapangma, Skiabfahrt vom Gipfel, mit dem Mountainbike zum Cho Oyu, auch dort Speedbesteigung und Skiabfahrt. Das Internetportal “Spiegel online” hatte die Expedition zunächst medial begleitet. Maier war der einzige Nicht-Profi im Team, sein Name fiel in der Berichterstattung nicht. Ich erinnere mich, dass ich mich bei seiner Erwähnung in der ersten Nachricht Benedikts über das Unglück fragte: Martin Maier? und dann erst einmal recherchierte, wer das überhaupt sei. „Am Tag des zweiten Gipfelversuches hatte ich von Lager 1 bis knapp unter Lager 3 fast 1000 Höhenmeter alleine gespurt“, sagte Maier im „Bergsteiger“-Interview. „Insofern war ich wohl ein gebrauchter, aber in der Darstellung unerwünschter Teil der Expedition.“

Bitte sachlich!

In der Szene wird heftig über Martins Vorwürfe diskutiert, auch mich erreichten zahlreiche Anfragen. In mehreren Zeitungen wurde über den Streit berichtet. Es fallen Begriffe wie „Bergsteiger-Ehre“, „Lüge“, „Schuld“ und „falscher Stolz“. Unter denen, die sich nun zu Richtern aufschwingen, haben die meisten im Herbst 2014 im warmen Wohnzimmer gesessen. Einige waren wahrscheinlich noch nie an einem hohen Berg unterwegs, geschweige denn sind sie dort in Extremsituationen geraten. Ich habe lange gezögert, ob ich mich zu dem Vorgang äußern sollte. Doch die Debatte hat sich inzwischen verselbstständigt, und ich kann nicht so tun, als würde sie nicht ausgetragen. Einige Fragen sind zu klären, vor allem zwischen Benedikt und Martin. Ich hoffe, dass es auf einer sachlichen Ebene geschieht.

]]>
Steck und Göttler nach der Shishapangma-Südwand: „Nur aufgeschoben“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/steck-und-goettler-nach-der-shishapangma-suedwand-nur-aufgeschoben/ Mon, 30 May 2016 10:10:14 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=32839 Ueli Steck und David Göttler in der Shishapangma-Südwand

Ueli Steck und David Göttler in der Shishapangma-Südwand

Es war eines der spannendsten Projekte der Frühjahrssaison im Himalaya. Der Schweizer Topkletterer Ueli Steck und der Deutsche David Göttler wollten eine neue direkte Route durch die Südwand der 8027 Meter hohen Shishapangma eröffnen. Sie konnten es nicht in die Tat umsetzen. Die beiden kletterten „nur“ die so genannte „Girona-Korridor-Route“, die 1995 von einem spanischen Team erstbegangen worden war, bis hinauf zum Grat auf 7800 Metern und bei ihrem letzten Versuch dann noch die Route der britischen Erstdurchsteiger der Wand 1982, Doug Scott, Alex MacIntyre und Roger Baxter-Jones, bis auf eine Höhe von 7600 Metern. Obwohl ihr Plan einer neuen Route scheiterte, kehren Ueli und David nicht mit leeren Händen zurück. Ich habe den 39 Jahre alten Schweizer und den 37 Jahre alten Deutschen in ihrem Hotel in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu angerufen.

Zufrieden, enttäuscht, von jedem ein bisschen? Wo sortiert ihr euch nach dieser Expedition ein?

Ueli Steck (l.) und David Göttler

Ueli Steck (l.) und David Göttler

(David) Eher auf der zufriedenen Seite. Natürlich denkt man: Wenn das Wetter und die Verhältnisse ein bisschen mehr auf unserer Seite gewesen wären, hätten wir den Gipfel bestimmt geschafft. Das schwingt ein bisschen mit. Aber je mehr Zeit vergeht, desto positiver sehen wir das Ganze. Wir haben viel gelernt, waren ständig unterwegs, haben nicht viel herumgesessen. Verglichen mit anderen Expeditionen haben wir viel gemacht.

Eigentlich hattet ihr euch vorgenommen, eine neue Route durch die Shishapangma-Südwand zu klettern. Woran ist das Vorhaben letztlich vor allem gescheitert?

(Ueli) Wenn man so eine Erstbegehung machen will, braucht man wenigstens zwei bis drei Tage stabiles Wetter. Das hatten wir einfach nie. Wenn du es trotzdem probierst, kommst du vielleicht 300, 400 Meter hoch und musst wieder abseilen. Von daher war es also utopisch. Aber darüber muss man sich von vornherein klar sein. Wenn du an einem Achttausender in so einer Wand eine Erstbegehung machen willst, muss einfach vieles stimmen. Dann musst du auch den Mut haben, mehr als einmal hinzufahren, es zu probieren und auf das Glück zu warten.

Windige Südwand

Windige Südwand

Als ihr zum ersten Mal am Wandfuß wart, habt ihr mir noch gesagt, die Verhältnisse sähen richtig gut aus. Wann habt ihr realisiert, dass es nicht möglich sein würde?

(David) Wir hatten eigentlich bis zum Ende, also bis zum letzten Wetterfenster um den 22. Mai herum, die Option, in die Route einzusteigen, wenn es drei oder vier Tage gutes Wetter gegeben hätte. Wir hatten bis zuletzt unser Material dafür im ABC (im vorgeschobenen Basislager). Und wir haben auch bis zuletzt daran geglaubt. Als wir anfangs am Wandfuß waren, sahen die Verhältnisse super aus, die Voraussetzungen waren wirklich perfekt. Nur die Windverhältnisse haben noch nicht gestimmt, und es war brutal kalt. Gegen Ende der Expedition, vor dem letzten Wetterfenster, hat es sich dann jedoch abgezeichnet, dass es einfach zu instabil war. Auch Karl (Gabl, Meteorologe aus Österreich), der uns mit den Wetterberichten versorgte, hat gesagt, er habe noch nie so eine feuchte und durchwachsene Vormonsunzeit in Tibet erlebt – auf der Seite des Himalaya, auf der es sonst ja eher trocken ist. Eigentlich ist dieser Traum also erst am Ende geplatzt.

Bei eurem letzten Versuch seid ihr über die Route der britischen Südwand-Erstbegeher aufgestiegen. Hattet ihr die neue Route zu dem Zeitpunkt schon abgeschrieben?

(Ueli) Am Ende war das Wetterfenster gerade mal einen halben Tag lang. Da war die Entscheidung klar, es über die Engländer-Route zu probieren. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, ob wir vielleicht noch länger bleiben würden. Theoretisch hätten wir noch bis Ende des Monats auf ein Wetterfenster warten können. Aber schlussendlich machte es keinen Sinn.

Schwierige Verhältnisse

Schwierige Verhältnisse

Schnell und leicht, also mit möglichst wenig Gepäck – das war eure Taktik. Was setzt sie voraus?

(Ueli) Zunächst einmal muss bei beiden die Grundfitness stimmen, sonst geht das einfach nicht. Wenn du nicht genug trainiert bist, um 2000 Höhenmeter in dieser Höhe, in diesem technischen Gelände aufzusteigen, ist es unmöglich. Aber du musst auch bereit sein, das Spiel kompromisslos zu spielen. Da gibt es kein „Vielleicht nehme ich noch einen Schlafsack und einen Kocher mit“, damit man doch noch biwakieren könnte. Du musst sagen können: Wir nehmen nichts mit, und vielleicht geht es oder eben nicht. Du musst dir auch bewusst sein, wie exponiert du bist. Beide Male mussten wir entscheiden: Jetzt müssen wir runter, sonst wird es ungemütlich und gefährlich. Du bist dann halt limitiert, du kannst nicht einfach warten und am nächsten Tag auf den Gipfel gehen.

Außer euch war niemand auf der Südseite der Shishapangma. Habt ihr die Einsamkeit genossen?

(David) Das gehört wirklich zu den ganz speziellen Dingen dieser Achttausender-Expedition. Das Basislager lag auf einer Wiese mit einem kleinen See davor, ein genial schöner Platz. Den hatten wir für uns alleine. Wir hatten auch nicht diesen Druck, wenn mehrere Teams am Berg auf derselben Route unterwegs sind, die sich dann gegenseitig bei den Entscheidungen beeinflussen, wo man dann auch schnell mal unter Zugzwang gerät. Das alles nicht zu haben, war Luxus für uns beide. Wir haben es sehr genossen.

Ihr seid jetzt zwei Monate lang zusammen unterwegs gewesen. Da kann man sich auch schon mal auf die Nerven gehen. Habt ihr nie Lagerkoller gehabt?

David auf dem Shishapangma-Grat

David auf dem Shishapangma-Grat

(David) Nein, es war total entspannt. Wir haben uns gut verstanden. Das lag daran, dass wir in vielen Dingen sehr ähnlich ticken und dann auch immer unterwegs oder in Bewegung waren. Ueli hat gebouldert, ich habe Yoga gemacht. So hat sich jeder ausgetobt. Und dann sind wir wieder zum Berg gegangen. Wir hatten selten Tage, an denen wir herumsitzen und ausharren mussten, wo ein Lagerkoller hätte entstehen können. Das war für mich etwas Neues auf einer Expedition, immer in Bewegung zu sein. Für Ueli ist das normal. Aber ich glaube, er hat es auch genossen.

Ist das Projekt einer neuen Route durch die Shishapangma Südwand nun aufgeschoben oder aufgehoben?

(Ueli) Sag niemals nie! Wenn man so etwas machen will, muss man den Mut haben und es auch akzeptieren können, dass man auch dranbleiben muss – nicht das Gefühl, es klappt beim ersten Mal. Ich würde eher sagen, es ist aufgeschoben.

Seid ihr jetzt als Team so weit zusammengewachsen, dass ihr sagt: Wir ziehen wieder gemeinsam los?

(David) Ja, von meiner Seite aus schon. (Beide lachen)
(Ueli) Das war ja das Geniale an dieser Expedition. Wir waren das erste Mal gemeinsam unterwegs, und es hat so genial funktioniert. Wir werden hoffentlich noch viele Expeditionen zusammen machen. Ich habe selten erlebt, dass es mit einem Partner so gut funktioniert und man auch dieselbe Einstellung hat.

]]>
Beck Weathers: „Ich würde es ohne Zögern wieder tun“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/beck-weathers-ich-wuerde-es-ohne-zoegern-wieder-tun/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/beck-weathers-ich-wuerde-es-ohne-zoegern-wieder-tun/#comments Thu, 19 May 2016 07:56:41 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=32709 Beck-Weathers

Beck Weathers

Die Everest-Gipfelwelle rollt. In diesen Tagen werden sowohl auf der tibetischen Nord-, als auch auf der nepalesischen Südseite des höchsten Bergs der Erde dutzende, wenn nicht gar hunderte Gipfelerfolge erwartet. Ob sich die Everest-Anwärter von heute noch an Beck Weathers erinnern? Möglicherweise. Schließlich hat 2015 der erfolgreiche Hollywood-Film „Everest“ seine Geschichte noch einmal aufgearbeitet. Vor 20 Jahren wollte auch Beck auf das Dach der Welt steigen. Wegen Sehproblemen musste der Pathologe aus den USA auf rund 8400 Metern seinen Gipfelversuch abbrechen. Später geriet er in jenen Sturm, der innerhalb von 24 Stunden acht Bergsteigern das Leben kostete.

Dass Weathers noch lebt, grenzt an ein Wunder. Eigentlich war er schon so gut wie tot, seine Gefährten hielten ihn jedenfalls dafür. Nach einer Nacht im Whiteout ließen sie Beck ^im Schnee liegen, auf rund 8000 Metern, unweit des Südsattels. Beck erwachte aus seiner Bewusstlosigkeit und schleppte sich trotz schwerster Erfrierungen aus eigener Kraft ins Lager 4. Von dort brachte ihn ein Rettungsteam hinunter nach Lager 2 auf 6400 Metern. Von dort wurde Beck mit einem spektakulären Hubschrauber-Flug in Sicherheit gebracht. Weathers‘ rechter Arm musste bis knapp unterhalb des Ellenbogens amputiert werden. Beck verlor außerdem sämtliche Finger der linken Hand. Seine erfrorene Nase musste in zahlreichen Operationen rekonstruiert werden.

Ich habe anlässlich des 20. Jahrestags des Everest-Unglücks 1996 Kontakt zu Beck Weathers aufgenommen. Weil er auf Reisen war, konnte mir der 69-Jährige seine Antworten auf meine Fragen erst wenige Tage nach dem Jubiläum schicken.

Beck, das Unglück 1996 am Everest war für dich sicher eine der einschneidendsten Erfahrungen überhaupt. In welcher Weise hat es dein Leben verändert?

Es war ein Schlag ins Gesicht, der mich zwang, die Prioritäten in meiner Lebensweise zu ändern. Ich bin stolz darauf. Vorher definierte ich mich über Leistung, über Außenwirkung. Und ich fühlte mich nie wirklich wohl in meiner Haut. Dann musste ich mich ändern. Ich habe jetzt ein gewisses Maß Frieden in meinem Leben erreicht, ich fühle mich wohler, so wie ich bin. Und ich lebe bewusster von Tag zu Tag, mehr als jemals zuvor. Eigentlich hat das Unglück mein ganzes Leben friedlicher und lohnender gemacht.

Beck Weathers: It made my life more peaceful and rewarding

Mount Everest (l.) im ersten Tageslicht

Mount Everest (l.) im ersten Tageslicht

Ich nehme an, du hast dich selbst oft gefragt, wie du es geschafft hast, die Situation zu überleben, die du in deinem Buch als „Für tot erklärt“ bezeichnet hast. Wie erklärst du dir das eigentlich Unmögliche, 20 Jahre später?

Nun, ich habe mir sehr viele Gedanken darüber gemacht. Ich kann diese Frage nicht wirklich beantworten. Ich bin die Frage sowohl von der rein geistigen, als auch der rein physischen Seite angegangen, denn ich bin, soweit ich weiß, der einzige Mensch in der Geschichte des Alpinismus, der in den hohen Bergen wegen Unterkühlung ins Koma gefallen und wieder aus ihm erwacht ist. Ich denke, das Geistige spricht für sich. Und das Physische: Die Sonne ist auf so einem sehr hohen Berg selbst im Sturm, wenn sie sich den ganzen Tag verbirgt, unglaublich stark. Die Kleidung, die du trägst, ist darauf ausgelegt, Wärme zu speichern. Und letztlich reicht schon ein geringer Anstieg der Körpertemperatur, um wieder das Bewusstsein zu erlangen und die Augen zu öffnen. An diesem Punkt liegt dann die Entscheidung, ob du aufstehst und dich bewegst oder dich aufgibst, ganz allein bei dir.

Beck Weathers: Moving versus surrender

Nach dem Unglück wurde der Schwarze Peter hin und her geschoben. Wie beurteilst du das heute?

Damals gab es wirklich harte und schwere Schuldzuweisungen. Ich habe mich ganz bewusst entschieden, dabei nicht mitzumachen, vor allem, weil ich dachte, es wäre selbstzerstörerisch, darüber nachzudenken, wer daran Schuld sei. Das würde mich nur wütend machen und meine Emotionen und meine Aufmerksamkeit auf Bereiche lenken, die für mich sehr ungesund wären. Es war meine Entscheidung, dort zu sein, meine Beine haben mich dorthin getragen. Und letztlich war ich selbst in der Lage, zurück ins Hochlager zu gehen. Ganz ehrlich, wenn man jemand die Schuld dafür geben kann, was mir passiert ist, dann mir selbst. Ich werde nicht fragen: Warum hast du mir nicht aus der Patsche geholfen, warum hast du nicht meinen Allerwertesten gerettet? Ich halte das für einen schrecklich destruktiven Ansatz. Du musst selbst die Verantwortung für dein Handeln übernehmen.

Beck Weathers: Take responsibility for your own actions

Becks linke Hand

Becks linke Hand

Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest und die Gelegenheit hättest, deinen Entschluss, im Frühjahr 1996 zum Everest zu gehen, zurücknehmen könntest, würde du es trotzdem wieder tun?

Auch wenn ich, um ehrlich zu sein, damals nicht darüber nachgedacht haben – ja, ich würde es noch einmal tun, weil ich so viel mehr gewonnen als aufgegeben habe. Indem mich das Unglück zwang, meine Lebensweise zu überprüfen, hat es letztlich meine Ehe gerettet und auch meine Beziehung zu meinen Kindern. Und es hat mir 20 Jahre geschenkt, die die absolute interessantesten und besten Jahre meines Lebens gewesen sind. Ich gab also ein paar Körperteile, aber ich gewann so viel mehr. Also, ich würde es wieder tun, ohne eine Sekunde zu zögern.

Beck Weathers: I would do it again in a heart beat

Verfolgst du immer noch, was am Mount Everest passiert – und wenn ja, mit welchen Gefühlen?

Wenn wirklich etwas passiert und es von Interesse ist, schaue ich wie der Rest der Welt hin, wie im Fall der Lawine, die im Jahr 2014 im Khumbu-Eisbruch 16 Sherpas tötete, oder der Lawine im vergangenen Jahr vom Pumori auf das Basislager. Diese Dinge zwingen mich, noch einmal über den Everest nachzudenken: was dort passiert, auch darüber, was sich über die Jahre geändert hat. Ich habe niemals Traurigkeit empfunden, wenn ich an den Everest zurückdachte. Ich hatte niemals Alpträume, nichts hat mich gequält. Es gehört einfach zu den Dingen, die passiert sind, es ist ein Teil meines Lebens, ich nehme es an. Ich blicke ohne jedes Gefühl des Bedauerns zurück. Ich akzeptiere einfach, was das Leben für mich bereitgehalten hat. Und ich habe es hoffentlich geschafft, ein besserer Mensch zu werden, für die Herausforderung, vor die mich das Leben gestellt hat.

Beck Weathers: No feelings of regret

]]>
https://blogs.dw.com/abenteuersport/beck-weathers-ich-wuerde-es-ohne-zoegern-wieder-tun/feed/ 1
Tamara Lunger: „Es war ein Traum“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/tamara-lunger-es-war-ein-traum/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/tamara-lunger-es-war-ein-traum/#comments Mon, 07 Mar 2016 09:38:05 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=32049 Tamara Lunger

Tamara Lunger

Es war doppelt knapp. Erst verpasste Tamara Lunger die erste Winterbesteigung des Nanga Parbat denkbar knapp, dann kam die 29 Jahre alte Südtirolerin knapp mit dem Leben davon. Knapp unterhalb des 8125 Meter hohen Gipfels, informierte Tamara entkräftet ihren italienischen Teampartner Simone Moro, dass sie wohl herauf-, aber ohne Hilfe nicht mehr herunterkommen würde. Wenig später drehte sie um. Simone, der Spanier Alex Txikon und der Pakistaner Muhammad Ali (nach seinem Heimatdorf auch „Ali Sadpara“ genannt) erreichten ohne sie den Gipfel. Beim Abstieg verlor Lunger dann kurz vor dem obersten Lager nach einem Sprung über eine Gletscherspalte den Halt. Sie rutschte rund 200 Meter dem Abgrund entgegen, ehe sie mit viel Glück im lockeren Schnee zum Halten kam. Inzwischen ist die Bergsteigerin wieder daheim in Südtirol.

Tamara, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu deiner Leistung. Hast du dich inzwischen von den Strapazen erholt?

Vielen Dank, Stefan. Ich muss sagen, die Strapazen vom „fast-Gipfel“ habe ich schon überstanden, aber die Folgen meines Sturzes noch nicht. Es hat mich, denke ich, recht zusammengehauen, und auch mein Sprunggelenk ist immer noch geschwollen. Das werde ich am Montag gleich abklären, aber da ist sicher was in Fetzen. 🙁

Tamara mit Simone Moro

Tamara mit Simone Moro

Das Wetter am Gipfeltag war perfekt, aber der Weg zum höchsten Punkt lang, je rund 1000 Höhenmeter waren noch im Auf- und Abstieg zu überwinden. Wie groß hast du vor dem Aufbruch aus Lager 4 eure Chance bewertet, den höchsten Punkt zu erreichen?

Ich bin ehrlich, wenn ich sage, dass ich am Vorabend zu Simone gesagt habe: „Das ist ja sehr nahe, das rocken wir gewiss!“ Ich wusste es wirklich mit hundertprozentiger Sicherheit. Und auch wenn es für mich nicht geklappt hat, es war mehr das Pech einer etwas schlechten Tagesverfassung.

Nach den Worten Simones warst du gerade einmal 60, 70 Meter unterhalb des Gipfels. Wie schwer ist dir die Entscheidung gefallen, dort umzukehren?

Überhaupt nicht. Ich musste mich den ganzen Tag übergeben, und der starke Wind hat mir viel Energie geraubt. Als ich an meine Umkehrstelle gelangte und ich Ali mir schon vom Gipfel zuwinken sah, schoss mir auf einmal dieser Satz in meinen Kopf: „Wenn du jetzt auf den Gipfel gehst, dann siehst du deine Leute nicht mehr!“ Ohne darüber nachzudenken, machte ich kehrt und bin ausgestiegen, weil ich wusste, dass ich vom Gipfel bis zum Lager 4 bei jedem Schritt ausrutschen könnte und in den Tod stürzen könnte. Wir hatten nicht mal einen Meter Seil dabei, da wäre eine Hilfe unmöglich gewesen, und auch der Rest vom Team war recht angeschlagen von den Strapazen.

Ali (l.) und Simone (r.) am höchsten Punkt

Ali (l.) und Simone (r.) am höchsten Punkt

Du hast dich bereits am Morgen des Gipfeltags übergeben, bist aber trotzdem aufgebrochen. Hast du gehofft, dass sich die Beschwerden mit der Zeit geben?

Noch davor habe ich gespürt, dass ich muskulär nicht einen guten Tag hatte, aber ich war noch in der Hoffnung, dass sich das legt. Als ich mich das erste Mal übergeben habe, fühlte ich mich nachher fast etwas befreit, aber mit jede Schluck Getränk und jedem Bissen Essen hat sich das wiederholt, und meine Kraft wurde immer weniger. Ich wusste, das würde sich heute nicht mehr ändern.

Glaubst du, dass mangelnde Akklimatisierung die Ursache für deine Beschwerden war?

Könnte sein, immerhin haben Simone und ich zuvor nur eine Nacht auf Lager 2 (ca. 6100m) geschlafen. Es könnte aber auch der ganze Aufstieg an sich gewesen sein. Ich konnte kaum schlafen, da wir zu viert nur zwei Isomatten hatten. Und wir hatten von Lager 3 bis 4 noch Fixseile anzubringen, was uns alle Kraft und Zeit gekostet hat.

Abstieg

Abstieg

Das Bild der verschiedenen Aufstiegswege, das Alex veröffentlicht hat, zeigt, dass du dich kurz unterhalb des Gipfels von Simones und Alex‘ Route entfernt und seitlich gequert hast. Warum?

Ich wollte versuchen, dem Wind auszustellen, vergeblich. Meine Füße waren schon wieder so kalt, und ich wollte die Batterien in meinem Sohlen-Heizsystem austauschen. Ich hatte keine Chance, es war zu kalt, und ich traute mich nicht meine Fäustlinge auszuziehen.

In welchem Zustand hast du am Abend Lager 4 erreicht?

Ich war fertig, hatte Schüttelfrost die ganze Nacht. Die Schrecksekunden bei meinem Sturz haben mir nochmal einiges an Energie und Nerven gekostet.

Erfolgsteam Tamara, Simone, Alex und Ali (v.r.n.l.)

Erfolgsteam Tamara, Simone, Alex und Ali (v.r.n.l.)

Mit welchem Gefühl kehrst du vom Nanga Parbat nach Südtirol zurück, was nimmst du an Erfahrungen mit?

Es war ein Traum. Alles kam so, wie es kommen sollte. In den drei Monaten hat sich wahnsinnig viel getan. Nach der Abreise von Daniele Nardi fühlten wir uns alle frei. Es ist nicht so, dass ich ihn nicht ausstehen kann, im Gegenteil, aber im ganzen Basislager war eine fehlende Harmonie, die einfach nur zum Kotzen war, und das hat mich fertig gemacht. Ich muss frei sein im Kopf, wenn ich so was machen will. Anschließend war das Team perfekt, alle vier gleichwertig, das Wetter gut. Und dann war nur noch Ruhe von uns gefragt. Ich gönne es meinem Team, ich weiß, was wir dafür gegeben haben. Und ich bin auch sehr stolz auf mich, dass ich den Mut hatte, auf meinen Bauch zu hören. Ich sehe es als Geschenk, so etwas in mir zu tragen, und ich werde es hüten und beschützen wie einen Schatz, damit es mir immer und immer wieder den richtigen Weg zeigt, meinen Weg.

Simone hat angekündigt, dass er dem Winterbergsteigen an den Achttausendern adieu sagt. Wie sieht es bei dir aus?

Ich kann dazu noch nichts sagen. 😉

]]>
https://blogs.dw.com/abenteuersport/tamara-lunger-es-war-ein-traum/feed/ 5
Lunger: „Der Prinz muss lange kämpfen“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/tamara-lunger-der-prinz-muss-lange-kaempfen/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/tamara-lunger-der-prinz-muss-lange-kaempfen/#comments Sat, 06 Feb 2016 16:10:27 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=31837 Tamara Lunger

Tamara Lunger

Die Hängepartie am Nanga Parbat geht weiter. 15 Zentimeter Neuschnee bedecken das Basislager auf der Diamir-Seite. Möglicherweise müssen Alex Txikon, Ali Sadpara, Simone Moro und Tamara Lunger ihren eigentlich für Sonntag geplanten Aufstieg verschieben, mit dem sie sich neuerlich akklimatisieren wollten. Das Tischtuch zwischen dem Spanier Txikon und dem Italiener Daniele Nardi scheint endgültig zerschnitten zu sein. „JA, die Zusammenarbeit ist beendet“, schreibt mir Alex aus dem Basislager. „Obwohl ich dieser Kooperation mehr als eine Chance gegeben habe, war es letztlich unmöglich, sie fortzusetzen.“ Der Streit belastet auch Tamara Lunger. Die 29 Jahre alten Südtirolerin hat bereits zwei Achttausender bestiegen: 2010 als jüngste Frau den Lhotse (mit Flaschensauerstoff) und 2014 den K 2 (ohne Atemmaske). Am Nanga Parbat ist sie erneut mit dem Italiener Simone Moro unterwegs. Im vergangenen Jahr hatten die beiden ihren Versuch am Manaslu wegen starker Schneefälle abbrechen müssen. Ich habe Tamara im Nanga-Parbat-Basislager kontaktiert.

Tamara, das schlechte Wetter hält euch nun schon seit Tagen im Basislager fest. Wie vertreibst du dir die Zeit und dich selbst fit?

Ich selbst hatte mit der Gesundheit zu kämpfen, da ich starken Husten hatte. Also war es für mich nicht mal so schlecht, dass alles so gelaufen ist. Und dann haben wir natürlich versucht, jeden Tag abwechselnd unseren Weg zum Lager 1 offen zu halten. Es ist schon so, wenn man nur hier im Basislager herum sitzt und nichts macht, dann geht es dem Körper nicht besser. Er wird immer schwerfälliger. An den Tagen wo man wirklich nichts macht, habe ich immer die Möglichkeit, an meinem Buch zu schreiben, zu waschen, zu filmen, einfach nur die Sonne genießen, oder mit den ganzen Männern hier über Frauen zu sprechen.

Bei Winterexpeditionen ist Geduld noch mehr gefragt als bei Expeditionen in den anderen Jahreszeiten. Fällt dir das Warten sehr schwer?

Ich muss ehrlich sagen: ja. Aber dieser Gipfel jetzt im Winter ist mir dermaßen wichtig, dass ich dafür wirklich diese drei Monate hernehme und mir keinen Druck mache. Ich bin hier mit dem Ziel, auf den Gipfel zu kommen. Ich werde alles versuchen, und ich weiß, dass ich mit Simone Moro als Kletterpartner den Besten habe. In dieser letzten Zeit habe ich schon sehr viel von ihm gelernt, vor allem was den Winter anbelangt. Wir verstehen uns super gut, und ich bin glücklich hier zu sein und diese Chance zu haben.

Spurarbeit vonnöten

Spurarbeit vonnöten

Ihr habt euren Plan aufgegeben, über die Messner-Route aufzusteigen. Tomek Mackiewicz und Elisabeth Revol waren auf dieser Route immerhin auf Schlagdistanz zum Gipfel gestiegen. Was hat euch bewogen, euren Plan zu ändern?

Als Tomek und Elisabeth Richtung Gipfel gegangen sind, waren auch wir gemeinsam mit ihnen auf Lager 2. Wir mussten zwei Tage dort ausharren wegen des Wetters, und uns ist blöderweise das Essen ausgegangen. Trotz des Gutwetterfensters haben wir uns dazu entschlossen, herunterzugehen.
Nach ihrer Rückkehr haben sie uns von einem Aufstieg eher abgeraten, weil der Serac dermaßen gefährlich ist, dass er jederzeit bereit ist einzustürzen.

Welche Verhältnisse erwartet ihr nun auf der Kinshofer-Route?

Es soll recht gut und hart sein. Bis Lager 1 haben wir uns um die Spur bemüht, und von Lager 1 bis 3 ist es ziemlich eisig. Der starke Wind war uns hier sehr behilflich. 😉

Simone und du habt euch mit Alex Txikon und Co. zu einem Team zusammengeschlossen. Bedeutet das, ihr würdet auch einen Gipfelvorstoß gemeinsam angehen? Oder würdet ihr dann wieder als getrennte Seilschaften unterwegs sein?

Dazu kann ich jetzt noch nichts sagen. Jedenfalls starten wir gemeinsam, und wir freuen uns jetzt schon richtig drauf. Alle sind gut drauf und haben Spaß zusammen.

Drei Teams sind bereits wieder abgereist, wie viel Zeit gebt ihr euch?

Bis zum Ende des Winters. Ich spüre ganz viel Positives. Bis jetzt hatten wir mit vielen Problemen zu kämpfen, aber hier ist es mehr eine Liebesgeschichte. Der Prinz muss lange kämpfen, bis er seine Prinzessin bekommt. Aber alles mit der Ruhe. 😉

Lunger, Moro, Sadpara und Txikon (v.l.)

Lunger, Moro, Sadpara und Txikon (v.l.)

Viele Berichterstatter in den Medien – ich übrigens nicht – schreiben von einem Wettlauf am Nanga Parbat. Wie siehst du das?

Wenn es einen gegeben hat, dann ist er jetzt vorbei! Und ich bin sehr glücklich darüber und freue mich auf alles, was kommt. Und die Medien machen es sich wirklich einfach. Teilweise reimen sie sich Dinge zusammen, hören nur eine Meinung an oder spekulieren, wissen aber nicht, was sie hier alles anrichten. Viele der Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten und Streitereien hier im Basislager sind nur dank und für die Medien entstanden. Bergsteiger hier werden von außen als gut oder böse dargestellt, verhalten sich falsch oder richtig, und man selber, wie man hier im Basislager sitzt, ist nur mehr am Staunen, hat aber keinen Einfluss auf manches Geschehen.

Aber mir hat das auch sehr die Augen geöffnet, muss ich sagen. Sobald die Bergsteiger nur mehr hierher kommen, um der Welt da draußen zu gefallen, um Aufregendes zu berichten, damit man so viele Likes, Klicks und weiß Gott was sonst noch bekommt, dann ist das nicht der richtige Platz. Hier geht es unter anderem auch ums Überleben. In der Eiseskälte genügt ein blöder Fehler und man ist bei Gott. Da können auch seine Kameraden nur mehr schwer helfen. Das alles, was wir hier machen, hat seinen Wert. Aber auch wir selbst haben einen gewissen Wert, der manchmal wirklich zerbrechlich scheint.

Wie gehst du mit den Meinungsverschiedenheiten zwischen Alex und Daniele um, die der Spanier öffentlich gemacht hat?

Ich, oder besser gesagt, alle, die noch hier sind, leiden unter diesen Meinungsverschiedenheiten. Eine Person hat hier wirklich mit schmutzigen Mitteln gespielt und muss jetzt halt auch dafür gerade stehen.

Ist es für dich eine besondere Situation, als einzige Frau unter Männern auf der Diamir-Seite?

Ich habe noch Igone (Mariezkurrena) als Unterstützung hier, die Freundin von Alex. Manchmal ist es recht angenehm, nur unter Frauen zu sein. Mit den Männern kann man immer nur über dieselben zwei Themen reden: Frauen und das Gehänge zwischen den Beinen.

Update 8.2.: Der Italiener Daniele Nardi hat seine Zelte im Basislager abgebrochen und hat die Heimreise angetreten.

 

]]>
https://blogs.dw.com/abenteuersport/tamara-lunger-der-prinz-muss-lange-kaempfen/feed/ 1
Dujmovits: „Jeder will der Erste auf dem Nanga Parbat sein“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/dujmovits-jeder-der-will-der-erste-auf-dem-nanga-parbat-sein/ Fri, 29 Jan 2016 14:16:38 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=31763 Ralf Dujmovits auf der ISPO

Ralf Dujmovits auf der ISPO

Auch Ralf Dujmovits gehört zu den vielen Bergsteigern, die schon einmal im Winter am Nanga Parbat gescheitert sind. Der erste und bisher einzige Deutsche, der alle 14 Achttausender bestieg, versuchte sich zur Jahreswende 2013/2014 an dem 8125 Meter hohen Berg in Pakistan, nachdem er sich zuvor am 6962 Meter hohen Aconcagua, dem höchsten Berg Südamerikas, akklimatisiert hatte. Ralf brach seine Expedition damals schnell ab, weil er das Eisschlag-Risiko auf der Messner-Route für zu groß hielt. Ich traf den 54-Jährigen diese Woche auf der Sportartikelmesse ISPO in München.

Ralf, im Augenblick ist richtig viel los am Nanga Parbat. Juckt es dich da nicht, auch noch einmal dorthin zu reisen?

Natürlich juckt es mich, aber ich weiß auch, wie kalt, hart und schwierig die Zeiten am Nanga Parbat sein können. Insofern bin ich ganz froh, dass ich den Winter im Süden beim Klettern genossen habe. [Ralf kehrte Mitte Januar mit seiner Partnerin, der kanadischen Kletterin Nancy Hansen, von einer Reise aus Südostasien zurück]. Trotz allem juckt es mich so sehr, dass wir überlegen, möglicherweise im kommenden Winter noch einmal dorthin zu gehen. Ich würde schon ganz gerne die Erfahrung, die ich am Nanga Parbat gesammelt habe, für eine – im Idealfall erfolgreiche – Winterbesteigung nutzen.

Dujmovits: Vielleicht im kommenden Winter

Aber ihr müsstet euch darauf einstellen, dass es voll wird. Man hat das Gefühl, dass der Nanga Parbat im Winter von Jahr zu Jahr für Profibergsteiger attraktiver wird. 

Das Ganze schaukelt sich hoch. Es sind mit dem K 2 und dem Nanga Parbat nur zwei Achttausender übrig, die noch nicht im Winter bestiegen wurden. Da wollen natürlich viele dabei sein. Ich denke, es ist gut, wenn man viel Erfahrung mitbringt, auch aus dem Sommer. Dann weiß man schon einmal, wo es lang geht und was auf einen zukommt. Insofern würde ich mir ausrechnen, gute Karten zu haben – wenn es von den Verhältnissen am Berg her passt.

Ralf im Januar 2014 am Nanga Parbat

Ralf im Januar 2014 am Nanga Parbat

Auch diesmal waren und sind schon viele erfahrene Bergsteiger dort, auch viele Nanga-Parbat-Erfahrene. Nehmen wir nur Tomek Mackiewicz, der sich bereits den sechsten Winter in Folge an dem Berg versucht hat, oder auch Simone Moro, ein sehr erfahrener Winterbergsteiger. Trotzdem beißen sich, wie es derzeit aussieht, wieder einmal alle die Zähne aus. Was macht den Nanga Parbat im Winter so schwierig?

Ich glaube, dass nach wie vor der Fehler gemacht wird, dass die Leute unzureichend akklimatisiert am Berg unterwegs sind. Es gab jetzt ein für den Winter relativ langes Gutwetterfenster, und wieder konnte es nicht genutzt werden. Einzelne, die sich zurzeit am Nanga Parbat versuchen, haben sich an 6000 Meter hohen Bergen gut vorakklimatisiert. Trotz allem glaube ich, dass nach wie vor die Akklimatisation nicht ausreichend ist, um schnellstmöglich aufsteigen zu können. Da liegt der Hund begraben. Wenn die seltenen Gutwetterfenster gebraucht werden, um sich weiter zu akklimatisieren, geht sehr viel wichtige Zeit verloren.

Dujmovits: Nicht ausreichend akklimatisiert

Ralf beim Abstieg von der Messner-Route

Ralf beim Abstieg von der Messner-Route

Es wird ja immer auch ein bisschen mit der Routenwahl experimentiert, diesmal mit Varianten der Schell-Route oder der Messner-Route. Auf welcher Route siehst du die besten Chancen?

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass eine Winterbesteigung über die Rupal-Seite nicht möglich ist, weil man oben am Mazeno-Kamm rauskommt, der sehr weit weg vom Gipfel liegt. Man muss eine sehr lange Traverse Richtung Gipfeltrapez machen. Dort gibt es im Winter fast immer durchgängig Blankeis. Für diese Traverse in großer Höhe braucht man dann einfach zu viel Zeit. Wenn überhaupt, findet man den Erfolg auf der Diamir-Seite. Dort ist die Messner-Route, ganz auf der linken Seite der Diamir-Flanke, wahrscheinlich am vielversprechendsten. Oder die ganz klassische Kinshofer-Route, die aber mit Fixseilen abgesichert werden muss, weil sie in langen Bereichen sehr steil ist und damit im Winter Blankeis hat.

Du hast gesagt, du liebäugelst mit dem Gedanken, noch einmal im Winter zum Nanga Parbat zurückzukehren. Ist die Motivation raus, wenn es jetzt doch jemand schaffen sollte?

Natürlich wäre es für alle, die jetzt unterwegs sind, wahrscheinlich das Allergrößte, als Erster im Winter dort oben zu stehen. Man würde sich in die Tasche lügen, wenn man das leugnet. Ich war schon auf dem Gipfel des Nanga Parbat, ich kenne den Berg sehr gut, ich muss nicht unbedingt ein zweites Mal oben stehen. Wenn ich es noch einmal probieren würde, dann stünde das Ziel ganz klar im Vordergrund, es als Erster schaffen zu können. Wenn es in diesem Winter jemand packen sollte, würde ich wahrscheinlich nicht mehr hingehen.

Dujmovits: Nicht in die Tasche lügen

Stefan_Dujmovits_cHansenDann bliebe ja noch der K 2.

Ich glaube, ich bin über das Alter hinaus, um ihn im Winter in Angriff zu nehmen. Der K 2 ist noch einmal mindestens eine Dimension schwieriger als der Nanga Parbat. Und wenn sich schon so viele am Nanga Parbat die Zähne ausbeißen, glaube ich, dass es am K 2 noch viel, viel extremer wird.

Der Everest ist noch höher. Ist er für dich nun endgültig gestorben?

Ich habe mir für 2016 ein Everest-Ruhejahr verordnet. [Der Everest war 1992 der einzige Achttausender, an dem Ralf eine Atemmaske benutzte. Siebenmal versuchte er seitdem vergeblich, den höchsten Berg der Erde ohne Flaschensauerstoff zu besteigen.] Wir haben aber vor, 2017 noch einmal hinzufahren. Ich habe mir die Idee, den Everest ohne Flaschensauerstoff zu besteigen, immer noch nicht aus dem Kopf geschlagen.

Du machst eine Everest-Pause, hast aber doch sicher andere Ideen für dieses Jahr?

Ich habe noch andere Pläne. Es gibt noch unbestiegene Siebentausender. Einer davon steht in Pakistan. An dem würden wir uns gerne im Juni versuchen.

Du verrätst aber nicht, an welchem?

Nein, da lassen wir im Moment noch nichts raus.

]]>
Fowler: „Noch kein Gedanke ans Aufhören!“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/mick-fowler-interview-gave-ding/ Wed, 02 Dec 2015 08:23:26 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=31345 Mick Fowler (l.) und Paul Ramsden

Mick Fowler (l.) und Paul Ramsden

Echte Abenteurer sollten jung sein? Quatsch mit Soße. Der Brite Mick Fowler und sein langjähriger Kletterpartner und Landsmann Paul Ramsden beweisen regelmäßig, dass man auch jenseits der 50 noch extrem anspruchsvolle Kletterrouten im Himalaya eröffnen kann. Mick feiert im nächsten Jahr seinen 60. (!) Geburtstag. Unglaublich! Viele junge Bergsteiger würden vor Neid erblassen, wenn sie ihre Erfolge mit den Pioniertaten vergleichen, die Mick und Paul in den vergangenen Jahren hingelegt haben. Immer wieder kletterten sie als Erste auf schwierigsten Routen auf Sechstausender in Nepal, Indien, China oder sonstwo. Zweimal wurden sie bereits mit dem Piolet d’Or ausgezeichnet, dem „Oscar der Bergsteiger“: 2003 für ihre neue Route durch die Nordwand des 6250 Meter hohen Siguniang im Westen Chinas, 2013 für ihre Erstbegehung des Nordostgrats der 6142 Meter hohen Shiva im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh. Fowler und Ramsden dürften nach ihrer jüngsten Expedition eine gute Chance haben, im nächsten Jahr zum dritten Mal den Goldenen Eispickel zu gewinnen. Im Oktober gelang ihnen die Erstbesteigung des Gave Ding, eines formschönen Sechstausenders in einem abgelegenen Tal weit im Westen Nepals.

Mick, Jahr für Jahr entdeckst du mit deinem Kletterpartner Paul Ramsden anspruchsvolle Gipfel oder Routen, ihr versucht euch an ihnen und schafft es. Wie lautet euer Erfolgsgeheimnis?

Eine Menge ernsthafte Nachforschungen, eine gute Partnerschaft und der gemeinsame Willen, nicht aufzugeben, es sei denn, es gibt einen wirklich sehr guten Grund dafür.

Micks und Pauls Route am Gave Ding

Micks und Pauls Route am Gave Ding

In diesem Herbst habt ihr den 6571 Meter hohen Gave Ding im Westen Nepals über die steile Nordwand bestiegen. Wie seid ihr auf dieses Ziel gekommen?

Wir hatten ein gutes Bauchgefühl, nachdem wir Bilder gesehen hatten, die Freunde von uns aus der Ferne von der Westseite aus gemacht hatten. Dieses Gefühl verstärkte sich, als wir auf Google Earth den langen Schatten sehen konnten, den die Nordwand warf.

Wie habt ihr die Erstbesteigung erlebt?

Es war eine wunderbare Erfahrung. Eine großartige Kletterei, ein tolles Team, ein schönes Tal, das vorher noch niemals von Leuten aus dem Westen betreten worden war. Niemand sonst dort, ein unbestiegener Gipfel, eine andere Abstiegs- als Aufstiegsroute, eine herausfordernde Mixed-Kletterei – all das, wonach wir suchen.

Nichts für Angsthasen

Nichts für Angsthasen

Der Berg liegt in einer sehr abgelegenen Gegend. Fühltet ihr euch auch ein bisschen wie Entdecker?

Ja, in dem Sinne, dass wir nicht wussten, welche Wand uns erwarten würde, bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir sie wirklich sahen. Es hätte auch kompletter Unsinn sein können.

Vor einiger Zeit habe ich Bergsteiger wie dich und Paul in meinem Blog als „Antidepressivum“ für alle Ü50er bezeichnet. Wie lange, glaubst du, kannst du noch auf diesem hohen Niveau klettern?

Solange ich Spaß daran habe und mein Körper mitspielt. Ich verschwende noch keinen Gedanken ans Aufhören.

]]>
Kuriki: “Ich werde es genießen, trotz aller Strapazen” https://blogs.dw.com/abenteuersport/kuriki-ich-werde-es-geniessen-trotz-aller-strapazen/ Thu, 01 Oct 2015 10:38:17 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=30739 Nobukazu Kuriki

Nobukazu Kuriki

Nächster Anlauf. In diesen Tagen will der japanische Bergsteiger Nobukazu Kuriki zu seinem zweiten Gipfelversuch am Mount Everest aufbrechen. Wie berichtet, war sein erster auf rund 7700 Metern gescheitert, auf Höhe des Genfer Sporns, 200 Meter unterhalb des Südsattels. Kuriki ist der einzige Bergsteiger, der in diesem Herbst versucht, den Everest zu besteigen – alleine und ohne Flaschensauerstoff. Es ist mir gelungen, den 33-Jährigen im Everest-Basislager zu erreichen.

Nobukazu, was lief bei deinem ersten Gipfelversuch schief?

Der Schnee war tiefer, als ich erwartet hatte. Ich brauchte zu lange, um mich hindurchzuwühlen.

Du hast dein höchstes Lager auf etwa 7700 Metern aufgeschlagen, statt wie sonst allgemein üblich am Südsattel. Warum?

Ich habe festgestellt, dass es zu lange dauern würde, mit dem Zelt auf dem Rücken bis zum Südsattel hinauf zu spuren. Es war einfacher, das Zelt dort sicher und stabil im tiefen Schnee aufzustellen.

Kuriki am Everest

Kuriki am Everest

Wirst du irgendetwas an deiner Taktik beim zweiten Versuch ändern?

Ich werde mein Zelt wieder auf der gleiche Höhe zwischen 7600 und 7700 Metern aufschlagen. Aber wenn ich dort mein Gepäck abgeladen habe, werde ich zum Südsattel hinaufspuren und anschließend wieder zum Zelt zurückkehren, um mich auszuruhen. Den Gipfelvorstoß werde ich dann in jener oder der darauf folgenden Nacht starten.

Was macht dich zuversichtlich, diesmal den Gipfel zu erreichen?

Es ist eine harte körperliche Herausforderung, aber es ist schon mein fünfter Versuch am Everest, ich habe mich daran gewöhnt. Ich bin gut akklimatisiert, und das Wetter scheint zu halten.

Wie fühlst du dich mental und körperlich?

Mental bin ich in gutem Zustand. Ich werde das Klettern genießen, trotz aller Strapazen. Physisch kann es dir in dieser Höhe niemals perfekt gehen, aber ich werde ganz bewusst atmen, damit mein Körper den Anstieg gut verkraftet.

]]>
Göttler: Gewaltbereite Sherpas vergiften Everest-Klima https://blogs.dw.com/abenteuersport/interview-david-goettler-everest/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/interview-david-goettler-everest/#comments Sat, 03 May 2014 09:59:42 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=25997 David Göttler

David Göttler

Über 300 Everest-Träume sind vorerst geplatzt. So viele Bergsteiger kehrten nach der Lawine im Khumbu-Eisbruch unverrichteter Dinge heim, nachdem ihre Expeditionen abgeblasen worden waren. Zu ihnen gehörte auch David Göttler. Der 35 Jahre alte Münchener hatte versuchen wollen, den höchsten Berg der Erde über die Normalroute auf der nepalesischen Südseite ohne Flaschensauerstoff zu besteigen. Göttler war noch dabei, sich zu akklimatisieren, als ihn die ersten, noch widersprüchlichen Meldungen über die Lawine erreichten. „Anfangs habe ich gehofft, vielleicht doch noch einen Versuch machen zu können“, erzählt mir David am Telefon. Deshalb habe er sein Vorbereitungsprogramm zunächst auch fortgesetzt. „Als ich am Gipfel des Island Peak (Sechstausender im Everest-Gebiet) war und unterhalb des höchsten Punktes übernachten wollte, kam die Nachricht, dass meine Expedition und auch alle anderen abgebrochen würden.“ Er kehrte nach Kathmandu zurück.

„David, was hat dich letztlich bewogen, das Unternehmen komplett fallen zu lassen? Du hättest doch zum Basislager weiterziehen und alleine durch den Eisbruch klettern können.

Adrian Ballinger vom Veranstalter Alpenglow, auf dessen Permit ich lief, ist von Kathmandu aus ins Basislager geflogen und hat mit seinen Sherpas geredet. Er hat sie auch gefragt, ob ich kommen könnte. Adrian wollte, nachdem er seine Gäste mit Sauerstoff auf den Gipfel geführt hätte, mit mir zusammen noch einen Versuch ohne Sauerstoff machen. Aber die Sherpas haben relativ deutlich gesagt, dass eine kleine, aber anscheinend sehr einflussreiche Sherpa-Gruppe jedem, der höher als das Basislager steigen wollte, Gewalt androhte. So wurde auch dem Basislager-Personal, z. B. unserem Küchenchef, gedroht, dass seine Familie zu Schaden kommen werde. Das ist etwas, was ich absolut nicht gutheißen kann und scharf kritisiere.

Das war nur eine kleine Gruppe. Der Großteil der Sherpas hat tief getrauert. Ich verstehe jeden einzelnen, der sagt, ich möchte in dieser Saison nicht mehr den Everest besteige. Das akzeptiere ich und würde niemals jemanden zwingen, für mich Fixseile zu legen. Aber ich möchte immer noch als Bergsteiger die Möglichkeit haben, die Risiken selbst zu beurteilen und dann für mich zu entscheiden, ob ich gehe oder nicht. Nachdem aber ausdrücklich gesagt wurde, dass es nicht erwünscht sei, dass irgendwer bergsteige, haben wir auch abgebrochen.  Das ist eine Atmosphäre, in der ich mich nicht wohl fühle und in der ich nicht bergsteigen möchte.

Südseite des Mount Everest

Südseite des Mount Everest

Im letzten Jahr griffen Sherpas Ueli Steck und Simone Moro in Lager 2 tätlich an. Jetzt drohte eine kleine Gruppe Gewalt an und übte Druck aus. Gewalt ist plötzlich ein Thema am Everest. Denkst du, dass die Sherpas in sich gehen müssen, weil offenkundig ein Riss durch ihre Gemeinschaft geht?

Sie müssen das Problem auf jeden Fall lösen. Diese Atmosphäre von Drohungen und Gewaltbereitschaft vergiftet das ganze Klima. Dabei schießen sich die Sherpas doch ins eigene Bein, weil sie ziemlich schnell merken werden, was passiert, wenn keine Expeditionen mehr kommen. Gerade die Sherpas dieser kleinen gewaltbereiten Gruppe, die für Veranstalter arbeiten, die ihre Mitarbeiter nicht ausreichend versichern, werden als erste keine Arbeit mehr haben. Ich weiß nicht, wie sie dann reagieren.

Ich hatte das Gefühl, dass sich im letzten Jahr alle darauf verlassen haben, dass die Regierung einschreitet. Das hat offenkundig nicht funktioniert. Welche Rolle kann und sollte die Regierung überhaupt spielen? Ist es nicht vielmehr Aufgabe der Bergsteiger-Gemeinschaft, dieses Problem selbst zu lösen?

Ich komme nach Nepal und zahle mein Permit an die Regierung und nicht an die Sherpas. Von daher würde ich mir wünschen, dass die Regierung und das SPCC (Sagarmatha Pollution Control Comittee, die Verwaltung des Everest-Nationalparks) dieses Geld auch in die Everest-Region weitergibt oder zumindest, dass dort ein größerer Teil als bisher ankommt. Jedes Wasserkraftwerk, jede Brücke, jede Schule, jedes Krankenhaus im Khumbu-Gebiet ist aus Deutschland, Italien, den USA oder anderen westlichen Ländern  gesponsert. Da frage ich mich, wie wahrscheinlich auch die Sherpas: Wo bleibt eigentlich das Geld dieser Permits von 300 und mehr Bergsteigern für jeweils 10.000 Dollar? Auf der anderen Seite sollte es auch selbstverständlich sein, dass jeder zahlende Kunde sich einen Veranstalter aussucht, der verantwortungsvoll mit seinen Angestellten umgeht. Hätte ich mich für den preisgünstigsten Veranstalter entschieden, hätte ich 5000 Euro sparen können. Ich kannte ihn aber nicht und wusste nicht, welche Versicherungen er abschließt und wie er seine Leute behandelt.

Die Sherpas – von den „Ice doctors“, über die Hochträger bis zu den Climbing Sherpas – riskieren im Khumbu-Eisbruch Kopf und Kragen. Hast du Verständnis, wenn sie fordern, für ihren gefährlichen Job besser bezahlt zu werden?

Es muss so honoriert werden, dass beide Seiten damit einverstanden sind. Da bin ich einer Meinung mit den Sherpas. Aber sie müssen die Bezahlung aushandeln, bevor die Arbeit losgeht. Jeder Sherpa unterschreibt bei seiner Agentur einen Vertrag, in dem genau steht, wie hoch die Versicherungssumme im Todesfall ist, wie oft er durch den Eisbruch gehen muss, wie viel Geld er dafür erhält. Wenn ich in den Alpen als Bergführer arbeite und einen Job am Mont Blanc annehme, weiß ich auch, dass es dort die Tacul-Flanke gibt, wo schon mehrere Bergführerkollegen bei Lawinen ums Leben gekommen sind. Trotzdem mache ich es eine bestimmte Summe, die ich vorher aushandele. Ich weiß, was mich erwartet. Genauso wissen die Sherpas, was sie im Khumbu-Eisbruch erwartet. Ich war in drei verschiedenen Jahren dort, und der Weg war immer gleich gefährlich. In diesem Jahr war das Unglück, dass so viele zur falschen Zeit an der falschen Stelle waren. Das hätte in all den Jahren zuvor ebenfalls passieren können. Ich weiß an der Tacul-Flanke auch, dass ich ums Leben kommen kann. Aber ich kann nicht plötzlich, wenn vor mir eine Lawine abgeht, in Streik gehen und sagen: Jetzt möchte ich doppelt so viel Geld, weil es doppelt so gefährlich ist. Die Sherpas, die am Everest arbeiten, sind clever, nicht ungebildet. Sie waren schon dort und gehen wieder hin, weil sie wissen, es ist sehr gut bezahlte Arbeit. Wenn sie mehr Geld wollen, ist es auch okay. Aber dann sollen sie es vorher aushandeln. Sie können nicht plötzlich das Doppelte verlangen, das kann ich nicht unterstützen.

Everest-Nordseite

Everest-Nordseite

Erstmals seit dem Beginn kommerzieller Expeditionen zum Everest ist eine Saison vorzeitig zu Ende gegangen. Glaubst du, dass die großen Veranstalter jetzt auf die Nordseite wechseln werden?

Ich bezweifle es. In einem Jahr gerät vieles in Vergessenheit. Ich weiß auch nicht, ob es für kommerzielle Veranstalter die bessere Wahl wäre, auf die Nordseite zu gehen. Auch dort gibt es Nachteile. So kann die chinesische Regierung von einem Tag auf den anderen sagen: Der Berg ist jetzt geschlossen, weil der Dalai Lama das Land XY besucht hat. Auch die Möglichkeiten, Bergsteiger in Not zu retten, sind bei weitem nicht so gut wie auf der Südseite, wo Helikopter-Rettungsflüge bis Lager 2 gang und gäbe sind. Auf der Südseite habe ich außerdem eine niedrigere Schlafhöhe im letzten Lager. Ich weiß nicht, was für einen kommerziellen Veranstalter mittlerweile das kleinere Übel ist.

Ich würde mir wünschen, dass die nepalesische Südseite wieder gut funktioniert, in dem Sinne, dass die Sherpas, die Veranstalter und die individuellen Bergsteiger wieder gut zusammenarbeiten und sich gegenseitig respektieren, damit alle zusammen bergsteigen können, in den verschiedenen Spielformen.

Wie sieht es jetzt mit deinen persönlichen Everest-Ambitionen aus?

Ich möchte immer noch den Everest wenigstens einmal probieren. Wenn es sich wirklich bewahrheitet, dass das Permit für fünf Jahre gültig bleibt, werde ich sicher auch noch einmal auf die Südseite zurückkehren.“

]]>
https://blogs.dw.com/abenteuersport/interview-david-goettler-everest/feed/ 1
Göttler: „Stück für Stück denken“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/interview-goettler-nanga-parbat/ Wed, 22 Jan 2014 10:52:38 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=25113 David am Nanga Parbat (© The North Face)

David am Nanga Parbat (© The North Face)

Für David Göttler ist es die erste Winterexpedition an einem Achttausender. Und dann gleich am Nanga Parbat. Der 8125 Meter hohe Berg und der K 2 sind die beiden einzigen in der kalten Jahreszeit noch unbestiegenen Achttausender.  Der 35 Jahre alte Deutsche ist mit den Italienern Simone Moro und Emilio Previtali unterwegs. Sie versuchen, den Gipfel von der Rupal-Seite aus über die so genannte „Schell-Route“ zu erreichen. Moro gehört neben den Polen Jerzy Kukuczka, Krzysztof Wielicki and Maciej Berbeka zum erlauchten Kreis der Bergsteiger, die drei Achttausender erstmals im Winter bestiegen (Shishapangma 2005, Makalu 2009, Gasherbrum II 2011). Ich erreiche David im Basislager, wo sich das Team nach einigen Tagen am Berg erholt.

David, wie vertreibt ihr euch die Zeit?

Lesen, Emails schreiben, Interviews bearbeiten. Dann gibt es ja dreimal am Tag gutes Essen, und so gehen die Tage hier erstaunlich schnell herum. In meinem Zelt mache ich auch ein paar Yogaübungen, um nicht gänzlich zu degenerieren.

Für dich ist es die erste Winterexpedition an einem Achttausender. Ihr seid jetzt seit drei Wochen am Nanga Parbat. Wie fühlt es sich für dich bisher an? Alles wie erwartet?

Es fühlt sich gut an! Ich muss dazu sagen, wir haben bis jetzt wirklich unglaubliches Glück mit dem Wetter. Aber ich bin mir sicher, der „richtige“ Winter kommt auch hier noch an, und dann wird es alles andere als lustig.

Der Pole Darek Zaluski, ein erfahrener Winterbergsteiger an den Achttausendern, beschrieb kürzlich, dass man im Winter mit zunehmender Dauer in großer Höhe extrem an Kraft verliert. Hast du in dem Punkt bisher schon einen Unterschied zu Sommerexpeditionen feststellen können?

Nein, bis jetzt fühlt es sich wie im Sommer an. Wir waren bis auf 6400 Meter und haben dort oben gut arbeiten und auch die Nächte gut herumbringen können. Bis jetzt merke ich noch keinen Unterschied. Aber wie gesagt, ich möchte nicht arrogant klingen, es ist einfach der Tatsache geschuldet, dass uns Petrus bis jetzt noch wohlgesonnen war.

Simone im Anstieg (© The North Face)

Simone im Anstieg (© The North Face)

Du bist Simone Moro zwar schon mehrfach begegnet, aber als Seilschaft wart ihr noch nie gemeinsam unterwegs. Wie gut harmoniert ihr?

Es ist, wie ich es erwartet habe. Wir funktionieren super als Team, haben bei Entscheidungen dieselben Standpunkte und Ansichten. Es ist wirklich entspannt und schön, mit ihm hier unterwegs zu sein. Wir können uns gegenseitig motivieren. Somit, denke ich, sollte zumindest vom Team her alles gut klappen.

Bereits vor Weihnachten hat eine polnische Bergsteiger-Gruppe ihre Zelte auf der Rupal-Seite aufgeschlagen. Zwei Expeditionen auf derselben Route, geht das gut?

Das geht fantastisch! Wir arbeiten zusammen, mal haben die polnischen Freunde Fixseile angebracht, mal wir. Dasselbe gilt für das Spuren oder für den Nachschub an Fixseilen und Material zum Versichern. Wir waren am Anfang natürlich wegen noch mangelnder Akklimatisation ein wenig hinterher, aber ab jetzt können wir genau gleich mit ihnen von der Höhe mithalten und unterwegs sein. Gestern waren sie hier bei uns zum Abendessen, und wir hatten viel Spaß. Ich denke, das ist das Schöne im Winter: Hier arbeiten alle zusammen, und jeder hilft dem anderen.

Lagerkette auf der Schell-Route (© The North Face)

Lagerkette auf der Schell-Route (© The North Face)

Hanns Schell und die anderen Erstbegeher der Route, die ihr gewählt habt, bezeichneten 1976 den Abschnitt bis hinauf nach Lager zwei als den gefährlichsten des gesamten Aufstiegs? Wie hast du diese Passage erlebt?

Ich denke, sie hatten recht. Wir haben nun bis auf 6400 Meter versichert, und die weitere Route scheint technisch nicht mehr so anspruchsvoll zu sein wie bis dorthin. Aber natürlich ist es noch ein langer Weg, und wir sind noch weit vom Gipfel entfernt. Aber eben Stück für Stück denken, das ist hier unsere Devise. Bis auf 6400 Meter ist die Route beeindruckend direkt und steil. Das gefällt mir gut. Man kann schnell Höhenmeter machen, sowohl im Aufstieg als auch im Abstieg.

Ralf Dujmovits hat auf der Diamir-Seite aufgegeben, weil ihm das Lawinen- und Eisschlagrisiko zu groß erschien. Wie sieht das auf eurer Seite aus?

Bei uns ist es Gott sei Dank nicht so wild. Wir müssen natürlich auf Steinschlag aufpassen, bis wir auf dem Grat auf ca. 6000 Meter ankommen, aber er hält sich in Grenzen. Und nach Neuschnee, wie es gerade einen gibt, müssen wir auch ein wenig schauen, um nicht in eine Lawine in den Rinnen im unteren Teil zu kommen. Aber es sind nicht diese großen Eislawinen, die einen über lange Zeit bedrohen.

Ihr wart jetzt auf 6400 Metern, das sind noch rund 1700 Höhenmeter bis zum Gipfel. Ein langer Weg. Konntet ihr schon die Verhältnisse im oberen Bereich einsehen?

Es ist so stark vom Wind bearbeitet, teilweise schwarzes, steinhartes, blankes Eis. Das ist sicherlich das Schwierigste dort oben. Ansonsten schaut es aber ganz gut aus. Und auf die andere, die Diamir- Seite konnten wir noch nicht schauen. Somit können wir nur hoffen, dass uns dort dann gute Verhältnisse erwarten.

Als wir uns im Dezember vor der Expedition trafen, sprachst du von einer Erfolgschance zwischen 15 und 20 Prozent. Bist du inzwischen optimistischer?

Ich möchte da weiterhin bei den niedrigen Chancen bleiben. Einfach um mich selber nicht zu sehr zu enttäuschen, wenn es nicht klappt. Es ist schlicht noch ein sehr langer Weg, auch wenn wir bis jetzt gut voran gekommen sind. Wir werden sehen, oder wie sie hier gerne sagen: Inschallah.

]]>