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Der Everest wartet…

Kathmandu – pulsierendes Herz Nepals, allerdings mit Rhythmusstörungen. Erst vor wenigen Tagen hat König Gyanendra den Ausnahmezustand beendet. Dem Touristenviertel Thamel fehlen die Touristen. Jeder Ladenbesitzer, Straßenverkäufer, Taxi- und Rikschafahrer spricht mich an – in der Hoffnung auf Kundschaft.
Im Straßenverkehr herrscht weiter Ausnahmezustand. Wer vorwärts kommen will, muss hupen und dreist sein. Als Fußgänger habe ich schlechte Karten. Die Straßenseite zu wechseln ist wie russisches Roulette: Hält er oder hält er nicht? Und dann diese abgasschwangere Luft, nicht auszuhalten! Es wird Zeit, dass ich in die Berge komme. Der Mount Everest wartet – weniger er auf mich als ich auf ihn.

Ralf, Gerlinde und Hirotaka wollen auf der tibetischen Seite des Bergs die Nordwand durchsteigen, über eine Route fast so gerade wie ein Strich, immer zwischen 45 und 70 Grad steil. Ein mutiges Projekt jenseits des kommerziellen Wahnsinns, der sich auf den Normalwegen am höchsten Berg der Erde abspielt. Während sich dort wieder Hunderte von Bergsteigern tummeln, werden wir an der Nordwand alleine sein. Ich selbst halte zwei Wochen lang im vorgeschobenen Basislager auf gut 5800 Metern die Stellung, mit unserem nepalesischen Koch.
Aber nicht aus Vorfreude auf dessen Kochkünste kribbelt es in der Magengegend. Ich bin aufgeregt und zugleich neugierig: Was erwartet mich in Tibet? Werden Ralf, Gerlinde und Hirotaka erfolgreich sein und – was viel wichtiger ist – heil zurückkehren? Wie komme ich mit dem Basislager-Leben zurecht? Vertrage ich die dünne Luft? Auch das Denken fällt in großen Höhen schwer, ob der Leser es merken wird? Fragen über Fragen. Aber liegt es nicht im Wesen des Abenteuers, dass es unvorhersehbar ist?

Chomolungma nennen die Tibeter den Mount Everest, „Göttinmutter der Erde“. Sie glauben, dass man dem höchsten Berg der Erde mit Respekt und Demut begegnen muss. Gnade dir Gott, wenn die Göttinmutter zornig ist! Dann schickt sie dir Stürme, Lawinen, Steinschlag oder lässt dich einfach so leichtsinnig werden, dass du einen tödlichen Fehler machst. Wird Chomolungma uns gnädig sein?

Datum

Donnerstag 12.05.2005 | 20:23

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Der Weg an die Spitze

„One of the coolest expeditions this year“ – so steht es auf eine der renommiertesten Bergsteiger-Seiten im Internet. Gerlinde, Ralf und Hiro wollen die auf der tibetischen Seite gelegene steile Nordwand des Mount Everest durchsteigen – und das auf einer Route, die sich vom zentralen Rongbukgletscher über 2500 Höhenmeter fast bis zum Gipfel wie ein gerader Strich durch die steile Fels- und Eiswand zieht.

Japaner-Couloir

Das sogenannte „Supercouloir“ verbindet zwei markante Rinnen durch die Wand: im unteren Teil das „Japaner-Couloir“ (1980 von den Japanern Shigehiro und Ozaki erstmals durchstiegen), im oberen Teil das „Hornbein-Couloir“ (benannt nach dem US-Bergsteiger Hornbein, der sich 1963 mit seinem Landsmann Unsoeld auf rund 7600 Metern Höhe als Erster in die steile Nordwand wagte).

Allergrößte Vorsicht ist angesagt. Schließlich ist die Route ständig zwischen 45 und 70 Grad steil. Hat es am Everest viel geschneit, donnern Lawinen durch die Rinnen. Ist der Schnee ausgeblieben, verwandelt blankes Eis die Couloirs in gefährliche Rutschbahnen – mit Steinschlaggefahr, nur dass hier kein Verkehrsschild davor warnt!

Extrem kalte Nächte

Je schneller Gerlinde, Ralf und Hiro aufsteigen, desto besser. Sie wollen mit zwei Biwaks auskommen. Zwei extrem kalte Nächte, entweder liegend in einem Leichtzelt auf einer kleinen Eisstufe oder – wenn auch dafür der Platz fehlt – eng zusammen sitzend im Biwaksack.

Das Hornbein-Couloir endet in einer Höhe von etwa 8600 Metern Höhe. Von dort aus geht es ein kurzes Stück quer nach rechts hinüber zum Westgrat und von dort zum Gipfel in 8850 Metern Höhe.

Ohne Atemmasken

„Wir haben nur dann eine realistische Chance, wenn die Verhältnisse in der Route gut sind und das Wetter mitspielt“, sagt Ralf. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Über 2000 Mal ist der Mount Everest inzwischen bestiegen worden, nur sieben Mal davon durch das Supercouloir in der Nordwand. Von diesen sieben erfolgreichen Bergsteigern wiederum verzichteten nur zwei auf Atemmasken.

Gerlinde, Ralf und Hiro wollen den Everest auf dieser schwierigen Route im „Alpinstil“ besteigen, „by fair means“: ohne Hilfe von Hochträgern, ohne feste Hochlager, ohne Fixseile – und auch ohne zusätzlichen Sauerstoff. Ein ehrgeiziges, sportliches Ziel und „eine Route“ , so Gerlinde, „die einem Bergsteiger vom Einstieg bis zum Ausstieg wirklich alles abverlangt“.

Mount-Everest-ABC bei DW-WORLD

Datum

Mittwoch 11.05.2005 | 19:07

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Stefan Nestler

Das Meer sah Stefan Nestler im Alter von 16 Jahren zum ersten Mal. Bis dahin hatten alle Familien-Urlaube in die Alpen geführt. Vielleicht rührt daher die besondere Beziehung des 42 Jahre alten Journalisten zu den Bergen.

Seit 1988 arbeitet Stefan Nestler für die Deutsche Welle, seit 1997 in der Sportredaktion. Beruflich zog es ihn immer wieder in die Berge. 2002 stand er in Nepal erstmals dem Mount Everest gegenüber – bei einer Reportage-Trekkingreise zum Basislager in 5300 Metern Höhe. 2003 berichtete er als einziger deutscher Radio-Reporter über die Feiern zum 50 Jahr-Jubiläum der Everest-Erstbesteigung in Kathmandu. Dafür wurde er später vom nepalesischen Bergsteiger-Verband ausgezeichnet. 2004 folgte ein Reportage-Trekking ins Karakorum-Gebirge in Pakistan. Ziel war das Basislager am K 2, dem zweithöchsten Berg der Erde.

Darüber hinaus hat Stefan Nestler zahlreiche andere Radio-Beiträge zum Bergsport produziert und Interviews mit Bergsteiger-Legenden wie Edmund Hillary, Chris Bonington, Reinhold Messner oder Kurt Diemberger geführt. Seine Features über den ersten Deutschen auf dem Everest, Reinhard Karl, und den Nanga-Parbat-Erstbesteiger Hermann Buhl wurden als CDs Büchern beigelegt.

Stefan Nestler ist verheiratet und hat fünf Kinder. Für die ausgiebigen Wanderungen und Skifahrten mit seiner Familie bevorzugt er die im Vergleich zum Himalaya einige tausend Meter niedrigeren Berge der Alpen.

Datum

Dienstag 10.05.2005 | 16:39

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Hirotaka Takeuchi

Hirotaka Takeuchi arbeitet als Sportartikelverkäufer in Tokio – wenn er nicht gerade in den Bergen unterwegs ist. Sechs Achttausender hat der 34-Jährige schon bestiegen, darunter die beiden höchsten: 1996 stand Takeuchi sowohl auf dem Mount Everest als auch auf dem K 2. Beide bestieg er über die Normalrouten – den Everest von der tibetischen Nordseite aus, mit zusätzlichem Sauerstoff.

2004 gelangen ihm gemeinsam mit Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits die anspruchsvollen Besteigungen der Achttausender Annapurna in Nepal und Gasherbrum I in Pakistan.

Trotz seiner Erfolge gehört „Hiro“ nach eigener Einschätzung in seiner Heimat nicht zu den bekannten Bergsteigern:“ Die japanischen Medien konzentrieren sich eher auf die großen Kletterteams als auf Individualisten wie mich“. Privat ist Hirotaka Takeuchi glücklich verheiratet – mit einer Nicht-Bergsteigerin.

Datum

Montag 09.05.2005 | 17:13

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Gerlinde Kaltenbrunner

Nach den Sonntagsgottesdiensten durfte die kleine Gerlinde Kaltenbrunner den Pfarrer auf seinen Touren in die Berge rund um Spital am Pyhrn in Oberösterreich begleiten. Dass aus dem bergbegeisterten kleinen Mädchen einmal die erfolgreichste Höhenbergsteigerin Österreichs würde, ahnte der Gottesmann damals wohl nicht.

Mit 23 Jahren stand Gerlinde erstmals auf einem Achttausender, inzwischen stehen in ihrem Touren-Buch sechs Achttausender-Hauptgipfel. Die letzten beiden, die Annapurna in Nepal und den Gasherbrum I in Pakistan, bestieg sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Ralf Dujmovits.

Die 34 Jahre alte Österreicherin liebäugelt damit, als erste Frau auf allen Achttausendern zu stehen – und das ohne Atemmaske. Auch der höchste Berg der Erde macht da keine Ausnahme. „Den Everest habe ich bis vor kurzem überhaupt nicht im Kopf gehabt“, sagt Gerlinde. Jetzt aber fühle sie sich dafür mental bereit und körperlich topfit. „Wer weiß, was in zehn Jahren ist?“

Ihren Job als Krankenschwester hat Gerlinde Kaltenbrunner an den Nagel gehängt. Sie verdient ihr Geld als Profibergsteigerin. Den Gedanken an eigene Kinder stellt sie dafür erst einmal hinten an:“ Eine verantwortungsbewusste Mutter würde sich solchen Gefahren nicht aussetzen“.

Zeitungsartikel über die Expedition und Gerlinde Kaltenbrunner im „Standard“ vom 18.5.2005

Datum

Montag 09.05.2005 | 17:13

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