Good-bye, Mount Everest!
Wir bauen die Zelte ab. Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Fast drei Wochen lang habe ich dir in die Nordwand geblickt. Zwei Wochen davon hast du mir deinen eigenartigen Hutschmuck in Form einer Windfahne gezeigt, mit dem du bei keinem Pferderennen Staat machen würdest.
Lass die Muskeln spielen
Aber ich habe begriffen, dass es deine Art ist, die Muskeln spielen zu lassen. Nur so kannst du viele dieser steinreichen, aber beinschwachen Möchtegern-Bergsteiger abschütteln, die sich auf deinem Rücken ihr Ego aufpolieren wollen. 8,1 Kilometer Fixseile haben sie dir in dieser Saison allein auf der Nordseite als Fesseln angelegt, bis hinauf zum Gipfel.
Dort konnte sich heraufziehen oder -schieben lassen, wer immer es sich leisten konnte. Die Atemmaske auf und los, vorne der Bergführer, hinten der Kameramann. Ich habe es nicht selbst gesehen, aber Ralf, Gerlinde und Hiro haben es mir erzählt. Als sie auf den Nordsattel gestiegen sind, haben sie eine Welt betreten, die mit Bergsteigen nicht mehr viel gemein hat. Die drei haben es mit Humor getragen. Aber du kannst sicherlich nicht mehr über die Auswüchse lachen, die sich Jahr für Jahr wiederholen und sogar steigern.
„Göttinmutter der Erde“
Von der Südseite sind sie dir vor ein paar Wochen mit einem Spezial-Hubschrauber aufs Haupt geflogen. Demnächst organisieren sie noch einen Kaffeeflug auf deinen Gipfelgrat: „Der ultimative Kick: 100 Meter und Sie stehen auf dem Dach der Welt! Kaffee, Kuchen und Sauerstoff inklusive!“
Armer Mount Everest! Für mich bleibst du Chomolungma, die „Göttinmutter der Erde“. Ich bin dir dankbar, dass du uns Hiro zurückgegeben hast. Er wäre das falsche Opfer gewesen. Denn er ist – wie Gerlinde und Ralf – ein Bergsteiger. Nicht wie ich ein bereits auf 5500 Metern Höhe keuchender Schreiberling, der dennoch eine alles in allem schöne Zeit am Fuße deiner Nordwand hatte.
P.S. Ich melde mich noch einmal aus Kathmandu (wo alles angefangen hat)