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Stelldichein im Mannschaftszelt

Das darfst du keinem erzählen. Hier sitzen deutsche und tschechische Bergsteiger zusammen und trinken chinesisches Bier. Josef Simunek, Leiter der tschechischen Everest-Nordwand-Expedition, klopft sich vor Lachen auf die Schenkel. Zum Stelldichein im Mannschaftszelt der Tschechen haben Gerlinde, Ralf, Hiro und ich sechs Büchsen in China gebrauten Gerstensaftes mitgebracht. Im Gegenzug werden wir mit einem Gläschen Pflaumenschnaps begrüßt, den einer der tschechischen Bergsteiger selbst destilliert hat. Ob das der Grund ist, dass er mir direkt in den Kopf steigt? Im Zweifelsfall ist immer die Höhe schuld!

Das hier ist eine Weltmeisterschaft des Wartens, sagt Josef. Seit Wochen schlägt sich sein Team, zwei Frauen und vier Männer, mit der Supercouloir-Route in der Nordwand herum und ist doch nicht höher als 6900 Meter gekommen. Ihr Stil unterscheidet sich allerdings auch deutlich von dem Gerlindes, Ralfs und Hiros. Die Tschechen haben Fixseile verlegt und versucht, Hochlager zu bauen. Lawinen und Steinschlag haben sie immer wieder zurückgetrieben. Die Moral scheint gedrückt, aber nicht gebrochen. Noch immer hoffen Josef und Co. auf den Erfolg ihres Unternehmens.

Warten auf das Wetterfenster

Empfinden sie Gerlinde, Ralf und Hiro als Konkurrenten? Vielleicht, aber sie lassen es sich nicht anmerken. Die Stimmung ist locker. Noch sitzen alle in einem Boot, das an einer bestimmten Stelle leckt: dem Wetter. Für die nächsten Tage sind kleine Tiefdruckgebiete mit Niederschlägen und starkem Wind im Gipfelbereich vorhergesagt. Noch keine Spur vom heiß ersehnten so genannten Wetterfenster, einer stabilen Schönwetter-Periode von mehreren Tagen vor Beginn des Monsuns.

In der vergangenen Nacht hat es hier im Basislager geschneit. Gerlinde, Ralf und Hiro haben ihre bereits gepackten Rucksäcke wieder ins Zelt gestellt. Eigentlich wollten sie heute zum Wandfuß aufbrechen, um sich selbst ein Bild von den Verhältnissen in der Route zu machen. Vielleicht morgen, oder übermorgen, oder? Für den Erfolg brauchst du Geduld und vielleicht auch chinesisches Bier.

Datum

Dienstag 17.05.2005 | 15:51

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