Am Aussichtspunkt
Die emotional wichtigste Person an Bord eines Segelschiffs auf Entdeckungsfahrt war der Mann im Ausguck. Schrie er „Land in Sicht“, stieß der Kapitän seine Seekarte beiseite. Der Koch in der Kombüse ließ den Löffel fallen, die Matrosen sprangen aus den Kojen. Alle stürzten an Deck. Die Spannung der letzten Wochen, Monate löste sich. Die Aussicht auf festen Boden unter den Füßen sorgte für Hochstimmung.
Im Basislager gibt es keinen Ausguck, aber knapp zehn Minuten Fußweg entfernt einen Aussichtspunkt. Ein aufgeschichtetes Steinmännchen, an dem Reste einer Gebetsfahne hängen, markiert die Stelle, von der aus sich ein wunderbarer Blick auf den zentralen Rongbuk-Gletscher und die Nordwand des Mount Everest bietet.
„Da ist jemand am Gipfel!“
Gerlinde, Ralf und ich stiegen heute morgen dorthin auf. Die Sonne schien, keine Wolke trübte den Himmel, eine Einladung zum Fotografieren und Filmen. Gerlinde hatte ein Fernglas mitgenommen. Plötzlich rief sie: „Da ist jemand am Gipfel!“ Das Fernglas wanderte von Hand zu Hand. Und wirklich – an der höchsten Stelle bewegte sich etwas. Fünf bis sechs winzig kleine Punkte. Sie schienen direkt unterhalb des Gipfels Schutz vor dem Wind zu suchen, aber – sie waren oben!
Am Vortag hatten wir die Nachricht über die erste erfolgreiche Everest-Besteigung der Saison erhalten. Sie hatte uns vergleichsweise kühl gelassen. Doch jetzt konnten wir es mit eigenen Augen sehen. Ein emotionaler Augenblick, fast wie „Land in Sicht“.