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Schlaflose Sorgen

Ich konnte einfach nicht einschlafen. Ich war müde gewesen, als ich mich ins Zelt zurückgezogen hatte. Aber jetzt lag ich da, mit offenen Augen, tausend Gedanken jagten durch meinen Kopf.

Erst dachte ich, es läge an der lauen Nacht. Der Himmel hatte sich bewölkt, die Wärme des Tages hielt länger vor als sonst. Noch gegen Mitternacht zeigte das Thermometer in meinem Zelt plus zwei Grad Celsius. Ich zog die Skisocken und die Wollmütze aus. Keine Wirkung.

Vollmond, Lawinen und Steinschlag

Warum nur konnte ich nicht einschlafen? Ich kroch aus dem Schlafsack, zog mir die Schuhe an und verließ das Zelt. Ich schaute in den inzwischen wieder sternenklaren Himmel: der Mond ein formvollendeter, hell leuchtender Kreis. Vollmond! Na klar. Ich zähle mich zwar nicht unbedingt zu den mondsüchtigen Zeitgenossen, doch das Phänomen, in einer Vollmondnacht schlecht zu schlafen, kenne ich von daheim.

Aber ich war totmüde und konnte doch nicht schlafen. Während ich mich von einer auf die andere Seite wälzte, bündelten sich die Gedanken. Bei geschlossenen Augen stieg ich in die Everest-Nordwand ein. Ängstlich schaute ich nach oben, auf der Suche nach möglichen Lawinen oder Steinschlag. Ich machte mir Sorgen um die mit der Höhe zunehmende Kälte. Ich kalkulierte die Risiken.

Möglicher Gipfeltag: 30 Mai

Das war also der Grund meiner Schlaflosigkeit. Ich hatte gewissermaßen Reisefieber, nur dass ich nicht auf Reisen gehen würde. Am Abend hatte Ralf den neuesten Wetterbericht verlesen und plötzlich kristallisierte sich ein möglicher Gipfeltag heraus: Montag, der 30. Mai. Kaum Wind, annehmbare Temperaturen. Die Spannung im Mannschaftszelt war mit Händen zu greifen, es knisterte förmlich. Gerlindes, Ralfs und Hiros Augen glänzten, die Zeit des Wartens würde enden, die Entscheidung nahen.

Und meine Schlaflosigkeit? Sie zeigt, dass ich mich nicht als Außenstehender, sondern als Expeditionsmitglied fühle – und dass sich der Nicht-Bergsteiger im Team Sorgen um die drei Profi-Bergsteiger macht.

P.S. Irgendwann schlief ich doch – bis mich die Schneehühner weckten, Punkt fünf Uhr!

Datum

Dienstag 24.05.2005 | 11:58

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