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Der Abspann zuerst

Das Lager ist in Bewegung. Der Gipfelversuch steht bevor. Im Laufe des Tages, nach Eingang des Wetterberichts, werde ich Näheres mitteilen können. Wir befinden uns also nach der Zeit des Wartens in der Phase des tiefen Atemholens. Und genau diese Phase möchte ich nutzen, um den Abspann vorzuziehen. Ärgern Sie sich nicht auch über die Unsitte des modernen Fernsehens, nach Spielfilmen den Abspann zu kappen, um direkt den nächsten Werbeblock zu starten? So erfahren wir nicht mehr, wer für den Genuss oder auch die verschenkte Zeit verantwortlich war.

Nicht ohne diese Menschen

Wir sind ein Expeditionsteam von fünf Personen, doch dahinter steht eine wesentlich größere Mannschaft. Hiro ist verheiratet, seine Frau wartet seit zwei Monaten in Tokio auf ihn. Gleiches gilt für Ralfs Sohn Joshi in Bühlertal im Schwarzwald. Gerlinde kommt aus einer großen Familie, die in Spital in Oberösterreich mitzittert und mitfiebert. Unser Koch Sitaram hat sich Anfang April in Kathmandu von seiner Frau und seinen drei Kindern verabschiedet. Meine Frau und fünf Kinder müssen in Köln seit Anfang Mai ohne mich auskommen. Neben diesem engeren Kreis gibt es einen weiteren: Verwandte, Freunde, tolerante Chefs und Kollegen -und auch ein paar Sponsoren, ohne die eine Expedition wie diese nicht zustande käme.

Jetzt kann es spannend werden

Vor allem die Menschen, die uns am nächsten stehen, sind mit uns im Basislager. Wir erzählen von ihnen. Wir spüren, dass sie uns mit ihren Gefühlen begleiten. Ohne sie wären wir Abenteurer, die sich bei näherem Hinsehen als gestörte Einzelgänger entpuppten. Mit ihnen sind wir Abenteurer, die durch ihre sozialen Bindungen stark sind.

Die Statistik belegt, dass der Abstieg vom Mount Everest gefährlicher als der Aufstieg ist. Die Konzentration lässt nach, man macht Fehler. Gerlinde, Ralf und Hiro werden sich zusammenreißen, weil sie wissen, dass viele tausend Kilometer entfernt Menschen auf sie warten. Wenn es in dieser Geschichte so etwas wie Helden gibt, dann sind es jene, die ihre Lieben vor Wochen in eine ungewisse Zukunft haben aufbrechen lassen. Das musste einmal gesagt werden. Und jetzt kann es von mir aus spannend werden.

Datum

Mittwoch 25.05.2005 | 12:45

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