More DW Blogs DW.COM

Sicher auf 6400 Metern


Hiro ist außer Gefahr – das ist die wichtigste und beste Nachricht eines Tages im Basislager, an dem es in einem fort stürmt und ab und zu schneit. Gerlinde, Ralf und Hiro sind inzwischen im vorgeschobenen Basislager der tibetischen Normalroute auf 6400 Metern eingetroffen.

Freudige Überraschung

„Hiros Zustand hat sich zusehends gebessert, je tiefer wir abgestiegen sind“, sagte Ralf am Satellitentelefon. Bei einer Pause am Nordsattel in gut 7000 Metern Höhe sei der Japaner noch ziemlich blass gewesen. „Später hat er abgeseilt wie ein junger Gott.“

Freudige Überraschung im vorgeschobenen Basislager auf dem östlichen Rongbuk-Gletscher: Der neuseeländische Expeditionsleiter Russell Brice, den Ralf von der gemeinsamen Arbeit im internationalen Bergführer-Verband kennt, stellte ihnen ein großes Zelt zur Verfügung und versorgte sie mit Essen und Getränken. Hiro gönnte sich eine Mütze Schlaf.

Was ist schon ein Gipfel

Gerlinde und Ralf haben die Medikamente für Hiro abgesetzt. Der Abstieg um gut 1200 Höhenmeter hat offenbar ausreichend Linderung verschafft. „Das Hirnödem wird man nur noch in der neurologischen Station eines Krankenhauses nachweisen können“, so Ralf.

Hiro wird morgen um die Mittagszeit mit Ralf und Gerlinde in unser Basislager auf dem zentralen Rongbuk-Gletscher zurückkehren. Eigentlich wollten die drei Bergsteiger an diesem Tag auf dem 8850 Meter hohen Mount Everest stehen. Doch was ist schon ein Gipfel gegen das gewonnene Leben eines Freundes?

Datum

Dienstag 31.05.2005 | 17:30

Teilen

Hiro geht es besser


Unsere Gebete sind erhört worden, ein Mount Everest fällt mir vom Herzen: Hiro ist nach seiner Hirnödem-Attacke offenbar über den Berg. „Er hat getrunken, gegessen und spricht mit uns“, sagte Ralf heute morgen am Satellitentelefon. Ralf wirkte müde, aber erleichtert: Gerlinde und er hatten Hiro die ganze Nacht über im Zelt in 7650 Metern Höhe wach gehalten, während es draußen heftig stürmte. Hiro selbst habe in den Nachtstunden gesagt, wenn er jetzt die Augen schließe, öffne er sie nie mehr.

Zwei Stunden fehlen in seiner Erinnerung

Der 34 Jahre alte Japaner, so Ralf, habe ihnen auch geschildert, wie er seinen Zusammenbruch erlebt habe. Hiro habe die Stimmen der Freunde nur noch von weit her gehört. Als er die Hand hob, habe er kein Gewicht mehr verspürt. Sein Körper sei wie eingefroren gewesen. „Zwei Stunden fehlen in seiner Erinnerung.“

Ralf und Gerlinde holten sich per Satellitentelefon in Österreich medizinischen Rat: bei einer Internistin der Klinik, in der Gerlinde früher als Krankenschwester gearbeitet hatte. Die Ärztin riet den beiden, Hiro neben dem Notfall-Präparat Dexamethason auch das blutverdünnende Medikament Adalat zu verabreichen. Danach ging es ihm spürbar besser.

Irgendwie bekommen wir ihn schon runter

„Ich denke, wir haben ihn knapp von der Schippe geholt“, sagte Ralf. Er glaubt, dass Hiro jetzt selbstständig absteigen kann. „Ich werde ihn ans Seil nehmen, irgendwie bekommen wir ihn schon herunter.“ Minimalziel ist der Nordsattel auf gut 7000 Metern. Nach Möglichkeit wollen die drei aber ins 6300 Meter hohe vorgeschobene Basislager der Normalroute auf dem östlichen Rongbuk-Gletscher absteigen.

Datum

Dienstag 31.05.2005 | 10:04

Teilen

Hiro hat offenbar ein Hirnödem

Dramatische Entwicklung am Nordgrat: Hiro leidet offenbar an einem Höhen-Hirnödem. Morgens beim Aufbruch vom Nordsattel seien alle noch gut gelaunt und fit gewesen, sagte Ralf am Satellitentelefon. „Hiro hat richtig Gas gegeben, ich musste ihn bremsen.“

Hiros Zustand hat sich gebessert

Dann habe der 34-Jährige plötzlich rapide abgebaut und sei kaum noch ansprechbar gewesen. Im Zelt auf 7650 Metern Höhe habe Gerlinde Hiro das Notfall-Medikament Dexamethason gespritzt. „Hiros Zustand hat sich daraufhin spürbar gebessert. Er schläft jetzt, atmet ruhig, seine Pupillen sind wieder normal.“ Jetzt gehe es darum, den Japaner wieder so weit aufzupäppeln, dass er am Dienstagmorgen absteigen könne. Ralf und Gerlinde haben weitere Dosen Dexamethason im Gepäck.

Daumen drücken und beten

Die Situation wird durch die Wetterlage verschärft. Derzeit schneit und stürmt es in 7650 Metern Höhe. „Wir müssen jetzt erst einmal das Chaos im Zelt beseitigen und dann viel trinken“, so Ralf. Sitaram und ich sind bestürzt. Wir können hier unten im Basislager nichts anderes tun als Daumen drücken – und beten. Für Dienstagmorgen haben Ralf und ich ein weiteres Telefonat verabredet.

40 Prozent der Fälle enden tödlich

Das Hirnödem ist die gefährlichste der Höhenkrankheiten. Wegen Sauerstoffmangels tritt im Gehirn Flüssigkeit aus, das Gewebe schwillt an. Rund 40 Prozent der Fälle enden tödlich. Die Therapie: Dexamethason spritzen, wenn möglich Sauerstoff verabreichen und so schnell wie möglich absteigen.

Datum

Montag 30.05.2005 | 18:27

Teilen

Die Tschechen reisen ab


Doppelter Aufbruch: Während Gerlinde, Ralf und Hiro heute am Everest-Nordgrat bis auf 7500 Meter aufsteigen wollen, hat die tschechische Expedition den Heimweg angetreten. Auf 19 Yaks verstauten sie ihr Gepäck. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagte Expeditionsleiter Josef Simunek. „Mehr als fünf Wochen waren wir hier und hatten nicht einmal drei Tage am Stück, an denen wir kontinuierlich am Berg arbeiten konnten.“

Slips mit Karabinerhaken

Simunek glaubt nicht an einen Gipfelerfolg Gerlindes, Ralfs und Hiros. „Dort oben stürmt es wieder mit knapp 100 Stundenkilometern. Sie werden absteigen, wenn sie nicht mit Erfrierungen zurückkommen wollen.“ Der Expeditionsleiter der Tschechen genießt bei uns allerdings schon lange den Ruf eines Pessimisten. Er selbst verteidigte sich einmal mit den Worten: „Ein Pessimist ist ein gut informierter Optimist.“

Schmunzeln musste ich, als ich gestern zum Aussichtspunkt oberhalb des Basislagers aufstieg, um die Windfahne über dem Everest zu fotografieren. Ich traf Lucie und Pepino, zwei Mitglieder der tschechischen Expedition. Sie schossen Fotos für einen ihrer Sponsoren: einen Produzenten von Unterwäsche. Die beiden hatten an der einen Seite des Steinmanns am Aussichtspunkt eine traditionelle buddhistische Gebetsfahne aufgehängt – an der anderen eine Leine mit Unterhosen. Mangels Wäscheklammern waren die Slips mit Karabinerhaken befestigt. „Das wird dem Sponsor gefallen“, witzelte Pepino, „ist doch fast besser als ein Gipfelfoto, oder?“

Sauber ist relativ

Nun sind nur noch Sitaram und ich als Bewohner des Basislagers übrig geblieben. Wir gönnten uns eine „Dusche“: einen halben Eimer warmes Wasser für jeden. Das reichte bei mir, ungelogen, für eine doppelte Wäsche der fettigen Haare und einmaliges Abspülen des ganzen Körpers. Es verblieb sogar eine kleine Pfütze im Eimer – ein neuerlicher Beweis für Einstein: Sauber ist relativ.

Link zum Beitrag: Mangelware Wasser

Datum

Montag 30.05.2005 | 11:15

Teilen

Wir werden es versuchen


Die Prognosen wechseln so rasch wie der Wind. Gerlinde, Ralf und Hiro hatten gehofft, dass Wetterfrosch Charly Gabl die letzten Bedenken hinsichtlich ihres Gipfelversuchs am kommenden Mittwoch zerstreuen würde. Doch der Spezialist aus Innsbruck konnte ihnen diesen Gefallen nicht tun. Es werde am 1. Juni kein Unwetter am Mount Everest geben, so Gabl, doch eine exakte Vorhersage der Windgeschwindigkeit am 8850 Meter hohen Gipfel sei derzeit nicht möglich. Es gehe hin und her.

Alle mit Atemmaske

Die drei Bergsteiger, die nun bereits seit zwei Tagen am 7066 Meter hohen Nordsattel ausharren, wollen keinen weiteren Wetterbericht mehr einholen. „Wir werden es einfach versuchen“, sagt Ralf, „wenn der Wind zu stark bläst, müssen wir eben umkehren.“ Gestern und heute seien Bergsteiger am Gipfel gewesen, alle mit Atemmaske. „Einer von ihnen sah nach 14 Stunden Auf- und Abstieg aus wie ein Toter: das Gesicht schwarz, voller Erfrierungen.“

Die Stimmung ist gut

Gerlinde, Ralf und Hiro wollen am Montag bis auf 7500 Meter aufsteigen und dort ihr Zelt aufschlagen. Für Dienstag ist ein weiteres Biwak in 8300 Metern Höhe geplant. Am Mittwoch wollen die drei dann das Dach der Welt erklimmen. „Die Stimmung ist gut“, meint Ralf, obwohl die Zeit auf dem Nordsattel an den Kräften gezehrt habe. An Schlafen sei bei dem Sturm kaum zu denken gewesen. Und Gerlinde ergänzt: „Wir haben jetzt richtig Platz im Zelt – weil wir immer dünner werden.“ Die Everest-Diät, zur Nachahmung nicht empfohlen!

Tägliche Wetterprognose für den Mount Everest (engl.)

Datum

Sonntag 29.05.2005 | 19:41

Teilen