More DW Blogs DW.COM

Jede Menge Kabel


Ich habe zwei linke Hände, stehe weiß Gott nicht im Verdacht, ein Technikfreak zu sein und Computer sind für mich Mittel zum Zweck, mehr nicht. Dennoch ist es an der Zeit, einmal einen Blick auf unsere technische Ausrüstung zu werfen.

Die Everest-Bergsteiger der Pionierzeit kommunizierten mit der Außenwelt noch per Postträger. Die brachten die Briefe aus dem Basislager per Pedes in die nächste größere Ortschaft, von wo sie weitergeleitet oder – wenn es die Nachricht erforderte – in die Heimat gekabelt wurden.

Solar-Anlage mit Zigarettenanzünder

Im Zeitalter des Internets gehört auch der Mount Everest zum globalen Dorf. Da gelangen Berichte über freche Schneehühner inklusive Foto innerhalb von etwa 15 Minuten von meinem Laptop per Datenkabel und Satelliten-Handy nach Deutschland. Wir können Emails abrufen und zu annehmbaren Preisen telefonieren. Zuweilen bricht die Satelliten-Verbindung ab, dann heißt es: auf ein Neues.

Strom für Handys, Computer, Digitalkamera-Ladegeräte und auch für die Glühleuchte im Mannschaftszelt erhalten wir über zwei Solar-Anlagen. Die Paneelen, die vor dem Zelt in der Sonne liegen, sind etwa so groß wie Teppichläufer im Flur. Kabel laufen von dort aus ins Zelt zu Verteiler-Buchsen, in die wir die Geräte einfach einstöpseln – mit Adaptern, die man auch für Zigarettenanzünder im Auto verwendet. Hiros Kommentar: „Wir haben zwar keine Fixseile fürs Bergsteigen im Gepäck, aber jede Menge Kabel.“

Walkie-Talkie: 180 Gramm

Engpässe in der Stromversorgung hatten wir bisher nicht. Aber wir schimpfen über andere Expeditionen, die ständig ihre lauten Generatoren laufen lassen und dabei auch noch Unmengen Kerosin verbrennen. Wenn Gerlinde, Ralf und Hiro am Everest klettern, bleiben wir per Funkgerät in Verbindung. Nur 180 Gramm wiegt ein Walkie-Talkie, inklusive dreier Batterien.

Liebe Techniker, verzeiht mir bitte alle Ungenauigkeiten. Ich habe diesen Bericht verfasst wie meine Steuererklärung: nach besten Wissen und Gewissen. Hauptsache, es funktioniert!

Datum

Montag 23.05.2005 | 17:50

Teilen

Schneehuhn-Kakophonie

Steht das Schneehuhn unter Naturschutz? Wenn nein, gut! Wenn ja, streicht es von der Liste! Warum? Weil das Schneehuhn an sich zum Terrorismus neigt. Als wir vor gut einer Woche das Basislager besiedelten, fiel uns gleich ein wohl genährtes Schneehuhn-Pärchen ins Auge. Er lief ihr ständig hinterher. Wie bei den Menschen, witzelten wir. Ich nahm mir vor, dieses Paar gewissermaßen unsterblich zu machen: als Schneehuhn-Helden Romeo und Julia.

Rufen, pfeifen, balzen

Da hatte ich noch nicht im Basislager geschlafen. Nacht eins endete gegen fünf Uhr früh. Schneehuhn eins rief Schneehuhn zwei rief Schneehuhn drei rief Schneehuhn vier rief Schneehuhn fünf rief Schneehuhn sechs. Denn es ist nicht, wie anfangs irrtümlich angenommen, nur ein Paar. Nein, es sind drei Paare, die das Basislager offenbar unter sich aufgeteilt haben. Sie rufen, pfeifen, balzen oder machen sonst etwas in einer Lautstärke, die jeden Mega-Wecker in tiefe Depression stürzen würde. Und das jeden Morgen!

„Alle zusammen, zwo, drei!“

Schnell war mir klar, dass hier nicht das Liebesdrama Romeo und Julia ablief, hier spielte das Gangster-Epos Bonnie und Clyde, in dreifacher Ausführung. Inzwischen kann ich mir sogar zusammenreimen, was sie einander zuschreien: „Hey, kommt mal her zu Hiros Zelt, er hat ein paar Kekskrümel für uns übrig gelassen!“ – „Danke, cooler Tipp. Beim Küchenzelt findet Ihr auch jede Menge Leckereien. Sitaram ist ein echter Schneehuhn-Freund. „Und was liegt bei Gerlindes und Ralfs Zelt herum?“ „Nichts Essbares!“ „Und bei Stefan?“ „Ebenfalls nichts!“ „Na kommt, denen werden wir es zeigen. Jeder schleicht sich direkt neben ein Zelt und dann: Opus eins der Schneehuhn-Kakophonie, so laut ihr könnt! Alle zusammen, zwo, drei!“

Eine Lawine ist gar nichts dagegen. Noch stand Schneehuhn nicht auf unserer Speisekarte, aber viel fehlt nicht mehr. Ehrlich!

Rezeptidee: Schneehühnerbrüstchen

Datum

Montag 23.05.2005 | 15:25

Teilen

Am Aussichtspunkt


Die emotional wichtigste Person an Bord eines Segelschiffs auf Entdeckungsfahrt war der Mann im Ausguck. Schrie er „Land in Sicht“, stieß der Kapitän seine Seekarte beiseite. Der Koch in der Kombüse ließ den Löffel fallen, die Matrosen sprangen aus den Kojen. Alle stürzten an Deck. Die Spannung der letzten Wochen, Monate löste sich. Die Aussicht auf festen Boden unter den Füßen sorgte für Hochstimmung.

Im Basislager gibt es keinen Ausguck, aber knapp zehn Minuten Fußweg entfernt einen Aussichtspunkt. Ein aufgeschichtetes Steinmännchen, an dem Reste einer Gebetsfahne hängen, markiert die Stelle, von der aus sich ein wunderbarer Blick auf den zentralen Rongbuk-Gletscher und die Nordwand des Mount Everest bietet.

„Da ist jemand am Gipfel!“

Gerlinde, Ralf und ich stiegen heute morgen dorthin auf. Die Sonne schien, keine Wolke trübte den Himmel, eine Einladung zum Fotografieren und Filmen. Gerlinde hatte ein Fernglas mitgenommen. Plötzlich rief sie: „Da ist jemand am Gipfel!“ Das Fernglas wanderte von Hand zu Hand. Und wirklich – an der höchsten Stelle bewegte sich etwas. Fünf bis sechs winzig kleine Punkte. Sie schienen direkt unterhalb des Gipfels Schutz vor dem Wind zu suchen, aber – sie waren oben!

Am Vortag hatten wir die Nachricht über die erste erfolgreiche Everest-Besteigung der Saison erhalten. Sie hatte uns vergleichsweise kühl gelassen. Doch jetzt konnten wir es mit eigenen Augen sehen. Ein emotionaler Augenblick, fast wie „Land in Sicht“.

Datum

Sonntag 22.05.2005 | 16:53

Teilen

Denkpausen

Nach acht Tagen auf 5500 Metern leide ich unter latenter „Höhen-Demenz“. Nein, nein, so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ich kenne noch die Namen meiner Frau und Kinder. Aber wie hieß doch gleich der Ort, den ich im letzten Jahr besucht habe, wie der Sänger, dessen Lied gerade auf der CD läuft und wie der Sender, für den ich arbeite? Wie weggeblasen, vom Höhenwind des Mount Everest.

Alles wird langsamer

Die Erklärung ist einfach. Auf der Höhe unseres Basislagers wird der Sauerstoff nur noch mit der Hälfte des Drucks in die Lungen gepresst wie auf Meereshöhe. Das hat Folgen: der Kreislauf muss härter ran und doch arbeitet alles langsamer, auch das Gehirn. Der Schlaf wird dein Lieblingsbruder und das Denken dein Quälgeist. Bin ich immer noch zu theoretisch?

Ein Beispiel: Ich will Ihnen eine einfache Geschichte über den höchsten Berg der Erde erzählen: Der Mount Eiffelturm … (Denkpause) … Der Mount Everest wurde 1853 … Entschuldigung, aber das kann nicht sein … (konzentriert) Der Mount Everest wurde 1953 erstmals bestiegen … von … (Denkpause) einem Sherpa … (denke laut) Wie hieß der noch gleich? Traumprinz oder so ähnlich. Jetzt hab ich`s, Tenzing! Und der andere war eine Biene … (Denkpause) Quatsch, ein Imker und hieß … (denke laut) … Ich habe es gleich. Er hieß genauso wie die frühere First Lady in den USA …(Denkpause)… Genau, Hillary! (Es folgt ein Seufzer der Erleichterung).

Unter diesen Umständen reichen 24 Stunden für einen Tag nicht aus. Worüber hatten wir gerade gesprochen?

Datum

Sonntag 22.05.2005 | 12:06

Teilen

Warten auf das Wetterfenster

Über nichts wird am höchsten Berg der Erde so viel diskutiert und spekuliert wie über das ominöse Wetterfenster. Wie von magischer Hand öffnet es sich in der Regel irgendwann in der zweiten Maihälfte, kurz bevor der Monsun Einzug hält und das Bergsteigen ohnehin unmöglich macht. Gewissermaßen die Ruhe vor dem Sturm.

Jetzt oder nie

Während des Wetterfensters regt sich kaum ein Lüftchen am Gipfel in 8850 Meter Höhe, kein Schneeflocken fällt, die Sonne scheint. Der Mount Everest scheint für ein paar Tage in Schönheitsschlaf verfallen zu sein. Dann gilt es für die Bergsteiger: Nichts wie hinauf, jetzt oder nie!

Auch Gerlinde, Ralf und Hiro warten auf das Wetterfenster. Nur bei stabilen Bedingungen ist die geplante Durchsteigung der Everest-Nordwand realistisch. Doch die Meteorologen im Internet nehmen das Wort Wetterfenster noch nicht in den Mund, geschweige denn in ihre Prognosen. Auch Charly Gabl, Wetter-Guru der Bergsteiger aus Innsbruck, mahnt zur Geduld. Vor Mitte der Woche werde es wohl nichts mit Fensterln am Everest, sagt er Ralf am Satelliten-Telefon.

Es ist wie Pokern

Die Zeitschere beginnt sich zu schließen. Die Klettergenehmigungen für den Mount Everest laufen Ende Mai, Anfang Juni ab. Und wenn sich das Fenster erst nachher öffnet, oder gar nicht? Es ist ein bisschen wie Pokern. Nur dass man den Kartengeber nicht bestechen kann.

Datum

Samstag 21.05.2005 | 20:07

Teilen