Bilder, Töne und das große Geschäft
Wie versprochen werden jetzt noch einmal die Sinne bedient. Hier (einfach auf das Wort klicken) gibt es für die Augen eine kleine Bildergeschichte unserer Expedition zum Nordpol. Für die Ohren steht unten die zehnminütige Deutsche Welle-Sendung „Hautnah“ vom 25. April, meine Radio-Reportage zur Expedition. Viel Spaß beim Sehen und Hören.
Extrem-Reportage
Polarmannsgarn
Immer wieder wurde ich nach meiner Rückkehr aus dem Eis gefragt, wie wir eigentlich unsere täglichen Bedürfnisse bei der extremen Kälte erledigt hätten. Daher hier eine nachträgliche Aufklärung: Das Urinieren war kein Problem. Die Suche nach Klein-Stefan dauerte zuweilen ein wenig länger, weil er sich bei minus 30 Grad verständlicherweise zurückgezogen hatte. Ansonsten aber unterschied sich das Wasserlassen im Eis nicht von dem im Schnee. Es bildeten sich gelbe Löcher. Keine gelben Eistürmchen, das ist Polarmannsgarn. Nachts benutzten wir, um nicht in die Kälte hinaus zu müssen, Pinkelflaschen.
Betonung auf kurz
Das große Geschäft gestaltete sich weitaus schwieriger und wollte gut vorbereitet sein. Bereits im Zelt zog ich mir die Hosenträger herunter, dann wieder die Daunenjacke darüber. Nun musste alles sehr schnell gehen: In die Schuhe, aus dem Zelt, hinter den nächsten Eisblock, fallen lassen, kurz (!) abputzen, zurücksprinten, in den Schlafsack kriechen. „Dass ihr mir ja nicht versucht, euch so abzuwischen, wie ihr es von zu Hause gewohnt seid“, hatte uns Expeditionsleiter Thomas eingeschärft und von einem Nordpol-Kandidaten erzählt, der seine übertriebene Reinlichkeit mit Erfrierungen an der Hand und dem vorzeitigen Rückflug bezahlt hatte. Wir waren also vorgewarnt – und froren uns weder Finger noch den Allerwertesten ab.
Wenn es draußen allzu sehr stürmt, gibt es übrigens noch die von Thomas am Nordpol demonstrierte Alternative, das Vorzelt als Toilette zu nutzen. Details spare ich mir an dieser Stelle. Nur so viel: Ein Genuss für die Sinne sieht anders aus – zumindest für die übrigen Zeltbewohner.
Heimkehr
Via Oslo in die Heimat
Und wieder schließt sich ein Kreis. Ich sitze am Frankfurter Flughafen und warte auf meinen Zug Richtung Köln. Ich freue mich riesig darauf, meine Lieben wieder in die Arme schließen zu können. Zurückkehren ist um so vieles leichter als Abschiednehmen.
Aus den Augen, nicht aus dem Sinn
Die Mitglieder unseres Nordpol-Teams gehen jetzt wieder getrennte Wege. Am Flughafen in Oslo sagten wir einander Adieu. Thomas wird das Wochenende noch in Norwegen verbringen. Arnold und Eugen flogen nach Zürich in die Schweiz, Frank und ich nach Frankfurt. Nicht notwendigerweise, aber doch wahrscheinlich werden wir uns mit der Zeit aus den Augen verlieren. Jeder führt wieder sein eigenes Leben.
Adieu sagen (v.l.): Thomas, Frank, Arnold, Eugen und Stefan
Doch ganz sicher werden wir immer wieder an diese Woche im arktischen Eis zurückdenken, an die Eiseskälte, an die weiße Wüste um uns herum, an den Augenblick, an dem wir bei starkem Wind den Nordpol erreichten, …. Und in diesen Erinnerungen werden wir wieder ein Team, das diese unvergesslichen Momente gemeinsam erlebt hat.
Danke!
Unsere Spuren sind längst verweht, die Erinnerungen nicht
Ich bedanke mich bei allen, die dieses Abenteuer und auch diesen Blog möglich gemacht haben: bei unserem Expeditionsleiter Thomas, der uns professionell, und umsichtig ans Ziel geführt hat, bei Arnold, Frank und Eugen, die mich als Teammitglied unterstützten und mir als Journalist immer offen gegenüber standen, bei unseren Lieben daheim, die uns trotz ihrer Bedenken und Ängste fahren ließen – und nicht zuletzt bei den Lesern und Hörern dieses Blogs, die uns mit ihren Kommentaren motivierten, uns die Daumen drückten und trotz der Kälte, in der wir unterwegs waren, mitfieberten.
P.S. Voraussichtlich Ende der kommenden Woche werde ich noch den Link zu einer Bildergalerie sowie ein zehnminütiges Radio-Feature über unsere Nordpol-Expedition in den Blog stellen. Also, bis dahin!
Tschüss, Arktis
Nach dem nächsten Sonnenuntergang über Spitzbergen fliegen wir heim
Morgens gönnen wir uns regelmäßig ein Frühstück in einem guten Hotel. Wenn wir dann an unserem Tisch bei Rührei, Speck, Brötchen und Kaffee sitzen, ertappe ich mich dabei, dass ich mir die Gäste an den anderen Tischen genau ansehe. Haben sie Frostbeulen? Waren sie auch auf Expedition zum Nordpol, sind sie auf dem Weg dorthin? Oder gehören sie zur Kategorie der Sessel-Abenteurer, die sich per Hubschrauber zum Pol fliegen lassen, dort ein Glas Champagner trinken, sich mit einer Fahne ablichten lassen und zu Hause stolz erzählen, sie seien am Nordpol gewesen?
Logistisch schwieriger als der Everest
„Haben wir die Kindertour gemacht?“ frage ich Thomas, als wir unsere Last-degree-Expedition noch einmal Revue passieren lassen. Schließlich dauert eine ´richtige´ Nordpol-Expedition von der Küste aus bis zum nördlichsten Punkt nicht nur eine Woche, sondern etwa 50 Tage. „Nein, keine Kindertour“, antwortet Thomas, „aber wenn du vom Festland aus losmarschierst, reicht es nicht, einige Monate im voraus zu planen.“ Das sei ein größeres Unterfangen. „Einen Mount Everest kann man sicher schneller anpeilen als eine Nordpolexpedition. Nicht von der Leistung her, aber logistisch, weil es viel schwieriger ist, sich in der Arktis zu bewegen.“
Sieben Tage weiter machen
Thomas ist „glücklich, dass wir alle am Nordpol waren, alles super funktionierte und alle zufrieden nach Spitzbergen zurückkamen.“ Die Verantwortung eines Expeditionsleiters werde häufig unterschätzt, sagt der 41-Jährige. Denn es ist eine Gleichung mit so vielen Unbekannten, wie die Expedition Teilnehmer hat. „Ich kann nicht wochenlang mit diesen Leuten Trainingscamps machen.“
Thomas – Riesen-Verantwortung im Eis
Erst auf dem Eis stelle sich wirklich heraus, ob der Einzelne mit den Bedingungen zurechtkomme und ob das Team als Einheit funktioniere. Mit unserer Gruppe war Thomas zufrieden. „Nach sieben Tagen waren wir ein gutes Team und hätten am besten noch einmal sieben Tage weiter gemacht.“
Immer konzentriert bleiben
Am meisten Kopfschmerzen hat unserem Expeditionsleiter die außergewöhnliche Kälte mit Temperaturen stets unter 30 Grad Celsius bereitet. „Ich hatte schon extremen Respekt davor, dass sich jemand eine Frostbeule zuzieht, die er zu spät bemerkt, oder sich einen Finger abfriert. Das war diesmal sicher das größte Risiko.“ Nach dem Erreichen des Nordpols sei bei allen die Anspannung abgefallen, „und damit auch ein wenig die Konzentration. Dabei waren wir immer noch im arktischen Ozean, Tausende Meter von Wasser unter uns. Es kann dort immer ein Sturm aufkommen und man sitzt eine Woche lang fest.“
Ab in den Süden
Umso erleichterter ist Thomas, dass alle wohlbehalten nach Longyearbyen zurückgekehrt sind. Der Flur unseres Ferienhauses füllt sich allmählich mit Gepäck. In der kommenden Nacht (zeitlich gesehen, denn hier ist es ständig hell) fliegen wir ab in den Süden. Von Spitzbergen mit aktuell minus 20 Grad Celsius nach Deutschland und in die Schweiz mit voraussichtlich 20 Grad plus. Ein weiterer Klimaschock. Diesmal jedoch ein angenehmerer.
Nicht mehr als eine GPS-Lesung?
Vor drei Tagen stand Frank am Nordpol. Hat er seitdem schon einmal davon geträumt? „Nein, davon nicht!“, sagt Frank und lacht. Wir sitzen im warmen Ferienhaus in Longyearbyen auf Spitzbergen und reden darüber, was wohl von dieser extremen Woche im Eis hängen bleiben wird. „Viele Erinnerungen“, meint Frank. „Ich konnte das noch gar nicht verarbeiten. Ich denke, beim Anschauen der Fotos wird das alles noch einmal hochkommen.“
Karawane zum Nordpol
Der 34-Jährige war schließlich zum ersten Mal in der Arktis. Als Frank den Pol erreichte, empfand er es als weniger spektakulär, als es Außenstehende vielleicht vermuten würden: „Ich hatte kein euphorisches Gefühl. Ich war endlich da, wo ich sein wollte. Wir hatten geschafft, worauf wir alle hingearbeitet hatten.“ Dann habe er wegen des eisigen Windes nur noch ans Zeltaufbauen gedacht.
Der Natur ausgeliefert
Auch Arnold war am Nordpol nicht in überschwänglichen Jubel ausgebrochen. „Eigentlich mag ich diese imaginären Ziele nicht so.“ Arnold würde zum Beispiel lieber vom Pol aus Richtung Festland marschieren. „Wenn du den Fuß an Land setzt, weißt du, jetzt bist du dort.“ Das Erreichen des Nordpols ist für ihn nicht mehr als „eine GPS-Lesung. Alles andere schaut irgendwie gleich aus.“ Eben wie eine Wüste aus Eis.
„Außer dem Team ist dort niemand“, zeigt sich Eugen auch Tage danach noch von der Einsamkeit beeindruckt. „Man fühlt sich richtig hilflos der Natur ausgeliefert. Man kann nicht in irgendein Hotel gehen, wenn es einem kalt ist. Es ist schon extrem.“
Konditionswunder
Arnold wollte genau diese extremen Verhältnisse antesten. Denn nachdem er die „Seven Summits“, die höchsten Gipfel aller Kontinente bestiegen hat, würde er schon gerne auch noch den Nord- und den Südpol von Land aus erreichen. „Konditionell hatte ich keine Probleme“, sagt Arnold. Mit seiner Fitness hatte der 60-Jährige uns Jüngere immer wieder verblüfft und nicht selten alt aussehen lassen. „Schwierigkeiten hatte ich nur mit der Kälte“, räumt Arnold ein, „dieses Problem ist auch nicht gelöst.“
Wärme, schmerzlich vermisst
Die Entscheidung, ob er wirklich zu den Polen aufbrechen soll, schiebt Arnold noch ein wenig auf. „Wenn man jetzt wieder in der Wärme sitzt, erinnert man sich nur noch an die guten Dinge und beginnt zu vergessen, was unangenehm war.“ Damit er auch weiterhin kühlen Kopf behält, will Arnold in alten Expeditionsberichten nachlesen, wie extrem die Temperaturen, die wir erlebt haben, wirklich waren.
Sacken lassen
Während das Kapitel Eis für Arnold also noch nicht abgeschlossen sein muss, hat der 26 Jahre alte Eugen die Nase vom Nordpol erst einmal voll. „Ich habe mich über ein halbes Jahr darauf vorbereitet. Der Nordpol war eigentlich mein Hauptthema. Jetzt ist mir ein Stein vom Herzen gefallen und ich kann mich wieder auf andere Sachen konzentrieren.“ Auch Frank kann sich „nicht vorstellen, jetzt gleich noch einmal heraus zu müssen. Das muss erst einmal sacken.“
Vielfältige Formen, aber doch immer nur Eis
Mir selbst geht es ähnlich. Noch erscheinen mir die sieben Tage im Eis fast wie ein Film, in dem ich mitspielen durfte. Doch meine Eindrücke, Gedanken, Emotionen und auch die körperlichen Anstrengungen waren keine Fiktion, sondern real und viel zu extrem, um direkt wieder zur Tagesordnung überzugehen. Ich werde sie wieder und wieder in der Erinnerung durchleben. Vielleicht macht gerade das den Suchtfaktor von Abenteuern aus.
Warmduscher
In den letzten Tagen auf dem Eis witzelten wir häufig: „Eigentlich fehlt uns jetzt zu unserem Glück nur noch ein Eisbär!“ Doch ganz ehrlich, wenn sich uns wirklich ein hungriges, ausgewachsenes Raubtier genähert hätte, wäre wahrscheinlich auch der letzte bei der Kälte verbliebene Rest an Farbe aus unseren Gesichtern gewichen und wir hätten uns vor Angst in die atmungsaktive Hose gemacht. Dieser Gedanke kam mir jedenfalls, als ich heute gemeinsam mit Frank das Svalbard Museum in Longyearbyen besuchte. Dort kann man einem Eisbär gegenüber treten, ohne Gefahr zu laufen, zum Frühstück verschlungen zu werden.
Putzig ist anders
Gleich nach unserer Ankunft auf Spitzbergen hatten wir ein Informationsblatt der Behörden erhalten. „Nehmen Sie die Eisbärgefahr ernst!“, stand dort in roten Lettern über einem Bild, das zwei Eisbären vor einem großen blutigen Kadaver zeigte. Die Botschaft dahinter lautete: Der Fleischklumpen könntest du sein. Dann gab es einige Tipps, wie man sich bei einem unfreiwilligen Rendezvous zu verhalten habe. Vor allem sollte man die richtigen Waffen mit sich herumtragen und auch damit umgehen können. Eisbären sind zwar seit 1973 vor der Jagd geschützt, doch zur Selbstverteidigung ist es erlaubt, sie zu töten.
Eintritt für Pistolen und Gewehre verboten!
2000 bis 3000 Eisbären leben derzeit auf Spitzbergen. Kein Wunder also, dass die Einheimischen nicht ohne Waffen die Ortschaften verlassen. Offenbar müssen sie jedoch immer wieder daran erinnert werden, dass die Gefahr, in einem Hotel oder Supermarkt in Longyearbyen auf einen Eisbären zu treffen, relativ gering ist. Auch vor dem Gebäude, in dem die Post und die Bank untergebracht sind, wird auf Schildern daran erinnert, die Knarren gefälligst draußen zu lassen.
Schilder für Schildbürger?
Die Angestellten wollen wohl doch ganz gerne wissen, ob sie es mit einem Bankräuber oder einem vergesslichen Kunden zu tun haben, der gerade von einem Ausflug mit dem Motorschlitten heimkehrt.
Hut ab vor den Pionieren
Im Museum wird mir wieder schlagartig bewusst, wie einsam wir auf unserer Wanderung durch das Eis zum Nordpol waren. Die Walrosse, Robben und Seevögel, die mich hier ausgestopft mit glasigen Augen anblicken, treiben sich am Nordpol wohl nicht oder nur äußerst selten herum. Sie wissen wohl intuitiv, wie lebensfeindlich die Umgebung dort ist.
Franks Blick in längst vergangene Zeiten
Doch auch auf Spitzbergen war das Leben früher extrem hart. Das dokumentieren die im Museum ausgestellten Hütten samt Einrichtung, die im Vergleich zu heute klobig erscheinende Schutzkleidung gegen die Kälte oder auch die Lanzen, mit denen die Menschen früher auf Waljagd gingen. Dagegen sind wir Hobby-Abenteurer der Gegenwart geradezu Warmduscher – auch wenn wir eine Woche lang ohne heißes Wasser ausgekommen sind. Ich gestehe: Am besten hat mir im Svalbard-Museum die Ruhezone mit Robben-Fellen und Kissen gefallen. Frank und ich hatten Schwierigkeiten, uns von dort wieder zu erheben. Fast wären uns die Augen zugefallen. Wir befinden uns nämlich immer noch im Schwarzen Nordpol-Loch, das unsere Energie aufzusaugen scheint. Unsere Körper schreien nach Ruhe. Warmduscher eben.
Auch Schreiberlinge dösen gerne