Tschüss, Arktis
Nach dem nächsten Sonnenuntergang über Spitzbergen fliegen wir heim
Morgens gönnen wir uns regelmäßig ein Frühstück in einem guten Hotel. Wenn wir dann an unserem Tisch bei Rührei, Speck, Brötchen und Kaffee sitzen, ertappe ich mich dabei, dass ich mir die Gäste an den anderen Tischen genau ansehe. Haben sie Frostbeulen? Waren sie auch auf Expedition zum Nordpol, sind sie auf dem Weg dorthin? Oder gehören sie zur Kategorie der Sessel-Abenteurer, die sich per Hubschrauber zum Pol fliegen lassen, dort ein Glas Champagner trinken, sich mit einer Fahne ablichten lassen und zu Hause stolz erzählen, sie seien am Nordpol gewesen?
Logistisch schwieriger als der Everest
„Haben wir die Kindertour gemacht?“ frage ich Thomas, als wir unsere Last-degree-Expedition noch einmal Revue passieren lassen. Schließlich dauert eine ´richtige´ Nordpol-Expedition von der Küste aus bis zum nördlichsten Punkt nicht nur eine Woche, sondern etwa 50 Tage. „Nein, keine Kindertour“, antwortet Thomas, „aber wenn du vom Festland aus losmarschierst, reicht es nicht, einige Monate im voraus zu planen.“ Das sei ein größeres Unterfangen. „Einen Mount Everest kann man sicher schneller anpeilen als eine Nordpolexpedition. Nicht von der Leistung her, aber logistisch, weil es viel schwieriger ist, sich in der Arktis zu bewegen.“
Sieben Tage weiter machen
Thomas ist „glücklich, dass wir alle am Nordpol waren, alles super funktionierte und alle zufrieden nach Spitzbergen zurückkamen.“ Die Verantwortung eines Expeditionsleiters werde häufig unterschätzt, sagt der 41-Jährige. Denn es ist eine Gleichung mit so vielen Unbekannten, wie die Expedition Teilnehmer hat. „Ich kann nicht wochenlang mit diesen Leuten Trainingscamps machen.“
Thomas – Riesen-Verantwortung im Eis
Erst auf dem Eis stelle sich wirklich heraus, ob der Einzelne mit den Bedingungen zurechtkomme und ob das Team als Einheit funktioniere. Mit unserer Gruppe war Thomas zufrieden. „Nach sieben Tagen waren wir ein gutes Team und hätten am besten noch einmal sieben Tage weiter gemacht.“
Immer konzentriert bleiben
Am meisten Kopfschmerzen hat unserem Expeditionsleiter die außergewöhnliche Kälte mit Temperaturen stets unter 30 Grad Celsius bereitet. „Ich hatte schon extremen Respekt davor, dass sich jemand eine Frostbeule zuzieht, die er zu spät bemerkt, oder sich einen Finger abfriert. Das war diesmal sicher das größte Risiko.“ Nach dem Erreichen des Nordpols sei bei allen die Anspannung abgefallen, „und damit auch ein wenig die Konzentration. Dabei waren wir immer noch im arktischen Ozean, Tausende Meter von Wasser unter uns. Es kann dort immer ein Sturm aufkommen und man sitzt eine Woche lang fest.“
Ab in den Süden
Umso erleichterter ist Thomas, dass alle wohlbehalten nach Longyearbyen zurückgekehrt sind. Der Flur unseres Ferienhauses füllt sich allmählich mit Gepäck. In der kommenden Nacht (zeitlich gesehen, denn hier ist es ständig hell) fliegen wir ab in den Süden. Von Spitzbergen mit aktuell minus 20 Grad Celsius nach Deutschland und in die Schweiz mit voraussichtlich 20 Grad plus. Ein weiterer Klimaschock. Diesmal jedoch ein angenehmerer.