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Frei nach Wittgenstein

An Ludwig Wittgenstein bin ich als Jugendlicher verzweifelt. Sein „Tractatus Logico Philosophicus“ von 1921, den wir in der Schule durchkauen mussten, war mir schlicht eine Nummer zu hoch. Danach war ich für die Philosophie verloren. Das Schöne am Journalismus ist, dass man Wittgenstein zitieren kann, ohne ihn zu verstehen: „Der Name bedeutet den Gegenstand. Der Gegenstand ist seine Bedeutung.“ Alles klar? Nein? Dann gibt es jetzt ein paar hoffentlich verständlichere Erklärungen zu Begriffen, die während der Expedition im Blog auftauchen könnten:

Arktis: Die Bezeichnung leitet sich von „arctós“ ab, dem altgriechischen Wort für Bär. Arktikòs bedeutete „Land unter dem Sternbild des Großen Bären“. Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Arktis das Gebiet um den Nordpol. Dessen Grenzen sind nicht klar definiert. Früher bezeichnete man die Gebiete nördlich des nördlichen Polarkreises als Arktis. Heute wählt man meist das für die Region typische Klima und die Vegetation als Kriterien.
Drift: Das Meereis bewegt sich, abhängig von Meeresströmung, Eisdicke und Temperatur, unterschiedlich schnell in eine Hauptrichtung. Der norwegische Polarforscher Fridtjof Nansen wollte 1893 die Eisdrift nutzen, um als Erster den Nordpol zu erreichen. Er ließ sein packeistaugliches Schiff Fram absichtlich westlich der Neusibirischen Inseln im Treibeis festfrieren. Die Fram trieb allerdings am Pol vorbei.
Eis: Feste Form von Wasser. Eis bildet sich, a) wenn Wasser auf dem Meer oder in Flüssen gefriert, b) durch Kondensation von Wasserdampf in der Luft oder c) wenn Schnee gepresst oder von Wasser durchsetzt wird, das dann friert.
Eisberg: Große Masse treibenden Eises, von Gletschern oder Schelfeis abgebrochen. Der Eisberg ragt nur zu einem kleinen Teil über dem Meeresspiegel hinaus, der größere Teil treibt unter der Wasseroberfläche.
Eisblink: Tief gelegene Wolken hellen über einem Eisfeld auf und leuchten am Horizont.
Eisbrei: Kleine, weißliche Klumpen, die wie Schwämme aussehen und sich bilden, wenn Jungeis (s.u.) entsteht.
Eisnebel: Kleine Eiskristalle schweben glitzernd in der Luft und erschweren die Sicht. Bei Sonnenlicht können sich Halos (s.u.) bilden.
Eisschlamm: Zusammengefrorene Eisnadeln auf dem Wasser. Der Schlamm ist grau und wirkt in größerer Ausdehnung auf dem Polarmeer dunkel.
Eisprismen: Eiskristalle in der Form von Nadeln, Säulen oder Plättchen, die vom Himmel fallen und so klein sind, dass sie fast in der Luft zu schweben scheinen.
Eisschollen: Schwimmende Meereisstücke, die Durchmesser von über 20 Kilometern erreichen können.
Jungeis (auch Neueis): frisch gebildetes Eis, fünf bis 15 cm dick.
Halo: Ring um die Sonne in den Regenbogenfarben, der entsteht, wenn das Sonnenlicht an Eiskristallen gebrochen oder gebeugt wird.
Meereis: Gefrorenes Meerwasser, das auf dem Ozean treibt, insbesondere Eisberge und Eisschollen (s.o). Meist liegt auf dem Meereis, dessen Salzgehalt nur drei bis fünf Promille beträgt, Schnee. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Ausdehnung des arktischen Meereises rasant zurückgegangen.
Mehrjähriges Eis: Mehr als die Hälfte des arktischen Packeises besteht aus älteren Eisschollen, die sich im Laufe der Zeit aus Jungeis gebildet haben und immer dicker geworden sind.
Packeis: Häufigste Form von Meereis, bis zu 3,5 Meter dick. Je nach Jahreszeit bedeckt Packeis in der Arktis eine Fläche von bis zu 13 Millionen Quadratkilometer. Packeis entsteht, wenn sich Eisschollen willkürlich übereinander häufen.
Pfannkucheneis: Neugebildete Eisstücke, die fast kreisförmig sind und einen Durchmesser von bis zu drei Metern haben.
Polynja: Aus dem Russischen: „Loch im Eis“. Große Fläche offenen Wassers im Meereis, die durch Wind, Gezeiten oder warmes, aufsteigendes Meerwasser entstehen kann.
Presseis: Durch Meeresströmung oder Wind gepresstes oder aufgeschobenes Eis. Es bilden sich Hügel, die bis zu acht Meter hoch sein können. Oft bilden sich lange Reihen. Diese Presseisrücken geben dem Packeis seine charakteristische Erscheinung und erschweren die Fortbewegung in der Arktis.
Riss, Rinne: Wenn das Meereis durch Strömung, Wind oder Gezeiten bricht, bilden sich schmale Risse mit offenem Wasser, die noch übersprungen werden können. Größere Rinnen müssen umgangen werden.
Whiteout: Tageslicht wird durch mehrfache Reflexion zwischen einer Schnee- oder Eisfläche und der Wolkendecke zerstreut. Die Kontraste verschwimmen, der Horizont verschwindet. Der Polarreisende hat das Gefühl, sich orientierungslos in einem leeren, grauen Raum zu bewegen.

Datum

0 26.03.2009 | 15:55

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Eisfahrer in eisfreier Zone

Wir starten in acht Tagen. Die russische Mannschaft, die alljährlich für den Monat April auf einer stabilen Eisscholle am 89. Breitengrad unter abenteuerlichen Umständen eine Landepiste anlegt, hat sich Ende vergangener Woche auf den Weg gemacht. Das Material für den auf dem Polarmeer schwimmenden Flugplatz mit dem sonnigen Namen „Borneo“ wird, an Fallschirmen befestigt, auf das Eis abgeworfen. Ebenso der Treibstoff für die Hubschrauber und Flugzeuge, die dort starten und landen sollen.

Marias Segen für Borneo

Vor der Abreise holte sich das Borneo-Team noch in der orthodoxen Maria-Verkündigungs-Kathedrale im Moskauer Kreml, der Hauskirche der früheren Zaren, den Segen der Heiligen Jungfrau für das Unternehmen. Denn es ist auch schon vorgekommen, dass sich schweres Gerät beim Aufprall durch das Eis bohrte und auf Nimmerwiedersehen im arktischen Ozean verschwand. In Zeiten des Klimawandels, in denen das Polareis dahinschmilzt, steigt eben auch das Risiko, eine dünne Stelle zu erwischen.

In vier Tagen durch die Passage


Polarstern, unterforderter Eisbrecher

Die Abenteurer, die Jahrhunderte lang vergeblich versuchten, den Seeweg nach Asien durch die Nordwest-Passage zu finden, hätten sich wahrscheinlich nach solchen Bedingungen die Finger geleckt. Der Norweger Roald Amundsen, dem 1906 die erste Durchfahrt gelang, benötigte dafür drei Jahre. Ganze vier Tage brauchte im Sommer 2008 das deutsche Forschungsschiff Polarstern, das anschließend auch noch durch die Nordostpassage schipperte und damit in gut zwei Monaten den Nordpol komplett umrundete.

Durch die Arktis geflutscht

Nach der Rückkehr der Polarstern von der Expedition ging ich im vergangenen Oktober in Bremerhaven an Bord des Eisbrechers. „Diesmal war es anders“, sagte damals Kapitän Stefan Schwarze, der seit den 1990er Jahren auf der Brücke der Polarstern steht. „Das Eis war nicht da.“ Das Schiff flutschte regelrecht durch die Polarregion.


Kapitän Schwarze, unterforderter Eisfahrer

Wahrscheinlich hätte auch ein weniger erfahrener Kapitän bei dieser Tour kaum Probleme gehabt. Die Fertigkeit des Eisfahrens, so Schwarze, sei nicht nötig gewesen. Bei früheren Expeditionen hatte der Kapitän immer sorgfältig mit dem Treibstoffvorrat haushalten müssen. „Da muss man sehr genau nachrechnen, damit man nicht nur ins Eis hineinfährt, sondern auch wieder heraus. Wenn das Eis fehlt, ist das alles leichter.“

Kleiner Schweißfaktor

Nun könnte man ja denken: Bei weiter steigenden Temperaturen in der Polarregion brechen von den Gletschern mehr Eisberge ab, die zur Gefahr für die Schiffe werden. Nicht so auf der Arktis-Fahrt 2008 der Polarstern. „Ich habe wirklich gedacht, es gibt mehr Eisberge“, sagte Stefan Schwarze. „In anderen Gegenden, in denen ich gefahren bin, war der Schweißfaktor doch wesentlich größer.“
Sollte die Erderwärmung fortschreiten, „was ja, ich betone das, noch nicht erwiesen ist“, sieht der Kapitän der Polarstern in der Nordost- und der Nordwestpassage eine günstige Alternative für den Frachtweg von Europa nach Asien und Amerika. „Dann braucht man keinen Eisbrecher mehr.“ Und auch keinen Experten im Eisfahren wie Stefan Schwarze.

Datum

0 25.03.2009 | 15:18

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Niederlage durch Eigentor

Noch neun Tage bis zu meinem Abflug nach Spitzbergen. Zu einem Abenteuer, das wahrscheinlich ein Auslaufmodell ist. Denn das Eis der Arktis schmilzt. Oder etwa nicht? In diesem strengen Winter, der den Alpen Rekordschneemengen und selbst den Niederungen Dauerfrost bescherte, wuchs die Zahl der Zweifler. Immer wieder hörte ich: So schlimm könne der Klimawandel wohl nicht sein, wenn man trotz angeblichen Treibhauseffektes vor Kälte bibbere. So denkt der Mann auf der Straße, nicht aber der Wissenschaftler. Den interessiert weniger, dass ich heute friere, sondern ob ich in den vergangenen dreißig oder mehr Jahren ständig im Winter unter der Kuscheldecke verschwunden bin.

Wie Softeis in der Frühlingssonne


Mehr Wasser oder Meereis?

Mein Eis-Mann ist Professor Rüdiger Gerdes, den ich in Bremerhaven besuche. Als Ozeanograph im Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung beschäftigt er sich mit dem arktischen Meereis. Seit Anfang der 1970er Jahre ermitteln Forscher des Instituts regelmäßig die Größe des Eisfeldes rund um den Nordpol. „Wir sehen starke Schwankungen von Jahr zu Jahr, aber vor allem langfristig den Trend, dass die Eisausdehnung abnimmt.“ In den letzen beiden Jahren schmolz das Meereis der Arktis wie Softeis in der Frühlingssonne. 2007 sei die Eisfläche um 30 Prozent kleiner gewesen als im Vorjahr, sagt der Experte. 2008 habe sich daran kaum etwas geändert. Professor Gerdes spricht von einem „dramatischen Rückgang“ des Eises, tritt dann aber sofort auf die Panikbremse. Es könne sich durchaus auch um eine natürliche Schwankung handeln. Auf ein Jahr mit kleiner Eisfläche folge oft ein Jahr mit großer Ausdehnung, „weil der offene Ozean stark auskühlt und die Bildung neuen Eises eher fördert“.

Die Frage ist: Wann?

Doch wie gesagt, der langfristige Trend zählt. Und das arktische Eisfeld ist in den letzten 30 Jahren nicht nur um fast die Hälfte kleiner geworden, sondern offenbar auch dünner. Das jedenfalls haben Wissenschaftler bei Eisbohrungen und Messungen aus U-Booten oder vom Hubschrauber aus festgestellt.


Prof. Gerdes, Meereis-Experte

„Wir müssen uns gedanklich sicher darauf einstellen, dass die Arktis im Sommer irgendwann eisfrei sein wird“, resümiert Rüdiger Gerdes. Alle Modellrechnungen kommen zu diesem Ergebnis. Uneinigkeit herrscht nur über die Frage, wann es soweit sein wird. „Das schwankt zwischen 2040 und irgendwann im 22. Jahrhundert.“ Wenn das Eis verschwindet, verändert sich der Wärmeaustausch zwischen dem arktischen Ozean und der Atmosphäre. „Welche Auswirkungen das auf uns hier in Deutschland hat, ist schwer zu sagen“, formuliert der Ozeanograph vorsichtig.

Skier einmotten, Paddel mitnehmen

Immerhin die Schuldfrage ist geklärt. „Im Fall der Arktis ist ziemlich klar, dass der langfristige Rückgang des Meereises mit dem Treibhauseffekt zusammenhängt“, sprich ein Eigentor der Menschheit ist. Aber können wir die Eiskugel nicht aus dem Netz holen und das Spiel noch drehen? „Selbst wenn wir jetzt komplett mit dem Ausstoß von Treibhausgasen aufhören würden, was absolut unrealistisch ist, würde sich der Ozean noch eine Zeit lang erwärmen“, sagt Professor Gerdes. Er hält es für ausgeschlossen, dass sich das Meereis noch einmal auf eine Fläche wie etwa 1950 ausdehnt. „Das wird nicht passieren“. Meine Urenkel werden also wohl eher mit dem Kajak zum Nordpol paddeln als auf Skiern dorthin marschieren, wie ihr Urgroßvater anno 2009.

Datum

0 24.03.2009 | 14:25

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Zauberhaft lächeln


Nordpol-High-Heels mit Plastiksocke

Wer mitreden will, muss hinsehen. Für deutsche Teenies weiblichen Geschlechts gibt es derzeit einen Fernseh-Pflichttermin: Donnerstagabend, Germany´s Next Topmodel. In unseren frühen Tagen war es Heidi, „Deine Welt sind die Berge“, heute ist es Klum´s Heidi, „Deine Welt sind die Laufstege“. Der berühmteste Export der Kleinstadt Bergisch Gladbach (nach dem Turner Fabian Hambüchen und Fußballtorwart Tim Wiese) spielt dabei Woche für Woche Richter und Henker: Wer nicht in der Lage ist, auf 40 Zentimeter hohen Absätzen, mit nichts weiter als einer Bandnudel bekleidet, zauberhaft zu lächeln, fliegt raus.

Tipp für Heidi

Vielleicht sollte ich Heidi einen heißen Tipp für eine weitere coole Aufgabe geben. Wie wäre es, die Mädels am heißen Strand von Sydney in die Klamotten eines Nordpol-Wanderers zu stecken, einen Schlitten über den Sand ziehen, einen Benzinkocher anwerfen, gefriergetrocknete Expeditionsnahrung zubereiten und verspeisen zu lassen, um dann das total entspannte Foto des Tages zu schießen? Das wäre eine echte Herausforderung. Vielleicht könnten wir dann ja nach unserer Nordpoltour als Experten mit am Jurytisch sitzen.
Wenn wir unsere Schlitten über das Eis der Arktis ziehen, werden wir gekleidet sein, wie eine Zwiebel aufgebaut ist: Mehrere Häute liegen übereinander. Bereits die Unterwäsche besteht aus drei Lagen Merino-Wolle, die gegenüber synthetischer Funktionswäsche den Vorteil hat, deutlich weniger zu müffeln, wenn sie zum achten Mal durchgeschwitzt wurde. Darüber tragen wir eine wasserundurchlässige, winddichte, aber atmungsaktive Jacke und Hose. Bei Zwischenstopps oder extremer Kälte ziehen wir zunächst eine dicke Daunenweste über, dann noch Daunenjacke und –hose.

Schweißbremse

Inzwischen habe ich ja gelernt, dass besonders Füße, Hände, Nase und Ohren anfällig für Erfrierungen sind. Dementsprechend intensiv werden sie geschützt. Die Füße stecken in dicken Wollsocken. Darüber wird eine Plastiktüte gezogen, damit der Schweiß in der Socke und der Schuh trocken bleibt. Nun schlüpfen wir in einen Innenschuh aus Filz und dann erst in den eigentlichen Kunststoffschuh, mit dem wir auf die Skier steigen.
Auch die Hände sind mehrlagig geschützt: erste Schicht Fingerhandschuhe aus dünner Wolle, zweite Schicht Fäustlinge aus gefilzter dicker Wolle, dritte Schicht winddichte Fäustlinge aus synthetischem Material.


Zeig´her deine Hände!

Zum Schutz des Gesichts haben wir eine dünne und eine Neopren-Sturmmaske, sowie eine leichte und eine warme, winddichte Mütze im Gepäck.

Von den Inuit lernen

Auch wenn es sich größtenteils um hochmoderne Fabrikate handelt, orientiert sich unsere Bekleidung im Prinzip an der traditionellen der Inuit. Denn die Bewohner der Arktis trugen, bevor auch bei ihnen die synthetischen Materialien Einzug hielten, mehrere Schichten aus Tierhäuten und Pelzen übereinander. Die Luft dazwischen wirkte isolierend und wärmte. Ihre Lederstiefel fütterten die Inuit mit Fell, rieben die oberste Lage der Hosen und Kapuzenjacken mit Fett ein und machten sie so wasser- und winddicht.
Das wäre dann vielleicht etwas für die letzte Runde in Heidi Klums Show: Sie könnte die noch verbliebenen Kandidatinnen in mit altem, stinkenden Tran getränkte Ledermäntel stecken und sie von hungrigen Eisbären über den Laufsteg jagen lassen. Und bitte schön, zauberhaft lächeln!

Datum

0 23.03.2009 | 19:49

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Wenn ich doch nur ein Eisbär wär´!

Seit Monaten immer das gleiche Bild. Egal, wohin ich komme, irgendwer schnäuzt sich die Nase oder hustet in die vorgehaltene Hand. Bazillenschleudern allerorten. Die Armen können natürlich nichts dafür, aber ich bin es einfach satt, immer zu denken: Hoffentlich stecke ich mich nicht an. Wochenlang hat mein Immunsystem tapfer dagegen gehalten, dann aber lag ich flach. Fünf Tage lang konnte ich nicht für die Expedition trainieren.

Virenfreie Zone


Nordpol-Patient?

Am Nordpol wäre mir das nicht passiert. „Viren brauchen Lebewesen, um zu überleben und sich zu vermehren. Und es ist auch nicht bekannt, dass Eisbären Schnupfen oder Husten haben. Insofern sind Sie da also relativ sicher“, sagt der Kölner Medizinprofessor Gerhard Uhlenbruck, der mir zur Begrüßung nicht die Hand geben wollte, weil die Erkältungswelle vor einigen Tagen auch ihn erwischt hat. Zum einen gebe es also keine Viren in der arktischen Luft, zum anderen stimuliere der Kältereiz die Atemwege und mache sie damit gewissermaßen fit. Ein guter Schutz vor Erkältungen.

Fit wie ein Turnschuh

Dieses Kapitel kann ich also spätestens mit dem Abflug nach Spitzbergen abhaken, ein anderes nicht. Denn wenn das Thermometer auf Temperaturen bis minus 30 Grad Celsius oder sogar noch tiefer fällt, drohen Erfrierungen. Der Körper, der ja zum größten Teil aus Wasser bestehe, werde dann nicht mehr richtig durchblutet, erklärt Professor Uhlenbruck. Stoffwechselprozesse kämen zum Erliegen, das Todesurteil für Zellen. „Erfrierungen betreffen vor allem die Extremitäten, alles was herausragt. Ohren, Nase, Hände, Füße.“ Der Blutstrom dürfe nicht stagnieren. „Deshalb immer in Bewegung bleiben!“ Ich verstehe: Mit den Ohren wackeln, die Nase rümpfen und schön beständig meinen Schlitten namens Poldi übers Eis ziehen. Dafür muss natürlich die Kondition stimmen. Professor Uhlenbruck empfiehlt eine „Fitness wie beim Marathontraining“, mit Joggen und Kraftübungen, damit der Körper optimal durchblutet sei. Der Wissenschaftler ist früher selbst erfolgreich Marathon gelaufen. Mit fast 80 Jahren schnürt er immer noch oft die Laufschuhe.

Bärenstarkes Frostschutzmittel

Uhlenbruck, trotz fortgeschrittenen Alters immer noch Fachmann für Immunbiologie an der Universitätsklinik Köln, erklärt mir begeistert, dass Eisbären und andere Tiere der Arktis ein „natürliches Frostschutzmittel“ besäßen. In ihrem Blut seien sogenannte „Antifreeze-Glykoproteine“ nachgewiesen worden, zuckerhaltige Eiweißmoleküle, die Wasser bänden und dafür sorgten, dass das Blut nicht stocke oder gerinne. Warum, frage ich, lasse ich mir dann nicht einfach Antifreezer spritzen? Der Professor lächelt über den „fast schon humoristischen Aspekt“, der aber gar nicht so abwegig sei. Die Glykoproteine gebe es im biochemischen Katalog zu kaufen, heftige Immunreaktionen seien eher nicht zu erwarten.


Prof. Uhlenbruck, Ex-Marathonläufer und Fachmann für Immunbiologie

Vielleicht wird das natürliche Frostschutzmittel ja irgendwann zur Standard-Apotheke von Nordpolabenteurern gehören. Wir aber müssen noch ohne Antifreezer auskommen.
Ich frage den Experten nach Warnsignalen für eine mögliche Erfrierung. Zuerst verschwinde das Gefühl in Händen und Beinen, sagt Professor Uhlenbruck, ein Zeichen dafür, dass die Nerven nicht mehr richtig reagierten. Dann müsse man die betroffenen Körperteile langsam erwärmen, „ja keine Schocktherapie“, die zu lebensbedrohlichen Embolien und Thrombosen führen könne. Er empfehle auch, viel zu trinken, am besten warme Flüssigkeiten.

Blau ist schlecht

Bei ausreichender Fitness müssten leichte Erfrierungen jedoch nicht unbedingt zum sofortigen Ende der Expedition führen. Ich solle mir vorher in der Fachliteratur genau die Bilder der verschiedenen Stadien von Erfrierungen ansehen. „Wenn etwas blau ist und blau bleibt, dann sollte man die Nummer vom Helikopter wählen.“
Also immer schön abgeklärt bleiben. Das ist auch der Tipp, den mir Professor Gerhard Uhlenbruck zum Schluss noch mit auf den Weg zum Nordpol gibt: „Man darf sich nicht unter Stress setzen, das ist absolut tödlich! Die Gefäße ziehen sich zusammen, die Gefahr zu erfrieren steigt. Also beim Anblick eines Eisbären cool bleiben.“ Ich werde versuchen, mich an seine Worte zu erinnern.

Datum

0 22.03.2009 | 19:25

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