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Flocke und Co.: Bedrohlich und bedroht

Ich bin kein Hasenfuß, aber ein Rendezvous mit einem Eisbär in freier Wildbahn muss für meinen Geschmack nicht unbedingt sein. Da es aber bei unserer Expedition zum Nordpol zumindest im Bereich des Möglichen liegt, dass wir einem anderthalb Meter großen, drei Meter langen, 800 Kilogramm schweren Weißpelz begegnen, möchte ich doch gedanklich vorbereitet sein. Den Expertentipp hole ich mir in Nürnberg: „Sofort das Gewehr entsichern und so tun, als ob nichts wäre. Und dann hoffen, dass der Eisbär einen anderen Weg einschlägt.“ Dr. Helmut Mägdefrau weiß Bescheid. Er ist stellvertretender Zoodirektor in Nürnberg und damit gewissermaßen der Vermieter von Eisbär „Flocke„. Sollte ich nicht doch lieber die Beine in die Hand nehmen? Bloß nicht, sagt der Zoologe. „Das ist wie bei einer Katze, mit der man im Wohnzimmer spielt. Davonlaufen reizt ihn noch mehr. Und der Eisbär ist schneller als wir.“

Der Eisbär braucht das Eis


„Flocke“ taucht ab

40 Stundenkilometer schnell kann ein Eisbär sprinten, vier Meter weit springen. Er ist ein gefährlicher Jäger, und dabei doch selbst gefährdet. „Wenn der Klimawandel so weitergeht, wird es innerhalb weniger Jahre dramatisch für die Eisbären“, meint Dr. Mägdefrau. Klima-Modellrechnungen sagen voraus, dass das Polarmeer in einigen Jahrzehnten während der Sommermonate eisfrei sein wird. „Dem Eisbären ist es wurscht, ob er auf Eis läuft, auf einem Felsen oder einem vereisten Felsen. Es ist nur wichtig, dass er an seine Nahrung, die Robben, herankommt.“ Und genau da liegt das Problem. Bisher legt sich der Eisbär meist auf die Lauer und wartet, bis eine Robbe ihr ins Eis gegrabenes Atemloch aufsucht, um Luft zu holen. Auch wenn der wissenschaftliche Name des Eisbären „Ursus maritimus“ ist, sprich der Bär aus dem Meer, hätte er im Wasser keine Chance, Robben oder auch größere Fische zu jagen. „Die schwimmen einfach um Klassen besser.“ Auch auf eisfreiem Land täten sich Eisbären sehr schwer. „Sie sind Lauerjäger“, erklärt der Zoologe, „sie können nicht ausdauernd schnell laufen. Sie würden überhitzen.“ Kein Wunder bei einer bis zu zehn Zentimeter dicken isolierenden Speckschicht, fünf Zentimetern Unterwolle und bis zu 15 Zentimeter langem Bauchfell.

Auslaufmodell Eisbär?

Noch gilt der Eisbär nicht als hochbedrohte Tierart. Rund 25.000 Bären leben in der Arktis. So viele, dass die Inuit jährlich 600 Tiere erlegen dürfen. Doch die Bestände sind rückläufig. Geht das Eis weiter zurück, haben die Eisbären „bald nur noch an wenigen kleinen Ecken am Festland“ Überlebenschancen. Dr. Mägdefrau hält die Prognose eines Kollegen aus den USA, dass die Zahl der Eisbären bis 2050 um zwei Drittel abnimmt, für durchaus realistisch. Die einzige Hoffnung bestünde darin, dass sich die Tiere dem Klimawandel anpassten, z.B. künftig statt Robben Rentiere fräßen. „Die Biologie ist zuweilen erfinderisch, die Anpassung der Tiere manchmal erstaunlich.“ Im Gegensatz zu früheren Veränderungen vollziehe sich der aktuelle Klimawandel jedoch rasant. „Da wird die Zeit, so fürchten alle, wohl nicht mehr reichen, dass sich die Eisbären anpassen können.“
Den Vorschlag von Wissenschaftlern, Eisbären in die Antarktis zu exportieren, hält Dr. Mägdefrau für „absoluten Quatsch. Da muss man ein gezielter Feind von Pinguinen sein, um auf so eine Idee zu kommen“. Ähnliche Versuche mit anderen Tierarten seien alle gescheitert. „Das macht man einfach nicht, weil die Folgen nicht abschätzbar sind. In den meisten Fällen sind sie verheerend.“

Und noch ein Witz

Der Eisbär bleibt also bedroht – auch wenn er uns bei einer Begegnung am Nordpol bedrohlich erscheinen sollte. Dr. Mägdefrau hat für diesen Fall auch noch einen Witz parat: Zwei Männer machen sich für eine Polardurchquerung bereit. Der eine packt Turnschuhe ein. „Warum nimmst du die mit?“, fragt der andere. „Wenn ein Eisbär kommt, ziehe ich die Turnschuhe an“, antwortet der Erste. Sein Partner schüttelt den Kopf. „Du bist doch nicht schneller als der Eisbär.“ „Nein, aber schneller als du!“
Vielleicht sollte ich auch Turnschuhe einpacken.

P.S. Allen, die „Flocke“ auftauchen sehen wollen, sei gesagt: Geduld, Geduld, morgen ist auch noch ein Tag.

Datum

0 10.03.2009 | 16:09

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