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Wenn ich doch nur ein Eisbär wär´!

Seit Monaten immer das gleiche Bild. Egal, wohin ich komme, irgendwer schnäuzt sich die Nase oder hustet in die vorgehaltene Hand. Bazillenschleudern allerorten. Die Armen können natürlich nichts dafür, aber ich bin es einfach satt, immer zu denken: Hoffentlich stecke ich mich nicht an. Wochenlang hat mein Immunsystem tapfer dagegen gehalten, dann aber lag ich flach. Fünf Tage lang konnte ich nicht für die Expedition trainieren.

Virenfreie Zone


Nordpol-Patient?

Am Nordpol wäre mir das nicht passiert. „Viren brauchen Lebewesen, um zu überleben und sich zu vermehren. Und es ist auch nicht bekannt, dass Eisbären Schnupfen oder Husten haben. Insofern sind Sie da also relativ sicher“, sagt der Kölner Medizinprofessor Gerhard Uhlenbruck, der mir zur Begrüßung nicht die Hand geben wollte, weil die Erkältungswelle vor einigen Tagen auch ihn erwischt hat. Zum einen gebe es also keine Viren in der arktischen Luft, zum anderen stimuliere der Kältereiz die Atemwege und mache sie damit gewissermaßen fit. Ein guter Schutz vor Erkältungen.

Fit wie ein Turnschuh

Dieses Kapitel kann ich also spätestens mit dem Abflug nach Spitzbergen abhaken, ein anderes nicht. Denn wenn das Thermometer auf Temperaturen bis minus 30 Grad Celsius oder sogar noch tiefer fällt, drohen Erfrierungen. Der Körper, der ja zum größten Teil aus Wasser bestehe, werde dann nicht mehr richtig durchblutet, erklärt Professor Uhlenbruck. Stoffwechselprozesse kämen zum Erliegen, das Todesurteil für Zellen. „Erfrierungen betreffen vor allem die Extremitäten, alles was herausragt. Ohren, Nase, Hände, Füße.“ Der Blutstrom dürfe nicht stagnieren. „Deshalb immer in Bewegung bleiben!“ Ich verstehe: Mit den Ohren wackeln, die Nase rümpfen und schön beständig meinen Schlitten namens Poldi übers Eis ziehen. Dafür muss natürlich die Kondition stimmen. Professor Uhlenbruck empfiehlt eine „Fitness wie beim Marathontraining“, mit Joggen und Kraftübungen, damit der Körper optimal durchblutet sei. Der Wissenschaftler ist früher selbst erfolgreich Marathon gelaufen. Mit fast 80 Jahren schnürt er immer noch oft die Laufschuhe.

Bärenstarkes Frostschutzmittel

Uhlenbruck, trotz fortgeschrittenen Alters immer noch Fachmann für Immunbiologie an der Universitätsklinik Köln, erklärt mir begeistert, dass Eisbären und andere Tiere der Arktis ein „natürliches Frostschutzmittel“ besäßen. In ihrem Blut seien sogenannte „Antifreeze-Glykoproteine“ nachgewiesen worden, zuckerhaltige Eiweißmoleküle, die Wasser bänden und dafür sorgten, dass das Blut nicht stocke oder gerinne. Warum, frage ich, lasse ich mir dann nicht einfach Antifreezer spritzen? Der Professor lächelt über den „fast schon humoristischen Aspekt“, der aber gar nicht so abwegig sei. Die Glykoproteine gebe es im biochemischen Katalog zu kaufen, heftige Immunreaktionen seien eher nicht zu erwarten.


Prof. Uhlenbruck, Ex-Marathonläufer und Fachmann für Immunbiologie

Vielleicht wird das natürliche Frostschutzmittel ja irgendwann zur Standard-Apotheke von Nordpolabenteurern gehören. Wir aber müssen noch ohne Antifreezer auskommen.
Ich frage den Experten nach Warnsignalen für eine mögliche Erfrierung. Zuerst verschwinde das Gefühl in Händen und Beinen, sagt Professor Uhlenbruck, ein Zeichen dafür, dass die Nerven nicht mehr richtig reagierten. Dann müsse man die betroffenen Körperteile langsam erwärmen, „ja keine Schocktherapie“, die zu lebensbedrohlichen Embolien und Thrombosen führen könne. Er empfehle auch, viel zu trinken, am besten warme Flüssigkeiten.

Blau ist schlecht

Bei ausreichender Fitness müssten leichte Erfrierungen jedoch nicht unbedingt zum sofortigen Ende der Expedition führen. Ich solle mir vorher in der Fachliteratur genau die Bilder der verschiedenen Stadien von Erfrierungen ansehen. „Wenn etwas blau ist und blau bleibt, dann sollte man die Nummer vom Helikopter wählen.“
Also immer schön abgeklärt bleiben. Das ist auch der Tipp, den mir Professor Gerhard Uhlenbruck zum Schluss noch mit auf den Weg zum Nordpol gibt: „Man darf sich nicht unter Stress setzen, das ist absolut tödlich! Die Gefäße ziehen sich zusammen, die Gefahr zu erfrieren steigt. Also beim Anblick eines Eisbären cool bleiben.“ Ich werde versuchen, mich an seine Worte zu erinnern.

Datum

0 22.03.2009 | 19:25

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