Nordpol, wir kommen!
Letzter Blick aufs Wasser
Heute geht es ins Eis, auf „the devil´s dancefloor“, die Tanzfläche des Teufels, wie Polarabenteurer die Region um den Nordpol gerne nennen. „Jetzt werde ich langsam ein bisschen nervös“, sagt Eugen, der Jüngste im Team. „Es ist aufregend, an so einem Abenteuer teilzunehmen.“ Mir geht es ähnlich, Puls und Adrenalinspiegel steigen.
Bitte anschnallen!
Gestern Abend brachten wir die gepackten Schlitten und Skier zum Flughafen. Sie wurden gewogen und mit Namensschildern versehen. An diesem Sonntag sind wir auf den zweiten Flug zur Eisstation Borneo gebucht. Voraussichtlich gegen 16 Uhr werden wir starten. Leonid Plenkin, Mitglied der russischen Borneo-Mannschaft, gab uns letzte Anweisungen.
Wie in einer Schulklasse saßen wir vor dem Pult, hinter dem Lehrer Leonid stand. Zu dessen Leidwesen funktionierte der Beamer nicht. Der junge Russe musste in gebrochenem Englisch in Worte fassen, was uns eigentlich per Computer gesagt werden sollte. Etwa, dass wir uns unbedingt 20 Minuten vor dem Ende des Flugs anschnallen sollten. Denn wir müssten mit einer harten Landung und einer abrupten Bremsung auf der kurzen Eispiste rechnen. Nichts für schwache Nerven und schwache Blasen.
Borneo mit a
Wir sind nicht die einzigen, die es versuchen
Vielleicht ermahnte uns Leonid deshalb, ausschließlich die blauen Toilettenboxen der Station zu nutzen, wenn wir ein dringendes Bedürfnis haben sollten. Gelbe Flecken im Eis sind unerwünscht. Außerdem soll es schon Nordpolanwärter gegeben haben, die ausgeflogen werden mussten, weil sie im Freien zu lange für die Erledigung ihres Geschäfts brauchten und sich Erfrierungen zuzogen. „Exercise self-control“, übe Selbstdisziplin, heißt es dazu vielsagend im Faltblatt mit den „basic rules“, den Grundregeln für Borneo.
Dort kann man auch nachlesen, dass die Station politisch korrekt Barneo heißt. Eigentlich war sie auf „Borneo“ getauft, doch die Betreiber wollten möglichem Ärger mit Indonesien aus dem Weg gehen. Bekanntlich gibt es dort eine Insel gleichen Namens. Also wurde aus Borneo Barneo. Mir gefällt die ironisch gemeinte ursprüngliche Bezeichnung viel besser. Deshalb bleibe ich dabei und riskiere zur Not auch, dass meine diplomatischen Beziehungen zu Indonesien eingefroren werden.
Liebe Schüler, …
Zurzeit treibt die Station Borneo rund 25 Kilometer vom Nordpol entfernt auf dem arktischen Ozean – zu nahe für uns. Schließlich wollen wir exakt auf dem 89. Breitengrad unsere Skier anschnallen, also knapp hundert Kilometer weiter südlich. Sonst heißt es nachher noch: Ihr habt euch auf der Sonneninsel Borneo mit Wodka vollaufen lassen und habt dann einen Spaziergang zum Nordpol gemacht! Um solch übler Nachrede vorzubeugen, besteigen wir auf Borneo einen Helikopter, der uns am gewünschten Startort absetzt – mitten in der Tiefkühltruhe.
Nicht ohne Pol
Minus 34 Grad Celsius wurden gestern auf Borneo gemessen. „Ich bin sehr gespannt, was das für uns bedeutet“, sagt Expeditionsmitglied Frank, für den die Arktis, wie für Eugen und mich, Neuland ist. „Da ich überhaupt nicht weiß, was auf uns zukommt, weiß ich auch gar nicht so richtig, was ich fühlen soll.“ Arnold dagegen, mit 60 Jahren der Älteste der Mannschaft, hat schon Grönland mit Skiern durchquert. „Ich hoffe, wir haben keine starken Winde, denn dann wird es wirklich unangenehm.“
Fünf Mal Entschlossenheit
Bloß nicht zu viel grübeln, meint Expeditionsleiter Thomas, der grenzenlosen Optimismus ausstrahlt. „Diese 120 Kilometer werden wir ohne Zweifel schaffen.“ Genau, ob tiefgefroren oder nicht! Wir werden auf der Tanzfläche des Teufels eine kalte Sohle hinlegen. Oder um es mit Franks Worten zu sagen: „Ohne Pol gehen wir ja hoffentlich nicht zurück.“
P.S. Von jetzt an werden die Texte kürzer ausfallen, weil sie per Satellit übermittelt werden müssen. Ich hoffe, die Technik spielt mit. Um unsere genaue Position zu verfolgen, einfach auf die Karte rechts oben klicken.