Mogelnder Tollpatsch
Spitzenwetter auf Spitzbergen. Als ich heute Morgen das Rollo des Schlafzimmers aufziehe, blicke ich in einen strahlend blauen Himmel – und sehe eigentlich zum ersten Mal die schöne Umgebung Longyearbyens, die sich gestern hinter den Schneewolken versteckt hielt. Eigentlich das ideale Wetter für eine Spritztour mit einem Skidoo, einem Motorschlitten. Doch leider hatten und haben wir heute noch jede Menge Vorbereitungen zu erledigen.
Learning by doing
Nach dem Frühstück bauen wir auf einer Eis- und Schneefläche in der Nähe unseres Hauses noch einmal beide Zelte auf – im Gegensatz zu unserem Vorbereitungswochenende in der Schweiz jedoch unter erschwerten Bedingungen. Denn trotz Sonne klettert das Thermometer auch heute nicht über minus 15 Grad Celsius. Und auch der Wind hat sich nicht verabschiedet.
Wir haben uns die dicken, klobigen Handschuhe über die Finger gezogen und versuchen nun, die Knoten der Zeltschnüre zu lösen. Ich stoße an die Grenzen meiner Geschicklichkeit und streife die Handschuhe ab. Doch selbst bei diesen im Vergleich zur Nordpolregion wahrscheinlich noch milden Temperaturen rächt sich das sehr schnell. Ruckzuck kühlen die Finger aus. Nach jedem Knoten schlüpfe ich rasch wieder in die Handschuhe. Eine Mogellösung, die ich mir in den nächsten Tagen nicht mehr leisten kann.
Wer hat noch nicht, wer will noch mal?
Ein bisschen wirken wir alle noch wie eine Tollpatsch-Kombo – natürlich mit Ausnahme unseres Expeditionsleiters, der alle Handgriffe wie blind beherrscht. Verzweiflung bricht dennoch nicht aus. „Learning by doing“ heißt unser Prinzip. Wir setzen darauf, dass wir beim Zeltauf- und -abbau und allem anderen schnell Routine entwickeln. Denn eigentlich ist es ja ganz einfach, und uneigentlich auch.
SOS, ein Eisbär!
Nachdem wir die Zelte wieder eingerollt haben, ruft uns Thomas zum Notfall-Training. Er zeigt uns, wie das Satellitentelefon, das internationale Alarmgerät und das GPS-Gerät zu bedienen sind, „wenn ich dazu nicht mehr in der Lage sein sollte“. Das will ich mir lieber nicht ausmalen. Genauso wenig wie ein ungewolltes Rendezvous mit einem hungrigen Eisbären, der auf Menschenfleisch zum Frühstück steht. „Schön den Arm ausstrecken, bevor ihr den Revolver abfeuert“, rät uns Thomas, „sonst habt ihr am Ende selbst ein Loch im Kopf.“ Was zweifellos unangenehm wäre. Doch vorher würden wir natürlich versuchen, den zotteligen Gast mit einem Schuss aus der Leuchtpistole oder einer Ladung Pfefferspray zu verscheuchen. „Ihr dürft die Dose nicht zu nahe vor das Gesicht halten, sonst hängt ihr selbst in der Pfefferwolke.“ Was ebenfalls ganz und gar nicht im Sinne des Erfinders wäre.
Tischlein, deck dich für Notfälle
Besser oben bleiben
Auch im eiskalten Polarwasser sollten wir nach Möglichkeit nicht landen.“Das Dümmste ist, wenn einer wirklich komplett durchbricht“, macht uns Thomas Mut. Dann geht es zunächst einmal darum, den Unglückraben möglichst schnell wieder herauszuziehen, in Windeseile das Zelt aufzustellen und mit Kochern aufzuheizen. Nun wird der lebende Eiszapfen aus seinen Kleidern geschält und in den Schlafsack verfrachtet. Details der Aktion können unten nachgehört werden. Spätestens dann dürfte allen klar sein, dass es wirklich besser wäre, auf dem Eis zu bleiben.