90 Grad Nord!
Fünf Männer am Nordpol – [v.r.] Thomas, Frank, Arnold, Eugen, Stefan (und Poldi)
Um 13.08 MESZ rammt Thomas den Skistock in den Schnee. Das GPS-Gerät zeigt 89 Grad, 59 Minuten, 59,9 Sekunden. Wir stehen am Nordpol.
Verdammter Wind
Die ganze vergangene Nacht über hat der Wind an unserem Zelt gerüttelt, wir haben wegen der Eiseskälte kaum geschlafen. „Meinst du wirklich, wir sollten das Risiko von Erfrierungen auf uns nehmen?“, fragt Eugen nach dem Wecken um sechs Uhr besorgt. „Können wir nicht warten, bis sich der Wind legt?“ Thomas schüttelt den Kopf. „Das wird eher schlimmer als besser. Ihr müsst nur darauf achten, dass ihr draußen immer die dicken Handschuhe anbehaltet und dass die Neoprenmaske richtig sitzt.“
Um 9.30 Uhr sind Zelte und Gepäck verstaut. Wir brechen zur letzten Etappe auf. Gott sei Dank bläst der Wind, der immer stärker wird, in unseren Rücken. Drei Rinnen müssen wir überqueren. Man sieht, dass hier vor kurzem noch offenes Wasser war. Doch die Eisdecke ist dick genug, dass sie uns trägt. Wir kommen gut voran.
Letzte Rinne – zugefroren
Bloß keine Wasserrinne
Wir machen die letzte Rast vor dem Pol. Kein Vergnügen bei diesem Wetter. „Dieser Scheißwind!“, flucht Arnold. „Hoffentlich stoßen wir jetzt nicht noch auf eine Wasserrinne“, sagt Frank. Das wäre so kurz vor dem Ziel wirklich bitter. Eugen ist inzwischen optimistischer. „Noch fünf Kilometer, dann werde ich jubeln.“
Der letzte Abschnitt stellt uns keine schweren Hindernisse mehr in den Weg. In immer kürzeren Abständen blickt Thomas auf sein GPS-Gerät. Die letzen 200 Meter laufen wir nicht mehr hinter-, sondern nebeneinander. Wir wollen als Team am Nordpol eintreffen.
Rote Leuchtraketen
Als wir dort ankommen, dauert es einen Augenblick, bis wir realisieren, dass wir unser Ziel erreicht haben. Wir jubeln, klatschen uns ab und gratulieren uns gegenseitig. Thomas schießt zwei rote Leuchtraketen in den Himmel über dem Nordpol. „Schön ist das hier“, sagt der Expeditionsleiter. „Ein Glück, dass wir am Pol kein offenes Wasser haben.“
Wir versuchen noch, ein Gruppenfoto zu machen. Zwei von drei Kameras geben den Geist auf. Der Wind ist auch ihnen zu eisig. Als wir sicher sind, dass wir ein, zwei brauchbare Bilder haben, schlagen wir schnell unsere Zelte auf. Denn auch der schönste Augenblick der Expedition, das Erreichen des Ziels, ist es nicht wert, dass wir uns schwere Erfrierungen zuziehen.
„Härteste Last degree-Expedition“
Anstoßen auf das Erreichen des Pols
Knapp 120 Kilometer liegen hinter uns, sieben extreme Tage auf dem Eis. „Das war die härteste Last degree-Expedition, die ich bisher geleitet habe“, resümiert Thomas im Zelt. Wir stoßen mit Kaffee, Tee und heißer Schokolade auf den Erfolg an. Ich ziehe zur Feier des Tages ein Paar frische Strümpfe an. Die richtige Nordpolfeier holen wir auf Spitzbergen nach, in einem gemütlichen, warmen, windstillen Restaurant. Jetzt warten wir auf den russischen Helikopter, der uns voraussichtlich morgen zur Eisstation Borneo zurückfliegen wird.
P.S. Das Rätsel mit der Fahne kann ich heute noch nicht auflösen. Ich hoffe, dass ich morgen bei hoffentlich weniger Wind das erhellende Foto machen kann. Also bitte Geduld!