Ohne Puja ist Gott nicht glücklich
„Hallo, kommt alle zur Puja!“ Ralf ruft die Expeditionsmitglieder zu einer traditionellen Gebetszeremonie des tibetischen Buddhismus. Dafür ist Sangip Lama, ein Mönch aus dem Kloster von Sama, am Morgen ins Basislager aufgestiegen. Anderthalb Stunden lang hat er im Küchenzelt Tsampa, geröstetes Gerstenmehl, mit Butter verknetet und daraus feine Skulpturen geformt. Sie symbolisieren buddhistische Gottheiten und den tibetischen Religionsstifter Padmasambhava.
Geweihte Ausrüstung
Jetzt stehen die Teigskulpturen auf einem kleinen Steinaltar oberhalb des Lagers. Die Bergsteiger haben ihre Klettergurte, Steigeisen und Eisgeräte neben den Altar gelegt. Zweige werden entzündet. Der Lama beginnt, auf einer Kunststoffmatte sitzend, mit der Zeremonie. Er läutet ein Glöckchen, murmelt Mantras. Von Zeit zu Zeit schlägt er zwei kupferne Becken gegeneinander und trommelt im Takt seiner Gebete.
Ein Schluck Bier aus der Hand
„Eine Expedition kann nur erfolgreich verlaufen, wenn es vorher eine Puja gibt“ sagt Pasang. Der 29 Jahre alte Sherpa wird die Bergsteiger auf den Manaslu begleiten. „Ohne Puja ist Gott nicht glücklich.“ Während der Lama weiter seine Mantras betet, geht Pasang herum und gießt uns einen Schluck geweihtes Tschang, Hirsebier, in die zur Schale geformten Hände. Wir trinken das Bier. Unser Koch Sitaram reicht dazu Gebäck.
Glücksbänder vom Dalai Lama
Jetzt hängt uns Pasang noch einen roten und einen schwarzen Sungdi um den Hals, Bändchen mit Glücksknoten. Die schwarzen Sungdis, erklärt Pasang, habe der Dalai Lama im indischen Exil persönlich geweiht.
Auf das Kommando des Lama werfen wir Reis und Mehl ins Feuer. Die Puja ist beendet. Gott ist hoffentlich glücklich.
Shit happens
Aufstieg rechts hinter dem Felsen, Abstieg links
Es gibt eine neue Variante des Wegs zum Manaslu-Basislager, und sie hat auch schon einen Namen: „Shit happens!“, frei übersetzt „Es kann nicht alles glatt gehen.“ Am Morgen unseres Aufbruchs hatte uns Ralf noch versichert: „Nein, ihr könnt euch nicht verlaufen. Es gibt nur einen Pfad, leicht zu erkennen.“
Und so machten sich die ersten acht Expeditionsmitglieder auf den Weg, während die anderen noch verfolgten, wie die 120 Trägerinnen und Träger die Lasten untereinander verteilten.
Gleiches Recht für alle
Am Tag zuvor hatte es in Sama eine Dorfversammlung gegeben. Ursprünglich war geplant gewesen, neben dem Lohn 60 Paar Schuhe an die Träger zu verteilen. Sie sollten je zwei Mal aufsteigen. Da wir in diesem Frühjahr aber die einzige Expedition am Manaslu sind, entschieden die Bewohner Samas, dass 120 Träger in den Genuss der Bezahlung kommen, und nicht 60 das Doppelte kassieren sollten. 1300 Rupies pro 30 Kilogramm Last waren ausgelobt, umgerechnet rund 12 Euro, vier Mal so viel wie der Trägerlohn im Tal. Bei der Dorfversammlung wurde auch beschlossen, dass die versprochenen Schuhe erst einmal im Depot bleiben sollten, damit es unter den Familien keinen Streit gebe.
Verschenkte Höhenmeter
In kurzen Abständen machen sich also Hiro, Josef, Angelo, Peter, Helmar, Rolf, Joachim und ich auf den Weg Richtung Basislager. Wir folgen dem Yak-Pfad, dem einzig möglichen, dem leicht zu erkennenden, nicht zu verfehlenden. Auf 4360 Metern Höhe treffen wir acht uns auf einem Sattel wieder. Hier endet die Spur, aber 150 Meter tiefer sehen wir die ersten Träger einer langen Karawane, die bergauf steigt. Verdammt, wir haben uns verstiegen! Es gibt keine Alternative: wir müssen hinunter, quer durch die dichten Sträucher am Hang. 150 verschenkte Höhenmeter. Shit happens! Ralf meint später, wir sollten den Umweg ganz einfach als zusätzliches Training verbuchen. Na, dann.
Puls von 175
Zwanzig Minuten später reihen wir uns in die Karawane ein – auf dem richtigen Weg. Er führt an der rechten Seite des Manaslu-Gletschers nach oben. Ich bewundere die Fitness und Geschicklichkeit der Einheimischen, die in knöchelhohen, alten Turnschuhen ihre schweren Lasten selbst über die steilsten Stellen sicher hinwegbringen. Derweil steigt mein Puls bei wesentlich weniger Gewicht im Rucksack auf Spitzenwerte von 175 Schlägen. Zeitweise glaube ich, mein Herz im Ohr pochen zu hören. Und ich fühle mich um mindestens fünf Jahre älter.
Schneefall im Basislager
Doch irgendwann, nach einem endlos erscheinenden Moränengrat erreiche auch ich – als einer der letzten – den schneebedeckten Platz auf 4850 Meter Höhe, an dem unser Basislager stehen soll. Als die Träger entlohnt und abgezogen sind, beginnen wir, die Stellen für unsere Zelte zu planieren. Gerade will ich mein Zelt aufbauen, da beginnt es heftig zu schneien. Shit happens.
P.S. Inzwischen wurde die Route „Shit happens“ zum zweiten Mal begangen: Johannes, der wegen einer Erkältung mit eintägiger Verspätung aufstieg, wählte ebenfalls den falschen Weg.
In der Dorfschule von Sama
“Namaste, Namaste!“ schallt es mir entgegen. Zum Willkommensgruß falten die Kinder die Hände wie zum Gebet. 30 Mädchen und Jungen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren werden hier unterrichtet. Der Schultag beginnt früh um sechs Uhr und endet abends um 19 Uhr. Die Kinder essen und schlafen in der Schule. Auf dem Stundenplan stehen tibetischer Buddhismus und die eher klassischen Fächer: Lesen, Schreiben, Rechnen, Nepali und auch Englisch.
Ãœbungshefte fehlen
„Die normalen Bücher werden von der Regierung zur Verfügung gestellt“, sagt Tsering. Der 21- Jährige ist einer von zwei Lehrern der Dorfschule. „Probleme gibt es nur wenn wir andere Unterrichtsmaterialien wie etwa Ãœbungshefte brauchen.“ Dann ist die Schule auf Spenden von Trekkingtouristen und Bergsteigern angewiesen, die Sama besuchen.
Einer von hundert wird Mönch
Der Besuch der Dorfschule kostet so gut wie nichts. Eine weiterführende Schule ist für die meisten Familien allerdings zu teuer. Daher bleibt die Dorfschule fast immer für die Kinder die einzige Bildung in ihrem Leben. „Es sei denn, der Schüler wird Mönch“, sagt Tsering. Im Schnitt gehe ein Schüler von hundert ins Kloster.
Dunkler Klassenraum
Eine kleine Tafel steht im Klassenraum, dahinter zwei Tische und Bänke. Der Raum ist so dunkel ist, dass ich aus drei Metern Entfernung kaum noch die Schrift auf der Tafel lesen kann. Schlecht für die Augen, die bei einigen Kindern ohnehin schon fast zugeschwollen sind – Folge der in den Häusern und Hütten üblichen offenen Feuerstellen.
Bald soll eine neue Schule gebaut werden. Die Steine liegen schon aufgeschichtet an der geplanten Stelle zwischen dem Dorf und dem Kloster. Der japanische Bergsteigerverein finanziert das Projekt.
Ein Jongleur als Attraktion
Auf dem Schulhof beginnt Richard mit drei Steinen zu jonglieren. Schnell bilden die Kinder einen Kreis um ihn und bestaunen seine Kunststücke. Es dauert nicht lange, bis sich die ersten Schüler kleine Steine nehmen, um kichernd Richard nachzueifern. Die Vorstellung endet jedoch schlagartig, als das Signal zum Mittagessen ertönt. Genug Kleinkunst, der Magen knurrt.
P.S. Wir steigen am Samstag auf 4800 Meter Höhe und bauen dort unser Basislager auf. Den nächsten Bericht gibt es deshalb erst am Sonntag
Ein Tag zum Akklimatisieren
Der Manaslu ist ein Frühaufsteher. Um 5.30 Uhr zeigt er sich erstmals in seiner ganzen Pracht. Wenig später lecken die ersten Sonnenstrahlen an seinem 8163 Meter hohen Gipfel. Glücklicherweise ist mein Zelt so aufgebaut, dass ich im Schlafsack liegen bleiben kann und nur den Ausguck zu öffnen brauche, um den majestätischen Anblick zu genießen. Zur Frühstückszeit um sieben Uhr ist die Audienz beendet, der Manaslu versteckt sich wieder hinter den Wolken.
Gemeinsames Frühstück
Unsere Zelte stehen auf einem idyllischen Plateau, 3585 Meter hoch, oberhalb des Dorfes Sama. Im Hintergrund rauscht ein Bach, für Wasser ist also gesorgt.
Große Höhe-dicker Kopf
Wir lassen es langsam angehen. Der Sprung um rund 2000 Höhenmeter im Vergleich zu Kathmandu fordert seinen Tribut. In meinem Kopf nistete sich vorübergehend ein ungebetenes Heinzelmännchen ein, dass ständig mit seinem Hammer gegen meine Schädeldecke klopfte. Erst nach Stunden hatte es sich müde gehämmert und ließ mich ruhig schlafen.
Alle wissen, dass die Zeit für sportliche Höchstleistungen noch nicht gekommen ist. Richard hat sich vor zwei Jahren schon einmal vergeblich am Manaslu versucht. Er gesteht, dass es ihn bereits juckt, wenn er bergauf blickt: „Die Verhältnisse sind bedeutend besser als damals. Aber ich bin schon lange genug dabei, um zu wissen, dass jetzt erst einmal Akklimatisieren angesagt ist.“
Für Richard ist es bereits die achte Expedition.
Auch Rolf macht die Höhe noch zu schaffen. „Ich bin ein bisschen kurzatmig, alles geht etwas langsamer.“ Rolf kann es kaum noch erwarten, ins 4800 Meter hohe Basislager aufzusteigen. „Ich bin schon ganz kribbelig.“.
Zur Ruhe kommen wir bei einem Besuch in der Pemachheling Gompa, dem kleinen Kloster oberhalb des Dorfes Sama. Die Mönche unterbrechen ihre Gebete, um uns willkommen zu heißen. Ralf überreicht eine Spende für das Kloster.
Rote Bändchen mit Glücksknoten
Die Mönche segnen die Gebetsfahnen, die bald in unserem Basislager wehen werden. Außerdem wird jedem von uns ein „Sungdi“ um den Hals gelegt, ein kleines rotes Bändchen mit einem Glücksknoten. Dieses Glück werden wir brauchen, am Manaslu, dem Berg der Seele.
Mit dem Hubschrauber zum Manaslu
Eigentlich ist es fast schade, dass ich die Flugangst, die mich früher quälte, überwunden habe. Hier an Bord des russischen Militärhubschraubers, könnte ich sie hemmungslos ausleben, könnte winseln, selbst schreien, ohne dass mein Nachbar es hören würde. Der Lärm, den der Helikopter mit seinen langen Rotorblättern und dem starken Motor macht, ist ohrenbetäubend.
Wie Sardinen in der Dose
Wie Sardinen in der Dose drängeln wir uns zu siebt auf einer Metallbank an der Seite des Laderaums. Unmittelbar vor unseren Knien türmt sich das Expeditionsgepäck: prall gefüllte Tonnen, Taschen, Säcke.
Die russischen Piloten sind abgebrüht. Während sie ihren Riesen-Heli fliegen, rauchen sie Zigaretten – trotz der überall angebrachten Schilder „No Smoking“, trotz des Kerosingestanks.
Sichere Landung
Wir bleiben von Turbulenzen verschont. 40 Minuten nach dem Start in Kathmandu verengt sich allmählich das Tal, durch das wir fliegen. Die Felswände auf der einen, die Bäume auf der anderen Seite scheinen zum Greifen nahe. Leicht wackelnd legt sich der Hubschrauber in die Kurve, dann setzt er am Landeplatz auf: 3585 Meter hoch, zu Füßen des Manaslu.
Unser Koch Sitaram und weitere Helfer eilen herbei. Wir beginnen, den Helikopter zu entladen.Die russischen Piloten rauchen derweil ihre nächsten Zigaretten. Wenig später entschwebt der Hubschrauber, zurück nach Kathmandu, um die restlichen sechs Expeditionsmitglieder abzuholen.
Einheimische zapfen Kerosin ab
Zwei Stunden später: Wolken haben sich ins Tal geschoben. Ralf wird langsam nervös. Gerade als er sein Satellitentelefon auspackt, um sich in Kathmandu nach dem Verbleib der zweiten Gruppe zu erkundigen, hören wir erst das vertraute Geknatter. Dann erblicken wir den Hubschrauber, der erneut sicher aufsetzt. Das Expeditionsteam ist wieder vereint.
Während wir das Gepäck entladen, zapfen sich einige Einheimische aus dem Dorf Sama Kerosin aus den Tanks des Hubschraubers ab. Die Piloten stehen lächelnd daneben – und rauchen.