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Ein Gipfelerfolg, der leicht als Tragödie hätte enden können

Ich habe einen Kloß im Hals und Tränen in den Augen – vor Freude, vor Erleichterung. Unsere Gebete sind erhört worden: Jürgen und Angelo sind gesund und außer Gefahr.
Bergsteiger werden nicht müde zu erklären, dass ein Gipfel erst erfolgreich bestiegen ist, wenn man wieder gesund im Tal angekommen ist. Die letzten 24 Stunden am Manaslu wirken wie ein Lehrfilm, um diese These zu belegen.
Der gestrige Gipfelerfolg hätte leicht als Tragödie enden können.


Danke für das glückliche Ende!

Mit dem Schlimmsten gerechnet

Erst die Sorge um Jürgen. Als es dunkel wird, ist der 47-Jährige noch nicht von seinem Gipfelversuch nach Lager drei auf 7300 Metern zurückgekehrt. Ursprünglich hatte das Lager längst abgebaut sein sollen. Jetzt wartet Expeditionsleiter Ralf im Zelt auf Jürgen. „Ich bin noch einmal ein Stück aufgestiegen, um das erste große Schneefeld einsehen zu können. Keine Spur von Jürgen.“
Ralf klingt, als rechne er mit dem Schlimmsten. Er hat Schnee geschmolzen, um Jürgen sofort nach seiner Ankunft viel trinken zu lassen – wenn er noch in dieser Nacht den Weg zum Lager findet. „Wenn er morgen früh immer noch nicht aufgetaucht ist, werde ich ihm entgegensteigen.“

Immer langsamer und kraftloser

Um 21.15 Uhr krächzt das Funkgerät. „Hallo, Stefan, hier Ralf, kommen! Jürgen ist gerade hier eingetroffen. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Er trinkt fleißig. Wir werden morgen früh gemeinsam absteigen.“
Ralf erzählt, dass Jürgen sich an die vereinbarte Umkehrzeit gehalten hat, dann aber immer langsamer und kraftloser wurde. 19 Stunden nach seinem Aufbruch schleppte er sich zurück nach Lager drei.
Was für eine Freude! Doch sie währt nur kurz. Denn aus Lager zwei gibt es eine neue Hiobsbotschaft.

Suche nach Angelo

„Wir haben auch einen Vermissten: Angelo!“, sagt Rolf. „Ich bin mir sicher, dass er am Depotplatz für unsere Schneeschuhe, etwa 200 Meter über dem Lager, noch hinter mir war. Aber jetzt fehlt von ihm jede Spur.“ Ein Suchtrupp hat sich in die Dunkelheit aufgemacht, um Angelo ausfindig zu machen. Ist er möglicherweise in eine Gletscherspalte gestürzt? Die Funkgeräte bleiben eingeschaltet.


batterie-intensiver Dauerbetrieb

Keine Spur

Um 22.30 Uhr meldet sich Rolf erneut aus Lager zwei. Er ist deprimiert. „Die Suchmannschaft ist zurück. Sie haben Angelo nicht gefunden. Im Augenblick können wir nichts mehr für ihn tun. Wir steigen bei Tagesanbruch wieder auf.“
Hier unten im Basislager versuche ich zu schlafen, vergeblich. Die Sorge um Angelo lässt mich nicht zur Ruhe kommen.
6 Uhr. Noch immer kein Lebenszeichen des Schweizers. „Vier aus unserer Gruppe werden jetzt noch einmal zum Schneeschuh-Depot aufsteigen“, kündigt Rolf an. Mit dem Fernglas verfolgen Sitaram und ich das Geschehen am Berg.

„Angelo ist okay!“

6.30 Uhr. Gerade bin ich ins Gemeinschaftszelt gegangen, um mir einen Tee zu holen, da ruft Sitaram von draußen: „Stefan-dai, Stefan-dai, there is someone walking down to camp two.“ Und tatsächlich, dort bewegt sich jemand langsam, aber stetig auf die Zelte zu. Das muss Angelo sein. Wie versuchen, Funkkontakt zu Lager zwei aufzunehmen, doch die Bergsteiger haben die Geräte ausgeschaltet. Aber offenbar haben auch sie jetzt Angelo entdeckt. Zwei Bergsteiger gehen ihm entgegen. Wenig später meldet sich Peter: „Basislager kommen, Angelo …..“ Die nächsten Worte gehen im Rauschen unter. Dann die ersehnte Nachricht: „Angelo ist okay, Angelo ist okay!“ Wir jubeln, klatschen uns ab.


Ralf und Jürgen auf dem Weg nach Lager zwei

Flucht vor der Lawine

Gegen 8 Uhr beginnen die Bergsteiger aus Lager zwei abzusteigen. Beim nächsten Funkkontakt erfahren wir von Rolf, dass auch Angelo zur Gruppe gehört. „Er ist sehr müde und kommt kaum mit.“ Expeditionsleiter Ralf fragt, wo Angelo die vergangene Nacht verbracht habe. „Kurz vor Lager zwei ging in unserer Nähe eine Lawine mit Eisschlag ab“, berichtet Rolf. „Angelo hat beschlossen, sich zu verkrümeln. Unter dem Ãœberzelt, im Biwaksack hat er dann irgendwo dort die Nacht verbracht.“
Ralf steigt derweil mit dem entkräfteten Jürgen Richtung Lager zwei. „Es geht sehr, sehr langsam vorwärts. Aber wir sind zusammen, und er wird es schon schaffen.“

Glimpflich ausgegangen

Um 11 Uhr, beim nächsten Funkkontakt, haben die beiden fast Lager zwei erreicht. „Ich habe die Stelle gefunden, an der Angelo biwakiert hat“, sagt Ralf, „direkt neben dem Lawinenkegel. Er hat seine Schneeschuhe dort stehen lassen.“ Angelos Gruppe nähert sich bereits Lager eins. „Wir sind alle ziemlich kaputt“, stellt Rolf fest.
Mark schaltet sich zu. Er ist heute früh vom Basislager nach Lager eins aufgestiegen, um beim Abbau zu helfen: „Ich bin heilfroh, dass alles so glimpflich ausgegangen ist.“ „Ich auch“, antwortet Ralf. Wir alle.


Die ersten Gipfelstürmer zurück im Basislager: Richard und Peter

Datum

Sonntag 20.05.2007 | 06:10

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