Funktag im Basislager
Ruhe ist eingekehrt im Basislager zu Füßen des Achttausenders Manaslu. Alle Bergsteiger sind ausgeflogen. Eine vorentscheidende Phase der Expedition: Die unteren beiden Hochlager auf 5680 und 6600 Metern werden vorübergehend bezogen, der Weg zu Lager drei auf 7450 Metern soll erkundet werden.
High noon mit Walkie-Talkies
12 Uhr mittags. Vereinbarte Funkzeit. Helmar meldet sich aus Lager eins: „Alle sind gut angekommen, wir haben die Zelte aufgebaut, keine besonderen Vorkommnisse.“ Um sechs Uhr früh hatten sich zehn Bergsteiger auf den Weg zu Lager eins gemacht. Nach einer Nacht sollen sie zu Lager zwei aufsteigen, um dort – zur besseren Akklimatisierung – zwei weitere Nächte zu verbringen.
“Affenhitze“ auf 6450 Metern
Expeditionsleiter Ralf ist schon einen Tag länger am Berg. Er meldet sich per Walkie-Talkie aus einer Höhe von 6450 Metern. Gemeinsam mit Hiro und den Sherpas Pasang und Karma hat er die Spur bis dorthin gezogen und ist dabei gehörig ins Schwitzen geraten. „Hier oben ist wirklich eine Affenhitze. Mit dem Gepäck auf dem Rücken war es eine ganz schöne Schinderei. Aber es lohnt sich.“ Ralf hat den Platz für Lager zwei bereits im Blick.
Schneeschuhe und Helm einpacken
Er empfiehlt den Bergsteigern in Lager eins, die Schneeschuhe einzupacken. „Ich verspreche euch, das wird brutal hart. 1000 Höhenmeter, da werdet ihr froh sein, wenn ihr für die letzten 400 Höhenmeter die Schneeschuhe unterschnallen könnt.“ Und auch auf den Kletterhelm sollen die anderen nicht verzichten. Der Weg hinauf nach Lager zwei führt schließlich durch einen Eisbruch. „Da steht nicht nur ein Eisturm herum“, sagt Ralf. Diese so genannten Seracs können jederzeit einstürzen.
Blick von Lager eins aus nach Tibet
Kraft tanken für den Gipfelversuch
Wenn Helmar und die anderen am Donnerstag Lager zwei erreichen, werden sie Ralf und Hiro wahrscheinlich nicht antreffen. Die beiden wollen den Weg zu Lager drei erkunden. Dieses letzte Lager auf etwa 7450 Metern Höhe soll nur für den Gipfelversuch bezogen werden.
Bis dahin werden allerdings noch einige Tage vergehen. Am Wochenende wollen die Bergsteiger ins Basislager zurückkehren – um Kraft zu tanken für den möglicherweise entscheidenden Vorstoß Richtung Gipfel des Manaslu. Immer vorausgesetzt, das Wetter spielt mit.
Auf der Suche nach dem Yeti
Yeti im Nebel
Große Fußabdrücke, verdächtige Stapfgeräusche. Der Yeti! Mein Puls schnellt herauf auf 180 Schläge. Na klar, auf 4850 Meter Höhe ist er zu Hause. Das hat doch schon Reinhold Messner festgestellt – und der ist doch die letzte Instanz in Sachen Himalaya – oder etwa nicht?
Beim Frühstück frage ich die anderen nach ihrer Meinung zum Yeti. „Ein Phantasiegeschöpf einiger Menschen“, sagt Joachim. Richard meint lakonisch, er habe den Yeti heute morgen im Gletscherbruch gesehen, „20 Meter dahinter der Reinhold Messner!“ Warum werde ich den Verdacht nicht los, dass sie mich nicht ernst nehmen?
Yeti-Spur
“Shit, this is Yeti!“
Ich wende mich an Angelo, den Yeti-Experten im Team. 1975 machte er eine Trekkingtour mit zwei Engländern zum Mount-Everest-Basislager. Auf über 5000 Meter Höhe schlugen sie ihr Zelt auf. „Plötzlich in der Nacht hörten wir ein Fauchen. Einer der Engländer sagte: ´Shit, this is Yeti!´ Wir hatten die Hosen gestrichen voll und verhielten uns ganz ruhig.“ Am nächsten Morgen waren die Kekse im Rucksack angenagt.
Software-Entwickler Angelo war so beeindruckt, dass er sein erstes Computerprogramm Yeti taufte. „Deshalb möchte ich den Yeti auch nicht wieder sehen. Am Ende verlangt er auch noch Tantiemen.“
Yeti-Höhle
Gefährliche Suche
Na also, es gibt ihn also doch. Ich frage unseren Koch Sitaram, ob er den Yeti schon einmal gesehen hat. „Nein, noch nie!“ Hat er Bedenken, wenn ich zur Wasserstelle gehe, um dort nach der Yeti-Höhle zu suchen? „That´s dangerous“, sagt Sitaram mit ernster Miene und prustet los.
Ich schleiche mich an die Wasserstelle heran. Dort steht ein Krug zum Schöpfen. Den hat bestimmt einer der Sherpas fallen lassen, als er vor dem Yeti flüchtete.
“Hallo Yeti!“
Das Wasser verschwindet in einer tiefen Gletscherhöhle. Hier wohnt er, kein Zweifel! Ich nehme allen Mut zusammen und rufe hinunter: „Hallo Yeti!“ Ein Furcht erregendes Fauchen schallt mir entgegen.
Wie, ihr glaubt mir nicht? Schade eigentlich! Der Messner hat sogar ein Buch darüber geschrieben.
Das Yeti-Team
P.S. Ralf ist heute morgen mit Hiro sowie den beiden Sherpas Pasang und Karma nach Lager eins aufgestiegen. Die anderen Bergsteiger folgen morgen. Anschließend sind zwei Nächte in Lager zwei auf etwa 6600 Metern geplant – zur weiteren Akklimatisierung – und um dem Yeti aus dem Weg zu gehen.
Höhenkrankheit kann tödlich enden
Expeditionsleiter Ralf demonstriert, wie die Sauerstoffflasche mit Ventil funktioniert. Im Fall, dass ein Teammitglied schwer höhenkrank wird, sollen die Bergsteiger wissen, was sie zu tun haben. In allen Hochlagern wird je eine Flasche mit künstlichem Sauerstoff deponiert.
Bergsteiger und Arzt
Für alle medizinischen Fragen der Expedition ist Peter zuständig. Der Österreicher arbeitet an einem Krankenhaus in Linz als Anästhesist und Intensivmediziner. Er fühlt sich als passionierter Bergsteiger und Arzt. Trennen könne man das nicht. „Ich kann und will nicht vor der ärztlichen Pflicht flüchten. Es ist immer schön, jemandem helfen oder ihn unterstützen zu können“ – auch im Himalaya.
Zusätzliche Höhenreize
Bereits hier im Basislager, etwa auf Höhe des Gipfels des Mont Blanc, wird der Sauerstoff nur noch mit der Hälfte des Drucks in die Lungen gepresst wie auf Meereshöhe. Daher ermahnt Peter das Team auch, in den nächsten Tagen am Manaslu nichts zu überstürzen. „Ich glaube, dass es für eine komplette Akklimatisation noch zu früh ist. Schließlich wollen wir höher hinaus als 8000 Meter. Da müssen wir dem Körper noch zusätzliche Höhenreize geben.“
Genau das soll in den nächsten Tagen geschehen. Dann werden die Bergsteiger voraussichtlich zwei Nächte in Lager 2 auf etwa 6600 Metern verbringen.
Peter bei der Arbeit: hier behandelt er eine Blase an Joachims Zeh
Jeden kann es erwischen
„Niemand ist vor der Höhenkrankheit gefeit“, sagt Peter. Auch Bergsteiger, die zuvor schon Achttausender bestiegen hätten, habe es später erwischt. „Man kann Höhenanpassung eben nicht trainieren wie körperliche Fitness.“ Jeder muss sich an gewisse Regeln halten: langsam angehen, viel Flüssigkeit trinken – und erste Symptome ernst nehmen.
Genau darin aber liegt eine große Gefahr. Die ersten Symptome der Höhenkrankheit werden leicht unterschätzt, handelt es sich doch eher um Unannehmlichkeiten wie Kopfschmerzen, Ãœbelkeit oder Appetitlosigkeit. Innerhalb kürzester Zeit aber kann sich daraus akute Lebensgefahr entwickeln: dann nämlich, wenn sich ein Höhenlungenödem oder ein Höhenhirnödem bilden. Die Todesrate bei Hirnödemen im Gebirge liegt bei rund 40 Prozent.
Fehlende Einsicht kann lebensgefährlich sein
Peter ist auf den Extremfall vorbereitet. Dann würde er zunächst künstlichen Sauerstoff verabreichen, anschließend Notfallpräparate, die er in seiner Notapotheke mit sich führt. „Zum schnellen Abstieg aber gibt es keine Alternative!“
Viele Höhenödeme könnten vermieden werden, wenn die Bergsteiger auf die Signale ihrer Körper hörten und sich vielleicht auch einmal einen Tag zusätzlich nähmen, um sich besser zu akklimatisieren. An Einsicht aber mangele es häufig, sagt Peter. Schließlich hätten die Bergsteiger viel Zeit und Geld für die Expedition geopfert. „Manche glauben dir erst, wenn sie unter schwerer Atemnot leiden, fast ersticken oder kurz vor der Bewusstlosigkeit stehen.“ Dann aber kann es schon zu spät sein.
Morgenstimmung
Reporter auf Auf- und Abwegen
Für einen Sonntagsspaziergang geriet die Tour mit 830 Höhenmetern dann doch ein bisschen zu heftig. Expeditionsleiter Ralf hatte vorgeschlagen, ich sollte die Sherpas Pasang und Karma hinauf nach Lager eins auf 5680 Meter Höhe begleiten. Die beiden sollten dort Material deponieren und anschließend wieder zum Basislager absteigen. Auf diese Gelegenheit hatte ich gewartet.
Nützliche O-Beine
Um 5.30 Uhr brachen wir auf, bei zunächst eisigen Temperaturen. Unter die Bergschuhe hatte ich als Steighilfe Schneeschuhe geschnallt. Und endlich lernte ich meine O-Beine schätzen. Mit Schneeschuhen muss man nämlich ein bisschen breitbeiniger laufen, und das beherrsche ich fast so perfekt wie John Wayne.
Wie im Glutofen
Die Spur führte erst entlang des Manaslu-Gletschers, dann darüber. Etwa eine halbe Stunde nach unserem Aufbruch erreichten die ersten Sonnenstrahlen das Eis. Der Gletscher wurde zum Glutofen. Schnell legte ich die ersten Kleidungsstücke ab. Dennoch ließ es sich nicht vermeiden, dass ich zu schwitzen begann wie im Hochsommer. Hinzu kam die immer dünner werdende Luft, die mir im wahrsten Sinne des Wortes den Atem nahm.
Das dicke Ende
Doch das dicke Ende wartete noch. Die letzten etwa 100 Höhenmeter führten über die schneebedeckte Rückseite eines Felsens. Je mehr ich mich dem Aufschwung näherte, desto steiler kam er mir vor.
Doch Kneifen galt nicht. Zu Füßen des Aufschwungs ließen wir die Schneeschuhe zurück und begannen zu klettern. Als Ex-Höhenangstgeplagter mit Restbeständen half es mir zu beobachten, wie selbstverständlich und souverän die beiden Sherpas Pasang und Karma die Passage durchstiegen. An der heikelsten Stelle hatte Ralf zudem ein Fixseil angebracht, in das wir uns einklinken konnten.Irgendwie schwindelte ich mich auch noch über die letzten Höhenmeter und erreichte – schnaubend wie eine alte Lokomotive – Lager 1.
Ein tolles Panorama
Das Panorama entschädigte mich für die Strapazen der letzten drei ein Viertel Stunden. Auf der einen Seite konnte man weit nach Tibet hineinblicken. Rechts davon ragte der Naike Peak empor. Und natürlich nicht zu vergessen der Manaslu: Fast schien er auf uns gewartet zu haben. Kaum hatten wir uns nämlich auf den Rückweg gemacht, versteckte er sich wieder – wie so oft – hinter Wolken.
Hinauf bis auf 6200 Meter
Eisbruch oberhalb von Lager 1
Die Expedition rückt dem Manaslu auf die Pelle. Bis auf 6200 Meter Höhe haben Ralf, Hiro und die beiden Sherpas Pasang und Karma die Route am Manaslu erkundet. Sie spurten durch den Gletscherbruch und legten an heiklen Stellen Fixseile an. „Je höher man kommt, desto tiefer sinkt man im Schnee ein – teilweise bis zu den Knien, und das auf Scheeschuhen“. Ralf ist beeindruckt. Der Expeditionsleiter hofft auf weiterhin sonniges Wetter, damit sich der Schnee setzen kann. „So wie es derzeit aussieht, haben wir aus eigener Kraft keine Chance.“ Die Lawinengefahr sei zu groß.
Ein ungutes Gefühl!
Einige Bergsteiger nutzten die Gelegenheit, in der Spur des Expeditionsleiters ein Stück weit hinauf zu steigen, um sich den weiteren Verlauf der Route anzusehen. „Wir müssen unter einem Gletscherbruch queren. Das ist immer ein ungutes Gefühl“, sagt Josef.
Laut Richard, der sich vor zwei Jahren schon einmal vergeblich am Manaslu versuchte, hat sich seitdem die Eispassage oberhalb von Lager eins komplett verändert. „Gletscher arbeiten und bewegen sich. Dann fallen auch schon einmal Eistürme in sich zusammen.“
Kein Persilschein
Schon vor der Expedition hatte Ralf die Teilnehmer darauf hingewiesen, dass es hier, zwischen Lager eins und zwei, ein nicht auszuschließendes Restrisiko gebe. Richard schließt sich der Einschätzung an:„Für diese Passage gibt es keinen Persilschein. Da hilft nur ruckzuck durch, und die Sache ist erledigt.“
Blick auf Lager 1
Bis minus zehn Grad kalt
Erstmals hatten die Bergsteiger zuvor in Lager eins übernachtet. Die Erfahrungen waren unterschiedlich. Rolf sprach von einer „angenehmen Nacht“, obwohl ein kräftiger Wind über den Lagerplatz pfiff und das Thermometer im Zelt bis auf minus 10 Grad sank. Ganz anders fiel Richards Resümee aus: „Beschissen! Ich habe kaum geschlafen. Die erste Nacht in fast 6000 Metern Höhe ist nie gut.“
Auch Josef hatte kaum ein Auge zugemacht und ständig auf die Uhr geschaut. Zum einen kämpfte er mit der noch ungewohnten Höhe, zum anderen mit dem starken Wind. „Der hat fast das Zelt zerrissen. Aber das ist eben so eine Nacht, die du über die Runden bringen musst.“
Helmar und Rolf kehren ins Basislager zurück
Keine Zeit für Heldentaten
Jetzt ist erst einmal wieder Erholung im Basislager auf 4850 Metern angesagt. Der Gipfel, der von Lager eins aus schon zum Greifen nahe erscheint, ist wieder ein Stück weiter in die Ferne gerückt. „Im Moment macht mir das noch nichts aus“, sagt Rolf, „die Zeit für große Heldentaten ist noch nicht gekommen.“