Der Kreis schließt sich
Geduscht, rasiert, gepackt – wenige Stunden trennen uns nur noch vom Rückflug nach Deutschland. Ein Abenteuer liegt hinter uns – mit glücklichem Ausgang. Nicht alle Bergsteiger unserer Expedition standen auf dem 8163 Meter hohen Gipfel des Manaslu, aber alle kehren gesund zu ihren Familien zurück. Der Berg der Seele war uns gnädig gesonnen.
Ein Fest der Sinne
Nachdem wir unsere Zelte im Basislager auf 4850 Metern abgebaut hatten und die Lasten auf die Träger verteilt worden waren, stiegen wir ins Tal ab. Die Wanderung hinunter war ein Fest der Sinne. Kein Wunder nach über vier Wochen Fels, Schnee und Eis. Wir bewunderten die Farbenpracht der Bergblumen, wir rochen das Kiefernholz, wir hörten das Plätschern der kleinen Bäche, und wir genossen die immer dickere Luft.
Endlose Moränen, märchenhafter Wald
Das Trekking erforderte Kondition. Vom Zeltplatz oberhalb Samas stiegen wir durch endlos erscheinende Gletschermoränen zum Larkya La auf, einem 5120 Meter hohen Pass. Leider versteckten sich auf dieser Etappe die Berge hinter Wolken. Entschädigt wurden wir am folgenden Tag. Unser Weg führte uns von der Hochalm Bimtang auf 3800 Metern hinunter nach Dharapani auf 2025 Metern. Die Sonne schien, wir wanderten durch einen märchenhaften Wald, immer mit dem Blick auf die Südseite des Manaslu.
Palmen und Bananen
In Dharapani trafen wir Ralfs Frau Gerlinde, die uns entgegengewandert war. Die letzten beiden Tage unseres Trekkings führten uns durch das wilde Tal des Flusses Marsyangdi, ständig auf und ab, über Hängebrücken, auf gut ausgetretenen Pfaden. Je tiefer wir kamen, desto heißer wurde es. Palmen und Bananenstauden säumten den Weg. Der Schweiß rann in Strömen, unsere Socken qualmten.
Die letzten Yetis
Straße verbarrikadiert
In Bhulbhule auf etwa 800 Metern fielen wir uns in die Arme – der aktive Teil unserer Expedition war beendet. Wir bestiegen einen klapprigen Bus und machten uns auf den gemütlichen Rückweg nach Kathmandu. Das jedenfalls dachten wir. Allerdings hatten wir die Rechnung ohne die streikfreudigen Nepalesen gemacht. Hinter der Stadt Besisahar hatten Aktivisten der Transportgewerkschaft die Straße verbarrikadiert. Sie wollten die Sanierung einer Brücke erzwingen. Die Folge: Alle raus aus dem Bus, anderthalb Stunden laufen und in einen anderen Bus umsteigen.
Die Ex-Yetis
Der Rest der Fahrt verlief ohne Zwischenfälle. Kathmandu empfing uns wie immer: stinkend, laut, pulsierend. Die Zivilisation hat uns wieder. Wir tauchen wieder ein in den Alltag – und träumen von den Bergen.
Empfang im Hotel in Kathmandu
P.S. Zum Schluss noch ein Dankeschön: an unsere Familien, die uns so lange entbehren mussten; an die Mitglieder des Expeditionsteams, ohne deren Offenheit dieser Blog nicht möglich gewesen wäre; an Ralf für seine Umsicht und großartige Arbeit – und nicht zuletzt an alle Leser und Hörer für die zahlreichen, wirklich motivierenden Kommentare. Auf Wiederlesen und Wiederhören.
Abschied vom Manaslu
Das kleine „gallische“ Zeltdorf am Manaslu wird geräumt. Die Bewohner haben genug vom Bergsteigen an diesem Achttausender, genug vom Lagerleben, genug vom Schneeschaufeln – und jetzt auch noch genug vom Dauerregen. Das geht ja nun wirklich auf keine Gallierhaut: Regen auf 4850 Metern! Dahinter stecken sicher die Römer!
Morgen verlassen wir das Basislager und trekken talwärts. Die Manaslu-Expedition klingt aus.
Riesen-Schwein gehabt
Als letzte Bergsteiger trafen heute Angelo und Jürgen hier ein. Sie hatten nach ihren Strapazen beim Abstieg eine weitere Nacht in Lager eins verbracht. Angelo war kurz vor Lager zwei in die Ausläufer einer Lawine geraten. „Plötzlich gab es einen Knall, und ich wurde weggerissen. Ich habe Schwimm-Bewegungen gemacht, so bin ich im Schnee oben geblieben.“ Angelo schätzt, dass er von der Lawine 50 bis 100 Meter hinuntergerissen wurde, ehe sie stehen blieb. Ein großer Kratzer am Kopf und ein blau angelaufener Arm – der Schweizer kam relativ glimpflich davon. „Du kriegst eine Riesenportion Schiss. Du sitzt da, und neben dir liegt ein Eisklotz von 80 mal 80 mal 20 Zentimetern. Wenn du den auf den Kopf kriegst, dann war es das. Ich habe Riesen-Schwein gehabt!“
Angelo zurück im Basislager
Lektion gelernt
Angelo entschloss sich zu einem Notbiwak, da er die Spur zurück nach Lager zwei im Dunkeln nicht mehr erkennen konnte.
Als ältester Teilnehmer hatte er zuvor den Gipfel erreicht: „Irgendwie hat das geklappt, dass ich meinen Fleischkloß da hinaufgebracht habe.“ Für Angelo war es der dritte, aber auch definitiv letzte Achttausender: „Wenn man absteigt, braucht es einfach das gewisse Mehr, das nur Profis haben. Daher müsste man sagen: Angelo, eigentlich gehörst du nicht an diesen Berg. Die Götter waren noch einmal gnädig. Ich habe meine Lektion gelernt.“
Immerhin über 8000 Metern
Jürgen gelangte bis rund 30 Meter unterhalb des Gipfels. „Dann musste ich wegen der fortgeschrittenen Stunde umdrehen. So ganz glücklich bin ich nicht, aber immerhin war ich zum dritten Mal über 8000 Metern.“ Während des Rückwegs habe er sich durchbeißen müssen. „Das war schon ziemlich einsam. Ich war froh, als ich das verbliebene Zelt in Lager drei sah. Eigentlich hatte ich mich schon darauf eingestellt, die Nacht dort allein zu verbringen. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass Ralf auf mich wartete und wir am nächsten Tag gemeinsam abstiegen.“
Pasang am Gipfel
Leer im Kopf
Für Jürgen hat es nicht ganz bis zum Gipfel gereicht. Richard stand auf dem höchsten Punkt auf 8163 Metern. Für ihn war es der dritte Achttausender. Was ging ihm durch den Kopf? „Ich war leer. Ich musste mich voll konzentrieren, um keinen Fehltritt zu riskieren.“ Von der Aussicht auf die Achttausender Annapurna und Dhaulagiri habe er nichts mitbekommen. „Ich war schon auf den Abstieg fixiert. Ich wollte einfach nur sicher herunterkommen.“
Im Gegensatz zu Richard genoss Hiro die Aussicht vom Gipfel: „very nice view!“ Ansonsten aber habe er da oben „nothing“, nichts mehr denken können. Der Manaslu war Hiros neunter Achttausender und der sechste, den er gemeinsam mit Ralf bestieg.
Danke für die Spurarbeit
Peter, unser Expeditionsarzt, hat es jetzt immerhin schon auf drei Achttausender gebracht. Er genoss die Minuten auf dem höchsten Punkt. Peter bedankt sich: „Ohne die enorme Spurarbeit von Ralf, Hiro und unserem Hochträger Pasang hätte die Gruppe bei den schwierigen Schneeverhältnissen dort oben wohl nicht den höchsten Punkt erreicht.“
Für Josef lief am Gipfeltag einfach alles perfekt: „Ich hatte keine Probleme, weder mit der Höhe, noch gesundheitlich. Ich war einfach gut drauf.“
Auf dem Gipfelgrat
Fußbad in der Teetasse
Rolf gelangte bis auf eine Höhe von 8120 Metern. „Auch wenn die paar Meter bis zum Gipfel fehlen, für mich persönlich war ich oben.“ Rolf war die Zeit davon gelaufen, weil er auf Helmar gewartet hatte. Helmar musste auf rund 7700 Metern umdrehen, weil er Gefahr lief, sich schwere Erfrierungen an Fingern und Zehen zuzuziehen: „Der Gipfel war es mir einfach nicht wert, Gliedmaßen zu verlieren.“
Auf etwa gleicher Höhe wie Helmar musste auch Johannes umkehren – wegen eiskalter Zehen. Daran hatten auch Fußbäder in der Teetasse nichts ändern können: „Mehrmals hat das funktioniert. Ich habe jeweils eine halbe zusätzliche Stunde herausschinden können. Aber dann ging der warme Tee aus.“
Arbeit am Berg hat sich gelohnt
Sieben Teilnehmer auf dem Gipfel, zwei knapp darunter, alle wieder wohlbehalten zurück im Basislager. Expeditionsleiter Ralf zieht eine positive
Bilanz der Manaslu-Expedition: „Wir haben beim Abstieg erlebt, wie es ist, wenn jemand vermisst wird und man Angst um ihn haben muss. Es ist einfach schön, dass alle wieder sicher zurückgekehrt sind. Und dass mehr als die Hälfte der Gruppe auf dem Gipfel stand, ist für mich natürlich auch ein schöner Erfolg – nach all der Arbeit, die wir hier am Berg hatten.“
Die Zeit der Arbeit ist vorbei. Jetzt feiern wir eine erfolgreiche Expedition, viele tolle Erfahrungen und Eindrücke, und dass wir alle gesund heimkehren: vom Manaslu, dem Berg der Seele.
P.S.: Der Manaslu-Blog ist damit noch nicht ganz beendet. Ich melde mich noch einmal in einigen Tagen aus Kathmandu. Dort schließt sich der Kreis.
Ein Gipfelerfolg, der leicht als Tragödie hätte enden können
Ich habe einen Kloß im Hals und Tränen in den Augen – vor Freude, vor Erleichterung. Unsere Gebete sind erhört worden: Jürgen und Angelo sind gesund und außer Gefahr.
Bergsteiger werden nicht müde zu erklären, dass ein Gipfel erst erfolgreich bestiegen ist, wenn man wieder gesund im Tal angekommen ist. Die letzten 24 Stunden am Manaslu wirken wie ein Lehrfilm, um diese These zu belegen.
Der gestrige Gipfelerfolg hätte leicht als Tragödie enden können.
Danke für das glückliche Ende!
Mit dem Schlimmsten gerechnet
Erst die Sorge um Jürgen. Als es dunkel wird, ist der 47-Jährige noch nicht von seinem Gipfelversuch nach Lager drei auf 7300 Metern zurückgekehrt. Ursprünglich hatte das Lager längst abgebaut sein sollen. Jetzt wartet Expeditionsleiter Ralf im Zelt auf Jürgen. „Ich bin noch einmal ein Stück aufgestiegen, um das erste große Schneefeld einsehen zu können. Keine Spur von Jürgen.“
Ralf klingt, als rechne er mit dem Schlimmsten. Er hat Schnee geschmolzen, um Jürgen sofort nach seiner Ankunft viel trinken zu lassen – wenn er noch in dieser Nacht den Weg zum Lager findet. „Wenn er morgen früh immer noch nicht aufgetaucht ist, werde ich ihm entgegensteigen.“
Immer langsamer und kraftloser
Um 21.15 Uhr krächzt das Funkgerät. „Hallo, Stefan, hier Ralf, kommen! Jürgen ist gerade hier eingetroffen. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Er trinkt fleißig. Wir werden morgen früh gemeinsam absteigen.“
Ralf erzählt, dass Jürgen sich an die vereinbarte Umkehrzeit gehalten hat, dann aber immer langsamer und kraftloser wurde. 19 Stunden nach seinem Aufbruch schleppte er sich zurück nach Lager drei.
Was für eine Freude! Doch sie währt nur kurz. Denn aus Lager zwei gibt es eine neue Hiobsbotschaft.
Suche nach Angelo
„Wir haben auch einen Vermissten: Angelo!“, sagt Rolf. „Ich bin mir sicher, dass er am Depotplatz für unsere Schneeschuhe, etwa 200 Meter über dem Lager, noch hinter mir war. Aber jetzt fehlt von ihm jede Spur.“ Ein Suchtrupp hat sich in die Dunkelheit aufgemacht, um Angelo ausfindig zu machen. Ist er möglicherweise in eine Gletscherspalte gestürzt? Die Funkgeräte bleiben eingeschaltet.
batterie-intensiver Dauerbetrieb
Keine Spur
Um 22.30 Uhr meldet sich Rolf erneut aus Lager zwei. Er ist deprimiert. „Die Suchmannschaft ist zurück. Sie haben Angelo nicht gefunden. Im Augenblick können wir nichts mehr für ihn tun. Wir steigen bei Tagesanbruch wieder auf.“
Hier unten im Basislager versuche ich zu schlafen, vergeblich. Die Sorge um Angelo lässt mich nicht zur Ruhe kommen.
6 Uhr. Noch immer kein Lebenszeichen des Schweizers. „Vier aus unserer Gruppe werden jetzt noch einmal zum Schneeschuh-Depot aufsteigen“, kündigt Rolf an. Mit dem Fernglas verfolgen Sitaram und ich das Geschehen am Berg.
„Angelo ist okay!“
6.30 Uhr. Gerade bin ich ins Gemeinschaftszelt gegangen, um mir einen Tee zu holen, da ruft Sitaram von draußen: „Stefan-dai, Stefan-dai, there is someone walking down to camp two.“ Und tatsächlich, dort bewegt sich jemand langsam, aber stetig auf die Zelte zu. Das muss Angelo sein. Wie versuchen, Funkkontakt zu Lager zwei aufzunehmen, doch die Bergsteiger haben die Geräte ausgeschaltet. Aber offenbar haben auch sie jetzt Angelo entdeckt. Zwei Bergsteiger gehen ihm entgegen. Wenig später meldet sich Peter: „Basislager kommen, Angelo …..“ Die nächsten Worte gehen im Rauschen unter. Dann die ersehnte Nachricht: „Angelo ist okay, Angelo ist okay!“ Wir jubeln, klatschen uns ab.
Ralf und Jürgen auf dem Weg nach Lager zwei
Flucht vor der Lawine
Gegen 8 Uhr beginnen die Bergsteiger aus Lager zwei abzusteigen. Beim nächsten Funkkontakt erfahren wir von Rolf, dass auch Angelo zur Gruppe gehört. „Er ist sehr müde und kommt kaum mit.“ Expeditionsleiter Ralf fragt, wo Angelo die vergangene Nacht verbracht habe. „Kurz vor Lager zwei ging in unserer Nähe eine Lawine mit Eisschlag ab“, berichtet Rolf. „Angelo hat beschlossen, sich zu verkrümeln. Unter dem Ãœberzelt, im Biwaksack hat er dann irgendwo dort die Nacht verbracht.“
Ralf steigt derweil mit dem entkräfteten Jürgen Richtung Lager zwei. „Es geht sehr, sehr langsam vorwärts. Aber wir sind zusammen, und er wird es schon schaffen.“
Glimpflich ausgegangen
Um 11 Uhr, beim nächsten Funkkontakt, haben die beiden fast Lager zwei erreicht. „Ich habe die Stelle gefunden, an der Angelo biwakiert hat“, sagt Ralf, „direkt neben dem Lawinenkegel. Er hat seine Schneeschuhe dort stehen lassen.“ Angelos Gruppe nähert sich bereits Lager eins. „Wir sind alle ziemlich kaputt“, stellt Rolf fest.
Mark schaltet sich zu. Er ist heute früh vom Basislager nach Lager eins aufgestiegen, um beim Abbau zu helfen: „Ich bin heilfroh, dass alles so glimpflich ausgegangen ist.“ „Ich auch“, antwortet Ralf. Wir alle.
Die ersten Gipfelstürmer zurück im Basislager: Richard und Peter
Der Gipfeltag
2.00 Uhr Ich wache auf. Meine Gedanken fliegen zu den Bergsteigern in Lager drei auf 7300 Metern. Um diese Zeit wollten sie zum Gipfel des Manaslu aufbrechen. Hier unten im Basislager auf 4850 Metern Höhe schneit es, aber bei weitem nicht mehr so viel wie am Vortag.
5.30 Uhr Ich blicke aus dem Zelt. Noch immer ist die Sicht schlecht. Ich kann vielleicht hundert Meter weit sehen. Es hat inzwischen aufgehört zu schneien.
6.00 Uhr Waiba Tanang bringt Marc und mir den „Good morning tea“ ans Zelt. Eigentlich hatten wir erst um 7.30 Uhr frühstücken wollen. Die Küchencrew fiebert am Gipfeltag eben mit. Um 6.10 Uhr steht unser Koch Sitaram vor meinem Zelt. „Wann nehmen wir Kontakt zu Ralf auf?“ Ich informiere ihn, dass ich mit dem Expeditionsleiter vereinbart habe, das Funkgerät ab 7 Uhr auf Empfang zu stellen.
6.30 Uhr Der Nebel lichtet, die Wolken heben sich. Es ist klar erkennbar: Auf dem Gipfelplateau scheint die Sonne. Das könnte ein idealer Gipfeltag werden.
Das ist der sogenannte „Pinnacle“, ein eigenständiger Gipfel des Manaslu-Massivs. Der 8163 Meter hohe Hauptgipfel liegt dahinter.
6.45 Uhr Ich schalte – eine Viertelstunde vor der vereinbarten Zeit – das Walkie-Talkie ein. Ein gleichmäßiges Rauschen erklingt. Das Warten beginnt.
8.07 Uhr Ein Knistern in der Leitung. Ich stürze aus dem Zelt. Nichts. Fehlalarm? Funkloch?
9.15 Uhr Ralf meldet sich erstmals per Funk. „Pasang, Hiro und ich haben gerade den Vorgipfel erreicht. Vor uns liegt ein Sattel. Dahinter sieht es noch einmal ziemlich grimmig aus. Ein überwächteter Grat, zum Schluss noch ein bisschen Felskletterei. Ich denke, für die Bastelei werden wir sicher noch eine Dreiviertelstunde brauchen.“ Ich frage nach den anderen. „Ich sehe hinter mir einige aufsteigen. Richard, Josef, …. bei den anderen kann ich nicht erkennen, wer es ist. Vor einer Stunde haben zwei umgedreht.“ Ralf will sich später wieder melden. Das Funkgerät bleibt auf Empfang.
Warten auf weitere Meldungen
Gipfelerfolg!
10.34 Uhr “Hallo, hier ist der Peter!“ Das Funkgerät knistert, er ist schwer zu verstehen. „Ralf sitzt gerade auf dem Gipfel zwischen einem Felsblock und muss sich mit beiden Händen festhalten.“ Ich frage Peter, wo er sich befindet. „Ich sitze ein paar Meter unterhalb des Gipfels. Von dort aus muss man sich an einem Schneegrat entlang krallen. Sonst macht es keinen Unterschied.“
Und wer ist noch dort oben? „Josef, Richard, Hiro, Pasang und die beiden Österreicher Oliver und Peter.“ Andere seien noch im Aufstieg. Er könne aber nicht sagen, wer. Will Peter auch noch die letzten Meter zum höchsten Punkt hinaufklettern? „Mal sehen, ob mich Ralf lässt. Es ist recht schwierig.“
Marc und ich gratulieren den ersten acht Bergsteigern am Gipfel des Manaslu zu ihrem Erfolg.
Zur Feier des Tages zeigt sich einer, der bisher nur Spuren hinterlassen hatte.
Sieben aus der Gruppe am höchsten Punkt
11.00 Uhr Ralf meldet sich wieder. „Es hat ein bisschen gedauert, ich musste alle einzeln auf den Gipfel herauf sichern.“ Der Expeditionsleiter zählt auf, wer aus der Gruppe den höchsten Punkt auf 8163 Metern erreicht hat: „Hiro, Richard, Peter, Angelo, Josef, Pasang und ich.“ Ich frage nach den anderen: „Es kann sein, dass Jürgen noch kommt“, antwortet Ralf, „ich werde ihm aber wahrscheinlich sagen müssen, dass er umdreht. Ich schaue mal, wie weit er noch hat, wenn ich ihn treffe. Aber ich bin nicht sehr optimistisch.“
Das Wetter scheint zu halten. „Wir haben eine stabile Oberkante der Wolkendecke“, erklärt Ralf, „ich glaube nicht, dass das Wetter allzu früh kippt.“ Die Sicht sei immer noch perfekt.
Der Expeditionsleiter will jetzt nach Lager drei auf 7300 Metern absteigen.
Rolf und Jürgen noch unterwegs
15.00 Uhr Ralf meldet sich aus Lager drei. „Ich glaube, ich habe dir heute morgen nicht gesagt, dass auch Rolf noch auf dem Weg zum Gipfel war. Rolf und Jürgen sind die einzigen, die noch nicht nach Lager drei zurückgekehrt sind.“ Ich frage den Expeditionsleiter, ob er beiden eine feste Umkehrzeit mit auf den Weg gegeben hat. Ralf antwortet: „Ich habe ihnen gesagt, wenn sie nicht bis 13.30 Uhr am Gipfel sind, sollen sie umdrehen. Aber wir brauchen uns wirklich keine Sorgen zu machen. Wir haben hier oben fantastisches Wetter.“ Er rechne gegen 17 Uhr mit der Rückkehr der beiden. „Ich werde so lange hier bleiben, bis die beiden angekommen sind. Die anderen steigen bereits nach Lager zwei ab.“ Ich frage nach Helmar, Johannes und Karma. „Helmar ging es nicht optimal, er hat sich seinen Daumen leicht angefroren. Johannes und Karma hatten eiskalte Füße. Sie sind umgekehrt.“
Warten auf Jürgen
18.00 Uhr Ralf hält sich immer noch in Lager drei auf. „Alle Bergsteiger bis auf Jürgen sind nach Lager zwei abgestiegen. Ich habe mich jetzt im letzten hier verbliebenen Zelt eingerichtet und hoffe, dass Jürgen bald hier ankommt.“ Rolf sei fast am Gipfel gewesen, Jürgen nicht. „Auf dem Rückweg hat Rolf ihn überholt“, sagt Ralf, „Jürgen war ziemlich langsam.“ Der Expeditionsleiter bereitet sich auf Jürgens Ankunft in Lager drei vor. „Ich habe jede Menge Flüssigkeit gekocht, damit er viel zu trinken hat. Ich hoffe ganz einfach, dass Jürgen bald hier eintrifft. Und dann bringe ich ihn morgen irgendwie herunter.“
19.00 Uhr Der Funkkontakt wird immer schwieriger. Wahrscheinlich erhalte ich erst morgen neue Informationen. Sollte ich vorher etwas erfahren, melde ich mich.
Jürgen in Lager drei!
21.15 Uhr Ralf funkt aus Lager drei: „Gerade eben ist Jürgen hier angekommen. Es geht ihm gut. Wir steigen morgen ab.“ Gott sei Dank!
Dritte Etappe: Hinauf auf das Gipfelplateau
Da ist es wieder, dieses Geräusch, das sich zwei Tage nicht hören ließ und das niemand hier im Basislager vermisst hat: Schneefall. Morgens um sieben Uhr erstmals, dann immer wieder. Gott sei Dank schneit es nicht heftig. Aber an Sichtkontakt mit unseren Bergsteigern, die heute zum letzten Hochlager vor dem Gipfel aufsteigen, ist vorerst nicht zu denken.
Heute seltener Blick auf die Aufstiegsroute, Ausschnitt siehe unten
Den Stöpsel herausgezogen
Marc und ich sitzen nach dem Frühstück im Gemeinschaftszelt und warten auf den ersten Funkkontakt mit Expeditionsleiter Ralf. Marc erzählt, wie es für ihn war, gestern auf 6300 Metern umdrehen zu müssen. „Es kam wieder schlagartig, als hätte jemand den Stöpsel herausgezogen. Atemnot, Herzjagen, mir wurde übel. Ich konnte nur vier, fünf Schritte gehen, dann rang ich wieder nach Luft.“
Diese Erfahrung hatte der 51-Jährige vor knapp zwei Wochen fast in gleicher Höhe schon einmal gemacht. Damals hatte er sich nach Lager zwei durchgekämpft. „Natürlich habe ich auch diesmal hin und her überlegt. Aber was hätte es gebracht, wenn ich oben ausgepumpt angekommen wäre. Hätte ich mich wirklich so weit erholen können, dass ich am nächsten Tag weiter hätte aufsteigen können?“
Schließlich signalisierte Marc seinem Zeltkumpan Angelo, dass er umdrehen wolle. Damit war für ihn das Kapitel Manaslu beendet – und auch das Kapitel Achttausender-Bergsteigen: „Als ich gestern umkehrte, habe ich erst gedacht: Das darf nicht wahr sein, dieser wahnsinnig schöne Berg! Aber meinem Körper sind offensichtlich Grenzen gesetzt. Das ist einfach so, und das habe ich zu akzeptieren.“
Ja, wo laufen sie denn?
Steile Stelle, schlechte Sicht
Um neun Uhr krächzt das Funkgerät. Ralf ist kurz angebunden. „Das Wetter ist nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Schlechte Sicht. Wir sind außerdem an einer steilen Stelle. Lass uns in zwei Stunden wieder Kontakt aufnehmen.“
Der Blick aus dem Gemeinschaftszelt bleibt in dichten Wolken hängen. Hat sich das Schönwetter-Fenster nach zwei Tagen etwa schon wieder geschlossen? Das wäre fatal. „Der Wetterbericht sagte für heute kleinere Störungen vorher“, beruhigt mich Marc.
Elf Uhr, immer noch keine Sicht auf die Aufstiegsroute. Ralf klingt jetzt am Walkie-Talkie deutlich optimistischer. Er meldet sich aus einer Höhe von etwa 7200 Metern. „Es geht zwar ein bisschen zäh voran, aber wir haben jetzt wenigstens strahlenden Sonnenschein. Wir wechseln uns mit dem Spuren ab.“ Ralf hat alle Bergsteiger im Blick, er schätzt, dass den ersten und den letzten rund 100 Höhenmeter trennen.
Da sind sie!
Eine halbe Stunde später reißt die Wolkendecke über dem Basislager für wenige Minuten auf. Ich blicke hinauf – und tatsächlich: da bewegt sich eine Linie kleiner schwarzer Punkte auf den Grat zu, der das Gipfelplateau des Manaslu begrenzt. Kein Zweifel, das sind Ralf und die anderen Bergsteiger. Ich rufe Marc, der sich in sein Zelt zurückgezogen hat. Es bleibt ihm gerade so viel Zeit, die Bergsteiger auszumachen, da schiebt sich bereits wieder eine Wolke ins Blickfeld.
Entdeckt, für einen kurzen Augenblick
Wer ist Günter?
Warten auf den nächsten Funkkontakt. Um 13.30 Uhr ist es soweit. Ralf meldet sich aus Lager drei auf rund 7300 Metern. „Bis auf Angelo und Günter sind alle hier oben angekommen“, sagt der Expeditionsleiter. Wer ist Günter? „Sonne und kurze Schneeschauern wechseln sich ab“, fährt Ralf fort, „es weht kaum Wind.“ Ich frage nach der Temperatur. „Zu warm für den Daunenanzug.“ Und wer, hake ich nach, ist dieser Günter, der noch nicht angekommen ist? „Lass uns um 15 Uhr noch einmal funken“, antwortet Ralf, „wir bauen gerade unsere Zelte auf.“ Der ominöse Günter wird wohl Jürgen sein, mutmaßen Marc und ich. Zwei Stunden zuvor waren Angelo und Jürgen laut Ralf am Ende der Kette aufgestiegen.
Beim nächsten Kontakt bestätigt sich unsere Vermutung. Alle sind nun wohlbehalten in Lager drei eingetroffen und bereiten sich auf den Gipfeltag vor. Um zwei Uhr nachts wollen sie aufbrechen, bei dann hoffentlich wieder besserem Wetter. Daumen drücken!