Shit happens
Aufstieg rechts hinter dem Felsen, Abstieg links
Es gibt eine neue Variante des Wegs zum Manaslu-Basislager, und sie hat auch schon einen Namen: „Shit happens!“, frei übersetzt „Es kann nicht alles glatt gehen.“ Am Morgen unseres Aufbruchs hatte uns Ralf noch versichert: „Nein, ihr könnt euch nicht verlaufen. Es gibt nur einen Pfad, leicht zu erkennen.“
Und so machten sich die ersten acht Expeditionsmitglieder auf den Weg, während die anderen noch verfolgten, wie die 120 Trägerinnen und Träger die Lasten untereinander verteilten.
Gleiches Recht für alle
Am Tag zuvor hatte es in Sama eine Dorfversammlung gegeben. Ursprünglich war geplant gewesen, neben dem Lohn 60 Paar Schuhe an die Träger zu verteilen. Sie sollten je zwei Mal aufsteigen. Da wir in diesem Frühjahr aber die einzige Expedition am Manaslu sind, entschieden die Bewohner Samas, dass 120 Träger in den Genuss der Bezahlung kommen, und nicht 60 das Doppelte kassieren sollten. 1300 Rupies pro 30 Kilogramm Last waren ausgelobt, umgerechnet rund 12 Euro, vier Mal so viel wie der Trägerlohn im Tal. Bei der Dorfversammlung wurde auch beschlossen, dass die versprochenen Schuhe erst einmal im Depot bleiben sollten, damit es unter den Familien keinen Streit gebe.
Verschenkte Höhenmeter
In kurzen Abständen machen sich also Hiro, Josef, Angelo, Peter, Helmar, Rolf, Joachim und ich auf den Weg Richtung Basislager. Wir folgen dem Yak-Pfad, dem einzig möglichen, dem leicht zu erkennenden, nicht zu verfehlenden. Auf 4360 Metern Höhe treffen wir acht uns auf einem Sattel wieder. Hier endet die Spur, aber 150 Meter tiefer sehen wir die ersten Träger einer langen Karawane, die bergauf steigt. Verdammt, wir haben uns verstiegen! Es gibt keine Alternative: wir müssen hinunter, quer durch die dichten Sträucher am Hang. 150 verschenkte Höhenmeter. Shit happens! Ralf meint später, wir sollten den Umweg ganz einfach als zusätzliches Training verbuchen. Na, dann.
Puls von 175
Zwanzig Minuten später reihen wir uns in die Karawane ein – auf dem richtigen Weg. Er führt an der rechten Seite des Manaslu-Gletschers nach oben. Ich bewundere die Fitness und Geschicklichkeit der Einheimischen, die in knöchelhohen, alten Turnschuhen ihre schweren Lasten selbst über die steilsten Stellen sicher hinwegbringen. Derweil steigt mein Puls bei wesentlich weniger Gewicht im Rucksack auf Spitzenwerte von 175 Schlägen. Zeitweise glaube ich, mein Herz im Ohr pochen zu hören. Und ich fühle mich um mindestens fünf Jahre älter.
Schneefall im Basislager
Doch irgendwann, nach einem endlos erscheinenden Moränengrat erreiche auch ich – als einer der letzten – den schneebedeckten Platz auf 4850 Meter Höhe, an dem unser Basislager stehen soll. Als die Träger entlohnt und abgezogen sind, beginnen wir, die Stellen für unsere Zelte zu planieren. Gerade will ich mein Zelt aufbauen, da beginnt es heftig zu schneien. Shit happens.
P.S. Inzwischen wurde die Route „Shit happens“ zum zweiten Mal begangen: Johannes, der wegen einer Erkältung mit eintägiger Verspätung aufstieg, wählte ebenfalls den falschen Weg.