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Gib ihnen eine Chance, Manaslu!

Konzentriert, aber nicht verkrampft. So lässt sich die Stimmung der Bergsteiger beim heutigen Frühstück um fünf Uhr beschreiben. Eine halbe Stunde später brachen sie vom Basislager aus zu ihrem zweiten und definitiv letzten Versuch auf, den 8163 Meter hohen Gipfel des Manaslu zu besteigen.


Der „Berg der Seele“ begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln. Einige Schönwetterwolken verloren sich im Tal. Hier oben aber Kaiserwetter – als wollte der Manaslu den Bergsteigern mit auf den Weg geben: „Traut euch nur! Nutzt die Chance, die ich euch biete!“

Glänzen in den Augen

Nach dreieinhalb Wochen Basislager habe ich gelernt, den Wetterprognosen zu misstrauen. Und doch: ich will einfach glauben, dass die Vorhersage einiger stabiler Tage auch wirklich eintrifft. Die Bergsteiger haben es sich verdient, von Höhentiefs oder anderen meteorologischen Phänomenen verschont zu bleiben und wenigstens eine reelle Gipfelchance zu erhalten. Hat der Manaslu das Glänzen in ihren Augen gesehen, als Expeditionsleiter Ralf zum Aufbruch blies? Hoffentlich.


Nehmen wir zum Beispiel Marc. Vor zwei Tagen noch sagte der 51 Jahre alte Theatermeister, er habe erkannt, dass er kein 8000-Meter-Mann sei. Sein Gepäck wollte er aus den Hochlagern holen und dem Manaslu den Rücken kehren. Jetzt sieht Marc dem Berg ins Gesicht. Hat sich das 8000-Meter-Gen doch noch durchgesetzt? „Nein“, sagt Marc, „aber diese Chance lasse ich mir jetzt doch nicht nehmen. Dass dieser Versuch noch zustande kommt, freut mich ungemein.“

Ãœben in Bescheidenheit

Vielleicht war der erste, früh gescheiterte Gipfelversuch auch nötig, um diese Freude zu wecken. Sicher, auch beim ersten Anlauf waren sie zu allem entschlossen. Doch dieser Versuch war gewissermaßen gebucht. Jetzt empfinden die Bergsteiger die plötzliche zweite Chance als Geschenk, das – wettertechnisch gesehen – vom Himmel fiel. „Diese Situation gefällt mir hundertprozentig gut“, meint Jürgen. „Ich fühle mich körperlich und mental fit. Ob es bis zum Gipfel reicht, weiß ich nicht. Da übe ich mich in Bescheidenheit.“ Eine Einstellung, die dem Manaslu gefallen dürfte. Die Bewohner des Dorfes Sama zu Füßen des Achttausenders glauben, dass Bergsteiger am Manaslu nur eine Chance haben, wenn sie sich dem Berg mit Respekt und Demut nähern.


Ungewissheit gehört zum Abenteuer

Auch für Ralf, unseren Expeditionsleiter, ist dieser zweite Gipfelversuch trotz all seiner Erfahrung aus 25 Jahren im Himalaya ein weiteres Abenteuer. „Ich spüre wieder dieses Kribbeln, das ich als Bergsteiger auch brauche.“ Dazu kommt noch diese verbleibende Spur Ungewissheit in Sachen Wetter. „Wenn sich diese Ungewissheit ganz in Luft auflösen würde, wäre ein Stück des Abenteuers Achttausender-Bergsteigen verloren. Gewissheit werden wir erst haben, wenn wir am Gipfel stehen und das Wetter gehalten hat.“
Die noch verbliebenen 13 Bergsteiger des Teams, inklusive der beiden Sherpas Pasang und Karma, erreichten Lager eins auf 5680 Metern am Vormittag bei immer noch strahlendem Sonnenschein. Am Samstag wollen sie auf dem Gipfel stehen – wenn der Manaslu sie lässt.

P.S. Für alle, die sich gestern beim Ansehen des letzten Fotos gefragt haben, warum es wohl bald Yak-Steak geben sollte, hier die Auflösung: Ralf hatte Nachschub an Lebensmitteln geordert, unter anderem ein halbes Yak. Nach dem Genuss der Steaks am Abend – „very well done“, sprich kauintensiv – wurde mit großer Ausdauer und unter fortwährendem Gelächter die Frage diskutiert, wie alt wohl dieses halbe Yak war. Eine geschäftstüchtige Tibeterin hatte Ralf das Fleisch für 8000 Rupies, gut 70 Euro, verkauft. Das Geld quittierte sie per Fingerabdruck.

Datum

Mittwoch 16.05.2007 | 06:08

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