Eisfahrer in eisfreier Zone
Wir starten in acht Tagen. Die russische Mannschaft, die alljährlich für den Monat April auf einer stabilen Eisscholle am 89. Breitengrad unter abenteuerlichen Umständen eine Landepiste anlegt, hat sich Ende vergangener Woche auf den Weg gemacht. Das Material für den auf dem Polarmeer schwimmenden Flugplatz mit dem sonnigen Namen „Borneo“ wird, an Fallschirmen befestigt, auf das Eis abgeworfen. Ebenso der Treibstoff für die Hubschrauber und Flugzeuge, die dort starten und landen sollen.
Marias Segen für Borneo
Vor der Abreise holte sich das Borneo-Team noch in der orthodoxen Maria-Verkündigungs-Kathedrale im Moskauer Kreml, der Hauskirche der früheren Zaren, den Segen der Heiligen Jungfrau für das Unternehmen. Denn es ist auch schon vorgekommen, dass sich schweres Gerät beim Aufprall durch das Eis bohrte und auf Nimmerwiedersehen im arktischen Ozean verschwand. In Zeiten des Klimawandels, in denen das Polareis dahinschmilzt, steigt eben auch das Risiko, eine dünne Stelle zu erwischen.
In vier Tagen durch die Passage
Polarstern, unterforderter Eisbrecher
Die Abenteurer, die Jahrhunderte lang vergeblich versuchten, den Seeweg nach Asien durch die Nordwest-Passage zu finden, hätten sich wahrscheinlich nach solchen Bedingungen die Finger geleckt. Der Norweger Roald Amundsen, dem 1906 die erste Durchfahrt gelang, benötigte dafür drei Jahre. Ganze vier Tage brauchte im Sommer 2008 das deutsche Forschungsschiff Polarstern, das anschließend auch noch durch die Nordostpassage schipperte und damit in gut zwei Monaten den Nordpol komplett umrundete.
Durch die Arktis geflutscht
Nach der Rückkehr der Polarstern von der Expedition ging ich im vergangenen Oktober in Bremerhaven an Bord des Eisbrechers. „Diesmal war es anders“, sagte damals Kapitän Stefan Schwarze, der seit den 1990er Jahren auf der Brücke der Polarstern steht. „Das Eis war nicht da.“ Das Schiff flutschte regelrecht durch die Polarregion.
Kapitän Schwarze, unterforderter Eisfahrer
Wahrscheinlich hätte auch ein weniger erfahrener Kapitän bei dieser Tour kaum Probleme gehabt. Die Fertigkeit des Eisfahrens, so Schwarze, sei nicht nötig gewesen. Bei früheren Expeditionen hatte der Kapitän immer sorgfältig mit dem Treibstoffvorrat haushalten müssen. „Da muss man sehr genau nachrechnen, damit man nicht nur ins Eis hineinfährt, sondern auch wieder heraus. Wenn das Eis fehlt, ist das alles leichter.“
Kleiner Schweißfaktor
Nun könnte man ja denken: Bei weiter steigenden Temperaturen in der Polarregion brechen von den Gletschern mehr Eisberge ab, die zur Gefahr für die Schiffe werden. Nicht so auf der Arktis-Fahrt 2008 der Polarstern. „Ich habe wirklich gedacht, es gibt mehr Eisberge“, sagte Stefan Schwarze. „In anderen Gegenden, in denen ich gefahren bin, war der Schweißfaktor doch wesentlich größer.“
Sollte die Erderwärmung fortschreiten, „was ja, ich betone das, noch nicht erwiesen ist“, sieht der Kapitän der Polarstern in der Nordost- und der Nordwestpassage eine günstige Alternative für den Frachtweg von Europa nach Asien und Amerika. „Dann braucht man keinen Eisbrecher mehr.“ Und auch keinen Experten im Eisfahren wie Stefan Schwarze.