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Niederlage durch Eigentor

Noch neun Tage bis zu meinem Abflug nach Spitzbergen. Zu einem Abenteuer, das wahrscheinlich ein Auslaufmodell ist. Denn das Eis der Arktis schmilzt. Oder etwa nicht? In diesem strengen Winter, der den Alpen Rekordschneemengen und selbst den Niederungen Dauerfrost bescherte, wuchs die Zahl der Zweifler. Immer wieder hörte ich: So schlimm könne der Klimawandel wohl nicht sein, wenn man trotz angeblichen Treibhauseffektes vor Kälte bibbere. So denkt der Mann auf der Straße, nicht aber der Wissenschaftler. Den interessiert weniger, dass ich heute friere, sondern ob ich in den vergangenen dreißig oder mehr Jahren ständig im Winter unter der Kuscheldecke verschwunden bin.

Wie Softeis in der Frühlingssonne


Mehr Wasser oder Meereis?

Mein Eis-Mann ist Professor Rüdiger Gerdes, den ich in Bremerhaven besuche. Als Ozeanograph im Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung beschäftigt er sich mit dem arktischen Meereis. Seit Anfang der 1970er Jahre ermitteln Forscher des Instituts regelmäßig die Größe des Eisfeldes rund um den Nordpol. „Wir sehen starke Schwankungen von Jahr zu Jahr, aber vor allem langfristig den Trend, dass die Eisausdehnung abnimmt.“ In den letzen beiden Jahren schmolz das Meereis der Arktis wie Softeis in der Frühlingssonne. 2007 sei die Eisfläche um 30 Prozent kleiner gewesen als im Vorjahr, sagt der Experte. 2008 habe sich daran kaum etwas geändert. Professor Gerdes spricht von einem „dramatischen Rückgang“ des Eises, tritt dann aber sofort auf die Panikbremse. Es könne sich durchaus auch um eine natürliche Schwankung handeln. Auf ein Jahr mit kleiner Eisfläche folge oft ein Jahr mit großer Ausdehnung, „weil der offene Ozean stark auskühlt und die Bildung neuen Eises eher fördert“.

Die Frage ist: Wann?

Doch wie gesagt, der langfristige Trend zählt. Und das arktische Eisfeld ist in den letzten 30 Jahren nicht nur um fast die Hälfte kleiner geworden, sondern offenbar auch dünner. Das jedenfalls haben Wissenschaftler bei Eisbohrungen und Messungen aus U-Booten oder vom Hubschrauber aus festgestellt.


Prof. Gerdes, Meereis-Experte

„Wir müssen uns gedanklich sicher darauf einstellen, dass die Arktis im Sommer irgendwann eisfrei sein wird“, resümiert Rüdiger Gerdes. Alle Modellrechnungen kommen zu diesem Ergebnis. Uneinigkeit herrscht nur über die Frage, wann es soweit sein wird. „Das schwankt zwischen 2040 und irgendwann im 22. Jahrhundert.“ Wenn das Eis verschwindet, verändert sich der Wärmeaustausch zwischen dem arktischen Ozean und der Atmosphäre. „Welche Auswirkungen das auf uns hier in Deutschland hat, ist schwer zu sagen“, formuliert der Ozeanograph vorsichtig.

Skier einmotten, Paddel mitnehmen

Immerhin die Schuldfrage ist geklärt. „Im Fall der Arktis ist ziemlich klar, dass der langfristige Rückgang des Meereises mit dem Treibhauseffekt zusammenhängt“, sprich ein Eigentor der Menschheit ist. Aber können wir die Eiskugel nicht aus dem Netz holen und das Spiel noch drehen? „Selbst wenn wir jetzt komplett mit dem Ausstoß von Treibhausgasen aufhören würden, was absolut unrealistisch ist, würde sich der Ozean noch eine Zeit lang erwärmen“, sagt Professor Gerdes. Er hält es für ausgeschlossen, dass sich das Meereis noch einmal auf eine Fläche wie etwa 1950 ausdehnt. „Das wird nicht passieren“. Meine Urenkel werden also wohl eher mit dem Kajak zum Nordpol paddeln als auf Skiern dorthin marschieren, wie ihr Urgroßvater anno 2009.

Datum

0 24.03.2009 | 14:25

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