Fußball-Sehnsucht am Manaslu
Wenn 13 Männer auf engem Raum zusammenhocken, geht die Wahrscheinlichkeit gegen 100 Prozent, dass irgendwann das Thema Fußball angeschnitten wird. Zumal die Bundesliga spannend wie selten ist. Auch im Manaslu-Basislager haben wir per Email erfahren: Schalke einen Punkt vor Stuttgart, zwei Punkte vor Bremen.
Rolf, gebeuteltetes Bayern-Mitglied
Erst auf Platz vier folgt,jenseits von Gut und Böse, Titelverteidiger Bayern München – sehr zum Leidwesen von Vereinsmitglied Rolf: „Das ist eine ganz große K….! Aber damit es nicht langweilig wird, lassen die Bayern auch einmal die anderen gewinnen, egal ob das nun Schalke, Stuttgart oder Bremen ist.“
Falsches Training bei den Bayern
Rolfs Erwartungen waren ohnehin nicht allzu hoch, hatte er doch im vergangenen Jahr beim Vereinsarzt der Bayern im Wartezimmer gesessen und einige Gespräche von Münchner Profis mitverfolgt. Tenor: die Saison war schon früh gelaufen, weil viele Spieler Muskelprobleme hatten – Folge eines falschen Trainings. Der Buhmann hat also einen Namen: Felix Magath.
Noch ärger gebeutelter FC-Fan
Da habe ich es als Anhänger des 1. FC Köln schon bedeutend schwerer. Beim Zweitligisten gibt es so viele Verantwortliche für die sportliche Talfahrt, dass es schwer fällt, jemanden zu benennen, der kein Buhmann ist.
Eine Büchse Bier auf den KSC
Richard ist wirklich zu beneiden. Er ist eindeutig der Fußball-Aufsteiger unter den Bergsteigern. Als der Karlsruher SC die Rückkehr in die Bundesliga nach langer Durstphase vorzeitig perfekt machte, feierte Richard den Aufstieg im Basislager mit einer Büchse Bier.
So sehen Aufsteiger aus: Richard
Auf einen deutschen Meister will er sich aber nicht festlegen. „Hauptsache, die Bayern sind draußen. Ich traue den Schalkern im Augenblick den Meistertitel eigentlich nicht zu, zumal sie nächste Woche in Dortmund spielen. Ich würde fast auf Bremen tippen. Es steht noch in den Sternen, wer deutscher Fußball-Meister wird – und ob wir auf den Manaslu kommen.“
Rolf und Richard drücken den Schalkern die Daumen. „Die hätten es einfach mal verdient“, sagt Rolf, „und dann wäre ich auf die Party im Ruhrgebiet gespannt.“
Nervenbündel Schalke 04?
Helmar ist kein Fan eines bestimmten Vereins, sympathisiert aber in dieser Saison mit dem VfB Stuttgart. „Das wäre eine absolute Sensation. Ich würde es dieser jungen Mannschaft gönnen.“ Und die Schalker? „ Die werden wieder einmal an ihren eigenen Nerven scheitern. Der VfB dagegen hat nichts zu verlieren, nur zu gewinnen.“
Helmar, der VfB-Optimist
Die anderen Mitglieder des Manaslu-Teams halten sich in Sachen Fußball zurück. Immerhin aber lassen sie sich von mir überreden, ihr Votum in einer anonymen, absolut repräsentativen Umfrage abzugeben. Das Ergebnis ist fast so knapp wie der Vorsprung der Schalker in der Tabelle. Sechs Bergsteiger glauben, dass die Königsblauen Meister werden, fünf setzen auf den VfB Stuttgart, zwei auf Werder Bremen.
P.S. Der Zeitpunkt für den ersten Gipfelversuch ist noch offen. Es schneit täglich, die Vorhersagen der Wetterfrösche sind (noch) wenig ermutigend. Die Bergsteiger brauchen einerseits Geduld, haben andererseits aber noch genügend Zeit, sich eingehend mit dem Finale der Fußball-Bundesliga zu beschäftigen.
Marcs kleine Odyssee am Manaslu
Das ist keine Heldengeschichte, sondern die Geschichte eines Mannes, der sich durchgebissen hat. Eine Geschichte, die zeigt, dass Achttausender-Bergsteigen kein Kinderspiel ist, sondern sich auch plötzlich zu einem kleinen oder größeren Drama entwickeln kann.
Marc im Basislager
“Plötzlich den Stecker rausgezogen!“
Marc hat in Lager eins an der Nordostflanke des Manaslu auf 5680 Metern eine schlaflose Nacht verbracht. „Ich hatte permanent Atemnot und habe wirklich den Tagesanbruch herbeigesehnt.“ Nachdem er zum Frühstück ein wenig Müsli gegessen hat, informiert Marc Expeditionsarzt Peter, dass er sich nicht besonders gut fühle, aber dennoch nach Lager zwei aufsteigen wolle.
„Anfangs ging es auch besser als erwartet. Ich habe Peter noch mit dem Daumen nach oben signalisiert, dass alles in Ordnung ist.“ Kaum hat Marc aber die gefährliche Passage im Eisbruch hinter sich, wird ihm speiübel. Er muss sich zum ersten Mal übergeben. „Es war. als ob man mir plötzlich den Stecker herausgezogen hätte.“
Fünf Schritte, Luft holen
Marc versucht, etwas zu essen. Vergeblich. Weitere Male muss er sich übergeben. Marc hat als Letzter Lager eins verlassen. Jetzt verliert er endgültig den Anschluss. Warum kehrt er nicht um? „Ich habe ständig abgewogen. Soll ich zurückgehen oder nicht? Ich hatte immer das Gefühl, ich verspiele die Gipfelchance, wenn ich nicht nach oben komme. Also habe ich mir gesagt, ich beiße mich durch.“
Der Aufstieg von Lager eins nach zwei ist lang und Kräfte zehrend. 1000 Höhenmeter müssen überwunden werden. Marc ist körperlich fast am Ende: „Fünf Schritte gehen, tief Luft holen. Du merkst, dass die Atmung überhaupt nicht mehr zur Ruhe kommt. Du holst Luft, Luft und wieder Luft, aber es geht einfach nicht mehr voran.“
Luft holen im Basislager
Absteigen? Eine Welt bricht zusammen.
Die anderen Bergsteiger haben Marc ein Funkgerät zurückgelassen, damit er mit Expeditionsleiter Ralf Kontakt halten kann. Ralf wartet in Lager zwei auf die Bergsteiger. Als er aus seinem Zelt die Schneeflanke hinabschaut, sieht er, wie sich Marc im Zeitlupentempo die Spur heraufquält. Beim zweiten Funkkontakt rät Ralf Marc, nach Lager eins abzusteigen. Er schätzt, dass Marc noch zweieinhalb bis drei Stunden für die restliche Strecke braucht.
„In diesem Augenblick“, sagt Marc, „brach in mir eine Welt zusammen. Ich habe ihm einfach nicht geglaubt. Ich konnte die anderen oben sehen. Das konnte doch unmöglich noch drei Stunden dauern.“
Glückliche Ankunft nach elf Stunden
Marc funkt an Ralf, er wolle weiter aufsteigen. Drei Stunden später, elf Stunden nach dem Aufbruch, erreicht er Lager zwei auf 6750 Metern. Die anderen Bergsteiger kommen aus ihren Zelten und gratulieren Marc zu seinem Kraftakt. Er kann kaum antworten. „Ich konnte nur noch krächzen, weil ich ständig durch den Mund geatmet habe.“ Zeltgenosse Angelo hat bereits Schnee geschmolzen und Tee zubereitet. Marc trinkt viel. „Ich war einfach nur glücklich, angekommen zu sein.“
Marc muss sich auch kritische Worte gefallen lassen. Peter macht ihm klar, dass er ein lebensgefährliches Höhenlungenödem riskiert, wenn er so an seine Leistungsgrenze geht. Der Expeditionsarzt gibt Marc prophylaktisch Medikamente. „Alle haben sich rührend um mich gekümmert. Und dann habe ich geschlafen wie ein Stein.“
“Eigentlich freue ich mich drauf.“
Marc erholt sich schnell, steigt am übernächsten Tag mit den anderen ins Basislager ab. Sollte das Team Mitte kommender Woche zum ersten Gipfelversuch aufbrechen, müsste Marc noch einmal in der Spur seiner kleinen Odyssee aufsteigen: „Ehrlich gesagt: Ich habe schon ein bisschen Angst vor diesen 1000 Höhenmetern durch den tiefen Schnee. Das ist ein gewaltiges Ding. Aber ich versuche jetzt, mich so gut wie möglich zu erholen. Und eigentlich freue ich mich darauf.“
Doping durch den Expeditionsleiter
Schlafen wie im Koma
Achttausender-Bergsteigen ist wie das geplante Nutzen eines defekten Fahrstuhls: Erste Etage, Parterre; hinauf auf die zweite Etage, wieder Parterre; erst dann dritte Etage und zuletzt oberstes Stockwerk.
Expeditionsleiter Ralf und Hiro sind von ihrem Aufstieg nach Lager zwei in 6750 Metern Höhe zurückgekehrt und erst einmal – so Ralf – in einen koma-ähnlichen Schlaf gefallen: „Das kommt fast der Bewusstlosigkeit gleich. Ich habe bis 6.30 Uhr ohne Unterbrechung wie ein Stein geschlafen und bin erst wach geworden, als in der Küche schon der Kocher rauschte.“
Lager zwei, 6750 m
Ist man bei Gewitter im Kuppelzelt sicher?
In Lager zwei, unterhalb eines Eisbruchs, waren die Bergsteiger im Zelt von einem Gewitter überrascht worden. „Plötzlich hat es gekracht. Erst habe ich gedacht, ein Eisturm wäre zusammengebrochen. Aber dann sah ich einen Blitz und hörte direkt anschließend den Donner. Das Gewitter muss ganz nahe an unserem Lager gewesen sein.“
Selbst ein abgebrühter Höhenbergsteiger wie Ralf, der seit 25 Jahren im Himalaya unterwegs ist, gerät da schon ein bisschen ins Grübeln. „Ich bin mir dann doch nicht so ganz sicher, ob unsere kleinen Kuppelzelte wie ´Faradaysche Käfige´ funktionieren, uns Blitze also nichts anhaben können.“
Physiker aller Nationen, was sagt ihr dazu?
Sonnenbrand auf der Zunge
Nach überstandenem Gewitter stiegen Ralf und Hiro bis auf 7000 Meter auf. „Da gibt es eine Passage mit einer Steigung von 70 bis 80 Grad, in der wir Fixseile legen werden“, sagt Ralf. „ Insgesamt glaube ich aber, dass es durch den Eisbruch hinauf nach Lager drei ganz gut gehen wird.“
Auch die anderen Bergsteiger sind inzwischen wieder heile im Basislager angekommen. Jetzt heißt es erst einmal ausruhen, Kraft tanken, Wunden lecken – so es die verbrannte Zunge zulässt. Ein Sonnenbrand der besonderen Art, gegen den es laut Ralf kein Gegenmittel gibt: „Wenn du da oben im Glutofen spuren musst, reicht die Luft nicht aus, die du durch die Nase einatmest. Also schnaufst du durch den Mund und verbrennst dir nach einiger Zeit die Zunge.“ Meerrettich-Liebhaber wie Ralf müssen da die Zähne zusammenbeißen: „Das brennt wie Hölle!“
Gegen den inneren Schweinehund
In einigen Tagen könnte bei günstigem Wetter der erste Gipfelversuch gestartet werden. Ralf gibt schon einmal die Parole aus: „Die ganze Motivation einsetzen! Nachts gegen die Kälte ankommen! Gegen den inneren Schweinehund ankämpfen, der einen eher nach unten treibt! Gemeinsam werden wir das schaffen. Und wenn wir das Lager drei erreichen, bin ich mir sicher, dass wir auch bis zum Gipfel kommen können.“
Wassersuche oder Yeti-Falle?
Blitz und Donner in Lager 2
Aufstiegsroute im Nebel
„Heute morgen gab es ein Gewitter hier oben in Lager zwei“, berichtet Ralf per Walkie-Talkie. Ursprünglich hatten er und Hiro bereits um 5.30 Uhr Richtung Lager drei aufbrechen wollen. Blitz und Donner ließen sie erst anderthalb Stunden später das Zelt verlassen. „Wir sind bis auf 7000 Meter aufgestiegen und haben dort ein Depot mit Fixseilen angelegt. Die Route sieht gut aus“.
Laut Ralf geht es den Bergsteigern in Lager zwei den Umständen entsprechend gut. Sie erholen sich von den Strapazen des Aufstiegs am Donnerstag. In der ersten Nacht auf 6600 Metern schliefen die meisten unruhig. Die zweite dürfte besser werden. Ralf und Hiro sind heute ins Basislager abgestiegen, die anderen folgen am morgigen Samstag.
25 Höhenmeter in einer Stunde – „beinhart!“
Die Österreicher Oliver König und Peter Mayer haben in Sachen Erholung einen kleinen Vorsprung. Sie ruhen sich bereits seit zwei Tagen wieder im Basislager aus. Zuvor hatten die beiden auf den letzten 450 Höhenmetern hinauf nach Lager zwei die Spur gelegt. Acht Stunden brauchten sie dafür. „In der ersten Stunde haben wir nur 25 Höhenmeter geschafft“, sagt Peter. „ Der Schnee lag knietief, der Nebel nahm uns die Sicht. Das war wirklich beinhart.“
Die Österreicher sind ein eigenständiges Team, haben sich aber mit Expeditionsleiter Ralf darauf verständigt, Spurarbeiten zu übernehmen. Im Gegenzug dürfen sie die Fixseile nutzen, die Ralf und Hiro an den heiklen Stellen anbringen Eine Hand wäscht die andere.
Die Hochlager
Schnell zum Gipfel durchziehen
Nachdem sie die erste Hälfte des Aufstiegs schon einmal hinter sich gebracht haben und den oberen Teil der Route einsehen konnten, ist auch Peter optimistisch: „Wir müssen einfach hoffen, dass das Wetter stimmt und dass wir noch genug Sauerstoff im Blut haben. Dann müssen wir das Ganze schnell in zwei Tagen durchziehen.“
Auch Oliver glaubt an einen Gipfelerfolg. „Der Aufstieg ist allerdings nur die halbe Miete. Mich quält eher die Frage: Wie wird es beim Abstieg aussehen?“ Oliver ist froh, sich dann an den gefährlichen Passagen in die Fixseile einklinken zu können.
links Peter, rechts Oliver
“Kein Sieg, ein Geschenk der Götter“
Die beiden Österreicher waren noch nie über 8000 Meter, betreten also auch in Sachen Höhe Neuland. 2004 am Gasherbrum II in Pakistan drehten sie vor dem Gipfel um. „Auf 7800 Metern“, so Oliver, „habe ich gemerkt, dass mein Gehirn nicht mehr so funktionierte, wie es sollte.“
Sollte er am Manaslu den Gipfel erreichen, weiß Oliver schon, bei wem er sich bedanken wird. „Für mich ist jeder Gipfelerfolg kein Sieg, sondern ein Geschenk der Götter“, wie es die buddhistischen Mönche bei der Puja, der Gebetszeremonie zu Beginn der Expedition erbeten haben.
Manaslu – ein Abenteuer?
Das war ein Tag, an dem sich die Bergsteiger durchbeißen mussten: 1000 Höhenmeter trennten Lager eins und zwei. Um 18 Uhr funkte Expeditionsleiter Ralf ins Basislager, dass alle auf 6600 Metern eingetroffen seien – auch Marc, der sich trotz Magenproblemen nach oben gekämpft habe.
Während sich Marc und die anderen nun am Freitag in Lager zwei ausruhen und akklimatisieren sollen, will Ralf gemeinsam mit Hiro den Weg nach Lager drei erkunden.
Rückblende: Bevor die Bergsteiger dem Expeditionsleiter Richtung Hochlager folgten, saßen wir im Gemeinschaftszelt zusammen. Mit meiner Frage „Ist das hier für euch eigentlich ein Abenteuer?“ löste ich eine lebhafte Diskussion aus.
Abenteuer als Kopfsache
Gemeinhin gilt eine Expedition zu einem Achttausender in Nepal wohl als Abenteuer pur. Doch unter den Bergsteigern im Basislager gingen die Meinungen auseinander.
„Abenteuer fängt bei mir immer im Kopf an. Ich stelle mir ein Projekt vor. Was wird geschehen? Emotionen werden geweckt.“ Vor Ort aber, so Rolf, werde aus der Kopfsache oft ernüchternde Realität: „Sitzen, schaufeln, schnaufen, arbeiten und schwitzen!“
Gefahr ein Kriterium für Abenteuer?
Jürgen geht noch ein Stück weiter. „Diese Expedition zum Manaslu ist doch kein Abenteuer. Wir gehen schließlich auf bekannten Pfaden.“ Ein richtiges Abenteuer zeichne sich dadurch aus, dass das Risiko nicht kalkulierbar sei. Auch für Helmar ist die Gefahr ein wesentliches Merkmal des Abenteuers.
Aber ist das Ende dieser Expedition zum Manaslu wirklich vorhersehbar? Die meisten anderen in der Runde widersprechen. „Wisst ihr, ob ihr den Gipfel erreicht? Ob uns beim Auf- oder Abstieg irgendetwas passiert?“
Ausbruch aus dem Alltag
Für Marc fängt das Abenteuer schon weit unter dem Gipfel an. „Ich muss mich schon hier im Basislager auf die Kameraden einlassen, anschließend dann auf den Berg. Und das ist für mich Abenteuer.“
Ähnlich argumentiert Peter. „Man muss aus dem Alltag, aus der Routine ausbrechen, sich immer neue Ziele setzen und versuchen, diese zu erreichen. Das macht das ganze Leben zum Abenteuer.“
Glückshormone und Abenteuersucht
Die Diskussion zeigt, dass sich die Definitionen von Abenteuer unterscheiden. Allen in der Runde aber ist Bergsteigen als Lebensgefühl gemeinsam. Keiner will darauf verzichten. „Wenn nach einer extremen Leistung Endorphine, also Glückshormone, ausgeschüttet werden“, so Peter, „dann ist das ein enormes Erlebnis.“
Und noch etwas eint die Bergsteiger am Manaslu: Die Expedition wird wohl nicht ihr letztes Abenteuer bleiben. „Es ist wie eine Sucht“, sagt Rolf. Irgendwann werden sie wieder unterwegs sein – wie Marc: „Nach solchen großen Projekten sage ich meist : ´Nie, nie wieder!´ Aber spätestens nach zwei, drei Monaten kommen dann wieder die neuen Ideen, die neuen Herausforderungen, die neuen Abenteuer.“