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Zurück aus Lager 1


Sommer in Deutschland, Winter am Manaslu. Während daheim die Freibade-Saison eröffnet ist, könnten wir hier die Skilifte in Betrieb nehmen – so es sie gäbe. Seit Stunden schneit es unaufhörlich. Von Zeit zu Zeit müssen wir das Gemeinschaftszelt von den Schneemassen befreien. Andernfalls droht es zusammenzubrechen.

Vom Aufstieg begeistert

Die Bergsteiger sind von ihrem ersten Aufstieg zu Lager 1 auf 5680 Metern heile zurückgekehrt – nach gut sechs Stunden, vor dem großen Schnee. Fast scheint es so, als würden sich die Niederschläge auf unser kleines Basislager konzentrieren. „Oben lag gar nicht so viel Neuschnee“, sagte Richard nach seiner Rückkehr.
Alle waren begeistert. Endlich wieder am Berg unterwegs, neue Blicke, dem Gipfel ein paar hundert Höhenmeter mehr auf die Pelle gerückt.

“Ich kam, sah und schnaufte.“

Der Weg hinauf nach Lager eins führte zunächst entlang, dann durch den Manaslu-Gletscher. Gegen Ende des Aufstiegs wartete ein Steilaufschwung.
„Ich kam, sah und schnaufte“, gestand Angelo ein. „Ich bin auf dem letzten Zacken angekommen.“
Die Bergsteiger legten am Lagerplatz ein Materialdepot an und markierten die Stelle. „Ich baue keine Zelte mehr auf, wenn wir nicht darin übernachten“, sagt Ralf. In den letzten Jahren hat er bei Expeditionen einige Zelte unter Schneemassen verloren – auch hier am Manaslu.


Materialdepot in Lager 1

Noch mehr Schnee?

Die erste Tour hinauf nach Lager eins diente vor allem der weiteren Akklimatisierung. In zwei Tagen soll der nächste Aufstieg folgen. Dann werden die Bergsteiger auch erstmals auf 5680 Metern übernachten – wenn das Wetter mitspielt .
Bis zum Wochenende sagen die Meteorologen für den Himalaya ruhiges Wetter mit wenig Niederschlägen voraus. Danach soll es feuchter werden. Noch feuchter! Die Schneeschaufeln werden wohl weiter die am häufigsten benutzten Geräte des Basislagers bleiben.

P.S. Sollten die Blog-Einträge in den nächsten Tagen nicht ganz so regelmäßig kommen, liegt es daran, dass wir mit dem Strom haushalten müssen. Wenn es schneit, lädt selbst die beste Solaranlage nicht.

Datum

Mittwoch 25.04.2007 | 12:09

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Erste Erkundungstour nach Lager 1


Basislager von oben

10 Uhr früh und schon wieder schneit es im Basislager. Keine dicken Flocken, sondern Schneegriesel, die aussehen wie kleine Styroporkügelchen. Seit unserer Ankunft wiederholt sich dieses Wetterszenario täglich. Wir werden von Sonnenstrahlen geweckt. Doch nach dem Frühstück ziehen Wolken aus dem Tal herauf, die zum Teil ergiebigen Schneefall bringen.

Aufstieg mit Schneeschuhen

Ralf, die elf Bergsteiger und zwei Sherpas sind heute früh um fünf Uhr erstmals Richtung Lager 1 auf 5600 Metern aufgebrochen. Sie wollen dort die Zelte deponieren, in denen sie beim nächsten Aufstieg übernachten werden. Am Nachmittag wollen sie zurückkehren. Die Tour dient der weiteren Akklimatisierung.

Regelmäßig zieht sich die Spur vom Basislager weg Richtung Manaslu-Gletscher. Alle haben Schneeschuhe unter ihre normalen Bergschuhe geschnallt, um nicht bei jedem Schritt tief einzusinken. Im Abstand von etwa 50 Metern stecken Bambusstöcke mit Fähnchen im Schnee. Sie erleichtern bei Nebel oder Schneefall die Orientierung.

Zwei Österreicher am Manaslu

Das Basislager hat Zuwachs bekommen. Zwei Österreicher haben ihre Zelte aufgeschlagen: Oliver König, 42 Jahre alt, Programmierer aus Baden bei Wien und Peter Mayer, 33 Jahre, aus Wien, der für einen Autozulieferer arbeitet. Die beiden wollen den Manaslu ebenfalls über die Normalroute besteigen. Um die Kosten für das Permit, die Erlaubnis, den Berg zu besteigen, niedrig zu halten, haben sie sich in Ralfs Expedition eingekauft. Ein übliches Verfahren, vergibt die nepalesische Regierung doch nur Permits für Gruppen ab sieben Mitgliedern. König und Mayer sind ein eigenständiges Team – mit eigenem Material, eigenem Koch und Sherpa.


links Oliver König, rechts Peter Mayer

Im Gegensatz zu unserer Gruppe sind sie nach Sama getrekkt, begleitet von Olivers Ehefrau und einer Freundin. „Das Erlebnis kann uns keiner mehr nehmen“, sagt Oliver.

“Weil er in Nepal liegt!“

Die Österreicher haben sich 2004 schon einmal an einem Achttausender versucht: dem Gasherbrum II in Pakistan. Auch damals kauften sie sich bei Ralfs Expedition ein. Den Gipfel erreichten sie nicht. Und warum jetzt der Manaslu? „Weil er zu den niedrigen Achttausendern gehört und weil er in Nepal liegt“, sagt Peter.

Datum

Mittwoch 25.04.2007 | 05:42

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Wellness im Basislager

Morgens Sonne im Lager, ab Mittag Schneefall

Wenn auf einer Himalaya-Karte BC steht, ist in der Regel „Basecamp“ gemeint. Es könnte aber auch für „Better close your nose“ stehen.
Nach einer Woche ohne Dusche beginnt jeder zu muffeln, ohne Ausnahme. Ich gestehe: Ich bin nicht gerade jemand, der morgens aus dem warmen Schlafsack kriecht und pudelnackt zur Körperpflege in den reichlich gefallenen Schnee springt. Die anderen scheinen aus ähnlicher Seife geschnitzt zu sein. Ralf stellte jedenfalls gestern beim Betreten des Gemeinschaftszeltes fest: „Es riecht streng. Morgen ist Duschtag, für alle!“

„Schlecht für den Schutzmantel der Haut!“

Es regt sich kein Widerstand. Einzig Jürgen, unser unbestrittener Wasserexperte, gibt mit einem Augenzwinkern zu bedenken: „Mit einer Dusche zerstören wir doch den Säureschutzmantel der Haut.“ Der Mann weiß, wovon er redet. Schließlich ist er gelernter Wassermeister. „Aber wenn der Expeditionschef Duschen befiehlt, werden wir uns alle fügen!“
Der Zeitpunkt ist geschickt gewählt. Nach zwei Tagen Ruhe im Basislager, zwecks Akklimatisierung, wollen die Bergsteiger morgen zum Lager 1 auf 5600 Metern Höhe aufsteigen. Da wird sich eine neue Schweißschicht bilden.

Alphabetisch ins Duschzelt

Schnell sind zwei Duschkabinen aufgebaut. Mannshohe Stehzelte, in deren Himmel wahlweise ein Eimer oder ein Sack gehängt wird. Sitaram hat alle Kocher voll zu tun, um ausreichend Warmwasser heranzuschaffen.
Der Dreck verschwindet alphabetisch. Helmar, mit Nachnamen Aßfalg wie A ist der erste in der Waschstraße, Angelo Vedani wie V der letzte. „Das klebrige Gefühl ist weg“, meint Helmar, als er zehn Minuten später, frisch gestriegelt und in sauberen Klamotten vor uns steht. Das Privileg der ersten Dusche hat er mit kalten Füßen bezahlt. Für die nächsten wird eine Fußmatte ins Duschzelt gelegt.

No problem, einfach nur sauber

Nach einer Weile bin ich an der Reihe. Ich schlüpfe schnell aus den Kleidern und stehe, ganz Adam, unter dem prall gefüllten Wassersack. Langsam drehe ich den Hahn auf und ein dünner Strahl angenehm warmen Wassers ergießt sich über die Mischung aus getrocknetem Schweiß und Dreck auf meiner Haut. Shampoo und Seife kommen zum Einsatz. Zu meinen Füßen bildet sich ein kleiner See, über dessen Farbe ich lieber schweige. Der Sack ist noch halb voll, der Dreck aber ganz weg. Jetzt kann ich das warme Wasser auf der Haut richtig genießen. Ein wohliges Gefühl macht sich breit, ich muss laut singen. „Any problem, Stefan-dai?“, ruft Sitaram von außen und lacht sich schief. „No problem!“ Ich bin einfach nur sauber und fühle mich auch so. Wellness pur im Basislager – wenn es bloß nicht dauernd schneien würde.

Datum

Dienstag 24.04.2007 | 10:41

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Ohne Puja ist Gott nicht glücklich


„Hallo, kommt alle zur Puja!“ Ralf ruft die Expeditionsmitglieder zu einer traditionellen Gebetszeremonie des tibetischen Buddhismus. Dafür ist Sangip Lama, ein Mönch aus dem Kloster von Sama, am Morgen ins Basislager aufgestiegen. Anderthalb Stunden lang hat er im Küchenzelt Tsampa, geröstetes Gerstenmehl, mit Butter verknetet und daraus feine Skulpturen geformt. Sie symbolisieren buddhistische Gottheiten und den tibetischen Religionsstifter Padmasambhava.


Geweihte Ausrüstung

Jetzt stehen die Teigskulpturen auf einem kleinen Steinaltar oberhalb des Lagers. Die Bergsteiger haben ihre Klettergurte, Steigeisen und Eisgeräte neben den Altar gelegt. Zweige werden entzündet. Der Lama beginnt, auf einer Kunststoffmatte sitzend, mit der Zeremonie. Er läutet ein Glöckchen, murmelt Mantras. Von Zeit zu Zeit schlägt er zwei kupferne Becken gegeneinander und trommelt im Takt seiner Gebete.

Ein Schluck Bier aus der Hand

„Eine Expedition kann nur erfolgreich verlaufen, wenn es vorher eine Puja gibt“ sagt Pasang. Der 29 Jahre alte Sherpa wird die Bergsteiger auf den Manaslu begleiten. „Ohne Puja ist Gott nicht glücklich.“ Während der Lama weiter seine Mantras betet, geht Pasang herum und gießt uns einen Schluck geweihtes Tschang, Hirsebier, in die zur Schale geformten Hände. Wir trinken das Bier. Unser Koch Sitaram reicht dazu Gebäck.

Glücksbänder vom Dalai Lama

Jetzt hängt uns Pasang noch einen roten und einen schwarzen Sungdi um den Hals, Bändchen mit Glücksknoten. Die schwarzen Sungdis, erklärt Pasang, habe der Dalai Lama im indischen Exil persönlich geweiht.
Auf das Kommando des Lama werfen wir Reis und Mehl ins Feuer. Die Puja ist beendet. Gott ist hoffentlich glücklich.

Datum

Montag 23.04.2007 | 14:01

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Shit happens


Aufstieg rechts hinter dem Felsen, Abstieg links

Es gibt eine neue Variante des Wegs zum Manaslu-Basislager, und sie hat auch schon einen Namen: „Shit happens!“, frei übersetzt „Es kann nicht alles glatt gehen.“ Am Morgen unseres Aufbruchs hatte uns Ralf noch versichert: „Nein, ihr könnt euch nicht verlaufen. Es gibt nur einen Pfad, leicht zu erkennen.“
Und so machten sich die ersten acht Expeditionsmitglieder auf den Weg, während die anderen noch verfolgten, wie die 120 Trägerinnen und Träger die Lasten untereinander verteilten.

Gleiches Recht für alle

Am Tag zuvor hatte es in Sama eine Dorfversammlung gegeben. Ursprünglich war geplant gewesen, neben dem Lohn 60 Paar Schuhe an die Träger zu verteilen. Sie sollten je zwei Mal aufsteigen. Da wir in diesem Frühjahr aber die einzige Expedition am Manaslu sind, entschieden die Bewohner Samas, dass 120 Träger in den Genuss der Bezahlung kommen, und nicht 60 das Doppelte kassieren sollten. 1300 Rupies pro 30 Kilogramm Last waren ausgelobt, umgerechnet rund 12 Euro, vier Mal so viel wie der Trägerlohn im Tal. Bei der Dorfversammlung wurde auch beschlossen, dass die versprochenen Schuhe erst einmal im Depot bleiben sollten, damit es unter den Familien keinen Streit gebe.

Verschenkte Höhenmeter

In kurzen Abständen machen sich also Hiro, Josef, Angelo, Peter, Helmar, Rolf, Joachim und ich auf den Weg Richtung Basislager. Wir folgen dem Yak-Pfad, dem einzig möglichen, dem leicht zu erkennenden, nicht zu verfehlenden. Auf 4360 Metern Höhe treffen wir acht uns auf einem Sattel wieder. Hier endet die Spur, aber 150 Meter tiefer sehen wir die ersten Träger einer langen Karawane, die bergauf steigt. Verdammt, wir haben uns verstiegen! Es gibt keine Alternative: wir müssen hinunter, quer durch die dichten Sträucher am Hang. 150 verschenkte Höhenmeter. Shit happens! Ralf meint später, wir sollten den Umweg ganz einfach als zusätzliches Training verbuchen. Na, dann.


Puls von 175

Zwanzig Minuten später reihen wir uns in die Karawane ein – auf dem richtigen Weg. Er führt an der rechten Seite des Manaslu-Gletschers nach oben. Ich bewundere die Fitness und Geschicklichkeit der Einheimischen, die in knöchelhohen, alten Turnschuhen ihre schweren Lasten selbst über die steilsten Stellen sicher hinwegbringen. Derweil steigt mein Puls bei wesentlich weniger Gewicht im Rucksack auf Spitzenwerte von 175 Schlägen. Zeitweise glaube ich, mein Herz im Ohr pochen zu hören. Und ich fühle mich um mindestens fünf Jahre älter.

Schneefall im Basislager

Doch irgendwann, nach einem endlos erscheinenden Moränengrat erreiche auch ich – als einer der letzten – den schneebedeckten Platz auf 4850 Meter Höhe, an dem unser Basislager stehen soll. Als die Träger entlohnt und abgezogen sind, beginnen wir, die Stellen für unsere Zelte zu planieren. Gerade will ich mein Zelt aufbauen, da beginnt es heftig zu schneien. Shit happens.

P.S. Inzwischen wurde die Route „Shit happens“ zum zweiten Mal begangen: Johannes, der wegen einer Erkältung mit eintägiger Verspätung aufstieg, wählte ebenfalls den falschen Weg.

Datum

Sonntag 22.04.2007 | 10:47

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