Marcs kleine Odyssee am Manaslu
Das ist keine Heldengeschichte, sondern die Geschichte eines Mannes, der sich durchgebissen hat. Eine Geschichte, die zeigt, dass Achttausender-Bergsteigen kein Kinderspiel ist, sondern sich auch plötzlich zu einem kleinen oder größeren Drama entwickeln kann.
Marc im Basislager
“Plötzlich den Stecker rausgezogen!“
Marc hat in Lager eins an der Nordostflanke des Manaslu auf 5680 Metern eine schlaflose Nacht verbracht. „Ich hatte permanent Atemnot und habe wirklich den Tagesanbruch herbeigesehnt.“ Nachdem er zum Frühstück ein wenig Müsli gegessen hat, informiert Marc Expeditionsarzt Peter, dass er sich nicht besonders gut fühle, aber dennoch nach Lager zwei aufsteigen wolle.
„Anfangs ging es auch besser als erwartet. Ich habe Peter noch mit dem Daumen nach oben signalisiert, dass alles in Ordnung ist.“ Kaum hat Marc aber die gefährliche Passage im Eisbruch hinter sich, wird ihm speiübel. Er muss sich zum ersten Mal übergeben. „Es war. als ob man mir plötzlich den Stecker herausgezogen hätte.“
Fünf Schritte, Luft holen
Marc versucht, etwas zu essen. Vergeblich. Weitere Male muss er sich übergeben. Marc hat als Letzter Lager eins verlassen. Jetzt verliert er endgültig den Anschluss. Warum kehrt er nicht um? „Ich habe ständig abgewogen. Soll ich zurückgehen oder nicht? Ich hatte immer das Gefühl, ich verspiele die Gipfelchance, wenn ich nicht nach oben komme. Also habe ich mir gesagt, ich beiße mich durch.“
Der Aufstieg von Lager eins nach zwei ist lang und Kräfte zehrend. 1000 Höhenmeter müssen überwunden werden. Marc ist körperlich fast am Ende: „Fünf Schritte gehen, tief Luft holen. Du merkst, dass die Atmung überhaupt nicht mehr zur Ruhe kommt. Du holst Luft, Luft und wieder Luft, aber es geht einfach nicht mehr voran.“
Luft holen im Basislager
Absteigen? Eine Welt bricht zusammen.
Die anderen Bergsteiger haben Marc ein Funkgerät zurückgelassen, damit er mit Expeditionsleiter Ralf Kontakt halten kann. Ralf wartet in Lager zwei auf die Bergsteiger. Als er aus seinem Zelt die Schneeflanke hinabschaut, sieht er, wie sich Marc im Zeitlupentempo die Spur heraufquält. Beim zweiten Funkkontakt rät Ralf Marc, nach Lager eins abzusteigen. Er schätzt, dass Marc noch zweieinhalb bis drei Stunden für die restliche Strecke braucht.
„In diesem Augenblick“, sagt Marc, „brach in mir eine Welt zusammen. Ich habe ihm einfach nicht geglaubt. Ich konnte die anderen oben sehen. Das konnte doch unmöglich noch drei Stunden dauern.“
Glückliche Ankunft nach elf Stunden
Marc funkt an Ralf, er wolle weiter aufsteigen. Drei Stunden später, elf Stunden nach dem Aufbruch, erreicht er Lager zwei auf 6750 Metern. Die anderen Bergsteiger kommen aus ihren Zelten und gratulieren Marc zu seinem Kraftakt. Er kann kaum antworten. „Ich konnte nur noch krächzen, weil ich ständig durch den Mund geatmet habe.“ Zeltgenosse Angelo hat bereits Schnee geschmolzen und Tee zubereitet. Marc trinkt viel. „Ich war einfach nur glücklich, angekommen zu sein.“
Marc muss sich auch kritische Worte gefallen lassen. Peter macht ihm klar, dass er ein lebensgefährliches Höhenlungenödem riskiert, wenn er so an seine Leistungsgrenze geht. Der Expeditionsarzt gibt Marc prophylaktisch Medikamente. „Alle haben sich rührend um mich gekümmert. Und dann habe ich geschlafen wie ein Stein.“
“Eigentlich freue ich mich drauf.“
Marc erholt sich schnell, steigt am übernächsten Tag mit den anderen ins Basislager ab. Sollte das Team Mitte kommender Woche zum ersten Gipfelversuch aufbrechen, müsste Marc noch einmal in der Spur seiner kleinen Odyssee aufsteigen: „Ehrlich gesagt: Ich habe schon ein bisschen Angst vor diesen 1000 Höhenmetern durch den tiefen Schnee. Das ist ein gewaltiges Ding. Aber ich versuche jetzt, mich so gut wie möglich zu erholen. Und eigentlich freue ich mich darauf.“
Doping durch den Expeditionsleiter