More DW Blogs DW.COM

Warten auf die zweite Chance


Montag. Eigentlich sollte heute Gipfeltag sein. Und ein Blick nach oben macht allen klar: Ja, dieser Montag wäre ein günstiger Termin gewesen, den 8163 Meter hohen Gipfel des Manaslu zu erreichen. Bis Mittag scheint die Sonne, kaum eine Wolke trübt den Himmel. Wäre da bloß nicht dieses vermaledeite Höhentief mit seinen heftigen Schneefällen gewesen, das die Bergsteiger gleich am zweiten Tag ihres Gipfelversuchs gestoppt und zur Rückkehr gezwungen hatte.

“Kein 8000-Meter-Mann“

Hätte, wäre, wenn – das alles zählt jetzt nicht mehr. Nun ist wieder Warten angesagt, Warten auf die zweite Chance. Marc ist es leid, ständig im Zelt zu sitzen und zu hören, wie es auf die Plane schneit. „Mir ist klar geworden, dass ich kein 8000-Meter-Mann bin.“ Dieses lange Warten auf den Tag X falle ihm unheimlich schwer. „Wir sind jetzt vier Wochen in Nepal und wie wenige Tage waren wir wirklich am Berg unterwegs! Das steht für mich in keiner Relation“. Und doch, sollte Expeditionsleiter Ralf zum schnellen Aufbruch blasen, wäre auch Marc dabei, würde noch einmal nach der Chance greifen.


Zeit für den Hausputz

Drama am Dhaulagiri

Nach einem frühzeitigen Beginn des zweiten Gipfelversuchs sieht es derzeit aber eher nicht aus. Der Wetterbericht sagt für Donnerstag stärkeren Schneefall voraus. Sollte die Wetterfrösche diesmal Recht behalten, säße das Team unter Umständen wieder in Lager eins oder zwei fest, in lawinenträchtigem Gebiet. Wie gefährlich das sein kann, zeigte sich gestern am Achttausender Dhaulagiri, nicht weit entfernt vom Manaslu. Dort riss eine Lawine mehrere Zelte an einem Lagerplatz mit, der als sicher galt. Zwei Spanier erstickten unter den Schneemassen. Ralf Ehefrau Gerlinde, die den Dhaulagiri besteigen wollte, zeltete ebenfalls am Unglücksort. Sie konnte sich mit Glück aus der Lawine befreien und blieb unverletzt.

Die Zeit drängt

Wie geht es nun am Manaslu weiter? Das Team steckt in der Zeitfalle. Sollte der zweite und voraussichtlich letzte Gipfelversuch zu spät beginnen, müssten die Bergsteiger auf die geplante Trekkingtour zurück verzichten und mit dem Hubschrauber nach Kathmandu zurückkehren – natürlich verbunden mit zusätzlichen Kosten. Und was würde geschehen, wenn sich der Helikopter verspätet? Zu Hause warten Familien – und Arbeitgeber.
Joachim fühlt sich in einer Zwickmühle gefangen. Einerseits würde er gerne ein zweites Mal Richtung Gipfel aufbrechen. Andererseits erwartet er am Mittwoch im Dorf Sama seine Frau, die mit zwei Freundinnen dorthin wandert, um mit ihm gemeinsam talwärts zu trekken. „Ich möchte natürlich die innere Spannung aufrechterhalten“, sagt Joachim, „aber wenn mein Zeitrahmen gesprengt wird, verzichte ich auf den Gipfel. Das wäre zwar traurig, aber auf das Trekking mit meiner Frau freue ich mich genauso.“

“Wegen dieses Gipfels bin ich hier!“

Johannes, mit 24 Jahren der Jüngste im Team, plädiert dafür, auf gute Verhältnisse für einen zweiten Gipfelversuch zu warten: „Ich kann doch jetzt nicht einfach zusammenpacken und nach Hause fahren. Eine Chance müssten wir doch noch haben.“


Diese Zuversicht verbindet den jüngsten mit dem ältesten Bergsteiger. Angelo sitzt unter einem improvisierten kleinen Sonnenschirm und liest. „Der erste gescheiterte Gipfelversuch hat mir weh getan, mich aber nicht gebrochen. Gebrochen wäre ich erst, wenn wir unverrichteter Dinge abziehen müssten. Doch ich vertraue voll und ganz auf Ralfs Erfahrung. Er ist hier der Profi.“
Ohne mit der Wimper zu zucken, würde der 55-Jährige auf die geplante Trekkingtour talwärts verzichten. Angelo blickt Richtung Manaslu: „Wegen dieses Gipfels bin ich doch hier, oder?“

Datum

Montag 14.05.2007 | 09:04

Teilen