Paukenschlag am Everest?
Ueli lässt sich nicht gerne in die Karten schauen: „Man soll immer darüber sprechen, was man gemacht hat und nicht, was man noch vorhat.“ Zu gerne hätte ich gewusst, was der Schweizer Extrembergsteiger Ueli Steck in diesem Frühjahr am Mount Everest konkret plant. Aus dem, was der 35-Jährige preisgab (unser Gespräch könnt ihr unter dem Artikel anhören), schließe ich dreierlei: Gesetzt ist, dass er auf Flaschensauerstoff verzichtet, sehr gut möglich, dass er eine neue Route versucht und denkbar, dass er dabei eine Seilschaft mit Ralf Dujmovits und Gerlinde Kaltenbrunner bildet.
Die regelmäßigen Leser meines Blogs wissen, dass sich Gerlinde und Ralf zunächst einmal am noch nicht begangenen Nordostgrat des 7861 Meter hohen Nuptse in der Nachbarschaft des Everest versuchen wollen. Doch Ralf hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er auch noch gerne den höchsten Berg der Erde – wie die anderen 13 Achttausender – ohne Atemmaske besteigen würde.
Ueli, Gerlinde und Ralf – das wäre ein schlagkräftiges Trio, dem ein echter Paukenschlag am Mount Everest zuzutrauen wäre. Eigentlich, sagt Ueli, wollte Gerlinde ja nicht mehr auf den Everest, „aber wenn es etwas Gescheites gibt, ist sie vielleicht noch mal motiviert“.
Sehr schnell, sehr sicher, sehr hoch
Ueli Steck gehört zu den weltweit besten Extrembergsteigern, viele halten ihn für die aktuelle Nummer eins. Der gelernte Zimmermann, der in einem Dorf nahe Interlaken lebt, sorgte zunächst vor allem mit seinen Solo-Speedbesteigungen in den Alpen für Furore. In Rekordzeit durchkletterte er die klassischen Nordwände (Eiger, Matterhorn, Grandes Jorasses). „Da muss man ehrlich sein: Das ist saugefährlich. Und irgendwann machst du den Fehler, den du nicht machen darfst“, hat Ueli erkannt. „Das muss man irgendwann hinter sich lassen, sonst überlebt man es nicht.“ Der Schweizer wandte sich den höchsten Bergen der Welt zu – mit den Fähigkeiten, die er bei seinen Solo-Speed-Projekten perfektioniert hatte: „Ich kann mich sehr effizient bewegen. Mit weniger Tempo, aber immer noch sehr schnell und sehr sicher.“
Solo durch die Shishapangma-Südwand
Was für ihn möglich ist, demonstrierte Ueli am 17. April 2011. In zehneinhalb Stunden kletterte er alleine durch die Südwand der 8027 Meter hohen Shishapangma in Tibet. „Eine der schönsten Begehungen, die ich je gemacht habe“, findet Ueli. „Es war immer ein Traum von mir, eine Achttausender-Wand solo zu klettern.“ Damit nicht genug, stand er am 5. Mai auf dem 8201 Meter hohen Gipfel des Cho Oyu. Am 23. Mai schließlich musste Ueli seinen Gipfelversuch ohne Atemmaske am Mount Everest auf 8700 Metern abbrechen, weil er zu kalte Füße hatte. „Es ist noch niemand annähernd so nahe an drei Achttausender in einer Saison gekommen“, bilanziert Steck. „Also muss man sagen, es war ein totaler Erfolg.“
Raus aus der Komfortzone
Wer im Sport Grenzen verschieben wolle, müsse eben auch bereit sein zu scheitern. „Jemand, der sich immer in der Komfortzone bewegt, geht nie ans Limit“, sagt Ueli. „Aber er hält sich vielleicht für den Größten, weil er nie scheitert.“ Im Alpinismus gebe es einige Schaumschläger. „Es ist eine Frage der richtigen Kommunikation. Man macht irgendwelche 08/15-Bergtouren und verkauft das mit sehr guten Bildern als superextrem.“
Das ist nicht die Welt des Ueli Steck. Er will neue Maßstäbe setzen – wie 2008, als er mit seinem Landsmann Simon Anthamatten erstmals die anspruchsvolle Nordwand des 6500 Meter hohen Tengkampoche in Nepal durchstieg, im Alpinstil, ohne Bohrhaken zu benutzen. Für diese Leistung wurden die beiden Schweizer später mit dem „Piolet d’Or“ (Goldener Eispickel) ausgezeichnet, dem Oscar der Bergsteiger. Doch Ueli hat auch schon erlebt, wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Tod sein kann. Beim Versuch, die Annapurna-Südwand allein zu durchsteigen, traf ihn 2007 ein Stein am Kopf. Er verlor das Bewusstsein und stürzte 200 Meter weit ab. Ueli überlebte: „Das Risiko ist einfach da in diesen Bergen. Und es ist relativ hoch.“