Fruchtbare Zeit für Bergsteiger-Talente
Ausbildung zum Extrembergsteiger. Das klingt schräg, hat aber eine inzwischen lange Tradition. Im nächsten Jahr feiern die Trainingsexpeditionen des Deutschen Alpenvereins ihren 30. Geburtstag. Gerade sind fünf junge Bergsteiger von ihrer fünfwöchigen Abschlussexpedition im Osten Tibets zurückgekehrt. Unter Leitung ihres Trainers David Göttler gelang ihnen die Erstbesteigung eines vorher namenlosen 5910 Meter hohen Bergs. Sie tauften ihn anschließend Melcyr Schan, „Vergessener Berg“.
Drei neue Routen
Am 16. Oktober stiegen Max Dünßer, Uli Steiner und Mirko Breckner gemeinsam mit Göttler erstmals zum Gipfel. „Die letzten drei Seillängen hatten es in sich“, berichtet David. „Wegen starker Eisglasuren auf dem Gipfelgrat mussten wir uns alle noch einmal stark konzentrieren.“ Später eröffneten Reinhard Hones, Dario Haselwarter und Mirko Breckner eine zweite, anspruchsvolle Route über den Ostgrat. Zwei Tage verbrachte das Trio in der Granitwand, ein „ziemlich ungemütliches Biwak“ inklusive. Schließlich erschlossen David Göttler und Reinhard Hones noch eine dritte Route.
Erstmals auch Frauen-Kader
Die Expedition war der Abschluss einer bergsteigerischen Ausbildung, die sich über drei Jahre hinzog. 2010 hatten die Bewerber um einen der sechs Plätze im „DAV-Expedkader“ bei einem Sichtungscamp in Chamonix ihre Fähigkeiten am Fels und im Eis unter Beweis stellen müssen. Gesucht und schließlich gefunden wurden „begabte und begeisterte Nachwuchsalpinisten“ im Alter zwischen 15 und 22 Jahren.
Seit 2011 gibt es erstmals auch einen Frauen-Expeditionskader. Die sechs jungen Bergsteigerinnen werden noch bis zum kommenden Jahr von Trainerin Dörte Pietron ausgebildet. Die 31 Jahre alte Bergführerin, die vor allem mit ihren Klettertouren an den legendären Granitfelsen Patagoniens für Aufsehen sorgte, hatte 2003 als einzige Frau den Sprung in die DAV-Expeditionsgruppe geschafft. Sie habe damals „wahnsinnig Motivation und Inspiration mitgenommen“, sagt Dörte.
Erfahrung schafft Erfahrung
Das gilt auch für David Göttler, den Trainer des Männer-Tams, der 2003 zum DAV- Expedkader gehörte. „Wir fanden ein Umfeld von Gleichgesinnten voller Motivation und Tatendrang“, erinnert sich David, zu dessen Ausbildern damals auch Kletterstar Alexander Huber gehörte. „Sehr erfahrene Bergsteiger, die schon alle an unseren Traumzielen von Patagonien bis zum Himalaya unterwegs gewesen waren, nahmen uns an der Hand. Einen fruchtbareren Nährboden konnten wir uns nicht wünschen.“ Inzwischen ist David selbst ein erfahrener Profibergsteiger. Mehrfach war er mit Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits unterwegs, vier Achttausender hat er bereits bestiegen.
Wettbewerb füreinander
Der 34-Jährige hat die Zeit als Trainer des Exped-Kaders genossen. Unter den Teilnehmern habe es zwar Wettbewerb gegeben, „aber nicht gegen-, sondern füreinander, ein gegenseitiges Aufbauen und Lehren.“ Das Nachwuchskonzept sei wirklich vorbildlich, findet Göttler. „Junge Bergsteiger kommen zusammen, um eine sehr fruchtbare Zeit für ihr Bergsteiger-Sein zu erleben.“ Vielleicht steht ja auch den Mitgliedern der Gruppe, die jetzt dem „vergessenen Berg“ in Tibet einen Namen und eine Besteigungsgeschichte gab, eine Karriere an den höchsten Bergen der Welt bevor – ähnlich der von Ralf Dujmovits. Der Mann, der als erster Deutscher alle Achttausender bestieg, erzählt auch heute noch gerne von seiner „Initialzündung“ im Jahr 1985: einer Trainingsexpedition des Alpenvereins zum 6543 Meter hohen Shivling in Indien.