Zeitbombe Imja Tsho entschärft – vorerst
Es ist wie bei einer Regentonne. Die Regenmenge ist nicht steuerbar. Willst du verhindern, dass die Tonne überläuft, musst du Wasser ablassen. Nach diesem Muster ist jetzt der Wasserspiegel des Imja Tsho über einen Zeitraum von zwei Monaten um insgesamt 3,40 Meter gesenkt worden. Der Gletschersee im Everest-Gebiet, der an einigen Stellen knapp 150 Meter tief ist, war in den vergangenen Jahren in Folge des Klimawandels immer weiter angewachsen und zu einer Bedrohung für die talwärts gelegenen Dörfer geworden, vor allem Chukhung und Dingboche. Ein Bruch des natürlichen Damms hätte verheerende Folgen haben können. Soldaten der nepalesischen Armee waren an den Bauarbeiten für den Kanal beteiligt, über den insgesamt knapp vier Milliarden Liter Wasser kontrolliert abgelassen wurden. Nach Angaben der Regierung in Kathmandu „profitieren geschätzte 96.562 Menschen, darunter auch Touristen“ – für diese exakte Schätzung gehört Nepal ins Guinness-Buch der Rekorde 😉 – von dem Projekt, das rund drei Millionen US-Dollar kostete und von den Vereinten Nationen finanziert wurde. Daene McKinney, Professor für Umwelttechnik und Wasserbau an der Universität von Texas in Austin, war vor Ort und hat mir meine Fragen beantwortet.
Professor McKinney, Sie waren in das Entwässerungsprojekt am Imja-Gletschersee in der Everest-Region eingebunden. Als wie gefährlich bewerteten Sie die Situation vor dem Beginn des Projekts?
Wir haben das Risiko des Imja-Sees nun schon ein paar Jahre lang erforscht. Das schloss Untersuchungen und Messungen vor Ort ein, Rücksprache mit den lokalen Dorf-Gemeinschaften und detaillierte Computersimulationen. Unsere letzte Publikation (David Rounce et. al., 2016), stuft den See in der Kategorie „mittleres Risiko“ ein. Diese Kategorie ergibt sich aus dem derzeitigen Status eines „niedrigen“ Risikos, das von dem See ausgeht, und der künftigen Einordnung eines „sehr hohen“ Risikos aufgrund der zu erwartenden kontinuierlichen Vergrößerung des Sees, die sich ergibt, sollten sich Lawinen in den See ergießen(die Betonung dabei liegt auf künftig, nicht derzeit).
Denken Sie, dass die Situation nun unter Kontrolle ist?
Die gerade herbeigeführte Absenkung des Wasserspiegels um drei bis dreieinhalb Meter hat natürlich den hydrostatischen Druck des Sees auf die Endmoräne zu einem gewissen Grad reduziert, das hilft. Aber der See wird sich weiter ausdehnen, in der Zukunft werden wir ein Problem bekommen. Außerdem wird sich der Zustand der kleinen Seen verschlechtern, die den Abfluss bilden, und sie werden aufgrund des Eiskerns der Moräne irgendwann mit dem großen See zusammenwachsen. Das wird den Druck auf die Moräne erhöhen, damit steigt auch in gewissem Umfang das Risiko.
Die nepalesische Regierung bezeichnete die Absenkung des Imja Tsho als „Meilenstein nicht nur für Nepal, sondern weltweit“. Es war ein Pilotprojekt. Wie realistisch ist es, das Imja-Modell auf andere potentiell gefährliche Gletscherseen zu übertragen?
Die Erfahrung der Bauarbeiten am Imja-See ist für die Region nützlich, zeigt sie doch, dass man solche Arbeiten überhaupt an entlegenen Orten im Hochgebirge ausführen kann. Allerdings wurden die Bemessungsgrundlagen für die Absenkung des Sees (mindestens drei Meter) willkürlich gewählt, ohne wissenschaftliche oder technische Grundlage. Das entsprach der Vorgehensweise am Tsho Rolpa (im Rolwaling Tal), dem bis dahin einzigen See in Nepal, der abgesenkt wurde. Man kann nur hoffen, dass bei Überlegungen für Absenksysteme an weiteren Seen, z.B. dem Thulagi-See (nahe dem Achttausender Manaslu gelegen), eine systematischere und wissenschaftlichere Methode gewählt wird, um zu entscheiden, welcher Wasserspiegel eines Sees als „sicher“ gilt.
Es ist anzunehmen, dass der Klimawandel zu noch mehr Gletscherseen im Himalaya führen oder die Lage an bereits existierenden Seen verschärfen wird. Glauben Sie, dass man das Problem in den Griff kriegen kann?
Definitiv bilden sich Jahr für Jahr im Himalaya neue Seen und dehnen sich aus. Das wird auch in absehbarer Zukunft so bleiben. Einige dieser Seen werden auf Dauer die stromabwärts lebenden Dorfbewohner und die Infrastruktur bedrohen. Dieses Risiko muss eingeschätzt werden (daran arbeiten wir gerade). Um Menschen und Güter stromabwärts zu schützen, muss eine Definition her, welches Gefahrenniveau annehmbar ist. Wenn das Risiko zu hoch ist, müssen neue Sicherheitssysteme für die Seen mit dem entsprechenden Know-how entwickelt und umgesetzt werden.