Steck vor Everest-Expedition: „Eher spät als früh“
Er schaut nach vorn, nicht zurück. „Was 2013 am Everest passiert ist, werde ich nie mehr vergessen“, sagt mir der Schweizer Topbergsteiger Ueli Steck. „Aber ich glaube, dass ich damit absolut kein Problem haben werde. Es ist vorbei. Ich bin sehr motiviert und fahre mit einem sehr guten Gefühl.“ Im Frühjahr 2013 hatte ein aufgebrachter Sherpa-Mob Steck, den Italiener Simone Moro und den Briten Jonathan Griffith im Hochlager angegriffen und mit dem Tod bedroht. Jetzt kehrt Ueli zum höchsten Berg der Erde zurück. Sein Ziel: die Überschreitung von Mount Everest und Lhotse.
Der 40-Jährige wird mit Tenji Sherpa klettern, mit dem er bereits 2012 den Everest ohne Flaschensauerstoff bestiegen hatte. Der 24-Jährige gehöre „zu einer neuen Generation von Sherpas, die auch wirklich Spaß am Bergsteigen hat und nicht nur Business machen will“, sagt Ueli. „Ich freue mich darauf, mit ihm unterwegs zu sein. Wie berichtet, hatte Steck im Februar als Vorbereitung ein Intensivtrainingslager mit dem Deutschen David Göttler und dem Italiener Hervé Barmasse im Khumbu-Gebiet absolviert. Anschließend kehrte Ueli für einige Wochen in die Schweiz zurück. Am 8. April startet er Richtung Kathmandu.
Ueli, im Februar beim Trainingslager in Nepal bist du 250 Kilometer über 15.000 Höhenmeter gelaufen und geklettert. Wie viel ist seitdem dazugekommen?
Das kann ich nicht so genau sagen. Ich habe eh nicht mehr so viel Volumen gemacht, sondern mich auf intensive Trainings konzentriert. Aber letzte Woche habe ich noch mal 10.000 Höhenmeter gemacht. Insgesamt dürften etwa 25.000 Höhenmeter dazugekommen sein.
Wie sieht dieses intensive Training aus?
Hauptsächlich mache ich Intervall- und Schwellentraining. Das sind relativ kurze Belastungen, aber in einer hohen Pulsfrequenz. Dabei geht es darum, den Maximalpuls zu verschieben.
Wie würdest du deinen derzeitigen körperlichen Zustand beschreiben?
Wenn du mich heute fragst, ist er eigentlich perfekt. Ich kann jetzt auch nicht mehr viel verändern, es geht nur noch um Feintuning. Eine große Leistungssteigerung kriege ich nicht mehr hin, bevor ich abreise. Aber im Moment bin ich topfit, die Leistungsparameter sind eigentlich sensationell. Ich habe geplant, dass ich das jetzt sehr wahrscheinlich jedes Jahr so machen werde.
Wie geht die Akklimatisation in Nepal weiter?
Ich werde direkt ins Basislager gehen. So wie ich es einschätze, kann ich vielleicht am zweiten Tag nach Ankunft sofort nach Lager 2 [auf 6400 Metern] aufsteigen und dort Zeit verbringen. Für mich ist es wichtig, dass ich, bevor es richtig losgeht, auch mal zwei Nächte auf dem Südsattel auf knapp 8000 Metern geschlafen habe. Aber ich werde sicher während der Akklimatisierung auch auf die Westschulter steigen, um zu sehen, wie die Verhältnisse sind.
Liebäugelst du immer noch mit einem Aufstieg über die Westschulter?
Es wäre schon das Eleganteste, wenn wir die Überschreitung über das Hornbein-Couloir zum Gipfel, dann hinunter zum Südsattel und hinauf zum Lhotse machen könnten. Das wäre mein Traumding. Aber ich bin auch realistisch und habe genug Erfahrung, um zu wissen, dass es nur klappen kann, wenn sehr, sehr viel stimmt. Es müssen perfekte Verhältnisse herrschen, das Wetter muss gut und stabil sein. Ich glaube, es ist wichtig, dass man Ideen hat, aber am Ende am Berg entscheidet, was möglich ist und was nicht.
Die Überschreitung von Everest und Lhotse ist noch niemals ohne Flaschensauerstoff gelungen. Wie groß schätzt du die Chance ein?
Da muss schon etwas ziemlich schief gehen, damit die Überschreitung über die Normalroute nicht geht. Doch wir haben es im letzten Jahr an der Shishapangma gesehen: Wenn das Wetter nicht passt, hast du einfach keine Chance. Wie hoch die Chance tatsächlich ist, weiß man niemals im Vorfeld. Aber ich glaube, dass es für mich sehr gut machbar ist.
Viele erwarten für dieses Frühjahr eine Rekordsaison am Everest, sprich der Berg wird richtig voll. Das klingt nicht gerade nach idealen Voraussetzungen für sein so ambitioniertes Projekt wie eine Überschreitung.
Wie viele Leute am Berg sind, hat überhaupt keinen Einfluss. Es ist egal, wenn die Leute am Fixseil im Stau stehen. Du brauchst dich ja nicht einzuklinken, sondern kannst nebenher gehen.
Könnte es vielleicht ein Rezept sein, möglichst früh in der Saison den Aufstieg zum Gipfel in Angriff zu nehmen?
Früh in der Saison stellt sich ja häufig das Problem, dass es noch sehr kalt ist. Wenn du ohne Flaschensauerstoff gehst, sollte es jedoch relativ warm sein. Von daher ist früh sehr wahrscheinlich keine Option. Ich werde eher spät gehen. Lassen wir mal das erste Wetterfenster vorbeiziehen, dann sind schon mal die meisten oben gewesen, und man hat mehr Ruhe am Berg. Ich glaube, dass es eher darauf hinausläuft.