Coster: „Zu viel los im Khumbu-Eisbruch“
Die Everest-Frühjahrssaison ist eingeläutet. An diesem Samstag werden acht so genannte „Icefall Doctors“ im Basislager auf der nepalesischen Südseite des höchsten Bergs der Erde eine Puja feiern, eine buddhistische Zeremonie, mit der die Götter um ihren Segen gebeten werden. Ab kommender Woche werden die für diese Aufgabe spezialisierten Sherpas dann die diesjährige Route durch den Khumbu-Eisfall vorbereiten. Anfang April werden die ersten kommerziellen Teams im Basislager erwartet. „Ich bin gespannt, wie voll es in diesem Jahr auf der Südseite sein wird, nachdem die Zahlen zuletzt alljährlich kontinuierlich gestiegen sind“, sagt mir Arnold Coster, als ich ihn heute in Kathmandu treffe. „Ich frage mich auch, wie viele Bergsteiger wirklich auf die tibetische Seite wechseln.“
Nur ein neuer Anbieter in Tibet
In Wahrheit sei nur der Veranstalter Altitude Junkies des Briten Phil Crampton dazugekommen, sagt Arnold: „Ansonsten sind es die normalen Anbieter auf der Nordseite, mich eingeschlossen, nur mit größeren Gruppen als bisher.“ Der 41 Jahre alte Niederländer wird ein international gemischtes Team aus zwölf Kunden leiten. Auch im vergangenen Jahr war Arnold bereits auf der tibetischen Nordseite. „Der Hauptgrund ist, dass mir im Khumbu-Eisbruch auf der Südseite einfach zu viel los ist. Da gibt es zu viele Leute, die zu langsam unterwegs sind, und damit gerätst du allzu leicht in einen Stau.“ Zudem seien die objektiven Gefahren auf der Nordseite deutlich geringer. Nach starkem Schneefall bestehe lediglich, wenn überhaupt, auf dem Weg zum 7000 Meter hohen Nordsattel Lawinengefahr, sagt Coster. Auf der Südseite dagegen sei die Lawinengefahr deutlich höher. Im Khumbu-Eisbruch sei sie ständig vorhanden, doch auch im darüber gelegenen Western Cwm, dem „Tal des Schweigens“, oder auch in der Lhotse-Flanke.
Dreimal auf dem Gipfel
Seit 2004 lebt Coster in Nepal. Er ist mit Maya Sherpa verheiratet, einer der bekanntesten Bergsteigerinnen des Landes (mein Interview mit ihr folgt später). Sie haben zusammen eine sieben Jahre alte Tochter. Arnold wird in diesem Jahr zum 15. Mal eine Everest-Expedition leiten. Dreimal stand er bisher auf dem Gipfel auf 8850 Metern, so oft wie kein anderer Bergsteiger aus den Niederlanden. „Mein Job ist es, mich um meine Leute zu kümmern, nicht, selbst zum höchsten Punkt aufzusteigen“, sagt Arnold und verweist darauf, dass er bereits achtmal auf dem 8749 Meter hohen Everest-Südgipfel gewesen sei. „Sehr oft klettere ich mit meiner Gruppe los, drehe dann aber mit jemand um, der Hilfe braucht.“ 2016 kam jedoch für zwei seiner Kunden jede Hilfe zu spät. Innerhalb von 24 Stunden starben ein Niederländer, mit dem Coster befreundet war, und eine Australierin – und das, obwohl beide nach dem Gipfelversuch den Südsattel erreicht hatten. In den sozialen Netzwerken wurde Arnold hinterher beschuldigt, die Familien der Verstorbenen nicht rechtzeitig informiert zu haben.
Verbindungsoffizier gab sensible Information weiter
„Das entsprach nicht der Wahrheit. Ich hatte vom Berg aus den Ansprechpartner für Notfälle informiert. Diese Information wurde nicht direkt an die Familien und Freunde weitergeleitet. Für diesen Fehler hat man mich dann zu Unrecht verantwortlich gemacht“, sagt Coster. „Dabei musste ich mich doch am Berg um die Rettung anderer Teammitglieder und die Bergung der Opfer kümmern.“ Dafür, dass die Familien den Tod ihrer Angehörigen aus dem Internet erfahren hätten, sei der Verbindungsoffizier im Basislager verantwortlich gewesen, so Arnold. Der habe nichts Besseres zu tun gehabt, als interne Informationen aus dem Funkverkehr in einem Zeitungsinterview preiszugeben.
„Ziemlich dumm“
Von den neuen Bergsteiger-Regeln für Expeditionen in Nepal hält Coster nichts. Die Regierung hatte – wie berichtet – beschlossen, keine Permits mehr an doppelt Beinamputierte sowie Blinde zu vergeben sowie Solo-Aufstiege zu verbieten. Das Oberste Gericht Nepals hob inzwischen das Permit-Verbot für Behinderte wieder auf. Die Regeln seien „ziemlich dumm“, sagt Arnold, „weil diese Leute nicht die Probleme am Everest verursachen. Das große Problem auf der Südseite sind die unerfahrenen Leute.“ Viel mehr Sinn würde es etwa machen, wenn man den Everest-Anwärtern vorschreibe, zuvor mindestens einen Siebentausender in Nepal bestiegen zu haben, findet Coster: „Das könnte man gut kontrollieren, weil das (Tourismus-) Ministerium diese Besteigungen erfasst. Und zusätzlich bliebe der Bergtourismus als eine der wichtigsten Einnahmequellen Nepals erhalten.“
Dass solche Vorschläge ständig im Sande verliefen, liege daran, dass seit dem Ende der Monarchie in Nepal im Jahr 2008 im Schnitt alle sechs bis acht Monate die Regierung gewechselt habe. „Die Menschen hier hoffen – und ich hoffe es auch –, dass die neue Regierung endlich einmal über die volle Zeit im Amt bleibt. Eigentlich ist es sogar egal, um wen es sich handelt“, sagt Coster. „Wenn die Leute bleiben, kann man auch Pläne umsetzen. Aber wie soll das funktionieren, wenn ständig die Verantwortlichen wechseln?“
P.S. Ihr fragt euch vielleicht, warum ich derzeit Nepal besuche. Morgen werden in Thulosirubari, 70 Kilometer östlich von Kathmandu, die ersten beiden Gebäudeteile der neuen Schule eingeweiht, die durch eure Spenden für unser Hilfsprojekt „School up!“ gebaut werden konnten. Zudem legen der deutsche Bergsteiger Ralf Dujmovits und ich den Grundstein für den zweiten Bauabschnitt. Anschließend werde ich über die Feier in dem kleinen Bergdorf berichten. Nebenher nutze ich die Gelegenheit, um in der Hauptstadt einige Interviews zur bevorstehenden Klettersaison zu führen. Die werde ich nach und nach im Blog veröffentlichen.