Auf dem Weg zum K 2 (Teil 1): Nichts für schwache Nerven
Die Klettersaison am Mount Everest und den anderen Achttausendern in Nepal hat mit Beginn der Monsunzeit geendet, die im Karakorum in Pakistan läuft. Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits befinden sich auf der Anreise zum K 2. Für mich war das der Anlass, noch einmal im Tagebuch meiner Reportagetour zum K 2-Basislager im Jahr 2004 zu blättern. In einer kleinen Serie lasse ich euch nun mit mir zum „König der Achttausender“ reisen – auch auf die Gefahr hin, dass sich in den vergangenen Jahren das eine oder andere geändert haben könnte.
Rawalpindi, aus dem Flugzeug fotografiert
Meinen ersten Weltuntergang erlebte ich in Rawalpindi nahe Islamabad. Twin Cities, Zwillingsstädte, werden die beiden genannt. Dabei könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Rawalpindi ist in Jahrhunderten gewachsen und pulsiert. Islamabad dagegen wurde Ende der 1950er Jahre als neue Hauptstadt Pakistans auf dem Reißbrett entworfen und beherbergt vor allem Behörden, Banken und Unternehmen. Alle Straßen kreuzen sich im rechten Winkel, die Stadtviertel tragen keine Namen, nur Buchstaben.
Inferno
Nach einem unerträglich schwülen Tag mit Temperaturen bis 36 Grad Celsius wurde es am Nachmittag dunkel. Und ich meine wirklich dunkel, schwarz wie die Nacht. Dann brach das Inferno los. In der Nähe schlug ein Blitz ein. Der Donner war ohrenbetäubend. Ich saß in meinem Zimmer im Hotel Shalimar. Der Strom fiel aus. Ich blickte aus dem Fenster und sah, wie der Sturm Plakatwände wie Papierblätter durch die Gegend wirbelte. Die Straßen verwandelten sich unter den Wassermassen in Bäche. Nach 20 Minuten wurde es wieder hell, das Gewitter hatte sich ausgetobt. In einem pompösen Hotel in der Nachbarschaft war die gesamte Glasfront durch einen umgestürzten Baum zu Bruch gegangen. Später erfuhr ich, dass eine Frau von einer riesigen Plakatwand erschlagen worden war.
Leiter und Geführter
Ich sollte über die Feiern zum 50. Jahrestag der Erstbesteigung des K 2 in Islamabad berichten. Aber natürlich wollte ich mir den König der Achttausender zuvor selbst anschauen. Über eine pakistanische Agentur ließ ich eine dreiwöchige Trekkingtour organisieren. Auf dem Genehmigungsschreiben der Regierung stand: „German Baltoro Trek 2004, Leader: Stefan Nestler, Members: 1“. Ich war also gleichzeitig Leiter und Geführter.
Wie damals noch in drei Vierteln aller Fälle fiel auch mein Flug nach Norden der schlechten Sicht zum Opfer. Die Alternative führte über den berühmt-berüchtigten Karakorum Highway. 30.000 Chinesen und Pakistaner haben die Straße buchstäblich in den Fels gesprengt: auf der Route der alten Seidenstraße nach Norden Richtung China, zunächst entlang des Indus, eines der größten und längsten Flüsse Asiens.
Reden gegen den Sekundenschlaf
In unserem Kleinbus saßen außer mir mein Bergführer Syed und zwei Österreicher -einer davon Christian Stangl, der heute als der „Skyrunner“, Spezialist für Speedbesteigungen der Achttausender, weltweit bekannt ist. Arshad, eine Mischung aus Rallye-Fahrer und Formel-1-Pilot, steuerte den Bus. In halsbrecherischem Tempo raste er an heruntergestürzten Felsblöcken vorbei, die den Highway an vielen Stellen zur Hälfte blockierten, oder überholte die landestypischen reich geschmückten, farbenprächtigen Lastwagen. Ich saß meist auf dem Beifahrersitz . Nach etwa zehn Stunden Fahrzeit merkte ich, dass Arshad die Augen zufielen. Sekundenschlaf! Bei mir klingelten alle Alarmglocken. Arshad sprach kaum Englisch. Dennoch verwickelte ich ihn so lange in ein mehr oder weniger belangloses Gespräch, bis er sein Tief überwunden hatte.
Tee mit Bart
Als es dunkel wurde, hielten wir in einem kleinen Ort, um Tee zu trinken. Arshad stieg aus und ging zu dem Stand am Straßenrand, der von langbärtigen Männern umgeben war. Ich sprang ebenfalls aus dem Bus, dankbar dafür, meine Beine ausschütteln zu dürfen. Die Bärtigen begrüßten mich so herzlich wie einen alten Bekannten. Plötzlich rief mich Syed, wild gestikulierend, zurück. Ich sollte unbedingt im Bus bleiben. Ich verstand überhaupt nicht warum. „Dangerous men!“, flüsterte Syed. Heute muss ich oft an diese Situation denken, wenn über die gefährliche Lage im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan berichtet wird. Auch wenn ich fast sicher bin, dass Syed diesen Männern unrecht tat.
Im Rücken den 8125 Meter hohen Nanga Parbat
Blick auf den Nanga Parbat
In einem Hotel im Ort Chilas aßen wir und schliefen ein paar Stunden. Früh am nächsten Morgen trat Arshad wieder aufs Gaspedal. Ganz gegen seine Gewohnheit stoppte er zwei Stunden später am Straßenrand. Er zeigte mit dem Finger zurück: auf den Nanga Parbat. Der erste Achttausender, den ich in Pakistan sah, war allerdings zu weit entfernt, um mich tief zu beeindrucken. Wir erreichten den „Junction Point“. Dort, am Zusammenfluss von Indus und Gilgit River, treffen sich die drei großen Gebirgszüge Asiens: Hindukusch, Karakorum und Himalaya.
Wild gurgelndes Flussmaul
Wir verließen nun den Highway und folgten weiter dem Indus. Neben der höchstens fünf Meter breiten Piste fielen tiefe Schluchten fast senkrecht ab. Auf der anderen Seite erhoben sich hohe, von Regen und Schnee glatt geschliffene Bergfluchten mit unzähligen Brocken, die nur darauf zu warten schienen, auf die Piste niederzusausen. Und unten öffnete der Indus sein wild gurgelndes Maul. Mein Puls beschleunigte sich, die Hände waren schweißnass.
Wir hielten an einer Stelle, an der fünf Tage zuvor ein Lastwagen in die Tiefe gestürzt war und den Fahrer sowie seinen Sohn in den Tod gerissen hatte. Ein ausgebranntes Wrack am Flussufer bezeugte den tragischen Unfall.
Straße, die zur tödlichen Falle werden kann
Spätestens jetzt verstand ich, dass viele Bergsteiger behaupten, das Gefährlichste an einer Expedition in den Karakorum sei die Anreise. Erleichtert atmete ich auf, als Arshad nach 22 Stunden Fahrzeit vor unserem Hotel in der Stadt Skardu bremste.