Kleiner, großer Mann
Wie peinlich! Erst einmal übersehe ich Apa Sherpa. „Drehen Sie sich um! Er steht direkt hinter Ihnen“, sagt die freundliche Dame, als ich am Stand seines Sponsors nach Apa frage. Und tatsächlich. Hinter mir lehnt er an einer Stellwand der Messe „Outdoor“ in Friedrichshafen. Wer ihn fernab des Mount Everest trifft, würde nicht vermuten, dass dieser 1,63 Meter kleine, schmächtige Mann als der größte unter den Sherpas gilt: 20 Mal erreichte Apa Sherpa den Gipfel des höchsten Bergs der Erde, fast ein Fabelrekord. Ich frage ihn, wie sich das anfühlt, Jahr für Jahr auf 8850 Metern zu stehen, auf dem Dach der Welt. „Es ist immer noch etwas Besonderes“, sagt Apa. „Ich fühle mich dann, als wäre ich im Himmel.“
Apa Sherpa lacht viel und gerne
Familienoberhaupt mit zwölf
Das Bergsteigen war Apa Sherpa nicht in die Wiege gelegt. Er wurde auf 3800 Metern im kleinen Dorf Thame im Khumbu-Gebiet geboren. Wann genau, weiß er selbst nicht, wahrscheinlich gegen 1960, vielleicht auch ein Jahr später oder früher. Geburtsurkunden wurden damals für Sherpas nicht ausgestellt. Als Apa zwölf Jahre alt war, starb sein Vater, ein Yak-Hirte. Nun musste Apa in die Rolle des Ernährers schlüpfen, für seine Mutter und fünf Geschwister Geld verdienen. Also heuerte er bei Expeditionen an, erst als Träger, dann als Küchenjunge, schließlich als Hochträger.
Lebensrettende Absage
Am 10. Mai 1990 stand Apa erstmals auf dem Gipfel des Mount Everest in 8850 Metern Höhe, an der Seite des Neuseeländer Rob Hall. Der Bergführer war es auch, der Apa 1996 überreden wollte, ihn erneut als „Sirdar“, als Chef der Hochträger, zum Mount Everest zu begleiten. Apa verzichtete auf Bitten seiner Frau: Die Bauarbeiten an ihrer „Everest Summiteer Lodge“ in Thame liefen noch, außerdem war gerade ihr viertes Kind zur Welt gekommen. Wahrscheinlich rettete seine Absage Apa das Leben. Rob Hall und weitere sieben Bergsteiger starben nach einem Wettersturz im Gipfelbereich, das Unglück machte weltweit Schlagzeilen.
Apa am Everest-Südsattel auf etwa 8000 Metern
Mehr als eine Brille
Der Berg sei für ihn in den vergangenen beiden Jahrzehnten fast so etwas wie ein Freund geworden, sagt Apa Sherpa: „Die Göttinmutter auf dem Everest, die wir Chomolungma nennen, kümmert sich um mich. Ich war so oft oben, hatte bis jetzt aber noch nie Probleme. Nicht einmal Frostbeulen.“ Lediglich die Augen des etwa 50-Jährigen sind sehr empfindlich, seit er gleich beim ersten geglückten Gipfelversuch 1990 vorübergehend schneeblind wurde. „Deshalb habe ich nicht nur eine, sondern immer mehrere Brillen im Rucksack.“
“Ich kenne am Everest jeden Stein“
Apa steht übrigens nicht nur wegen seiner Rekordzahl an Besteigungen in den alpinen Geschichtsbüchern. 1995 erreichte er mit seinem Bruder Ang Rita den höchsten Punkt – sie waren das erste Brüderpaar auf dem Gipfel. Selbstverständlich sei es für ihn nicht, dass er so häufig am Mount Everest erfolgreich war, meint Apa. „Der Everest ist nie einfach.“ Und doch trete er dem Berg inzwischen selbstsicherer gegenüber. „Weil ich so oft oben gewesen bin, kenne ich jede Felsstufe, jeden Stein.“ Und da ist es wieder, Apas ansteckendes Lachen.
Abenteuer ist Luxus
Wie alle Sherpas hat auch Apa großen Respekt vor dem Mount Everest. Niemals würde er den Berg besteigen, ohne vorher bei einer Puja, einer buddhistischen Zeremonie, die Göttinmutter um ihren Segen für das Unternehmen zu bitten. „Ohne Puja bekommst du am Berg Probleme“, erklärt Apa. Auch die vielen Bergsteiger aus aller Welt, die sich alljährlich am Everest versuchen, hätten das verstanden. Auf kritische Äußerungen zum Gebaren der Bergtouristen wartet man bei Apa vergeblich. Immerhin aber lässt er keinen Zweifel daran, wen er für die wahren Bergsteiger hält: „Wir Sherpas machen die harte Arbeit. Nur für den, der ohne Gepäck auf den Mount Everest steigen kann, ist es vielleicht Abenteuer oder sogar Spaß“, sagt Apa und lacht.
Niemals ohne Puja auf den Everest
Der nepalesische Traum
In Nepal kennt jeder Apa Sherpa. Er steht für den nepalesischen Traum: Apa brachte es aus einfachsten Verhältnissen zu Berühmtheit und bescheidenem Wohlstand. Außerdem schaffte er den Sprung in die „Staaten“, für viele Nepalesen immer noch das „Shangri La“, das gelobte Land. Apa lebt in der Olympiastadt Salt Lake City in den USA, wo seine vier Kinder Universität und Schule besuchen. Wenn ihre Ausbildung beendet ist, will Apa jedoch in sein Heimatdorf Thame in Nepal zurückkehren. Der Sherpa hat eine eigene Stiftung gegründet, um Bildungsprojekte in der Region zu unterstützen.
5000 Kilogramm Müll
Auf den Mount Everest will Apa noch so lange klettern, wie es seine Gesundheit zulässt. In den letzten drei Jahren hat er sich den Eco-Everest-Expeditionen angeschlossen, die von Sherpas organisiert werden. Ziel ist es nicht nur, den höchsten Punkt zu erreichen, sondern beim Abstieg auch Müll vom Berg zu bringen, den Bergsteiger in den vergangenen Jahrzehnten am Everest hinterlassen haben. In diesem Frühjahr sammelten Apa und die anderen Expeditionsmitglieder rund 5000 Kilogramm Unrat: „Es gibt immer noch jede Menge davon. Wenn das Eis schmilzt, tritt der Müll zutage. Deshalb werde ich zum Everest zurückkehren. Es ist sehr wichtig, die Berge zu säubern.“
Fürs Altenteil fühlt sich Apa Sherpa noch zu fit, auch wenn er schon etwa ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat. Ich will von ihm wissen, ob er sich auch die Marke von 25 Everest-Besteigungen zutraut. „Mmmmmh, ich weiß nicht“, sagt Apa, „mal sehen“. Er lacht herzlich. Daran würde ich Apa Sherpa beim nächsten Mal sicher erkennen – selbst wenn ich den kleinen, großen Mann wieder übersehen sollte.